Kein „Fall Özil“. Sondern: Ein „Fall rechte Özil-Kritik“.

Fussball und ProfiteDer verdiente 26. Platz bei der Fußball-WM hat die deutschnationale Seele tief getroffen. Löw bleibt, wie auch Seehofer. Also ist Özil schuld. Über den Menschen Mesut Özil ließe sich viel, also gar nichts sagen: Vielleicht ist er ja tatsächlich politisch noch rechter, als die CSU-Garde des FC Bayern. Als Spieler hat er so wenig gute Pässe gespielt, wie Toni Kroos (bis auf dessen gelungene Vorlage für Schweden). Ist so desorientiert durch die Gegend gewandelt, wie Thomas Müller. Hat deutsch, also weisungsgemäß gehandelt, auch wenn er die Nazionalhymne nicht mitgesungen hat: Hallendhandball gespielt, immer außen rum. Anderswo singen „die“ mit? Anderswo – Belgien, England, Frankreich – haben „die“ wenigstens auch Wahlrecht und Staatsbürgerschaft qua Geburt und nicht das Ghetto. Kein Argument gilt, Özil ist Schuld: Das ist von den Fußball-Talkrunden – die einzigen Sendungen noch üblerer Qualität, als die Talkshows in ARD und ZDF – längst in die Nachrichtensendungen vorgedrungen. Er hat sich mit „dem Diktator“ fotografieren lassen. Hat er. Den „wir Demokraten“ ja so arg kritisieren – nur „Bild“ ist da ehrlich: Ein Diktator, der „Deutsche“ einsperren lässt (wenn es nur Türken wären…). Ob das Foto-Shooting von der Kohle bezahlt wurde, die Erdogan dafür kriegt, dass er uns „die Syrer“ vom Leib hält, wird nicht berichtet, vielleicht ist ja auch alles weg, ausgegeben für deutsche Panzer, um Kurden zu killen, die „wir“ hier schon lange zum Schweigen bringen wollen. Ein Foto mit Lagerkommandant Seehofer wäre besser gewesen, oder? Und so rückt die rechte Ideologie von der Haupttribüne auf das Spielfeld vor, wird die schon immer geforderte Aggression durch das Eigenschaftswort „nationalbewusst“ vollends unsportlich radikalisiert.  Zum Thema „Fußball und die Rechte“ eine aktuelle Materialsammlung vom 09. Juli 2018:

„Rechte freut Deutschlands WM-Aus“ von Peter Nowak am 29. Juni 2018 bei telepolis externer Link zu konkurrierenden Formen des Nationalismus: „Das Foto von Özil und Gündogan mit Erdogan sowie die Erklärung, dass er nicht Deutschlands Hymne mitsingt, sind für Verfechter des modernisierten deutschen Patriotismus tatsächlich ein Debakel, über das sie bisher wenig reden. Denn dieses Modell basiert ja auf der Annahme, dass die Neubürger als stolze Deutsche die Hymne besonders ergriffen singen und die Fahne besonders vehement wedeln. Es ist klar, dass diese Schwachstellen des modernisierten deutschen Patriotismus von den klassischen Verfechtern des Deutschnationalismus wie AfD und Co. nun für ihre Angriffe genutzt wird. (…) Generelle Kritiker von Staat und Nation tun gut daran, zu beiden Varianten des Nationalismus auf Distanz zu gehen. Schließlich ist auch der postmoderne Partypatriotismus eine Variante des Nationalismus. Die Schland-Bundeswehr stellt die alten deutschen Traditionen nicht mehr so stark in den Mittelpunkt. Manche NS-Täter sind nicht für eine Traditionspflege geeignet, andere werden nur etwas in den Hintergrund gerückt. Man ist auch offen für Frauen und die Hautfarbe soll bei der bunten Truppe theoretisch auch kein Ausschlusskriterium mehr sein. Für AfD-Rechtsaußen Höcke und Co. ist diese Bundeswehr nicht mehr ihre Armee. Das ist das Pendant zur WM-Mannschaft. Wem die zu bunt und multikulturell ist, wird sich wohl auch gegen die moderne Bundeswehr wenden. Doch ist das ein Grund, dass kritische Menschen nun die Bundeswehr verteidigen und mit dem Fußball-Team aus Deutschland feiern müssen? Wohl kaum….

