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Referendum zur Abwahl des Präsidenten in Venezuela verschoben: Die extrem kritische Situation bleibt

Venezuela 2016Wenn eine Regierung in relativ schneller Abfolge umgebildet wird, ist dies in der Regel Anzeichen für eine politische Krise. Wenn in der Diplomatie Regeln gegenüber einer Regierung nicht mehr eingehalten werden – auch. Wenn die rechte Opposition ein Referendum zur Amtsenthebung haben will (und nicht auf einen sogenannten legalen Putsch zurückgreift, wie er dem Clintonschen „Modell Honduras“ entsprechend gerade in Brasilien organisiert wird) erst recht, und zudem ein Zeichen, dass sie sich stark fühlt. Wenn Demonstrationen und Plünderungen wegen Versorgungsmängeln stattfinden, glaubt niemand mehr, dass nur die Rechte demonstriert. Wenn linkere Strömungen versuchen, sich neu zu positionieren, um die Krise zu lösen und frühere Minister zuhauf Ratschläge geben – dann ist die Krise manifest, die natürlich von reaktionären Kräften aus aller Welt (und keineswegs nur von Frau Clinton) ausgenutzt wird, um das Rad zurück zu drehen. Wenn es eine heftige Debatte um die Erhöhung des Mindestlohns in den Gewerkschaften gibt, spiegelt diese auch die gesamte komplizierte Lage wieder… All das ist Venezuela 2016. Ein Ende des Chavismus – oder ein Ende der Errungenschaften, die sich die Volksbewegung erkämpft hat? Ein Ende der Linken in Südamerika – oder eine kapitalistische Offensive für billiges Menschenmaterial? Unsere ausführliche kommentierte Materialsammlung „Krise in Venezuela“ vom 14. August 2016 von Helmut Weiss ist ein Versuch, zur Klärung der Verhältnisse und der politischen Trennlinien beizutragen:

„Krise in Venezuela“

Ist die venezuelanische Krise zum Dauerzustand geworden? Zumindest seit der Wahlniederlage der bolivarianischen Bewegung Ende 2015, den allseits sichtbaren Versorgungsproblemen, die sich weiter verschärften und der Forderung und Mobilisierung der rechten Opposition für ein Abwahlreferendum gegen Präsident Maduro kann man das so sehen. Wenn die Regierung Wirtschaftskriege gegen das Land und Komplotte für die Situation verantwortlich macht, so muss man feststellen, dass sie sich, zurückhaltend gesagt, mit einem Teil der Wahrheit zufrieden gibt. Was spätestens dann gefährlich wird, wenn jede Kritik und jede Aktion als  Ergebnis rechter Bestrebungen dargestellt wird – von Protesten gegen Schlange stehen, über Streiks bis hin zu linken und Basisaktionen.

Zur wirtschaftlichen Situation des Landes 2016

„Eine andere Perspektive“ von Jacquelin Jiménez am 31. Mai 2016 bei amerika21.de externer Link (Übersetzung: Patrick Schubert) ist eine persönliche und differenzierte Bestandsaufnahme der Versorgungsprobleme in Venezuela. Darin heißt es beispielhaft: „Es fehlt jedoch keine Sorte Gemüse und genauso wenig fehlen Proteine aus Geflügel, Fleisch oder Fisch, die zum zehnfachen Wert ihres Preises vom Vorjahr angeboten werden. Das gleiche gilt für Frischkäse, Schinken und andere abgepackte Lebensmittel. Es gibt sie alle, jedoch zu SEHR hohen Preisen…Und die Regulierung der Preise? Staatsversagen beziehungsweise fehlende Sanktionsmöglichkeiten, weil diejenigen, die die Gesetze machten auch die Schlupflöcher einbauten

