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Teamsters bei UPS gegen Zwei-Klassen-Tarif. Im Hintergrund drückt Amazon

express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und GewerkschaftsarbeitBeim Paketzusteller und Logistikdienstleister UPS in den USA ringen derzeit zwei Strömungen der Gewerkschaft Teamsters um das Für und Wider eines Tarifabschlusses, den die Verhandlungsführer der Organisation gutheißen, der von einer breiten Basisbewegung aber abgelehnt wird. Der folgende Text aus der US-amerikanischen Zeitschrift Labor Notes stellt uns die ProtagonistInnen der Kritik und ihre Argumente vor. Er ist Anfang August veröffentlicht worden. Inzwischen hat die Urabstimmung begonnen, die Ergebnisse sollen am 5. Oktober veröffentlicht werden. Die Kampagne für ein Nein hat sich unterdessen auch auf den Frachtbereich von UPS ausgeweitet, bei dem es um die Reduzierung der Auftragsvergabe an Subunternehmen geht. Der aktuelle Verhandlungsstand sieht eine Verringerung des Subunternehmeranteils von 21,9 auf 17,9 Prozent des Auftragsvolumens vor. Kritische KollegInnen rechnen aber vor, dass diese Anteile bei einem anhaltend hohen Wachstum der Branche sogar eine Vergrößerung der Fremdvergaben bedeuten würde…“ Artikel von Alexandra Bradbury, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 8-9/2018. Der Beitrag aus Labornotes vom Juli 2018 ist übersetzt worden durch Stefan Schoppengerd

Teamsters bei UPS gegen Zwei-Klassen-Tarif

Im Hintergrund drückt Amazon – von Alexandra Bradbury

Beim Paketzusteller und Logistikdienstleister UPS in den USA ringen derzeit zwei Strömungen der Gewerkschaft Teamsters um das Für und Wider eines Tarifabschlusses, den die Verhandlungsführer der Organisation gutheißen, der von einer breiten Basisbewegung aber abgelehnt wird. Der folgende Text aus der US-amerikanischen Zeitschrift Labor Notes stellt uns die ProtagonistInnen der Kritik und ihre Argumente vor. Er ist Anfang August veröffentlicht worden. Inzwischen hat die Urabstimmung begonnen, die Ergebnisse sollen am 5. Oktober veröffentlicht werden. Die Kampagne für ein Nein hat sich unterdessen auch auf den Frachtbereich von UPS ausgeweitet, bei dem es um die Reduzierung der Auftragsvergabe an Subunternehmen geht. Der aktuelle Verhandlungsstand sieht eine Verringerung des Subunternehmeranteils von 21,9 auf 17,9 Prozent des Auftragsvolumens vor. Kritische KollegInnen rechnen aber vor, dass diese Anteile bei einem anhaltend hohen Wachstum der Branche sogar eine Vergrößerung der Fremdvergaben bedeuten würde.

Es gibt keine beeindruckenden Spezialeffekte in Tyler Binders 12-Minuten-Video »Warum der 2018er UPS-Tarifabschluss Mist ist!« Keinen aufregenden Soundtrack, keine Animationen, keine Tonspur mit Lachern. Nur er und sein Whiteboard, wie er in einfacher Sprache erklärt, was das vorläufige Verhandlungsergebnis für jede Beschäftigtengruppe bedeuten würde. Aber das Video hat sich verbreitet wie ein Virus. Nur zwei Wochen, nachdem er es hochgeladen hatte, wurde es auf Facebook 90.000-mal und auf Youtube 50.000-mal angesehen.

Binder, ein Zusteller aus Wisconsin, hat nicht damit gerechnet, zu einem Helden der Teamsters zu werden. Er wollte lediglich seinen GewerkschaftskollegInnen dabei helfen, die Übereinkunft einzuschätzen, die Verhandler Denis Taylor als die beste präsentiert, die es je gab. Damit hat er eindeutig einen Nerv getroffen. Der vorläufige Abschluss, der am 10. Juli veröffentlicht wurde und für 270.000 UPS-Beschäftigte gelten soll, ist unter den Teamster-AktivistInnen äußerst unpopulär.

Bis zum Veröffentlichungsdatum war den Teamsters nahezu nichts darüber mitgeteilt worden, was ihre Delegation am Verhandlungstisch machte. Ein paar Köpfe, die mit dem Teamsters-United-Bündnis oder der Basisgruppe Teamsters für eine demokratische Gewerkschaft (TDU) verbunden sind, wurden sogar aus dem Verhandlungsteam geworfen, weil sie angeblich Gewerkschaftsvorschläge »geleakt« haben – gegenüber den Mitgliedern ihrer eigenen Gewerkschaft.