„»Es muss Einschnitte auf allen Ebenen geben«“ von Philipp Köster am 06. Juli 2018 bei Elf Freunde externer Link zu Herrn Bierhoffs Schuldzuweisungen: „Das Interview, das Bierhoff der »WELT« gab, war also der Versuch, sich selbst als Macher, als Reformer, als treibende Kraft tiefgreifender Reformen zu zeigen. Und dieser Versuch, das kann man feststellen, ist auf nahezu gruselige Weise schief gegangen. Denn alles, was Bierhoff im Gewand vermeintlicher Selbstkritik verkündete, war auf den zweiten Blick der schäbige Versuch, die Verantwortung fürs sportliche Desaster auf andere, konkret auf Mesut Özil, abzuschieben. Denn abseits von Plattitüden (»Es geht darum, sich nicht vom Glanz vergangener Tage blenden zu lassen«) fiel Bierhoff nichts besseres ein, als primär Özil für die Missstimmung in der Truppe verantwortlich zu machen und festzustellen: »Man hätte überlegen müssen, ob man sportlich auf Mesut verzichtet.« (…) Wohlgemerkt auf einen Spieler, der sich sportlich nicht mehr vorzuwerfen hatte als all die anderen Spieler der Elf. Auf einen Spieler, der während der WM auf beispiellose Weise medial und mit deutlicher rassistischer Konnotation angefeindet wurde und der vom DFB damit vollständig allein gelassen wurde. Auf einen Spieler zudem, der noch vor kurzem von Oliver Bierhoff als Integrationsmaskottchen vor jede laufende Kamera gezerrt wurde. Anstatt zumindest nach dem Turnier, mit Abstand und Ruhe, Özil diesen Beistand zukommen lassen, missbraucht Bierhoff den Mittelfeldspieler für den verzweifelten Versuch, seine Machtposition im DFB wieder zu stärken…

„Deutsche Medien und Mesut Özil“ von Jürgen Amendt am 05. Juli 2018 in neues deutschland externer Link zum Thema: „Karim Benzema, französischer Fußballer mit algerischen Wurzeln und früher Stürmer in Frankreichs Nationalmannschaft, brachte die Haltung, die hinter solch einem Verhalten steckt, einmal so auf den Punkt: »Wenn ich ein Tor schieße, bin ich Franzose, aber wenn ich keins schieße oder wenn es Probleme gibt, dann bin ich Araber.« Die Reaktionen hiesiger Medien nach dem Ausscheiden der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der WM folgten dem gleichen Muster. Die »Welt« zum Beispiel präsentierte nach dem Spiel gegen Südkorea eine Statistik, die zeigte, wie schwach Deutschland gespielt habe, und bebilderte sie – mit einem Foto von Mesut Özil; die »FAZ« faselte vom »deutschen Untergang« und zeigte dazu – richtig: ein Bild von Mesut Özil. Und als Özil nach dem Spiel von einem Fan von der Tribüne aus beleidigt wurde, hieß es bei bild.de zwar im Text: »Nach BILD-Info sollen ausländerfeindliche Beleidigungen gefallen sein«, doch die dazugehörige Überschrift lautete: »Özil 2 x Ärger und sonst nix«…

„Medien über Mesut Özil: der Rassismus der Anderen“ von Moritz Tschermal am 03. Juli 2018 im Bild Blog:externer Link „„sportlich leider nix los“ ist dann auch eine ausgesprochen negative Auslegung dessen, was Mesut Özil beispielsweise gegen Südkorea auf dem Spielfeld gezeigt hat. Er hat sicher kein überragendes Spiel gemacht, aber laut Statistiken deutlich mehr als „nix“: mit 110 Ballberührungen die zweitmeisten im deutschen Team, mit 95 Pässen ebenfalls die zweitmeisten, darunter sieben sogenannte „Key Passes“, also solche, die direkt zu guten Chancen führen. Mesut Özil war, glaubt man den Zahlen, gegen Südkorea einer der Besten einer insgesamt schwachen Mannschaft. Und dennoch suchten zahlreiche Redaktionen Fotos von Özil aus, um das Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft zu bebildern: Die „Welt“ zeigte, „wie schwach Deutschland wirklich war“, und wählte für den Artikel ein Foto von Özil. Bei der „FAZ“ brachten sie die Schlagzeile „Der deutsche Untergang“ und wählten ein Foto von Özil (was die Redaktion später änderte). „Bild“ schrieb bei Instagram „Peinlicher Auftritt“ und wählte dazu ein Foto von Özil. „Pro Sieben“ forderte ausschließlich Mesut Özil per Twitter zum Rücktritt auf (wofür sich der Sender später entschuldigte)…