„Wie schlimm ist Venezuelas Krise?“ von Gabriel Hetland am 05. Juli 2016 bei amerika21.de externer Link (Übersetzung: Maren Krätzschmar) ist ein Beitrag, der Antwort auf amerikanische und europäische Medienberichte sei soll, in denen hoffnungsvoll auf einen Zusammenbruch „des Systems“ hingearbeitet wird, wozu es einleitend heißt: „Versinkt Venezuela in einem alptraumhaften Szenario, wie es diese Berichte suggerieren? Um diese Frage zu beantworten, habe ich die letzten drei Wochen damit verbracht, mit dutzenden von Menschen zu sprechen – mit Reichen und Armen, Chavistas und Oppositionellen, in Stadt und Land – quer durchs Land. Meine Untersuchung lässt wenig Zweifel daran, dass sich Venezuela in einer schweren Krise befindet. Die Inflation ist dreistellig, grundlegende Güter sind knapp, veränderte Konsumgewohnheiten lassen sich allerorts beobachten und die soziale und politische Unzufriedenheit wächst. Trotzdem stellen die Mainstream-Medien das Ausmaß der Krise verzerrt und übertrieben dar. Sie ist real und soll keinesfalls heruntergespielt werden, aber Venezuela befindet sich nicht in einem Zustand eines verheerenden Zusammenbruchs

„Asinsuopet: „Los trabajadores petroleros no tenemos poder adquisitivo para enfrentar la Inflación““ am 09. August 2016 bei aporrea externer Link ist ein Bericht über ein Pressegespräch der Gewerkschaft Asociación Sindical Nacional de Supervisores y Operadores Petroleros, Similares, Afines y Conexos (ASINSUOPET), bei dem ein vier Monate zuvor von der Gewerkschaft veröffentlichtes Manifest und die dazu gehörende Bilanz Thema waren. Das Manifest vom März war eine Anklage über den Verlust der Kaufkraft der Beschäftigten im Ölsektor gewesen – traditionell eher zu den besser verdienenden Teilen der Beschäftigten zählend. Eine Anklage aber vor allem gegen die Führung der Föderation der Ölgewerkschaften, die eine Tarifvereinbarung unterstützt hatte, die genau eine solche Absenkung bedeutete: Die Convención Colectiva Petrolera, von 2015 bis 2017 gültig. Vier Monate später sehen die oppositionellen Gewerkschafter ihre warnende Prognose bestätigt – immerhin so weit, dass auch die Föderation nunmehr Nachverhandlungen fordert für die, wie sie betonen, am schlechtesten verdienenden Ölarbeiter der Welt.

„Media Exaggerations of Apocalyptic Venezuela Plays into Regime Change Narrative“ am 01. Juli 2016 bei Venezuelanalysis externer Link dokumentiert (Ursrünglich bei Real News Network), ist ein Gespräch, in dem die existierenden wirtschaftlichen und Versorgungsprobleme in Venezuela kontrastiert werden mit den Medienberichten speziell in den USA und in Europa, die in dieser Gegenüberstellung einmal mehr als Propagandainstrumente verdeutlicht werden. Die Fakten zeigen sehr wohl, dass es diese Probleme gibt, und an vielen Orten massiv, dass aber die apokalyptischen Visionen der bürgerlichen Medien bestenfalls Wunschdenken sind

„Mayor escasez y despidos masivos rodean la red de Abastos Bicentenario“ von Claudia Álvarez am 23. April 2016 bei Efecto Cocuyo externer Link ist ein damals aktuelles Schlaglicht auf die Versorgungslage anhand des Beispiels einer bedeutenden Kette von Supermärkten, inklsuive Informationen zur Preisentwicklung der jüngeren Vergangenheit. Diese Kette gehörte zu jenen Unternehmen, deren Geschäftsleitungen wegen Wirtschaftsboykott teilweise angeklagt und entfernt wurde, mit der Folge eines beaufsichtigten Umstrukturierungsprogramms