Der bisherige bundesweite Tarif bei UPS hatte es 2013 nur knapp durch eine Abstimmung der Mitglieder geschafft, und die Ablehnung verschiedener regionaler Zusatzbestimmungen durch die Mitglieder hielt die ganze Sache für fast ein Jahr auf, bis der Vorsitzende James Hoffa diese Ergänzungen einseitig verordnete. Diesmal ist ein bundesweites Nein zu der ganzen Chose eine sehr deutliche Möglichkeit. »UPS hat sein Blatt überreizt«, sagt Nick Perry, Mitglied der nationalen Steuerungsgruppe der TDU, der als Paketzusteller in Columbus, Ohio arbeitet. »Ich glaube, es wird nichts davon übrigbleiben.«

Aber eine Ablehnung ist nicht gewiss. Sowohl das Unternehmen als auch die Gewerkschaftsspitze lancieren großangelegte Kampagnen, um den Abschluss zu verkaufen, wobei sie die Möglichkeit eines Streiks als Drohung gegen die Mitglieder nutzen.

Neue Wochenend-Unterschicht

Was ist so schlecht an dem Abschluss? Bei Neueinsteigern würde er es UPS erlauben, die Regelungen für Vollzeitfahrer zu unterschreiten und eine zweite Kategorie von Fahrern mit deutlich geringeren Löhnen zu schaffen.

UPS rechnet in diesem Jahr mit einem Profit von sechs Milliarden Dollar. Es gibt bereits ein großes Heer von gering entlohnten Teilzeitkräften, die viel von der Hintergrundarbeit machen – Sortieren, Be- und Entladen von Lieferungen. Aber bis jetzt waren die Jobs der ZustellerInnen sakrosankt.

Der Abschluss würde neue »hybride FahrerInnen« schaffen, deren 40-Stunden-Woche aufgeteilt werden könnte auf die Zustellung von Paketen und die Arbeit in einem Verteilzentrum. Sie würden von mittwochs bis sonntags oder von Dienstag bis Samstag ununterbrochen arbeiten, ohne den gleichen Schutz vor exzessiven Überstunden und ohne die Wochenendzuschläge, die den VollzeitfahrerInnen zustehen. Während Vollzeitkräfte bis zu 36 Dollar in der Stunde verdienen, bringen es diese Hybrid-Beschäftigten, die die gleiche körperlich anstrengende Arbeit machen, höchstens auf 30 Dollar.

»In den meisten Unternehmen würde es Zuschläge für Nacht- und Wochenendarbeit geben«, sagt Binder. »Bei UPS gibt es stattdessen sieben Dollar Lohnkürzung?«

UPS würde außerdem die Möglichkeit bekommen, auf dem Höhepunkt der Urlaubssaison eine 70-Stunden-Woche zu verhängen.

Mit der Aufnahme der Verhandlungen wollten die FahrerInnen einen Abschluss, der ihre drängendsten Probleme löst: erzwungene Überstunden, Belästigung durch Aufseher, technische Überwachung. Die jetzige Übereinkunft nimmt sich dieser Probleme kaum an – außer dass sie vermutlich dafür sorgen würde, die Überstundenlast zu den billigeren Neueingestellten zu verschieben.

Tatsächlich würden den jetzigen FahrerInnen nicht mal die vollen 40 Stunden garantiert werden, wenn nicht genug Arbeit »verfügbar« ist. Sie befürchten, an Montagen freigestellt zu werden, weil das Unternehmen dafür sorgt, dass ihnen die Hybrid-Kräfte mit Auslieferungen am Sonntag zuvorkommen.

Bleibende Teilzeit-Armut

Wie steht es mit den Leuten im Innendienst, die überwiegend Teilzeitkräfte sind? Viele von ihnen sind ebenfalls nicht glücklich. Ihre Hauptforderungen waren ein Einstiegslohn von 15 Dollar, ausgleichende Lohnerhöhungen für diejenigen, die jahrelang unterbezahlt gearbeitet haben, und die Schaffung von 10.000 neuen Vollzeitstellen durch die Zusammenlegung von 20.000 Teilzeitstellen.

