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US-Autogewerkschaft verliert Abstimmung bei Nissan, zeigt zu Recht eine Erpressungskampagne des Unternehmens an – und macht keine Anstalten zu irgendeiner selbstkritischen Bewertung

Danny Glover, einer der Schauspieler, die die Nissan Belegschaft unterstützen hier im März 2017 in Mississipi2.200 dagegen, 1.300 dafür – so das klare Ergebnis der Abstimmung im Nissan-Werk im Bundesstaat Mississippi am 3. und 4. August 2017 zur Frage, ob sich die Belegschaft von der Vereinten Automobilarbeitergewerkschaft UAW vertreten lassen möchte – möchte sie, zu fast zwei Dritteln, nicht. Zu bemerken dabei zuerst: Von den rund 6.500 Beschäftigten waren beinahe die Hälfte nicht wahlberechtigt – ZeitarbeiterInnen, denen wie weltweit, auch hier grundlegende Rechte verwehrt bleiben. Warum nach 14 Jahren Kampagne (seit der Werksgründung 2003) diese Wahl verloren wurde, darüber gibt es nicht nur im Werk, in den regionalen Medien und in der Gewerkschaftsbewegung erste Debatten, sondern auch in zahlreichen weiteren politischen Zusammenhängen. Ein Grund war sicherlich die extrem aufwendige Kampagne des Unternehmens gegen die Gewerkschaft, deren Tenor auch aus der triumphierenden Erklärung nach der Abstimmung sichtbar wird. Eine schmutzige Erpressungskampagne allemal, inklusive zahlreicher „Gruppen- und Einzelgespräche“ voller Drohungen über soziale Einbußen, die ein Votum für die Gewerkschaft mit sich bringen würde. Es gibt aber sicher mindestens noch zwei weitere Gründe. Zum einen ist es durch Gesetzgebung und Tradition so, dass in solchen Abstimmungen die Gewerkschaft etwas ist, das von außen kommt, es sind nicht die Kolleginnen und Kollegen im Betrieb, die sich organisieren.  Schließlich hat Nissan es genüsslich ausgenutzt, dass – ob zufällig oder nicht – in den Tagen vor der Abstimmung ein (wieder einmal  neuer) Korruptionsfall in der UAW bekannt wurde, was ein (großer) Baustein mehr war in einem Bild, das besagt, dass die UAW insgesamt kein Ruhmesblatt der Gewerkschaftsbewegung ist.  Zur Abstimmung, ihren Bedingungen und den gewerkschaftlichen Perspektiven sowohl bei Nissan, als auch allgemein im Süden der USA siehe unsere Materialsammlung „Bleiben die US-Südstaaten gewerkschaftsfrei?“ vom 06. August 2017:

„Bleiben die US-Südstaaten gewerkschaftsfrei?“

6. August 2017

Demonstration von Nissan GewerkschafterInnen in Mississippi am 3.8.2017 - dem Tag der verlorenen Gewerkschaftswahl„Nissan Workers in Mississippi Reject Union Bid by U.A.W.“ von Noam Scheiber am 05. August 2017 in der New York Times externer Link ist eine Art Leitartikel der gesamten bürgerlich-liberalen Medien zum Ergebnis der Nissan Wahl. Der vor allem hervor hebt, dass die große Mehrheit der Belegschaft afroamerikanisch ist, was der gesamten Auseinandersetzung, so der Autor, stets auch einen Bestandteil Debatte um Rassismus hinzu gebracht habe. Länger beschäftigte Arbeiter im Cantoner Werk von Nissan hätten, so wird weiter argumentiert, einen durchschnittlichen Stundenlohn von 26 US Dollars, kaum weniger, als in der gewerkschaftlich organisierten Betrieben in den nördlicheren Staaten der USA – und deutlich mehr, als ansonsten in der Region verdient werde. (Wozu zu bemerken wäre: Erstens verweigert Nissan einen Einblick in die Buchhaltung und es soll genügend solche Beschäftigte geben, die 2 Dollar die Stunde weniger bekommen; Zweitens aber verdienen die ZeitarbeiterInnen um die 14 Dollar die Stunde, der Durchschnittslohn in der Region liegt bei 16 Dollar).  Auf dieser Basis habe Nissan seine antigewerkschaftliche Kampagne geführt – einerseits beispielsweise mit Werbefilmen im Fernsehen (die auf Monitoren im Werk wiederholt wurden), worin die „Segnungen“,  die Nissan den Menschen der Region gebracht habe, sogar von Priestern „geweiht“ wurden, andrerseits eben als Grundlage für pausenlose Drohungen in Einzelgesprächen, in denen eine Werksschließung und andere erpresserische Aussagen in die „Debatte“ geworfen wurden. Nach dem Boeing Werk in South Carolina war dies bereits die zweite Wahlniederlage der Gewerkschaft in diesem Jahr, Niederlagen denen (kleine) Teilerfolge wie bei VW und in einigen Zulieferfirmen gegenüber ständen.

