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Updated: 18.12.2012 15:51
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Drei Tage Streik - und nun?

Der New Yorker Streik im Nahverkehr am dritten Tag: ab dem späten Abend des Donnerstag heisst es für die knapp 34.000 Streikenden "zurück, marsch, marsch", nachdem es zur Mittagszeit so vereinbart worden war. Zur Bedeutung dieses Endes wie des ganzen Streiks, den Auseinandersetzungen innerhalb der Gewerkschaft und den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten eine aktuelle kommentierte Materialsammlung "3 Tage im Dezember" vom 23. Dezember 2005.

3 Tage im Dezember

Die New Yorker U-Bahn wurde 1904 in Betrieb genommen und hat heute eine Ausdehnung von über 1.300 Kilometer Strecke, fast die Hälfte davon über der Erde. Der erste grosse Streik fand kurz vor Kriegsende 1918 statt - wobei der organisierte Streikbruch zu einer Katastrophe führte, als ein unerfahrener Angestellter in seiner zweiten Schicht hintereinander zu schnell fuhr und den Tod von 93 Menschen verursachte. (Ausführlich beschrieben in dem Beitrag "In 1918, a Scab Motorman Caused Worst Wreck in Subway History" externer Link von Steven Wishnia vom 21. Dezember 2005 bei Indymedia NY, gespiegelt in der gewerkschaftsoppositionellen Mailingliste "Gangbox"). Insofern haben Streikbewegungen der Beschäftigten (fast) 90 Jahre Tradition - und stets waren sie heftigst umkämpft und von Propagandakampagnen begleitet.

New York mit rund 5 Millionen "abhängig beschäftigten" Menschen und Vorreiter den Gentrifizierung der Städte (eine Umschreibung für eine heute weltweit verbreitete Politik der sozialen Apartheid qua städtebaulichen Maßnahmen), braucht wie kaum eine andere Riesenstadt eben aufgrund dieser beiden Fakten den öffentlichen Nahverkehr dringendst. Und die Auseinandersetzungen in diesem Verkehrssystem haben wegen der Bedeutung der Stadt, der Grösse des Unternehmens (heute noch 34.000 Beschäftigte mit extrem hohem Organisationsgrad) und der Zusammensetzung von Belegschaft und damit Gewerkschaft immer besondere Bedeutung in den USA. Galt die 1934 gegründete TWU (Transport Workers Union) und ihr "Local 100" (New York) einst als "The irish union" - als der legendäre Mike Quill bis zu seinem Tod 1966 Vorsitzender war - so sind es heute Afroamerikaner sowie aus der Karibik (wie der Gewerkschaftsvorsitzende von NY, Toussaint, einst aus politischen Gründen aus Trinidad geflohen), Lateinamerika und Asien stammende ArbeiterInnen, die die grosse Mehrheit ausmachen - auch (auch in den USA durchaus keine Selbstverständlichkeit) im lokalen Gewerkschaftsvorstand. Etwa 23.000 Beschäftigte sind Angehörige von "Minderheiten".

5 Jahre Lebenserwartung für RentnerInnen - Leben und Arbeiten in der U-Bahn

Mike Carger war 20 Jahre lang Zugführer in New York. Heute, da der einstige Gewerkschaftsaktivist längst Rentner ist, sagt er am Telefon:

"Ich bin eine echte Rarität, denn statistisch bin ich längst tot. Die Auseinandersetzung um das Rentenalter ist für die Beschäftigten deswegen so wichtig, weil die Verkehrsbetriebsrentner in New York eine statistische Lebenserwartung von genau 5 Jahren haben. Wenn also, wie von der Transportbehörde gefordert, der Renteneintritt von 55 auf 62 Jahre angehoben wird, heisst das "Du sollst in Stiefeln sterben". Und die wesentlichen Gründe für diese kurze Lebenserwartung sind in der Art zu arbeiten begründet: Die U-Bahn funktioniert 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, Mehrschicht, ständige Aufmerksamkeit - also Stress pur. Oder die Kolleginnen von den Putzkolonnen, die ihr Leben lang mit giftigen Scheuermitteln arbeiten mussten, Dämpfe einatmen. Und du verdienst dann, je nach Funktion und Berufszeit zwischen 47.000 und 55.000 Dollar im Jahr, und New York ist teuer."