„Más de 3000 despedidos ya en la Red de Abastos Bicentenario“ von Prensa Izquierda Revolucionaria am 20. Juli 2016 externer Link (hier dokumentiert bei aporrea) ist ein Artikel, der die Folgen dieser Maßnahmen für die Belegschaft deutlich macht, anhand verschiedener Gespräche mit Aktiven. Trotz der Versprechungen der Regierung, die Kontrollmaßnahmen würden keine Auswirkungen auf die Belegschaft haben, hat der Topmanager zusammen mit dem General, der ihm zur Seite gestellt wurde, faktisch eine Art Schließungsprogramm vorgelegt, das bisher zu 3.000 Entlassungen ohne irgendwelche soziale Rücksichten geführt habe – etwa ein Drittel der insgesamt Beschäftigten.

„Defensores de la Red de Abastos Bicentenario“ ist die Facebookseite der Belegschaft im Widerstand externer Link gegen die Massenentlassungen und ihrer wachsenden Zahl von UnterstützerInnen

„Über die These der „Bolibourgeoisie“ hinaus“ von Steve Ellner am 08. August 2016 bei amerika21.de externer Link (Übersetzung: Julian Traublinger) ist ein Beitrag zu den ökonomischen Bedingungen der aktuellen Krise, in dem es unter anderem heißt: „Eine Hauptschlussfolgerung ist, dass äußere Umstände, einschließlich Putschversuchen, die Chavistas zwangen, Zugeständnisse zu machen und taktische Bündnisse mit wirtschaftlichen Gruppen zu schließen, die nicht die ausgegebenen Ziele der breiteren chavistischen Bewegung teilten. Diese Übereinkünfte waren kein Fehler; der Fehler war, nicht genug zu tun, um die einzige Kraft zu stärken, die fähig ist, Missbräuche einzudämmen, die man hätte vorhersehen müssen: Die breite Masse des Chavismus und die sozialen Basisbewegungen des Landes

Die alternativen Vorschläge

Dieser Abschnitt über die alternativen Vorschläge meint – selbstverständlich – jene der, wo auch immer genau situierten, politischen Linken und sozialer Bewegungen, inklusive Regierungsprojekten. Die alternativen Vorschläge der Rechten sind ebenso einfallslos wie weltweit bekannt: Die Ölmilliarden wieder nur für die Elite, das Menschenmaterial muss billiger und rechtloser werden, woran man verdienen kann, privatisiert – das ganze zynische kapitalistische Kampfprogramm, für dessen Verbreitung (billige) Professoren und Journalisten sorgen. Das muss hier nicht wiedergekäut werden.

„Die Regierung versteht das Wesen dieser Krise nicht“ von Victor Álvarez am 15. Mai 2016 bei amerika21.de externer Link (Interview: Andreina García Reina, Übersetzung: Marc-André Ludwig, Eva Haule), worin der ehemalige Bergbauminister seine Sicht der möglichen Lösung darlegt, etwa: „Die Regierung hat immer noch einen Handlungsspielraum für die Einführung eines Programms zur ökonomischen Stabilisierung mit sozialem Wohlstand, mit Maßnahmen, die positive Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft hätten. Sie kann den Benzinpreis an einen realistischen Wert anpassen, das Wechselkurssystem vereinheitlichen und staatliche Importe zugunsten der nationalen Produktion ausrichten. Sie kann Verteidigungsausgaben reduzieren, um prioritär in Gesundheit und Sicherheit zu investieren; sie kann Devisenzahlungen an Brasilien, China, den Iran etc. für erbrachte Infrastrukturleistungen neu regeln; mit über 50 Prozent Erlass externe Schulden zurückkaufen, externe Schulden neu verhandeln und somit die Zahlungen in den Jahren 2016 und 2017 entlasten. Und sie kann die ineffizienten direkten Subventionen durch direkte Subventionen für arme Haushalte ersetzen