„Nissan workers soundly reject UAW representation in Mississippi“ von Anna Wolfe und Brent Snavely am 04. August 2017 in der Detroit Free Press externer Link ist ein Beitrag, in dem vor allem auch die verschiedenen Maßnahmen der Unternehmensleitung zur Einschüchterung aktiver Beschäftigter zusammen gefasst werden, wie etwa die Beurteilung der persönlichen Leistung – in die Gewerkschaftsaktivität als negative Bewertung einfließe. Alle diese Repressionsversuche seien die Grundlage dafür gewesen, dass die UAW beim NLRB (Regulierungsbehörde, Justizbehörde für Arbeitsbeziehungen) insgesamt 7 Klagen gegen das Wahlergebnis eingereicht habe (was die Unternehmensleitung mit der Erklärung konterte, die UAW könne ihre Niederlage nicht akzeptieren).

„Inside the fight over unionizing at Nissan“ von Anna Wolfe am 02. August 2017 im Clarion Ledger externer Link (vor der Abstimmung also) ist ein Beitrag, in dem über die Kampagne der Unternehmensleitung gegen die gewerkschaftliche Organisierung berichtet wird – mit einem Schwerpunkt darauf, wie sie die Meldungen über den neuesten Korruptionsskandal der UAW bei Fiat Chrysler ausgenutzt habe, um die UAW zu diskreditieren.

„Nissan workers in Mississippi begin vote today on whether to join the UAW as state political and business leaders align with the company against the union“ am 03. August 2017 bei Labour South externer Link ist ein Beitrag, der darüber berichtet, wie die antigewerkschaftliche Kampagne von Nissan von den politisch Verantwortlichen im Bundesstaat und verschiedenen Unternehmer-Gruppierungen massiv unterstützt wurde. (Über den Aufruf des Gouverneurs, gegen die Gewerkschaft zu stimmen, hatten wir bereits berichtet – siehe den Verweis am Ende des Beitrags). Die Beteiligung diverser Verbände und Wirtschaftskammern an der Kampagne wird darin ausführlich dargestellt.

„UAW Vows to Fight Nissan’s Unfair Practices in Court Following Union Vote“ von Julia Conley am 05. August 2017 bei Common Dreams externer Link berichtet vor allem von der Erklärung der UAW nach der Wahl, man werde den Kampf weiter führen, wobei vor allem eben auf juristische Mittel Bezug genommen wurde.

„Former contract workers key in Mississippi Nissan union vote“ von Jeff Amy am 25. Juli 2017 bei den ABC News externer Link ist ein Beitrag, der ausführlich über Lohn- und Beschäftigungsstruktur bei Nissan berichtet, wobei einerseits die, speziell seit 2011, anwachsende Zahl von Zeitarbeits-Beschäftigten im Mittelpunkt steht. Die aber auch dazu führt, dass die Zahl der „Übernommenen“ angestiegen sei, die heute rund 40% der Festbeschäftigten ausmache – die sehr unterschiedlich reagierten, je nachdem, ob und wie tief sie unter den Löhnen der Langzeit-Beschäftigten lägen. Andrerseits kommt in dem Beitrag immer wieder die Pressesprecherin des Unternehmens zu Wort, deren Äußerungen insgesamt auch eine Art Zusammenfassung der Unternehmenstaktik darstellen.

„UAW Loses Nissan Vote For Now – But Mississippi Workers Keep Their Eyes On The Union Prize“ von Doug Cunningham am 05. August 2017 bei den Workers Independent News externer Link (des Gewerkschaftsbundes AFL-CIO) ist sozusagen die gewerkschaftsoffizielle Stellungnahme zum Ergebnis der Abstimmung, die bereits in der Überschrift die Fortsetzung der Organisationsbestrebungen unterstreicht. Darin werden vor allem die Aussagen betrieblicher AktivistInnen zitiert, die eine solche Fortsetzung einfordern und dabei allesamt unterstreichen, dass die extremen Arbeitszeiten reduzieren eines ihrer zentralen Anliegen ist.

„NLRB lodges charge at Nissan ahead of union vote“ von Jeff Amy am 01. August 2017 bei USA Today externer Link ist ein Bericht über die Entscheidung der Arbeitsbehörde NLRB vor der Wahl, die antigewerkschaftliche Kampagne des Unternehmens zu untersuchen und – eventuell, als Ergebnis – die Wahl für ungültig zu erklären.

„Threats, intimidation and use of inmate labor to pull down union signs won the day in Canton, Mississippi, this week but not the war. A solid pro-worker community network promises the battle will go on“ am 05. August 2017 bei Labour South externer Link ist ein Beitrag, der über die Debatten um die Fortsetzung des Kampfes nach der gewerkschaftlichen Niederlage berichtet, wobei der Schwerpunkt darauf liegt, zu zeigen, dass das Unterstützungs-Netzwerk aus sozialen Bewegzungen und demokratischen Gruppierungen, das im Verlaufe der Kampagne entstanden ist, nicht nur ein wesentlicher Faktor auch in der Zukunft sein wird, sondern von sich aus auf eine Fortsetzung drängt.