Stattdessen würde mit dem vorläufigen Abschluss der Einstiegslohn auf 13 Dollar steigen und kein Ausgleich stattfinden. Diejenigen, die drei Jahre dabei sind, würden das gleiche verdienen wie die Neueingestellten. Der einzige Weg in eine Vollzeitstelle wäre ein Job in der neuen Kategorie der Hybrid-FahrerInnen.

Die Führung des Locals 344, das 4.000 UPS-Beschäftigte in Wisconsin repräsentiert, empfiehlt an diesem Punkt ein Nein zu dem landesweiten Abschluss. Es handelt sich um den ersten neuen UPS-Tarif, seit in Wisconsin die »Right to work«-Gesetze (siehe express 7/2018 – Anm. d. Red.) in Kraft getreten sind. Das bringt das Risiko mit sich, dass verärgerte ArbeiterInnen sich gegen die weitere Gewerkschaftsmitgliedschaft entscheiden.

»Jetzt liegt es an uns, von jedem einzelnen Beschäftigten eine Mitgliedskarte zu bekommen«, sagt Binder. »Das ist viel leichter, wenn wir sagen können: ›Du kriegst 15 Dollar‹.«

Mit Nein stimmen

Der nächste Schritt ist die »Zwei-Personen-Konferenz« am 9. August, bei der von zwei RepräsentantInnen eines jeden Locals erwartet wird, eine Empfehlung für den Abschluss auszusprechen (der Abschluss für die 12.000 Beschäftigten im UPS-Frachttransport wird an diesem Tag ebenfalls veröffentlicht). Dann ist es an den Mitgliedern, über den bundesweiten Abschluss zusammen mit regionalen Zusatzbestimmungen und lokalen Klauseln abzustimmen.[1]

Seit der letzten UPS-Tarifauseinandersetzung ist einiges passiert – einschließlich einer sehr knappen Wahl für den Gewerkschaftsvorsitz 2016, bei der das Teamsters-United-Bündnis beinahe vor Hoffa gelegen hätte. Die Opposition war besonders erfolgreich bei den UPS-Teamsters, von denen 70 Prozent gegen Hoffa stimmten.

Jetzt verteilen TDU-AktivistInnen Flugblätter mit »Zehn Gründen, Nein zu sagen«, veranstalten Parkplatzversammlungen, bei denen sie vor der Arbeit über Vertragsbestimmungen brüten, und geben Schilder aus, die die Mitglieder in ihren Autofenstern anbringen und auf denen Botschaften stehen wie »UPS hat fünf Milliarden Dollar Gewinn gemacht, und alles was ich kriege, ist dieses armselige Tarif­angebot«.

In New England wurde der Abschluss beim letzten Mal mit überwältigender Mehrheit angenommen – diesmal allerdings sind zahlreiche Nein-Stimmen zu erwarten, vor allem im Local 251 in Rhode Island, das jetzt von TDU-gestützten Reformern geführt wird, und im Local 25 in Boston, das von Sean O’Brien, dem Vorsitzenden des Gewerkschaftsrates angeführt wird, der kürzlich mit Hoffa gebrochen und angekündigt hat, bei den nächsten Wahlen zusammen mit Fred Zuckerman von TDU anzutreten.

Man kann davon ausgehen, dass UPS wegen der Abstimmung ziemlich nervös ist. In einigen der lokalen Zusatzbestimmungen bietet das Unternehmen Ratifizierungsanreize wie höhere Rentenbeiträge, die zurückgenommen werden sollen, wenn die Mitglieder dem Abschluss nicht in der ersten Abstimmung annehmen.

Aber auch dieser Ansatz geht nach hinten los. »Das ist so ein Erpresser-Ding, wenn Du mich fragst«, sagt Tom Schlutow, Innendienstarbeiter in Albany, New York. »Wenn man es zulässt, dass diese Leute einem Ultimaten stellen, was ist dann der Sinn von kollektiven Tarifverhandlungen?«, sagt Richard Hooker, Beladearbeiter und Aktivist in Philadelphia. »Wenn wir ihnen das durchgehen lassen, machen die das doch von jetzt an bei jedem Abschluss.«

Bei Null anfangen

Was passiert, wenn die Mitglieder mit Nein stimmen? Beide Seiten kehren an den Verhandlungstisch zurück. Die Mitglieder haben sich bereits für eine Streikfreigabe ausgesprochen, aber das scheint nicht unmittelbar bevorzustehen.

Als die Teamsters in den Speditionen und die Chrysler-Beschäftigten 2015 ihre bundesweiten Abschlüsse ablehnten, setzten die VertreterInnen von Unternehmen und Gewerkschaft schlicht die Verhandlungen fort und versuchten etwas vorzulegen, was die ArbeiterInnen annehmen würden.

