80 Jahre Machtergreifung – Vier Behauptungen – vier Antworten

Quelle: Zeitung gegen den Krieg – ZgK 35 – Ostermärsche 2013

In den aktuellen Rückblicken auf 1933 wird die Durchsetzung des  faschistischen Regimes als „Machtergreifung“ dargestellt und weitgehend mit einer Verblendung der Wählerinnen und Wähler und teilweise noch mit einer gewissen Naivität der bürgerlichen Politiker „erklärt“. In jedem Fall bleiben Konzerne und Banken völlig außen vor. Im nachfolgenden einige klassische Erklärungsmuster für den Sieg der NSDAP und unsere Antworten.

Erste Behauptung: Adolf Hitler und die NSDAP sind im Wesentlichen im Rahmen der bürgerlichen Demokratie und durch Wahlen an die Macht gelangt.

Antwort: Richtig ist, dass die NSDAP spektakuläre Wahlerfolge erzielen konnte. Der für die Öffentlichkeit und die darauf einsetzende „Gefolgschaftsbildung“ wohl größte Erfolg war die Reichstagswahl im September 1930, als die bisherige 2,6-Prozent-Partei NSDAP ihren Stimmenanteil schlagartig auf 14,3 Prozent steigern konnte. Dieser spektakuläre Wahlsieg war in erheblichem Maß der Weltwirtschaftskrise, die Ende 1929 ausbrach, und dem Hochschnellen der Arbeitslosenzahlen geschuldet. In den nächsten zweieinhalb Jahren konnte die NSDAP ihre Wahlerfolge auf Ebene der Reichstagswahlen – teilweise parallel mit dem Anstieg der Massenerwerbslosigkeit – auf bis zu 37 Prozent steigern. Ab Sommer 1932 zeichneten sich jedoch auch Grenzen für diesen Aufstieg ab. Bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 erreichte die NSDAP mit 37,3 % der Stimmen ihr bis dahin bestes Ergebnis. Es sollte auch das Beste in freien Wahlen bleiben. Die SPD erreichte 21,6%, die KPD 14,3%. Bereits am 6. November 1932 musste ein neuer Reichstag gewählt werden. Die NSDAP  erlitt deutliche Verluste; ihr Stimmenanteil sank von 37,3 auf 33,1%. Die KPD legte zu (auf 16,9%). In der Folge gab es mehrere Wahlen auf Länder- und kommunaler Ebene mit teilweise massiven Verlusten der NSDAP (so in Sachsen am 13.11. 1932 und in Thüringen  am 4.12.1932).

Dass die NSDAP also allein durch Wahlen oder vor allem durch Wahlen an die Macht gelangt wäre, ist nicht haltbar. Als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, lag der Stimmenanteil seiner Partei bei knapp einem Drittel. Eine Lehre für heute sollte sein: Eine kleine faschistische Partei kann schlagartig in Wahlen zulegen und damit zum Ausgangspunkt einer Umgruppierung der bürgerlichen Kräfte werden.

Zweite Behauptung: Die sektiererische Politik der KPD trug wesentlich dazu bei, dass die NSDAP sich durchsetzen konnte.

Antwort: Ohne  Zweifel gab es eine ultralinke Politik der KPD. Unter anderem ging die Parteiführung davon aus, dass Hitler eine vorübergehende Erscheinung sei und dass der Hauptfeind die SPD („der Sozialfaschismus“) und nicht die NSDAP sei.  Allerdings, und das taucht in der aktuellen Berichterstattung kaum auf, war die KPD-Politik eine Art Spiegelbild zur SPD-Politik. Die SPD bekämpfte ihrerseits  massiv die KPD. Anstelle einer breiten Einheitsfront der Arbeiterparteien ging die SPD Bündnisnisse mit der Rechten ein. Bei der Wahl des Reichspräsidenten im März und April 1932 unterstützte die SPD den weit rechts stehenden bisherigen Reichspräsidenten Hindenburg (der dann Ende Januar 1933 das entscheidende Ja zur Ernennung Hitlers als Reichskanzler gab). SPD und KPD stellten keinen Einheitskandidaten (die KPD schickte Thälmann ins Rennen, der im 2. Wahlgang mit 10,2 % ein eher mittelmäßiges Ergebnis erzielte). Für die NSDAP kandidierte Hitler (36,8%). Hindenburg wurde mit 53 % gewählt. Der Mann, der maßgeblich für den Militarismus des Ersten Weltkriegs stand, konnte damit faktisch mit Hilfe der SPD seine Position im Amt verteidigen. In den entscheidenden nächsten 14 Monaten sollte sich diese fatale Kombination von Sektierertum (KPD) und Anbiederung (SPD) fortsetzen. Dabei hatten SPD und KPD addiert bei der letzten freien Reichstagswahl mehr Stimmen als die NSDAP (37,3% gegenüber 33,1 %). Selbst nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und nach den ersten Terrormaßnahmen der NSDAP-Regierung blieben die SPD und die SPD-nahen Gewerkschaften auf dem Kurs der Anbiederung. Zum ersten Mai 1933 als „Tag der Arbeit“ riefen die faschistische NSDAP und der Gewerkschaftsbund ADGB gemeinsam auf. Der Dank: Am 2. Mai wurden die ADGB-Häuser von SA und SS besetzt und die Gewerkschaften offiziell aufgelöst. Hitlers „Friedensrede“ vom 17. Mai 1933 im  Reichstag wurde – außer von der NSDAP und den rechten Parteien – auch von der SPD gebilligt. Der Dank: Am 26. Juni folgte das Verbot der SPD.

