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#haberSİZsiniz: Unabhängige Nachrichtenplattform im Angesicht von Medienschließung und Repression in der Türkei

Dossier

Erdogan-Zone: LabourNet Türkei/ sendika.org zum 12. Mal zensiert (Oktober 2016)Als hätten sie es gewusst: Für den gestrigen Sonntagnachmittag hatten Journalist*innen in der Türkei in Anbetracht von Medienschließungen und Repression zur Gründung der selbstorganisierten Nachrichtenplattform #haberSİZsiniz – „Ihr seid die Nachrichten“ eingeladen, um zukünftig vor allem über die Kanäle sozialer Medien staatsferne Berichterstattung zur ermöglichen. Die Einladung war bereits publik, als am Vorabend, dem 29. Oktober (an dem in der Türkei offiziell der Tag der Republik gefeiert wird), neue Notstandsdekrete u.a. zur Schließung weiterer Zeitungen und Nachrichtenagenturen verabschiedet wurden. Betroffen sind unter anderem die kurdische Nachrichtenagentur DIHA und das ebenfalls überwiegend kurdische Journalistinnen-Netzwerk JINHA. Damit aber nicht genug: Inzwischen liegen darüber hinaus Haftbefehle für 15 Mitarbeiter*innen der oppositionellen Tageszeitung Cumhuriyet vor, die teilweise bereits vollstreckt wurden. Seit 12 Uhr Ortszeit (die Türkei macht bei der Rückstellung zur Winterzeit ja nicht mehr mit) versammeln sich Menschenmengen vorm Redaktionsgebäude der Cumhuriyet: Noch sei nicht die Zeit zu schweigen. Siehe dazu – sowie zur mittlerweile 12. Zensur gegen die Webseite von LabourNet Türkei/ sendika.org und das Vorgehen im Südosten der Türkei einen Überblick, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Außerdem mehrere Solidaritätserklärungen und aktuelle Nachrichten:

  • [Unterschriftensammlung] Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei: Solidarität mit türkischen Journalist*innen!
    … Wir, die Unterzeichner*innen, fordern, dass die Bundesregierung sich noch massiver als bisher und auf allen politischen Ebenen dafür einsetzt: dass alle inhaftierten und in Gewahrsam genommenen Journalisten*innen umgehend freigelassen werden, und ihnen ermöglicht wird, ihre Arbeit wieder aufzunehmen; dass die Zwangsschließung regierungskritischer Medien aufgehoben und das beschlagnahmte Eigentum zurückgegeben wird; dass demokratische oppositionelle Politiker*innen nicht länger kriminalisiert werden; dass der Ausnahmezustand und das Herrschen mit „Dekreten per Gesetzeskraft“, die alle demokratischen Rechte und Freiheiten aussetzen, aufgehoben werden; dass Angriffe auf Protestbekundungen von Intellektuellen, Journalist*innen, Schriftsteller*innen, Akademiker*innen und Gewerkschafter*innen umgehend unterlassen werden und das Recht auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit respektiert wird. Wir rufen die deutsche Regierung dazu auf, unverzüglich die politische Unterstützung Erdoğans und der AKP einzustellen. Dazu gehört auch die umgehende Einstellung aller Waffenlieferungen an die Türkei! Die Bundesregierung muss alle diplomatischen Beziehungen nach Ankara nutzen, um sich für eine Aufhebung des Ausnahmezustandes und die Gewährleistung der Presse- und Meinungsfreiheit einzusetzen…Soli-Unterschriftenaktion von DIDF und Fachbereich 8 ver.di Köln vom 8. November 2016 externer Link. Siehe dazu die Unterschriftenliste zum Download externer Link sowie die online-Unterschriftenaktion bei change.org externer Link. Siehe auch:
  • Die Situation für vom Staatsregime der Türkei unabhängige Journalisten , Wissenschaftler, Kulturschaffende und Verlage wird immer unerträglicher. Solidarität mit dem Verlagshaus Evrensel!