Wenn das passiert, braucht dieser Abschluss deutlich mehr als ein paar kosmetische Korrekturen. Diejenigen, die sich für ein Nein stark machen, sagen, dass er in jedem adressierten (oder nicht adressierten) Bereich zu kurz greift. »Sie werden ganz bei Null anfangen müssen«, sagt Hooker. »Aber was nötig ist, ist eine stärkere Einbeziehung der einfachen Mitglieder. Wir zahlen den Lohn dieser Leute. Sie müssen uns darüber informieren, was los ist – nicht dann, wenn es ihnen passt, sondern über jeden einzelnen Schritt.«

Übersetzung: Stefan Schoppengerd

Quelle: www.labornotes.org/2018/07/ups-teamsters-take-two-tier externer Link

Anmerkungen:

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Der Grund heißt Amazon

Warum ist UPS so sehr darauf aus, Wochenendangestellte zu bekommen? »Sie machen das für Amazon«, sagt der 30-jährige UPS-Arbeiter Tom Schlutow. »Es geht darum, dass UPS und alle anderen Amazon-Paketlieferungen an Samstagen und Sonntagen zustellen.«

»Ich verstehe die geschäftliche Seite daran«, ergänzt er, »aber es wäre für sie sicher kein Problem, Vollzeitstellen zu schaffen. Wir reden über ein Sechs-Milliarden-Dollar-Unternehmen.«

»Das ist ein Unterbietungswettbewerb«, sagt Melissa Rakestraw, Chicagoer Briefzustellerin beim U.S. Postal Service, wo es bereits zwei Beschäftigtenkategorien gibt. VollzeitzustellerInnen wie sie verdienen bis zu 30 Dollar in der Stunde, wohingegen die Beschäftigten der zweiten Kategorie – diejenigen, die die Sonntagszustellungen auf Geheiß von Amazon machen – 16 Dollar bekommen.

»Sie haben keinen festen Stundenumfang, aber faktisch arbeiten sie dennoch viele Tage am Stück, ohne zwischendurch frei zu haben«, sagt Rakestraw. »Sie werden genutzt, um die Überstunden zu senken, die sonst von uns übernommen werden müssten.«

Unterdessen baut Amazon den eigenen, gewerkschaftsfreien Lieferdienst weiter aus, vermutlich bei noch geringerer Bezahlung. »Auf meiner Route sehe ich kaum noch einen UPS-Fahrer«, sagt Rakestraw. »Ich sehe haufenweise weiße Lieferwagen von Amazon, die wie verrückt durch die Gegend fahren, um ihr Zeug auszuliefern.«

Die Postal Workers (APWU), die Angestellte ähnlich den UPS-Innendienstbeschäftigten vertreten, haben ebenfalls mit zwei Katego­rien von Beschäftigten zu tun. Die Gewerkschaft versuchte in den letzten Tarifauseinandersetzungen, die niedrigere Kategorie abzuschaffen – aber die Bemühungen wurden vom Schlichter abgewürgt, der den Abschluss mit Verweis auf die Teilzeitkräfte bei UPS rechtfertigte.

Wie die UPS-ArbeiterInnen sind auch die Postal Workers mit zunehmender technischer Überwachung konfrontiert. Ein Handscanner zeichnet durchgehend den Aufenthaltsort der ZustellerInnen auf. »Sie behaupten, dass es um die Echtzeitverfolgung der Sendungen geht«, sagt Rakestraw. »Amazon schreibt den Leuten dann: ›Ihr Paket wurde zugestellt‹.«

Aber, so sagt sie, »jemand im Büro beobachtet das. Sie rufen unsere Vorgesetzten an und sagen ›Was ist da los auf Route X, dieser Scanner sitzt da seit 15 Minuten.‹« Die Beschäftigten fragen sich, ob das Management außerdem die Kamera oder das Mikrofon des Gerätes fernsteuern kann. Wie die UPS-FahrerInnen haben die BriefzustellerInnen Tarifklauseln, die Disziplinarmaßnahmen allein aufgrund technischer Daten untersagen.

Der APWU-Tarifvertrag läuft im September aus; die Verhandlungen wurden kürzlich aufgenommen. Der Tarifvertrag der BriefzustellerInnen läuft nächstes Jahr aus.

Übersetzung: Stefan Schoppengerd

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=137796
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