„Presidente Maduro, ¿Hacia dónde vamos?“ von Juan Linares Ruiz am 10. August 2016 bei aporrea externer Link ist ein Beitrag, der sich vor allem mit zwei Themen der aktuellen Situation befasst: Mit der Korruption in der Regierung und in den Behörden, was sich vor allem auf wirkungslose Preiskontrollen auswirke – und mit der Frontstellung dieser selben Regierung gegen linke Kritik, die nicht nur als „Pakt mit der Rechten“ denunziert werde, sondern auch, in Umkehrung der Verhältnisse als antipatriotisch verfolgt, wenn sich die Kritik etwa gegen Bergbauprojekte in Zusammenarbeit mit multinationalen Firmen richte

„Maduro, el Arco Minero del Orinoco y el “dinero de las mafias” opositoras“ von der Sociedad Homo et Natura am 08. August 2016 bei Clajadep-LaHaine externer Link dokumentiert, befasst sich mit dem Widerstand gegen das Regierungsdekret, das aus dem Orinokobogen eine strategische nationale Entwicklungszone des Bergbaus machen soll. (Wo, unter anderen, das aus den Kriegszonen des Kongo bekannte Koltan abgebaut werden soll). Da auch die Rechte dieses Projekt bekämpft – weil zu wenig „Privatinitiative“ – werden die sozialen und UmweltaktivistInnen, die sich, wie an so vielen anderen Orten dieser Welt auch, dem Megaprojekt widersetzen, als Partner der Rechten verfolgt.

„Conozca el plan del Arco Minero en que 150 transnacionales vienen a “salvar” a Maduro“ am 07. August 2016 bei Clajadep-LaHaine externer Link ist eine Materialsammlung (unter anderem eine Reihe von Videofilmen) zum Bergbauprojekt Arco Minero – und, in erster Linie, seinen ökologischen Auswirkungen, sowie der Rolle, die dabei rund 150 ausländischen Unternehmen zukommt

„Venezuela: Seized Factory Was Well Stocked but Wasn’t Producing“ am 16. Juli 2016 bei Telesur externer Link ist ein Beitrag über die besetzte Fabrik Kimberley Clark, die trotz voller Lager ihre 900 Beschäftigten entließ wegen angeblicher Produktionsausfälle – die darauf mit Betriebsbesetzung und der Forderung an die Regierung antworteten, ihnen den Betrieb zu übergeben und Finanzhilfen bereit zu stellen, was auch beides geschah. Die davon ausgehende politische Debatte ist nun, ob ähnliche Vorgänge in anderen Unternehmen von den Belegschaften aus anzustreben sind, oder ob es mit einem neuen Regierungsprogramm getan ist, das auf Kontrolle der Verteilung abzielt

„El control obrero en debate: historias de empresas recuperadas y no estatizadas“ von Nehuen Allegreti am 07. August 2016 bei La Haine externer Link ist ein ausführlicher Beitrag über die Erfahrung mit selbstverwalteten Betrieben in Venezuela, in dem, anhand von drei „Fällen“ versucht wird, deutlich zu machen, dass es einerseits andere Bedingungen der Selbstverwaltung sind, wenn diese in einem Land wie Venezuela mit unterschiedenen Rahmenbedingungen stattfinden, als sie es in „normalen kapitalistischen Ländern“ gibt, und dass solche Erfahrungen durchaus eine Orientierung für Wirtschaftspolitik insgesamt sein können

„Critiquing Chavismo’s Shortcomings: An Interview with Miguel Rodriguez Torres“ am 10. August 2016 bei Venezuelanalysis externer Link dokumentiert, ist ein Interview von Michael Albert mit dem früheren Geheimdienstchef und späteren (bis 2014)  Innenminister (ursprünglich im ZNet), in dem es sehr konkret um Fehler und Mängel der Politik seit der Wahl von Hugo Chavez 1998 geht. Eines der Themen dabei ist der Benzinpreis, der so niedrig ist, dass der Schmuggel von Benzin das profitabelste Geschäft geworden sei, weswegen Torres vorschlägt, ihn zu erhöhen und die staatlichen Gewinne direkt umzuverteilen an die ärmeren Bevölkerungsschichten – auch hier die Vorstellung, von indirekten, nicht mehr wirksamen, zu direkten Hilfen überzugehen. Auch die oftmals geäußerte Kritik mangelnder wirtschaftlicher Diversifizierung wird hier vertreten.