    Solidaritätserklärung des Arbeitskreis Internationalismus der IG Metall Berlin vom 6. November 2016 externer Link, in der es heißt: „… Wir verurteilen den Ausnahmezustand in der Türkei, das antidemokratische und brutale Vorgehen der Staatsorgane. Meinungs- und Redefreiheit müssen sofort wiederhergestellt werden! Verleger sollen Meinungen und Träume frei verbreiten und ihren Beruf ohne Repressalien und Drohungen ausüben dürfen! Wir fordern : Aufhebung der Blockade des Verlagshauses Evrensel! Schluss mit allen Einschränkungen der Presse-, Verlags- und Kulturarbeit in der Türkei! …
  • Brief des linken türkischen Verlags Evrensel: „Wir publizieren weiter“
    … Zuletzt wurde durch ein am 29. Oktober im Staatsblatt erschienen Notstands-Dekret neben 2 Nachrichtenagenturen und 10 Zeitungen drei Zeitschriften verboten und geschlossen. Die per Notstands-Dekret geschlossenen drei Periodika – die Kultur- und Kunstzeitschrift Evrensel Kültür und die Theorie- und Politikzeitschrift Özgürlük Dünyası, die beide seit 25 Jahren ununterbrochen erscheinen, und die seit 13 Jahren erscheinende türkisch-kurdisch zweisprachige Kultur- und Politikzeitschrift Tiroj – sind Publikationen der Firma Doğa Basın Yayın, der auch unser Verlag Evrensel BasımYayın angehört. Am 30. Oktober ist das Büro der genannten Zeitschriften von Spezialeinheiten und von mit einem Panzerfahrzeug unterstützten Regierungsbeamten versiegelt worden. Alle Bankkonten und Vermögen der Firma wurden blockiert. Somit ist die Buchverlagstätigkeit von unserem Verlag auf ungesetzliche und willkürliche Weise de facto lahmgelegt worden. Unser 1988 gegründeter Verlag hat bis heute von Belleristik bis Sach- und Kinderbuch in verschiedenen Bereichen über 700 Bücher herausgebracht. Wir pflegen mit angesehenen Verlagen in verschiedenen Ländern gegenseitige geschäftliche Beziehungen, sind regelmäßiger Teilnehmer der wichtigsten internationalen Veranstaltungen der Verlagswelt wie der Frankfurter Buchmesse oder der Kinderbuchmesse von Bologna. Aber jetzt steht unsere ganze Verlagstätigkeit unter Gefahr. Wir opponieren gegen den Ausnahmezustand und die damit verbundenen antidemokratischen Vorgehen und Ausführungen. Wir möchten, dass unsere Meinungs- und Redefreiheit gewährleistet wird. Es ist die Aufgabe der Verleger, Meinungen und Träume zu verbreiten; wir wollen unseren Beruf ohne Repressalien und Drohungen ausüben. Trotz aller Unterdrückung, Nötigungen und Zwang; wir sind an unserer Arbeit, wir machen weiter! Euch liebe Freunde rufen wir zur Solidarisierung mit uns auf…“ Offener Brief des linken türkischen Verlags Evrensel, dessen Zeitschriften im Zuge der Notstandsdekrete am 30. Oktober geschlossen wurden, dokumentiert bei telepolis vom 04. November 2016 externer Link
  • DJV-Verbandstag: Solidarität mit der anderen Türkei
    200 aufsteigende weiße Ballons mit dem DJV-Logo und einer Protestkarte an die türkische Botschaft in Berlin – damit begann am heutigen Sonntag (6.11.16) der diesjährige DJV-Verbandstag in Bonn. Frank Überall, Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands, zeigte sich zufrieden mit der Solidaritätsaktion: „Wir denken an die vielen Kolleginnen und Kollegen in der Türkei, die eingesperrt wurden, weil sie ihren journalistischen Auftrag ernst nehmen. Und wir appellieren an die türkische Regierung, die Journalisten unverzüglich frei zu lassen und die Pressefreiheit in der Türkei wieder einzuführen.“ …Pressemitteilung des DJV vom 6. November 2016 externer Link
