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Putschversuch in Venezuela im Scheitern begriffen – soll jetzt die US-Armee direkt angreifen? Was die BRD unterstützt, lehnen regierungskritische Basis-AktivistInnen vor Ort rundweg ab

Berliner Solidaritätsplakat gegen den Putschversuch im Ferbuar 2019Die USA haben eine Intervention der US-Armee in Venezuela nicht mehr ausgeschlossen. Nach Informationen aus Regierungskreisen stehen sie in direktem Kontakt mit venezolanischen Militärs, um sie zu einer Abkehr von Präsident Nicolas Maduro zu bewegen. In Venezuela herrscht seit Wochen ein erbitterter Machtkampf zwischen Staatschef Nicólas Maduro und dem oppositionellen Politiker Juan Guaidó, der sich am 23. Januar zum Übergangspräsidenten ausrief. Mittlerweile haben sich etwa 40 Länder hinter Guaidó gestellt, unter ihnen die USA, Deutschland und weitere EU-Staaten sowie eine Reihe südamerikanischer Länder. Maduro kann sich bisher auf die Unterstützung des venezolanischen Militärs verlassen. Er lehnte auch einen Vorschlag für Neuwahlen ab und veranlasste eine Blockade von Hilfsgütern. In dem Machtkampf will Guaidó nun eine von ihm autorisierte US-Militärintervention in dem südamerikanischen Krisenstaat nicht ausschließen. Er werde „alles Notwendige“ tun, um Menschenleben zu retten, sagte der Parlamentspräsident der Nachrichtenagentur AFP…“ – aus der Meldung „Interimspräsident Guaidó schließt Einmarsch des US-Militärs nicht mehr aus“ am 09. Februar 2019 beim Spiegel online externer Link, die nicht nur umstandslos den Voluntad Popular-Aktivisten als „Interimspräsidenten“ aufbaut, sondern auch die humanitäre „Rechtfertigung“ für einen US-Einmarsch gleich mitliefert… Siehe dazu auch zwei aktuelle Beiträge, die einen ganz anderen Ansatz verfolgen als Putsch-Propaganda zu machen: Stimmen von der Basis und von Aktiven in Venezuela selbst, die ihre Kritik an der Regierung keineswegs als Grund sehen, den US-gesteuerten Putsch zu unterstützen – es geht um die Verteidigung der sehr wohl vorhandenen Errungenschaften, gegen wen auch immer:

  • „Fahrt alle zur Hölle“ in der Ausgabe 5/2019 des Freitag externer Link ist ein Interview von Sebastian Puschner mit Jonas Holldack über die langjährige Solidaritätsarbeit in Venezuela und die Gründe für die Entwicklung hin bis zur heutigen Situation, in dem der Aktivist unter anderem unterstreicht: „Erst einmal ist es ja unglaublich gut gelaufen. Die Bolivarische Revolution baute auf einem solch riesigen Ressourcenreichtum auf wie kaum je eine andere Revolution. Man konnte zehn Jahre lang mit vollen Händen Geld ausgeben und eine progressive Sozialpolitik betreiben. Aber das Erdöl ist, wie man in Venezuela selbst sagt, Segen und Fluch zugleich. Als Chávez an die Macht kam, die OPEC wieder zu einem starken Block der erdölproduzierenden Länder zusammenschweißte, der Ölpreis nach oben schnellte – da gab es schlicht nicht die Notwendigkeit, nach anderen Einnahmequellen zu suchen oder ausreichend Geld beiseitezulegen; man hat stattdessen angefangen, gewisse Importe zu subventionieren und damit zum Beispiel die eh sehr kleinteilige heimische Landwirtschaft runtergewirtschaftet. Außerdem gab es durch die immensen Öl-Einnahmen große Korrpuptionsanreize. (…) Die Hochphase des chávistischen Projekts war die, in der man Grundbedürfnisse der Bevölkerung befriedigt hat – Versorgung mit Lebensmitteln, medizinischen Gütern, Abwasser, Müllabfuhr und Strom, aber auch Identitätspolitik: Menschen haben überhaupt zum ersten Mal einen Ausweis ausgestellt bekommen, konnten wählen, das hat einen Teil der Wählerschaft des Chávismus ausgemacht. Solange man diese Grundbedürfnisse befriedigen konnte, oder angefangen hat zu befriedigen, lief der bolivarische Prozess unglaublich gut. Die Armutsrate fiel zwischen 1998 und 2010 von 55 auf 23 Prozent. Nachdem man diesen Punkt abgehakt hatte, kamen die weiteren Bedürfnisse, die viel schwieriger zu befriedigen sind. Hier ist unserer Meinung nach ein Wendepunkt