Warum „Populismus“ ein Begriff ist, der bestenfalls zur Beschönigung dient: „Die Mitte war nie nazifrei…“

„Rechtspopulismus, Radikale Rechte, Faschisierung“ Herausgegeben im August 2018 von Mario Candeias in der Reihe Materialien der Rosa Luxemburg StiftungNach Ansicht des Historikers Wolfgang Benz lassen sich aus der Geschichte der NS-Zeit und des Widerstandes Lehren für die Gegenwart ziehen. Benz sagte dem Deutschlandfunk, er sei sehr beunruhigt, dass im deutschen Bundestag eine Partei sitze, deren Vormänner und Vorfrauen Nazipropaganda machten. Ein Parteimitglied erkläre diese Epoche deutscher Geschichte zu einem Vogelschiss, andere hetzten gegen Muslime wie einst die Nazis gegen Juden. Er warne davor zu sagen, diese Leute seien „nur Populisten“. Auch Adolf Hitler habe als Populist seine politische Karriere begonnen „und nicht als politischer Schwerverbrecher“, betonte Benz. Vergleiche er dieses stumpfe, nationalistische Getöse der heutigen Zeit mit demjenigen von damals, könne man sehr wohl aus der Geschichte der Nazi-Zeit einige Lehren ziehen. Im Hinblick auf Vergleiche zwischen der Weimarer Republik und der heutigen Zeit verwies Benz auf die Medien, die heute zwar auf Seiten der Demokratie stünden – mindestens die öffentlich-rechtlichen, so der Historiker. Doch seit dem Siegeszug des Internets und „der anonymen Blogger, die aus der Sicherheit des Hinterhalts heraus undemokratisch agitierten“, habe seine Zuversicht abgenommen…“ – aus der Einleitung zum Interview „Historiker Wolfgang Benz: „Auch Hitler hat als Populist seine Karriere begonnen“ am 15. Juli 2019 im Deutschlandfunk externer Link über denkbare historische Parallelen und heutige Zustände… Siehe zu den Verbindungen zwischen bürgerlicher Mitte und Rechtsradikalismus drei weitere Beiträge zu verschiedenen Aspekten dieser Nabelschnur…

  • „Den eigenen Frust kanalisieren“ von Gert Eisenbürger in der ila 421 (Dezember 2018) externer Link ist eine Buchbesprechung von „Der Rechtsruck“ von Markus Metz und Georg Seeßlen, worin zur konservativ-traditionalistischen Ideologie-Basis der Rechten unter anderem darauf hingewiesen wird: „… Zentral für die rechte Ideologieproduktion ist die Konstruktion von Gegensatzpaaren, wie etwa „Provinz“ vs. „Stadt“ und „wir“ vs. „die Fremden“. Während sich Letzteres sofort erschließt, mag Ersteres zunächst überraschen. Es geht dabei auch nicht um reale Lebensverhältnisse, sondern um Symbolik und Imagination. Provinz gilt als gesund, traditionsbewusst, sicher, überschaubar, Stadt dagegen als chaotisch, unsicher, überfremdet, unübersichtlich. Real sind ländliche Regionen heute vielerorts nicht weniger differenziert, multikulturell, kreativ und offen im Umgang mit Traditionen als städtische Räume mit ihren ethnisch und sozial stärker abgegrenzten Wohnvierteln oder klientelorientierten Kultureinrichtungen, die von kleinen Räumen für Avantgarde und innovative Experimente bis zu großen Arenen reichen, wo häufig dumpfester Mainstream präsentiert wird. Aber ideologisch wird etwa in den beliebten TV-Unterhaltungssendungen der sogenannten „Volksmusik“ von mit Dirndeln und Kniebundhosen verkleideten Schlagersänger*innen eine Fiktion des Landlebens präsentiert, in der die Welt noch in Ordnung ist, wo Männer noch Männer und Frauen noch Frauen sind und wo man noch unter sich ist. Es ist das Bild eines pseudoharmonischen „wir“, das latent von den „Fremden“ bedroht ist. Letzteren wird permanent unterstellt, dass sie „uns“ etwas wegnehmen wollen, vor allem die Arbeit. Dabei zeigen die Autoren, dass Arbeit die fixe Idee der Rechtspopulisten ist. Einerseits werfen sie den Flüchtlingen vor, dass sie nicht arbeiteten und auf „unsere Kosten“ Sozialleistungen bezögen. Andererseits wird behauptet, sie würden uns „unsere“ Arbeit wegnehmen. In Abwandlung von Adornos und Horkheimers Aussage „Wer vom Faschismus redet, darf vom Kapitalismus nicht schweigen“ schreiben Metz und Seeßlen, wer vom Rechtspopulismus rede, dürfe vom Neoliberalismus nicht schweigen...“
  • „Der national-soziale Anstrich der AfD“ von Stephan Hebel am 17. Juli 2019 in der FR online externer Link über die soziale Demagogie – und die Anknüpfungspunkte der Rechten an bürgerliche Sozialkonzepte am Beispiel der Rente unter anderem (in einem Gespräch mit Gerd Bosbach): „… Sie erinnert mich an einen Gemischtwaren-Laden. Für die Besserverdienenden fordert Jörg Meuthen mehr Privatrente. Eine Forderung, die sicher auch bei wohlhabenden Partei-Spendern gut ankommt. Zugleich fordert Höcke für die Ärmeren und Enttäuschten „Weg mit der Privatrente“ und eine Stärkung der gesetzlichen Rente für Deutsche. So können sie überall Stimmen saugen. Auch das kennen wir schon aus der Geschichte. Der eine Teil der NSDAP hat mit der deutschen Groß- und Rüstungsindustrie geplant, der andere mit abgeschriebenen sozialen Forderungen Stimmen gefangen. Die Folgen waren damals katastrophal und für fast alle auch unsozial...“
  • „Theodor W. Adornos Rechtsradikalimus-Vortrag Die Mitte war niemals nazifrei“ von Arno Widmann am 15. Juli 2019 in der Berliner Zeitung online externer Link über die Aktualität eines über 50 Jahre alten Vortrags von T.W.Adorno: „… Adorno kannte aus diesen und anderen empirischen Untersuchungen des damals von ihm geleiteten Frankfurter Instituts für Sozialforschung sehr genau die Einstellungen der bundesrepublikanischen Bevölkerung zu zentralen Themen. Er war auch vertraut mit der Propaganda der Rechtsradikalen. Er war zu dem Schluss gekommen, dass „die Anhänger des Alt- und Neufaschismus heute quer durch die Gesamtbevölkerung verteilt sind.“ Sie waren keine Außenseiter, keine Deklassierten und Bei-Seite-Geschobenen. Der Neofaschismus, erklärte Adorno 1967, sei anders als oft vermutet eben gerade keine spezifisch kleinbürgerliche Bewegung. Wir lesen in unseren Zeitungen, hören in unseren Nachrichten, der Rechtsradikalismus sei in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen. Als handele es sich um eine Invasion. Adornos Analyse sah anders aus: Der Produktionsprozess selbst schaufelte die Gesellschaft um. Seine Verwerfungen zeigten sich überall. (…) Ich las Adornos Vortrag ein paar Tage nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. „Politische Gruppierungen“, erklärte Adorno 1967, „überdauern Systeme und Katastrophen. In Deutschland scheinen zum Beispiel alte nationalsozialistische Zentren wie Nordhessen, wo es bereits in den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts eine wilde antisemitische Bewegung gab, oder wie Nordbayern besonders anfällig zu sein.“ Um Kassel herum liegen die Märchenwälder der Brüder Grimm, die Welt, in der man das Gruseln lernte…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=151919
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