"Transit workers, because of the schedules they work and the conditions they work in, are often in industrial environments that most New Yorkers have left behind a long time ago" - die Beschäftigten der Verkehrsbetriebe arbeiteten unter industrieähnlichen Bedingungen, die die meisten New Yorker längst hinter sich gelassen hätten, wird Professor Snyder von der Rutgers University in Newark zusammenfassend zitiert - in dem Beitrag "Uniquely Aggrieved, and Empowered, Union Digs in Again" externer Link von Sewell Chan im Regionalteil der "New York Times" vom 20. Dezember 2005. (Um die Beiträge der NYT zu lesen, ist eine - kostenlose - Registrierung erforderlich).

Streik - und Rassismus

Wie die grosse Mehrheit der "Minderheitsangehörigen" unter den Beschäftigten zu spüren bekommt, wird bei einer solchen Auseinandersetzung der alltägliche "sublime" Rassismus zum offenen - was beispielsweise der New Yorker Bürgermeister in seiner Wortwahl deutlich macht: "thuggishly" hätten die Beschäftigten gehandelt meinte der feine Herr - wobei mensch wissen muss, dass ein "thug" ein - ausdrücklich: schwarzer - Gauner bzw Tagedieb ist. In dem Beitrag "Race Bubbles to the Surface in Standoff" externer Link von Diane Caldwell vom 22. Dezember 2005 im Regionalteil der "New York Times" werden eine Reihe Beispiele des rassistischen Alltags und seiner aktuellen Zuspitzung dokumentiert. "The MTA calls this progressive discipline -Many transit workers call it plantation justice" - die Transportbehörde MTA nennt es progressive Disziplin, viele Beschäftigte nennen es Plantagenjustiz" so wird der modernisierte Verhaltenskodex (samt Strafen) der MTA in dem Beitrag "TRANSIT STRIKE TO GENERAL STRIKE...or, it`s time to shut down New York City" externer Link von Gregory Butler vom 21. Dezember 2005 in der Mailingsliste "Gangbox" kommentiert.

Die gesamte "harte Sprache" die alle Medien Gouverneur Pataki und Bürgermeister Bloomberg attestieren ist von rassistischen Mustern durchzogen - andere machen es deutlicher: "Ratten" nannte etwa die "New York Post" die Streikenden. Und in diversen Blogs kann man direkt den "Niggerstreik" lesen. Auch in den Umfragen unter den EinwohnerInnen und Fahrgästen wird dies deutlich: es gibt eine leichte Mehrheit der New YorkerInnen, die den Streik und die Ziele der Gewerkschaft positiv bewerten. Diese Mehrheit kommt aber zustande, weil die grosse Mehrheit der Afro-Amerikaner, Kariben, Latinos und Asienstämmigen den Streik positiv bewertet, unter der weissen Bevölkerung ist dies eine Minderheit.

TWU in New York: "Von mir aus kann der Kerl in der schwarzen Kutte tot umfallen"

Zwei grosse Streiks ragen aus der 70jährigen Geschichte der TWU in New York heraus - 1966 dauerte er 12 Tage, 1980 waren es 11 Tage. Als ein Richter - wie jetzt - 1966 den Streik für illegal erklärte, war der zitierte Satz aus der Pressekonferenz des Vorsitzenden Mike Quill die Sensation (nicht nur) des Tages. Damals "vergass" kein Journalist, auf Quills Verbindungen zur KP der USA hinzuweisen.

Heute argumentiert der Vorsitzende der TWU, Mike O'Brien genau mit der Legalität gegen den Streik (Siehe den ersten Bericht von LabourNet Germany - natürlich ebenfalls unter USA/Arbeitskämpfe - zum New Yorker Transitstreik 2005, inklusive Link zur Homepage des Vorstandes mit einem "offenen Brief"). Es ist kein Geheimnis, dass dieser Herr die Mehrheit des New Yorker Vorstands seit dessen Neuwahl im Jahr 2000 bekämpft - schliesslich ging der aktuelle Vorstand aus der erstmaligen Abwahl eines amtierenden Vorstandes und dem Wahlerfolg der oppositionellen "New Directions"- Liste (ND) hervor.

