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Um die Krim?

Die kurze aktuelle und kommentierte Materialsammlung von Helmut Weiss vom 11. März 2014krimkrieg

Der Krimkrieg vor rund 160 Jahren gilt als erster „industrieller Krieg“ (mit entsprechend vielen Todesopfern dank Krankheiten im Schützengraben und der Artillerie). Die heutigen Drohgebärden, Aufmärsche und Propagandamaschinerien beider Seiten lassen zwar nicht den Schluss zu, es werde unmittelbar auf Krieg gesteuert, aber auszuschließen ist wenig. An vorderster Stelle durch das pausenlose Getrommel insbesondere bundesdeutscher (und US-Amerikanischer) Medien, das ganz nach dem klassischen Muster „Der Andere ist der Böse“ orchestriert wird.

Der Spiegel trägt die Schlagzeile: „Der Brandstifter – Wer stoppt Putin?“ Auf dem Deckblatt prangt ein überdimensionaler Putin mit verschlagenem Gesichtsausdruck. Ihm reichen ein mahnender Obama, ein erschrockener Cameron und eine Kanzlerin, die ein weißes Friedensfähnchen schwenkt, nur bis zum Gürtel. In dem zehnseitigen Artikel zu dem Thema heißt es: „Die Welt befindet sich jetzt in einer Art Stresstest: Kann sich der demokratische Westen den Machtgelüsten eines östlichen Autokraten widersetzen? Kann Diplomatie einen Despoten, der Truppen entsendet, in die Knie zwingen?““ – ein Zitat aus dem Artikel Kriegspropaganda in den deutschen Medien externer Link von Ulrich Rippert am 11. März 2014 bei wsws.

Oder auch: „Bei dem Studium der täglichen Berichterstattung fällt auf, dass sich weite Teile der deutschen Medienlandschaft auf die Person des russischen Präsidenten Putin „eingeschossen“ haben. Er ist zur “persona non grata” erklärt, wirklichkeitsfremd, gefährlich, machtbesessen, Kalter Krieger, Despot, Diktator etc. Es wird auch eine Gleichsetzung Putin = Russland gemacht und bewusst Plakate von Demonstranten in der Ukraine gezeigt, die Putin mit Hitler vergleichen. Dadurch wird eine antirussische Grundstimmung erzeugt. Einseitige Berichte über Interessensgegensätze wie bei der Münchener Sicherheitskonferenz, zu Iran, Syrien, die Ukraine oder die Bewertung der Olympischen Spiele in Sotschi sind von antirussischen Vorurteilen geprägt. Um kein Missverständniss aufkommen zu lassen: es geht nicht um die Verteidigung eines repressiven Systems oder einer notwendigen und berechtigten Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Russland oder einer “Aufrüstungs”-Politik“ – aus dem Beitrag Krim-Krise: Brücken schlagen statt Schützengräben auszuheben externer Link von Henning Zierock am 07. März 2014 im Webmagazin Hinter den Schlagzeilen.

Im Gegensatz zu den Trommlern sehen linke Analytiker (teilweise) die Sachlage weitaus nüchterner: Es werde weder einen Weltkrieg geben, noch einen Krieg zwischen der Ukraine (schon weil die Armee nicht funktionsfähig sei) und Russland (eine beantragte Billigung von Maßnahmen durch den Föderationsrat sei ein Hinweis auf den Propagandacharakter der Politik) noch einen Bürgerkrieg, eher ein tödliches Chaos wie in Somalia meint etwa Boris Kagarlitzky in dem Beitrag ‘Polite intervention’ and the Ukrainian uprising externer Link am 04. März 2014 in der australischen Links, der auch darauf verweist, dass die politischen Kräfteverhältnisse in Kiew – sowohl auf Regierungsseite, wo die Konservativen ständig unter Druck der Rechtsradikalen stehen, als auch im vielschichtigen Protestlager – keineswegs die in der Ukraine insgesamt seien, wie sich in Odessa oder Charkiv zeige.