eingetreten, der wenig später mit dem Tod Chávez’ und dann noch mit dem Verfall der Erdölpreise zusammenkam. Von Bruch würde ich in Bezug auf die Unterstützung der Bevölkerung für die Regierung sprechen, aber nicht in Bezug auf das chávistische Projekt. (…)Natürlich stellt sich die Frage, was diese zehn Jahre Aufbruch wert waren. Es fällt schwer, das zu verdauen – auch, weil politische Basis-Aktivität eingeschlafen ist. Dafür braucht man Zeit. Wer fünf oder sechs Stunden am Tag Schlange stehen muss, um gewisse Produkte zu kaufen, hat die nicht. Wir haben viel mit besetzten Fabriken zusammengearbeitet – aber wenn die Primärmaterialien fehlen, um zu produzieren, dann müssen die Besetzer außerhalb der Fabrik arbeiten und können diese Zeit nicht mehr dem politischen Kampf widmen. (…) Erst einmal ist jede Einmischung von außen abzulehnen, da sie die Souveränität des Landes verletzt. Erkennt etwa Deutschland Guaidó an, ist das nicht mit internationalem Recht vereinbar und heizt den Konflikt an. Ideal wäre ein politischer Dialog zwischen beiden Seiten in Venezuela, denn die Krise ist so groß, dass sie keine Seite alleine wird lösen können. Ich meine eine Stimmung wahrzunehmen wie in Argentinien um die Jahrtausendwende: viele fühlen sich keinem Lager mehr richtig zugehörig, alle Politiker sollen zur Hölle fahren.“
  • „Ein Krieg ist es doch“ von Oscar Torres am 09. Februar 2019 in der taz externer Link unter anderem über chavistische Selbstorganisierung im aktuellen Prozess: „VenezolanerInnen wie Dia­na Santana waren vor Chávez’ Amtsantritt von Sozialprogrammen ausgeschlossen. Nach vorsichtigen Schätzungen fehlten 1999 rund 3 Millionen Wohnungen, und rund 70 Prozent der Bevölkerung lebten in Armut. Unvorstellbar für ein Land, in das im 20. Jahrhundert aufgrund seines Ölreichtums Hunderte Milliarden Dollar flossen. Als Begünstigte des Programms „Pioneros Pobladores“ bewacht sie im Wochenrhythmus zusammen mit anderen ein Grundstück, das ihnen vor drei Jahren von der Armee überlassen wurde. Seither hoffen sie darauf, mit staatlicher Hilfe ein Gebäude mit 24 Wohneinheiten errichten zu können. Das Grundstück liegt ganz in der Nähe des Boulevards Sabana Grande in einer Mittelschichtsgegend mit Wohnhäusern, Geschäften, Boutiquen und Restaurants. Eine Wohnung in Sabana Grande wäre für Diana Santana eine immense Verbesserung ihrer Lebensqualität. (…) Angesichts der Offensive der Opposition hätten die organisierten Gruppen des Chavismus die Bevormundung der Regierung beiseite geschoben, sagt Diana Santana. Die jüngsten Ereignisse hätten sie als politische Bewegung reifen lassen. „Wir waren daran gewöhnt, nach den Vorgaben von oben zu handeln. Jetzt haben wir uns von diesen Fesseln befreit, treffen eigene Entscheidungen und marschieren als wahre Poder Popular, als Macht des Volkes.“ Bedauerlicherweise würden jedoch selbst die offiziellen Radio- und Fernsehsender nicht darüber berichten. Demnächst wollen sie vor die Botschaften und Einrichtungen internationaler Organisationen protestieren. Andere Gruppierungen würden dagegen ganz andere Aufgaben wahrnehmen. „Einige gehen aufs Land und helfen dort beim Anbau von Nahrungsmitteln, um etwas gegen die schwierige Versorgungslage zu tun.“ Die ist für sie die Konsequenz der gesunkenen Staatseinnahmen – deren Ursache seien die niedrigere Förderung und der Preisverfall von und beim Rohöl, aber auch die US-Sanktionen. Die angekündigte humanitäre Hilfe sieht sie mit gemischten Gefühlen. Die Regierung habe nicht darum ersucht. „In Venezuela gibt es genügend Nahrungsmittel, aber wegen der Hyperinflation nur zu horrenden Preisen.“ Auch gäbe es genügend Finanzmittel um Medikamente im Ausland zu kaufen: „Trumps Sanktionen verhindern, dass wir diese dafür nutzen können.“ Hier zeige sich, dass alles Teil einer Strategie sei, um eine Militärintervention zu rechtfertigen…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=144138
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