„Der Chavismus muss das wirtschaftliche Ausbluten stoppen“ von Joe Emersberger am 02. August 2016 bei amerika21.de externer Link (Übersetzung: Maren Krätzschmar) ist ein Beitrag über den Notfallplan eines Teams von Wirtschaftsexperten der Union südamerikanischer Nationen (Unasur) für Venezuela, in dem es unter anderem heißt: „Die ersten drei Vorschläge beseitigen indirekte Subventionen, die bestimmte Produkte (und den US-Dollar) so billig machen, zumindest für diejenigen, die das Glück haben, sie zu bekommen. Das Unasur-Team rät stattdessen dazu, das Einkommen der Menschen direkt zu unterstützen. Die ersten drei Vorschläge wären mit Sicherheit die Umstrittensten in der chavistische Basis und der venezolanischen Linken. Der Plan würde von vielen als „Paquetazo“1 im Stile des IWF angeprangert werden – die destruktiven politischen Empfehlungen des IWF sind in Lateinamerika bekannt. Gerade aufgrund der Verwüstungen, die diejenigen Regierungen hinterlassen haben, die den Anweisungen des IWF in der Zeit von 1980-2000 folgten, ist die Linke ist in der Region überhaupt so stark geworden. Es ist also nicht schwierig, das große politische Risiko in Dingen zu sehen, die wie ein Rückfall oder Verrat ausschauen könnten; jedoch bedeutet der Plan in keinster Weise eine Rückkehr zum durch den IWF verordneten Neoliberalismus

„Gustavo Martínez: „Las cúpulas no resolverán la crisis, por eso convocamos a la Concentración contra el hambre y por la salud““ am 03. August 2016 bei aporrea externer Link ist ein Beitrag über den Aufruf des (kleinen) Linksbündnisses Plataforma del Pueblo en Lucha y el Chavismo Crítico zu einem weiteren Protest am Folgetag, in dem der (trotzkistisch orientierte) Aktivist die linke Plattform als eine Fortsetzung des Chavismus gegen zwei Führungscliquen darstellt, die beide nichts zur Lösung der Probleme der Bevölkerung beitragen können – und wollen

Die politischen Perspektiven

„KEINE ENTSPANNUNG IN VENEZUELA“ von Tobias Lampert in der Ausgabe 504 (Juni 2016) der Lateinamerika Nachrichten externer Link fasst die gegenwärtigen Perspektiven Venezuelas unter anderem so zusammen: „Im Gegensatz zu Chávez wird es Maduro allerdings schwer haben, die Mehrheit der Bevölkerung bei einem möglichen Referendum hinter sich zu bringen. Dass die Regierungsgegner*innen trotz äußerst dürftiger politischer Performance nach anderthalb Jahrzehnten regelmäßiger Wahlniederlagen plötzlich derart an Rückhalt gewinnen konnten, liegt vor allem an den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Seit Chávez‘ Tod im März 2013 hat sich die Lage stetig verschlechtert, ohne dass die Regierung Maduro adäquate Mittel gegen die Krise finden konnte. Sie lastet die dreistelligen Inflationsraten und die Knappheit bestimmter Lebensmittel vor allem einem Wirtschaftskrieg oppositioneller Gruppen und der Privatwirtschaft an. Der verhängte Wirtschaftsnotstand und zaghafte Reformen zeigen keine merklichen Erfolge. Durch den niedrigen Weltmarktpreis des Erdöls, dem zentralen venezolanischen Exportgut, hat die Regierung kaum mehr finanziellen Spielraum. Spätestens nun rächt sich, dass es Chávez trotz ambitionierter Pläne nie gelungen ist, die Abhängigkeit vom Erdöl zu verringern

