Wir brauchen eine neue »Klassenpolitik«. Der Jenaer Soziologe Klaus Dörre über rechtspopulistische Erfolge unter Arbeitern – und wie man diesen begegnen kann

Vorlage zur Verbreitung und antifaschistischer Nutzung vom "Campaign Service 2010" nach einer Idee von Wenzel Ruckstein„In der Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Parteien in Europa fordert der Jenaer Soziologieprofessor Klaus Dörre eine offensivere Gangart der »sozialdemokratischen« und »Mitte-links«-Parteien. »Arbeiter, die zum Rechtspopulismus neigen, sehen für sich geringe Chancen im Verteilungskampf mit einem ‚Oben‘ und werden so anfällig für eine Umdeutung dieser Konflikte nach den Kategorien ‚Innen‘ und ‚Außen’«, sagt Dörre im »nd«-Interview. (…) Um dem zu begegnen, plädiert Dörre für eine »populäre Klassenpolitik«, für die sozialdemokratische Führer wie Bernie Sanders und Jeremy Corbyn ein Vorbild sein könnten, aber auch »die Schweizer Sozialdemokratie, die sich jüngst eine wirtschaftsdemokratische Agenda gegeben hat, die über die Programmatik der deutschen Linkspartei hinausgeht«…“ Beitrag zu den Positionen von Klaus Dörre bei neues Deutschland vom 23. Juni 2017 externer Link und nun Teil II:

  • Für eine inklusive Klassenpolitik: Warum eine bloße Rückkehr zu klassischer sozialdemokratischer Verteilungspolitik nicht ausreicht. Teil II New
    „Wie unsere soziologischen »Tiefenbohrungen« ins Arbeiterbewusstsein zeigen, lassen sich dort Empfindungen finden, einer Großgruppe anzugehören, deren Leistungen gesellschaftlich nicht ausreichen anerkannt werden. Diese sind in ein Gesellschaftsbild eingelagert, das strikt zwischen oben und unten unterscheidet. (…) Wichtig ist die semantische Verschiebung. Das Deutschsein wird zur Chiffre, die den Anspruch auf einen »normalen« Lohn, ein »normales Leben« transportiert. Dieser Anspruch wird zu einem exklusiven, weil er Normalität nur für Deutsche einklagt. Arbeiter, die so argumentieren, sind überwiegend keine gefestigten Rechtspopulisten oder -extremisten, wenngleich wir in den Betrieben vermehrt Aktivisten treffen, deren Urteile bereits einer politischen Linie folgen. (…) Auffällig ist, dass gewerkschaftliches Engagement für mehr Verteilungsgerechtigkeit und Plädoyers für Flüchtlingsabwehr nicht als Widerspruch, sondern als unterschiedliche Achsen ein und desselben Verteilungskonflikts begriffen (oben versus unten, innen versus außen) werden. Dabei neigen selbst aktive Gewerkschafter und Betriebsräte mitunter zu einer Radikalität, die vor allem hinsichtlich ihrer Gewaltakzeptanz (Gewalt gegen Geflüchtete als »Notwehr«), überrascht. Es handelt sich wohl um eine Art des Aufbegehrens, wie es August Bebel, den Antisemitismus vieler sozialdemokratischer Arbeiter vor Augen, einst als »Sozialismus der Narren« bezeichnet hat. (…) Anstatt die Grenzen zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten zu verwischen, muss es deshalb ein Anliegen demokratischer Klassenpolitik sein, das kollektive Selbstbewusstsein von Lohnabhängigen zu stärken. Da ist nur möglich, wenn Klassenpolitik der Intersektionalität von Klassenverhältnissen, ihrer Verschränkung mit den Konfliktachsen Ethnie/Nationalität, Geschlecht und ökologische Nachhaltigkeit Rechnung trägt….“ Beitrag von Klaus Dörre bei Neues Deutschland vom 19. September 2017 externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=117938
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