  • Türkische Journalisten gründen Bürgersender im Internet
    Kritische Berichterstattung ist unter Erdogan kaum mehr möglich – jetzt wurde ein Kanal gegründet, der keine Redaktionsräume braucht…Artikel von Ismail Küpeli beim neuen deutschland online vom 02.11.2016 externer Link
    Dazu rückblickend: Die erste Live-Sendung von #haberSIZsiniz fand am Abend des 3. November in den Redaktionsräumen der Tageszeitung Cumhuriyet in Ankara statt. Zehntausende verfolgten die Sendung, die – radikal dezentral – über verschiedene Kanäle auf Periscope und Facetime übertragen wurde. Nachschauen kann man die (ausschließlich türkischsprachige) Sendung zum Beispiel auf dem Periscope-Kanal der Tageszeitung BirGün externer Link
  • Türkei: Merkel muss Farbe bekennen
    Der Deutsche Journalisten-Verband ist enttäuscht von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Zusammenhang mit der Verfolgung der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet durch die Sicherheitsbehörden. DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall: „Das Schweigen der Kanzlerin ist unerträglich.“ Überall hatte kurz nach Bekanntwerden der Attacke gegen Cumhuriyet die Bundesregierung aufgefordert, sich öffentlich für die Freilassung des inhaftierten Chefredakteurs einzusetzen. „Passiert ist seitdem nichts.“ Der Sprecher der Bundesregierung Steffen Seibert hatte am gestrigen Montag lediglich eine Rede der Kanzlerin vom September zitiert, in der sie die Pressefreiheit betonte, ohne den türkischen Machthaber beim Namen zu nennen…Pressemitteilung des DJV vom 1. November 2016 externer Link
  • Entsetzen über Verhaftungen weiterer Journalisten in der Türkei: dju in ver.di unterstützt oppositionelle Medien
    … Es ist vollkommen unverständlich, dass die EU und die Bundesregierung diesem Entkernen einer Demokratie keinen stärkeren Widerstand entgegen setzen“, sagte die Bundesgeschäftsführerin der dju in ver.di, Cornelia Haß. Mit der Verhaftung des Chefredakteurs der Tageszeitung Cumhuriyet sowie der Schließung weiterer kurdischsprachiger Medien entledige sich die türkische Regierung erneut kritischer Stimmen: „Zu bewundern ist der Mut, mit dem sich kritische Kolleginnen und Kollegen auch weiterhin über Blogs und ausländische Medien Stimme und Gehör in der Türkei verschaffen. Sie zu unterstützen ist derzeit unsere wichtigste Aufgabe“, kündigte Haß an.dju-Pressemitteilung vom 31. Oktober 2016 externer Link
  • Cumhuriyet: Chefredakteur sofort freilassen!
    Der Deutsche Journalisten-Verband fordert die Bundesregierung auf, sich öffentlich klar gegen die Festnahme des aktuellen Chefredakteurs von Cumhuriyet und seiner Mitarbeiter in der Türkei zu positionieren und für ihre Freilassung einzusetzen. „Die erneuten Festnahmen von Journalisten sind ein weiterer Schritt zur Austrocknung der spärlichen Reste von Pressefreiheit in der Türkei, da kann die Politik nicht einfach zuschauen“, betonte DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall. Über 160 Medien sind in der Türkei bereits lahmgelegt. Seit dem Putschversuch im Sommer haben tausende Journalisten ihren Job verloren, etliche wurden inhaftiert. Für Frank Überall ist klar: „Nachdem der Versuch gescheitert ist, Cumhuriyet als Gülen-nahes Medium einzustufen, versucht man jetzt offenbar, die Zeitung so auszuschalten.“ Das Blatt war erst kürzlich mit dem „Alternativen Nobelpreis“ ausgezeichnet worden…Pressemitteilung des DJV vom 31. Oktober 2016 externer Link
  • Demokrasi güçleri Cumhuriyet önünde buluşuyor: “Kapattırmayacağız!”