„The UAW Vote in Mississippi is a Battle for the Soul of the U.S. Labor Movement“ von David Moberg am 03. August 2017 bei In These Times externer Link ist einer der vielen Beiträge aus kritischen Medien, die unterstreichen, wie wichtig diese – und alle in Großbetrieben – Gewerkschaftswahlen für die Entwicklung in den Südstaaten der USA sind, die die Rolle der heimischen Niedriglohn-Zonen übernommen hätten. Im Unterschied aber zu vielen anderen Beiträgen verweist der Autor, aus seinen Gesprächen mit AktivistInnen und Betroffenen auf zwei Fakten, die eben oft „übersehen“ werden: Zum einen darauf, dass viele und lange historische und aktuelle Erfahrungen zeugten, dass es keineswegs schwieriger sei, in den Südstaaten zu organisieren, als im Norden des Landes – entscheidend dafür sei, wie „die Sache“ von der jeweiligen Gewerkschaft angegangen werde – und zweitens, dass eben die Arbeitsbedingungen des Südens sich allmählich im ganzen Land ausbreiten würden.

 „The Fight fort he South“ von Bob Wing und Stephen C. McClure am 05. August 2017 in Z-Comm externer Link ist ein leicht überarbeiteter Beitrag aus dem Jahr 2015, der sich ausführlich und analytisch mit den Besonderheiten der Ökonomie und Gesellschaft der US-Südstaaten befasst und als Hintergrund-Information zum Verständnis aktueller Auseinandersetzungen beiträgt, unabhängig von seinen politischen Orientierungen.

„Nissan Workers Carry Advice of Union Leadership to Logical Conclusion“ am 05. August 2017 beim Oakland Socialist externer Link ist ein erster kurzer Kommentar zur Nissan-Abstimmung aus einer der Hochburgen der Linken in den USA, in dem vor allem darauf eingegangen wird, dass das Ergebnis Produkt der eigenen Argumentation der UAW sei: Wer den Erfolg des Unternehmens als seinen eigenen Erfolg definiere, müsse sich nicht wundern, wenn der Erfolg des Unternehmens bei der Abstimmung eine zentrale Rolle spiele – und die UAW habe dies sowohl verschiedentlich ausdrücklich so gesagt, und nicht umsonst an Trumps Gewerkschaftstreffen teilgenommen – als auch durch zahlreiche Tarifverträge untermauert.

„As worker anger over UAW corruption scandal grows, union president defends sellout contracts“ von Jerry White am 03. August 2017 bei wsws externer Link ist ein Kommentar zum Offenen Brief an die Mitglieder, den der Gewerkschaftsvorsitzende Dennis Williams verfasst hat aus Anlass des Bestechungsskandals bei Fiat Chrysler, wo der (verstorbene) Leiter des Verhandlungsteams der UAW von den Behörden beschuldigt wird, am „Verschwinden“ von 1,2 Millionen Dollar beteiligt gewesen zu sein. In dem Beitrag wird die Korruptionsgeschichte ausführlich nachgezeichnet, hier ist aber vor allem von Bedeutung, dass der Gewerkschaftsvorsitzende massiv verteidigt, die Tarifverhandlungen seien dadurch nicht beeinflusst worden (was der Kommentator als zutreffend beurteilt – weil die Tarifverträge bei den anderen Autofirmen genauso schlecht seien).

„The Epic Failure of Labor Leadership in the United States, 1980-2017 and Continuing“ von Kim Scipes am 04. August 2017 bei Counterpunch externer Link ist zwar vor allem ein ausführlicher Beitrag über die Entwicklung der US-Gewerkschaftsbewegung in der Zeit seit Ronald Reagan und dem Neoliberalismus, in diesem Zusammenhang ist aber dabei vor allem von Interesse die Rolle der UAW in der knappen historischen Skizze des Beitrags. Die, vor allem in der Zeit nach dem Amtsantritt Walter Reuters in den 40er Jahren darin bestand, gemeinsam mit der Stahlarbeitergewerkschaft USAW die Gewerkschatslinke, die sich um die Vereinigten Elektriker UE gesammelt hatte, aus dem Gewerkschaftsbund auszuschließen, samt ihrer etwa 750.000 Mitglieder, um ihr sozialpartnerschaftliches Betriebsgewerkschafts-Konzept durchzusetzen.

Siehe dazu zuerst: „Gewerkschaftswahlen bei Nissan Mississipi: Die Südstaaten sollen ohne Gewerkschaften bleiben“ am 02. August 2017 im LabourNet Germany

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=119773
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