Dritte Behauptung:Die Parteien der Mitte wurden zwischen den Extremen von rechts und links zerrieben.

Antwort: Richtig ist, dass die Parteien der Mitte, vor allem das Zentrum, an Bedeutung verloren (Zentrum in der November-1932-Reichstagswahl: 11,9 %). Doch die Politiker dieser „Parteien der Mitte“ verschwanden nicht. Vielmehr betrieben sie eine Annäherung an die NSDAP – so Reichskanzler Franz von Papen (bis Juni 1932 Zentrum), der bereits im Frühjahr 1932 den Nazis eine gemeinsame Regierung anbot. Die Parteien der Mitte wählten die Top-Faschisten in ihre Ämter – so bereits am 30. August 1932 Hermann Göring als Reichstagspräsidenten. Und: Diese „demokratischen“ Parteien der Mitte stimmten am 23. März 1933 sogar dem „Ermächtigungsgesetz“ zu. Mit diesem wurde faktisch die bürgerliche Demokratie in Deutschland auf „legalem Weg“ ausgehebelt; dem „Reichskanzler“ Adolf Hitler wurden diktatorische Vollmachten übergeben.

Vierte Behauptung: Die Machtergreifung spielte sich ausschließlich auf politischem Gebiet ab. Die Vertreter von Konzernen und Banken wurden vor vollendete Tatsachen gestellt.

Antwort:Die NSDAP wurde auch in der Zeit vor September 1930, als sie eine 2-Prozent-„Splitterpartei“ war, von führenden Industriellen unterstützt (u.a. von Thyssen). Nach dem Wahlerfolg vom September 1930 gab es bei den Bankern und Konzern-Bossen eine förmliche Welle der Sympathie für die Nazis. Unter anderem wurde der ehemalige Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht Top-Berater der NSDAP; er organisierte Millionen-Reichsmark-Spenden aus dem deutschen Big Business. Ein gutes Jahr vor der „Machtergreifung“, am 27.1.1932, wurde Hitler in den „Düsseldorfer Industrieclub“ eingeladen, in dem die führenden deutschen Konzern- und Bankenchefs locker organisiert waren. Er hielt dort eine Rede, in der er die Beseitigung des parlamentarischen Systems als Voraussetzung für die Überwindung der Wirtschaftskrise darstellte. Die große Mehrheit der Top-Leute der Wirtschaft nahm die Rede zustimmend auf. In den ersten vier Wochen 1933, die der „Machtergreifung direkt vorangingen, gab es dann mehr als ein Dutzend geheime Treffen zwischen Hitler und anderen NSDAP-Führen mit fast allen wichtigen Vertretern der deutschen Wirtschaft. Das wohl wichtigste fand am 4. Januar 1933 in Köln zwischen Hitler, von Papen und dem Bankier von Schröder in Köln statt. Nun wurde auch ein breit angelegtes Finanzierungskonsortium für die NSDAP unter Führung von Top-Bankern und Industriellen gebildet (und u.a. in der ersten Januarwoche eine Million Reichsmark (heute rund 35 Millionen Euro), die die Industriellen gespendet hatte, an die SS als Wahlkampfhilfe und für Zwecke der Bewaffnung überwiesen.

Bilanz: Hitlers „Machtergreifung“ kennt vier Ursachen: 1. Die kapitalistische Krise, 2. die katastrophalen Fehler der Arbeiterbewegung (KPD, SPD und ADGB), 3. die Bereitschaft, der bürgerlichen demokratischen Parteien, gegebenenfalls die NSDAP als „kleineres Übel“ zu unterstützen und die Demokratie zu zerstören und 4. die Unterstützung der NSDAP durch die führenden Vertreter der deutschen Banken und –Konzerne. Der letztgenannte Faktor war der wichtigste. Damit gab es in diesem Sinn keine „Machtergreifung“ Hitlers, sondern das durch das Großkapital organisierte  Einsetzen einer faschistischen Diktatur zur Durchsetzung der wirtschaftlichen und politischen Interessen von Banken und Konzernen.

PS: Bereits vier Tage nach der „Machtergreifung“ traf sich Adolf Hitler mit der Führung der Reichswehr. Am 20. Februar gab es ein Treffen Adolf Hitlers mit den Bossen der Rüstungsindustrie. Das Ja zur „Machtergreifung“ war auch ein Ja zum Krieg.

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