Inzwischen gibt es - abermals - Medienberichte, die davon sprechen, der Bundesvorstand wolle die New Yorker Organisation "unter Aufsicht" stellen (dh den gewählten Vorstand absetzen) - siehe z.B. "Transit Union's Family Spat" externer Link von Tom Robbins vom 20. Dezember 2005 in der Zeitschrift "Village Voice", der auch Informationen sowohl zum Einkommen O'Briens als auch Toussaints, der auf einen Teil seiner - auf deutsch gesagt "Augenhöhe" - bei Amtsantriit verzichtete.

ND, Mitte der 80er Jahre entstanden mit einer Minimalplattform für mehr gewerkschaftliche Demokratie und trotzkistisch orientiert, hatte schon bei vorherigen Wahlen (alle drei Jahre) mit wachsenden Stimmanteilen kandidiert, im Jahr 2000 beteiligten sich etwa 21.000 Gewerkschaftsmitglieder an der Urwahl, von denen über 12.500 für die ND Liste, angeführt von Roger Toussaint stimmten, die restlichen für die beiden Listen der (zerstrittenen) bisherigen Vorständler. Dem war eine interne Auseinandersetzung vorausgegangen um den Ende 1999 auslaufenden (ebenfalls dreijährigen) Tarifvertrag, nachdem der alte Vorstand empfohlen hatte, auch ohne Tarifvertrag zu arbeiten, wegen der juriristischen Drohungen, die der damalige (im Wahlkampf von der TWU unterstützte) Bürgermeister Giuliani organisieren liess. In dem Beitrag "New Directions faction takes control of New York City transit union" externer Link von Alan Whyte vom 9. Februar 2001 auf der "World Socialist Website" analysiert der Autor die Bedingungen des damaligen (2003 mit weniger "Glanz" wiederholten) Wahlsiegs der ND-Liste. Die Geschichte der ND-Strömung wird in dem Beitrag "Democracy runs express in NYC Transit election" externer Link in der Ausgabe Februar/März 2001 der Zeitschrift "Union democracy Review" kurz zusammengefasst.

Dabei gibt es an diesem Vorstand eine Reihe von Kritiken, die in diesem Zusammenhang insofern interessant sind, als eben dieser Vorstand pausenlos beteuert, er habe den Streik nicht gewollt. Solche Kritiken werden beispielsweise in dem Beitrag "Elections" externer Link des TWU-"Rank and File Advocat" aus Anlass der Wiederwahl 2003 geäussert, einer Gruppierung von Aktivisten, die einst selbst zur ND gehörten. Sie zielen im wesentlichen auf mangelnde Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit anderen Strömungen usw.

Wichtiger aber erscheint gerade in dieser vom Bundesvorstand ungewollten Streikzeit die innere Auseinandersetzung zwischen der New Yorker TWU, die ein Viertel der Gesamtmitgliedschaft der TWU hat.

Mark O'Hara, ebenfalls TWU Aktivist, von Beruf Fahrkartenverkäufer, sagt dazu:

"Dass der Streik wackelig ist, zeigt sich schon an dem Beschluss - bei dem beispielsweise die Mehrheit der sieben stellvertretenden Vorsitzenden im Geschäftsführenden Ausschuss nicht für den Streik stimmte. Die Bundesgewerkschaft - bzw der Vorstand - hat offen dagegen Stellung genommen, die Kampagne der Medien ist unglaublich heftig. Ich glaube nicht, dass wir das lange durchhalten"

- sagt er und weiss noch nicht, dass nur Stunden später der Streik vorbei sein wird.

Wie diese Auseinandersetzung geführt wird - das entspricht zumindest von Seiten des Bundesvorstands der Epoche von 9/11, des Patriot Acts und des "Krieges gegen den Terror":

Clinton Messias, New Yorker TWU Aktivist (von Mike Carger zur Befragung empfohlen) sagt dazu:

"Das war barbarisch, das war bullshit, das war alles. Als Toussaint - auf dem Bundeskongress 2001 als Kandidat für den Vorsitz unterlegen - kandidierte, das war kurz nach dem 11.September, hat der Bundesvorstand doch tatsächlich einen Flyer verbreitet, auf dem deutlich gemacht wurde, dass er ein Allierter von Bin Laden sei. Das ist noch der echte, alte,weisse AfL-CIA, das sind die O'Briens mit ihren 220.000 Dollar im Jahr."