„Regale leer, alle korrupt“ von Loïc Ramirez am 07. Juli 2016 in Le Monde Diplomatique externer Link ist ein Beitrag über die aktuelle Krise, in dem auch politische Bedingungen der Entwicklung berichtet werden: „Ein glänzender neuer SUV biegt in eine Straße am Bolívar-Platz, benannt nach dem Unabhängigkeitskämpfer Simón Bolívar (1783 bis 1830), den Hugo Chávez zu seinem Helden machte. Wir fragen zwei rot gekleidete junge Frauen auf einer Caféterrasse, ob das Auto einem Mitglied jener „Eliten“ gehöre, die von den bolivarischen Revolutionären angeklagt werden? Sie verdrehen die Augen: „Das ist wohl eher der Wagen eines Ministers oder eines PSUV-Granden!“ Alle Aussagen, die wir sammeln, gehen in die gleiche Richtung: Die Kluft zwischen dem Lebensstil mancher Parteifunktionäre und dem ihrer Parteibasis hat zu einer politischen Spaltung geführt. Das wird nirgendwo so deutlich wie im Viertel 23 de Enero. Selbst in dieser Stammhochburg der venezolanischen Linken, dem Zentrum des Widerstands während der rebellischen 1960er Jahre und auch der folgenden Jahrzehnte, siegte die Opposition bei den Wahlen vom 6. Dezember 2015, die dem Chavismus im ganzen Land eine schwere Niederlage bescherten. „Sie hatten nur 20 Stimmen mehr!“, betont Juan Contreras, ein engagiertes Parteimitglied im Viertel. Er empfängt uns im Radiosender Al Son del 23, den die chavistische Gruppe Coordinadora Simon Bolívar betreibt. „Unsere Büros befinden sich in einem ehemaligen Kommissariat, wo in den 1960er Jahren Linke gefoltert wurden. Es war uns sehr wichtig, solche Orte wieder zu besetzen.“ Auf den Fassaden prangen die Konterfeis von Che Guevara und Simón Bolívar neben propalästinensischen Graffiti. Für viele war Contreras der geeignete Kandidat des Viertels. Doch die PSUV-Führung bevorzugte eine Überraschungskandidatin. „Ein Fehler“, meint der alte Aktivist bescheiden. Solche Vorgehensweisen erklärten die Wahlniederlage im letzten Dezember, meint Eduardo Rothe. Die PSUV sei weniger an einer überwältigenden Mehrheit für die Opposition denn an mangelnden Stimmen für das chavistische Lager gescheitert

„El Movimiento Clasista de Trabajadores y sus relaciones con el Gobierno Bolivariano (1999-2016)“ von Roberto López Sánchez am 24. Juli 2016 bei aporrea externer Link war ursprünglich ein Beitrag auf einer wissenschaftlichen Konferenz. Gegenstand sind die Beziehungen zwischen der Klassen-Gewerkschaftsbewegung und der Regierung, die generell als widersprüchlich und mehrschichtig beurteilt werden. Die ganze Entwicklung wird in vier unterschiedlichen Etappen analysiert und im jeweiligen Zusammenhang mit der Arbeitsgesetzgebung beurteilt. Die beiden letzten Etappen sind dabei die Jahre 2003 bis 2011 (als es den linken Gewerkschaftsbund UNETE real gab) und von 2011 bis jetzt – als die Central Bolivariana Socialista de Trabajadores gegründet und zur wichtigsten gewerkschaftlichen Kraft des Landes wurde. Diese Entwicklung war gekennzeichnet von der Auseinandersetzung zwischen Strömungen, die die Unabhängigkeit der Gewerkschaftsbewegung vertraten und jenen, die eine Allianz mit der Regierung vertraten – was faktisch deren Definitionsmacht bedeutete – die Entwicklung der CBST zur mit Abstand stärksten Organisation (inklusive des Übertritts zahlreicher Gewerkschaften aus der UNETE) bedeutete den Sieg der „regierungsnahen“ Strömungen in dieser Auseinandersetzung. Der 1. Mai 2012 in Caracas habe diese Veränderung bereits mehr als deutlich gemacht: Während die CBST etwa 400.000 Menschen mobilisierte, nahmen an der Demonstration der UNETE nur wenige Tausend ArbeiterInnen teil – und an jener der „traditionellen“ Föderation CTV knapp Tausend. Bestimmend für diese Entwicklung waren auch die Gesetzgebung mit dem neuen Arbeitsgesetz, das einen deutlichen Fortschritt darstellte und als dessen organisatorische Verkörperung die CBST galt.