„Liebe Afd, wir müssen reden. Über Fußball.“ Von Stephan Anpalagan am 29. Juni 2018 im Migazin externer Link zu kleinen, aber wenig feinen Unterschieden: „Um einmal bei Poldi zu bleiben, erinnern Sie sich noch daran, dass Lukas Podolski und Miroslav Klose sowohl privat miteinander, als auch auf dem Platz, wie auch innerhalb der Familie nur polnisch miteinander sprachen? Bei Spielen gegen die polnische Nationalmannschaft auf jeglichen Torjubel verzichteten, aus Respekt vor ihrer (polnischen) „Heimat“? Und sich beizeiten darüber beschwerten, dass sie so wenig Zeit „zu Hause“ (in Polen) verbrachten und die Familienfeiern „leider zuletzt immer in Deutschland“ stattfänden? Und wissen Sie, wie man diese beiden Nationalspieler nannte? Genau: „Vorzeige-Deutsche„. Man stelle sich vor, Özil oder Gündoğan würden so über die Türkei sprechen, wie Podolski und Klose über Polen. Aber weder Podolski, noch Klose waren gemeint, als sich strammrechte Parteivorsitzende eine „echte deutsche Nationalmannschaft“ herbeisehnten. Im Gegensatz zu Rüdiger und Boateng waren sie nicht dunkelhäutig und im Gegensatz zu Gündoğan und Özil waren sie nicht muslimisch. Es geht bei all diesen Dingen natürlich auch nie um sportliche Leistungen oder um fehlendes sportliches Engagement – zumal es ja auch vollkommen hirnrissig wäre, einen Fußballspieler, der entscheidend zu dem Titelgewinn im Jahre 2014 beigetragen hat, nun alleine für das Ausscheiden aus dem Turnier im Jahr 2018 verantwortlich zu machen…“

„Von wegen „unverkrampftes Verhältnis“ zum Vaterland“ von Markus C. Schulte von Drach am 27. Juni 2018 in der SZ Online externer Link: „Haben sich Politiker wie der damalige Präsident Horst Köhler 2006 also zu Recht über den „Patriotismus“ der deutschen Fans gefreut? Hatte sich hier gerade die weltoffene Haltung der Bundesbürger gezeigt? Leider kann man das so nicht sagen. Die Marburger Forscher stellten nämlich fest, dass es darauf ankommt, wie wichtig einem Patrioten die demokratischen Prinzipien sind. Je stärker er diese betont, desto geringer ist seine Fremdenfeindlichkeit. „Die Identifikation mit dem Land spielt bei diesen Patrioten keine so wichtige Rolle“, sagt Wagner. „Wenn sie aber hochgekocht wird, dann kommt es auch bei Patrioten zu dem gleichen negativen Effekt wie beim Nationalisten.“ Bereits 2006 veröffentlichten Wagner, Becker und weitere Forscher eine Studie, die zeigte, dass die Fremdenfeindlichkeit in Deutschland nach der WM nicht geringer war als zuvor. Der Nationalismus hatte sogar leicht zugenommen. „Vielleicht war die Welt während der Weltmeisterschaft tatsächlich zu Gast bei Freunden, wie es hieß“, kommentiert Wilhelm Heitmeyer, einer der Ko-Autoren, die Ergebnisse. „Aber danach war es damit wieder vorbei.

„WM 2006 als nationales Coming-out““ bereits am 06. Juni 2012 in der taz externer Link war ein Interview von Gerd Dembowski mit der Soziologin Dagmar Schediwy über ihre Studie zu Fans und neuem Nationalismus seit 2006, in dem sie unter anderem unterstreicht: „Die meisten, die ich unter anderem auf den Fanmeilen befragt habe, haben während der WM 2006 ein nationales Coming-out erlebt. Vorher war das offene Zurschaustellen von Nationalgefühl stärker tabuisiert. Erst als dieses Verhalten in den Medien als Normalisierung des Verhältnisses zur eigenen Nation begrüßt wurde, haben sich die Leute massenhaft getraut, Deutschlandflaggen zu schwenken. Das wurde von vielen als Befreiung empfunden. Besonders stark war das bei jüngeren InterviewpartnerInnen ausgeprägt. Sie lehnten auch mit Vehemenz eine Festschreibung des Deutschlandbildes auf den Nationalsozialismus ab. Der 2006 aufflammende Fußballpatriotismus trug Züge einer Revolte gegen ein Geschichtsverständnis, das sich auf den Holocaust fokussiert

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=134389
nach oben