Einiges zur Bedeutung des Streiks

Schon auf der ersten Demonstration am Mittwoch wurde deutlich, worin eine der wesentlichen Bedeutungen dieses Streiks liegt: es nahmen unter vielen TWUlerInnen auch rund eintausend Eisenbahngewerkschafter und Stahlarbeiter an der Demonstration teil. Gerade von vielen AktivistInnen anderer Gewerkschaften wird die TWU New York als positiv und wichtig gesehen - wegen ihrer grossen Zahl, ihrer Bedeutung für das Funktionieren der Stadt und ihrer Mobilisierungskraft. Und es nahmen auch sehr viele Menschen aus Gruppierungen anderer gesellschaftlicher Bereiche teil, vor allem weil die TWU in der jüngeren Vergangenheit immer wieder massiv und erfolgreich zu politischen Aktionen mobilisierte - etwa Antikriegsaktionen.

Einiges aus dieser Solidarität ist in dem Blog "New York City in Solidarity w/ Transit Workers!" externer Link nachzuvollziehen.

Auf der anderen Seite - wie wohl jeder Streik im Öffentlichen Dienst - polarisierte dieser Streik: die TWU schloss ihren zunächst für jedermensch offenen Streikblog, als die Beschimpfungen, insbesondere jene mit eindeutig rassistischem Hintergrund, Überhand nahmen.

Und die Versuche der TWU weitere Solidarität zu gewinnen, beschränkten sich einstweilen auf Erklärungen gegen Fahrpreiserhöhungen und Servicereduzierung - immer davon ausgehend, dass die TWA grosse Summen Geldes aus vergangenen Gewinnen hat, wie es Jonathan Tasini (AFL-CIO Bundesvorstand) in seinem Blog "Working Life" in dem Beitrag "A Shameful $20 Million Demand" externer Link vom 21. Dezember 2005 deutlich macht: 20 Millionen würde die MTA mit ihren Rentenplänen im Jahr einsparen, eine Behörde, die 1 Milliarde im Jahr verdient - während es für die Beschäftigten eine Einkommenskürzung um 4-6 Prozent darstellen würde. Eine Bedeutung des Streiks ist es eben auch, dass er sich gegen einen ausgesprochenen Willkürakt des Sozialbbaus richtet.

The end

Schon am letzten Abend vor Streikbeginn hatte die MTA noch versucht, Verhandlungsbereitschaft in den Sozialversicherungsfragen zu signalisieren. Das ist jetzt faktisch auch das "angepeilte" Ergebnis: Der Schlichter Martin Scheinman zumindest unterstrich das in seiner Erfolgsmeldung. Die Erhöhung des Rentenalters wird fallen gelassen, dafür müssen Neueingestellte 6% Beitrag bezahlen - bisher zahlten die Beschäftigten nichts und für die schon da arbeitenden soll es auch so bleiben.

Die erste Gewerkschaft, die das Streikende im Netz vermeldete, war die Lehrergewerkschaft UFT, die am Donnerstag um 12 Uhr 20 vermeldete "Transit Strike is over" externer Link.

Die Meldung "The strike is over" externer Link des "TIME WARNER CABLE`S NEW YORK 1 NEWS" wird in der Mailingliste "Gangbox" mit der Überschrift "Toussaint surrenders" gespiegelt (Toussaint ergibt sich).

Darüber wird in der US-Gewerkschaftsbewegung sicher noch länger diskutiert.

Vom Ergebnis her jedenfalls hat der Streik mit einer Niederlage geendet: Kein neuer Tarifvertrag ist abgeschlossen, noch nicht einmal (zum Zeitpunkt des Endes) exakte Abmachungen über neue Verhandlungen wurden getroffen - und keinerlei Zusagen, die Verfolgung der Gewerkschaft und der Streikenden nach dem Taylor-Gesetz einzustellen wurden gegeben.

Nur 2 von 43 New Yorker Vorstandsmitgliedern stimmten für die Fortsetzung, 5 enthielten sich, 36 stimmten für Beendigung - auf Empfehlung Toussaints. Damit ist im Prinzip, dieselbe Situation wie 1999 entstanden: Die Gewerkschaft akzeptiert, dass ohne gültigen Tarifvertrag gearbeitet wird...

(Zusammengestellt, - telefoniert und kommentiert von Helmut Weiss)


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