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Ungarns Rechtsregierung: Polizeistaat gegen Obdachlose

solidameo_obdachlose_budapest_14.10.2018Das wusste schon Karl Marx aus Paris vor über 150 Jahren: Gleiches Recht für Alle heißt, dass weder Arme noch Reiche unter Brücken schlafen dürfen. Jetzt hat das auch Herr Orban verstanden. Das neue Gesetz gegen Obdachlose, das die ungarische Regierung im Parlament verabschieden ließ, macht das deutlich. Selbst der Topmanager von Ungarns größtem „Investor“  – Audi – dürfte diesem Gesetz zufolge nicht auf der Straße schlafen. Macht der jetzt vermutlich nicht allzu oft. Andere schon, denn wenn es 11.000 Plätze in Unterkünften gibt, aber mit etwa 20.000 Obdachlosen gerechnet wird, bleiben halt ein paar Tausend übrig – jede Nacht. Das soll künftig, so die Absicht, nicht nur in den Innenstädten, sondern auch in den Randgebieten der Städte verboten sein. Dementsprechend wird, nachdem das Gesetz am 15. Oktober 2018 in Kraft tritt, für den 16. und – oder – den 17. Oktober eine Großrazzia der Polizei zumindest in Budapest erwartet, die der Vertreibung der wohnungslosen Menschen gilt. Dagegen haben am Montag immerhin rund 2.000 Menschen in der ungarischen Hauptstadt demonstriert, und auch weitere Aktionen sind angekündigt. Mit Losungen wie „Sozialpolitik statt Polizeipolitik“ versucht diese Protestbewegung Front zu machen gegen die kontinuierliche Ausweitung des Polizeistaates in Ungarn. Siehe dazu drei aktuelle Beiträge, eine frühere Reportage über Obdachlose in Budapest und einen Projektbericht von „Recht auf Stadt“:

  • „Umstrittenes Gesetz gegen Obdachlose tritt in Kraft“ am 15. Oktober 2018 bei Spiegel Online externer Link meldet dazu: „Schätzungen zufolge sind in Ungarn mindestens 20.000 Menschen obdachlos. Dem stehen 11.000 staatliche Notunterkünfte gegenüber. Das Parlament hatte im Juni mit großer Mehrheit ein Gesetzespaket verabschiedet, das die Regelungen zu Obdachlosen von 2013 verschärfte. Die Regierung versichert, das Gesetz sei im Interesse der Wohnungslosen. Aber Menschenrechtsgruppen und internationale Organisationen kritisieren das Vorgehen der Regierung des rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán: Die Uno-Wohnungsexpertin Leilani Farha bezeichnete das Gesetz vom Juni als „grausam und unvereinbar mit den internationalen Menschenrechten“. Im September leitete das Europäische Parlament wegen des Vorwurfs der Verletzung von EU-Grundwerten ein Strafverfahren gegen Ungarn ein. Dieses kann bis zum Entzug von Stimmrechten auf europäischer Ebene führen. Der Beschluss stützte sich auf einen Bericht der niederländischen Grünen-Abgeordneten Judith Sargentini, in dem auch der Umgang der ungarischen Behörden mit Obdachlosen kritisiert wird…“
  • „Leben oder aufgeben – Der Alltag der Obdachlosen in Budapest“ von Katrin Wolschke im Jahr 2008 im Pester Lloyd externer Link ist also eine rund 10 Jahre alte Reportage, die gerade angesichts der jüngsten Attacken noch lesenswert ist und unter anderem darüber informiert: „József Pelle leitet das Soziale Fürsorgezentrum Budapest nunmehr seit sechs Jahren. Ihm gefällt die Vielseitigkeit der Arbeit, auch wenn es manchmal nicht leicht ist. Er lernt jeden seiner Dauerbewohner persönlich kennen, erfährt die hundertfachen Schicksale, die es in dieser Form zu sozialistischen Zeiten nicht gegeben hat. Die Hälfte der Budapester Obdachlosen kommt vom Land, vor allem aus dem Osten, in die Stadt, denn hier, wo das Leben pulsiert, sind die Mülltonnen praller gefüllt. Im Durchschnitt beträgt das Alter der auf der Straße lebenden 46 Jahre, wovon 80 Prozent männlich sind. Circa 20 Prozent sind zwischen 18 und 25 Jahre alt. Pelle bedauert, dass Betten in den Einrichtungen häufig frei bleiben, obwohl die Menschen draußen frieren. Mit verschiedenen Projekten versucht man schließlich denen zu helfen, die Hilfe suchen bzw. sich helfen lassen. Zur Zeit läuft das von der Europäischen Union unterstütze Projekt EQUAL, welches Obdachlosen die Suche nach Arbeit erleichtern soll. Neben dieser städtischen und all den übrigen zivilen Einrichtungen Budapests wäre es allerdings bei der hohen Rate an Obdachlosigkeit in Ungarn wünschenswert, das Problem präventiv anzugehen. Dies liegt zum Großteil in den Händen der Regierung, einer Etage, von der die betroffenen Opfer ganz erheblich entfernt sind…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=138692
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