„Interview with the Leader of the Biggest Workers’ Union in Venezuela“ von María Torrellas am 27. Juni 2016 bei The Dawn externer Link ist ein Interview mit Carlos López, Generalsekretär der CBST. Worin nicht nur Aussagen zum Kräfteverhältnis innerhalb der Gewerkschaftsbewegung Venezuelas gemacht werden, sondern auch deutlich unterstrichen, dass die CBST unter allen Umständen die Regierung und ihre Politik verteidigt

„Chavismo caribe. Hipótesis de trabajo“ von Reinaldo Iturriza am 07. Juli 2016 bei Saber y Poder externer Link ist ein Diskussionsbeitrag zur „Zukunft des Chavismus“ in dem, ausgehend von einer umfassenden Auseinandersetzung mit der politischen Kultur der Region, argumentiert wird, dass die Zukunft dieser Bewegung darin läge, von  der Position weg zu kommen, es reiche, einen sozial wohl administrierten Kapitalismus zu entwickeln und zu tief greifenderen Veränderungen zu mobilisieren

„VENEZUELA AFTER CHÁVEZ“ in der Ausgabe 99 (Mai-Juni 2016) der New Left Review externer Link ist ein Interview mit Julia Buxton über die Bedeutung des Wahlausgangs im Dezember 2015. Darin sind auch verschiedene Varianten der Ergebnisse eines Abwahl-Referendums Gegenstand der Debatte – und vor allem die sich ausbreitende Einstellung, sich von beiden politischen Lagern des Landes entfernt zu halten, wobei darin die Schätzung vertreten wird, dass dies die Haltung von rund 50% der Bevölkerung sei

„Venezuela von links unten“ in der ila-Ausgabe 343 bereits vom März 2011 externer Link, worin einleitend unterstrichen wurde: „Das bolivarianische Venezuela unter Hugo Chávez hat es gemeinhin nicht leicht in den Medien. Kritisiert werden Populismus, autoritäre Tendenzen, fragwürdige außenpolitische Bündnisse, die Verteilung der Erdöleinnahmen etc. pp. Um diese altbekannten – zum Teil berechtigten – Vorwürfe soll es jedoch im Folgenden nicht gehen. Ende 2010 erreichte uns ein Bericht, dessen Grundtenor nicht per se antichavistisch, sondern dem „bolivarianischen Prozess“ gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt ist; allerdings nimmt er bisher wenig dargestellte Probleme und Fehlentwicklungen in den Fokus. Die angesprochenen Themen, u.a. Morde und Straflosigkeit, die wenigen, aber sehr unterschiedlichen AnarchistInnen in Venezuela, die Missachtung von indigenen Rechten, die Situation von politischen Gefangenen und die Verfolgung linker Oppositioneller sowie patriarchale Kontinuitäten, fanden wir so interessant, dass wir sie unseren LeserInnen nicht vorenthalten möchten

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=102807
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