    Bericht bei sendika.org vom 31. Oktober 2016 externer Link über die Solidaritätsaktion mit den verhafteten und von Verhaftung bedrohten Mitarbeiter*innen der Cumhuriyet vor dem Redaktionsgebäude der Tageszeitung in Istanbul
  • Toward dictatorship: Erdoğan closes down media groups, accrues more power in hands
    Bericht bei sendika.org vom 30. Oktober 2016 externer Link über die beiden am Abend des 29. Oktober erlassenen Notstandsdekrete, die neben weiterer Medienschließungen auch weitere Massenentlassungen umfasst. Außerdem will Erdogan zukünftig ohne lästige Vorschläge aus akademischen Reihen die Rektoren von Universitäten direkt bestimmen.
  • KESK, kamudan ihraçlara karşı onlarca ilde eylem düzenledi
    Bericht bei sendika.org vom 30. Oktober 2016 externer Link über Protestaktionen, die die progressive Gewerkschaftsföderation KESK in Dutzenden Provinzen in der Türkei gegen die Massenentlassungen organisiert hat
  • #haberSİZsiniz: “Bundan sonra haber biziz haberci biziz”
    Bericht vom 30. Oktober 2016 bei sendika.org externer Link über die Gründung der unabhängigen Nachrichtenplattform #haberSİZsiniz  – „Ihr seid die Nachrichten“. Demnach fand die Gründungsveransatltung in Ankara breite Beteilgung durch Journalist*innen, Vertreter*innen progressiver politischer Parteien sowie Aktivist*innen, die sich weiterhin für Demokratie einsetzen
  • #haberSİZsiniz: OHAL ve sansürlere inat kendi yayınımızı yapıyoruz!
    Beitrag vom 28. Oktober 2016 bei sendika.org externer Link über die Gründung Nachrichtenplattform #haberSİZsiniz und damit verbundene Aktion am Nahcmittag des 30. Oktober 2016 in Ankara
  • Turkey: Press freedom is essential for democracy, set journalism free!
    In Anbetracht der Situation nicht weniger aktuelle Kampagne von Labourstart externer Link zur Freilassung der mehr als 90 in türkischen Gefängnissen sitzenden Journalist*innen
  • Sendika.Org’u kapattılar, kararını bir gün sonra aldılar
    Beitrag von sendika.org vom 27. Oktober 2016 externer Link über die Sperrung der Webseite in der Nacht vom 24. Oktober – und den erst nachträglich gelieferten Gerichtsbeschluss zur Webseite-Sperrung. Die Kolleg*innen halten es bei dieser 12. Sperre wie bei den bisherigen Sperren auch: sie zählen weiter, machen eine neue Webseite auf und sind jetzt unter sendika11.org externer Link erreichbar
  • Kadınlar JINHA ile birlikte sokakta: Kadın düşmanlarına boyun eğmeyeceğiz
    Beitrag vom 30.Oktober 2016 bei sendika.org externer Link über Frauensolidarität in Ankara angesichts der Schließung des Journalistinnen-Netzwerks JINHA. Die JINHA-Frauen haben übrigens bereist erklärt, dass sie selbstverständlich weiter machen und sich von Männer-Dekreten nichts vorschreiben lassen
  • Diyarbakır: Polis saldırısına rağmen halk belediye önünü terk etmiyor
    Bericht vom 26. Oktober 2016 bei sendika.org externer Link über eine breite Protestaktion vorm Rathaus der Großstadt Diyarbakir gegen die Verhaftung von Bürgermeisterin und Bürgermeister. Beim Protest kam es zu weiteren Verhaftungen
  • Diyarbakır Governotare bans closing the stutters
    Bericht vom 26. Oktober 2016 bei JINHA externer Link darüber, dass Ladenbesitzer*innen mit Geldbußen gedroht wurde, sollten sie als Zeichen ihres Protests gegen die Entlassung von Bürgermeisterin und Bürgermeister von Diyarbakir auf die Idee kommen, ihre Läden vorübergehend zu schließen
  • Police attack the people again
    Bericht vom 26. Oktober 2016 bei JINHA externer Link über Proteste gegen die Bürgermeisterverhaftungen in Diyarbakir – und darüber, dass diese Porteste von heftigen Schlagstockeinsätzen seitens der Polizei begleitet wurden.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=106415
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