Die Alternativen zur jetzigen Situation werden durch Stellungnahmen der anschienend wieder etwas aktiveren Linken in der Ukraine skizziert – auch die Alternativen zur Parteiergreifung im „kalten Krieg“: Only solidarity will save Ukraine! externer Link [Die Erklärung „Only solidarity will save Ukraine!“ liegt in einer deutschen Übersetzung vor: Nur Solidarität wird die Ukraine retten! ] Heisst die Stellungnahme der Sozialistischen Linksopposition am 03. März 2014 in A world to win, worin unterstrichen wird, dass weder Putins aggressive Strategie noch die ukrainischen Rechte und ihre Oligarchen irgendeinen positiven Ansatz bieten – und ein Referendum auf der Krim etwa nur dann ansatzweise normal sein könne, wenn wenigstens keine Truppen anwesend seien.

In dem Gespräch If the Left Movements Don’t Unite, Only the Far-Right Will Benefit From the Social Anger externer Link , das am 04. März 2014 beim Transform Netzwerk dokumentiert ist, wird hauptsächlich dahingehend argumentiert, dass eine nötige Vereinigung zumindest einiger linker Kräfte als Voraussetzung für erhöhte gesellschaftliche Wirksamkeit gerade durch die erneute nationalistische Welle wegen der Krimereignisse weiter erschwert werde.

Und in dem Beitrag Ukraine: against infantile realpolitik externer Link am 05. März 2014 in Lenins Tomb wird vor allem am britischen Beispiel (aber keineswegs nur für dort gültig) einer Positionierung der Stop the War Allianz (die wichtigste Antikriegskraft in England) argumentiert, dass der Feind deines Feindes durchaus auch dein Feind sein kann..: Und dass es eben nicht zutrifft, dass alle Proteste der letzten Jahrzehnte im Osten Europas rundweg (meist: amerikanisch) imperialistische Machenschaften waren.

Die redaktionelle Erklärung Crimea—Not “Ours” or “Yours” externer Link [Die Erklärung Crimea—Not “Ours” or “Yours” liegt in einer deutschen Übersetzung vor: Die Krim – Weder „unser“ noch „euer“ ] am 02. März 2014 bei Left East versucht entgegen imperialer Partnersuche die prinzipielle Haltung gegen jede Kriegstreieberei aufrechtzuerhalten, und dem Nationalismus aller Seiten eine Absage zu erteilen, ohne zu verschweigen, dass die reaktionäre Sprachpolitik aus Kiew ein wesentlicher Faktor der Verschärfung der Lage war – ein Ergebnis der Stärke der Rechten in dieser Regierung.

Der Hintergrund der aktuellen Entwicklungen sieht ungefähr so aus: „Nun ist der IWF wieder vor Ort. Und das wird hart werden für die Ukrainer. Denn im Gegensatz zu Moskau stellt der Fonds Bedingungen für seine Kredite. Diese Bedingungen hat er zuletzt im Oktober 2013 formuliert. Werden sie erfüllt, so bedeutet das: Der Gaspreis in der Ukraine wird sich vervielfachen – und da dieser Preis in alle Unternehmensrechnungen einfließt, wird auch das gesamte Leben teurer werden. Viele Unternehmen wird dies voraussichtlich die Existenz kosten. Die Löhne und die Sozialtransfers werden sinken, der Mindestlohn wird nicht mehr an das Existenzminimum angepasst. Und die Abwertung der Landeswährung macht viele Importe unerschwinglich“. Aus dem Beitrag Geteiltes Land, geteilte Wirtschaft externer Link von Stephan Kaufmann am 09. März 2014 in FR-Online, in dem allerdings nicht die Rede ist von einem Comeback der Oligarchen – aber dafür hätten sie ja auch vorher „aus dem Rennen“ sein müssen…

Zusammengestellt und kommentiert von Helmut Weiss, 11. März 2014

Nachtrag:

In beiden Fällen danken wir den KollegInnen von www.kommunisten.de externer Link für die Übersetzung und die freundliche Überlassung der Texte!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=54892
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