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[30. Mai 2017] Heute beginnt der Prozess gegen den Sender Hayatin Sesi in Istanbul

Solidarität der dju mit inhaftierten Journalisten in der Türkei: »Journalismus ist kein Verbrechen«Den drei Angeklagten in Caglayan, die Inhaber des Senders Mustafa Kara und Ismail Gökhan Bayram, sowie der verantwortliche Generaldirektor Gökhan Cetin, drohen bis zu siebeneinhalb Jahren Haft: Natürlich wegen terroristischer Propaganda, wie das im Erdogan-Regime üblich ist. Und zwar, weil seine Staatsanwälte so klug sind wie er, gleichzeitig für den IS und die PKK – eine Anklage, die in keinem (bürgerlichen) Rechtstaat zugelassen würde, wegen erwiesener Idiotie. Staatsanwalt Fahrettin Kemal Yerli ist die Leuchte der Justiz, die diese Anklage fabriziert hat. Drei Journalistenverbände haben den Schauprozess kritisiert und ihre Solidarität erklärt. Siehe dazu zentrale Punkte aus der Anklage und die Erklärungen der Journalistenverbände und Neues zum Prozess:

  • Das Ergebnis des ersten Prozesstages: Auf November verschoben New
    Der erste Prozesstag gegen den verbotenen Sender Hayatin Sesi fand am 30. Mai statt. Der zweite Prozesstag wurde auf November verschoben. Der Sender Hayatin Sesi war im Rahmen einer groß angelegten Medienverbotskampagne mit 11 weiteren Sendern per Staatsdekret von Staatspräsident Erdogan geschlossen worden. Ihm wurde vorgeworfen, gleichzeitig für den IS, die PKK und die TAK, eine Splittergruppe der PKK, Propaganda betrieben zu haben. Vor Gericht standen nun die Inhaber des Senders, Mustafa Kara und Ismail Gökhan Bayram, sowie der verantwortliche Programmdirektor Gökhan Cetin.” e-mail an die Redaktion

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1. Aus der Anklage, jeglicher Kommentar überflüssig – zu durchsichtig die plumpen Konstruktionen:

-„ Propaganda für eine Terrororganisation durch einen Beitrag über 18 türkische Arbeiter, die im Irak durch schiitische Milizen entführt worden  und deren Aufnahmen im Internet verbreitet worden sind, mit dem die  erschreckenden Eigenschaften der DAESCH gezeigt und folglich dem Ziel der Terrororganisation gedient worden ist.”
– “Nach dem Terroranschlag am 10. Oktober 2015 vor dem Zugbahnhof in Ankara, welcher mit dem Tod und der Verletzung einer hohen Anzahl an  Staatsbürgern endete, berichtete die genannte Medienanstalt, zeitweise durch Nachrichten und zeitweise durch Gastbeiträge aus dem Studio, mit dem  Titel “Sonderberichterstattung” den ganzen Tag über diesen Terroranschlag,  trotz einer Nachrichtensperre des Kanzleramtes.”
–  “Am 13. März 2016 wurde die Explosion in der Nähe des Güvenpark in Ankara, seitens des Senders, dessen Verantwortliche die Angeklagten sind, während der Hauptnachrichten genannt.”
– “Eine Sonderberichterstattung über die Bombenexplosion am 19. März auf dem Taksim in Istanbul, bei der die Aufnahmen von um 11.38 Uhr ohne jegliche editoriale Bearbeitung und Überprüfung auf den Bildschirm gebracht   wurden. Trotz dessen, dass das Gouverneursamt berichtete, es gebe keine  Sicherheitsbedenken, wurde erwähnt, dass es so einen Vorfall gegeben hat, womit eine Propaganda der Terrororganisation betrieben worden ist.”
–  Der Berichterstattung aus Cizre wurde nach dem Ende der Straßenverbote  eine Plattform geboten. Die Operationen, welche gegen die  Terrororganisation geführt worden sind, wurden als Operationen gegen dieZivilbevölkerung betitelt, ohne die Aktionen der PKK zu nennen, womit dem Ziel der Terrororganisation gedient worden und deshalb Propaganda für eine Terrororganisation betrieben worden ist.”
– Es wurde festgestellt, dass das genannte Medienorgan, dessen  Verantwortliche die Angeklagten sind, dem Zweck der Terrororganisationen,  dessen wichtigstes Ziel eine Verbreitung der Angst in der Bevölkerung, das  Erzeugen von Unruhe und der Störung der Ruhe und des Friedens in der Bevölkerung, gedient und somit folglich eine Propaganda der Terrororganisationen betrieben haben indem sie in ihren Berichterstattungen die Panik und das Chaos nach Terroranschlägen mit seiner vollen Nacktheit  und auf die Bildschirme getragen haben.”

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2. Die Aufrufe zur Solidarität – und Teilnahme am Prozess durch die Journalistenverbände

– Turgay Olcayto, Präsident der Gemeinschaft der Journalisten in der Türkei (TGC)

Der Journalismus erlebt äußerst anstrengende Tage. Dem Recht der Bevölkerung auf Nachrichten und die Wahrheit werden mit jedem Tag neue Hürden in den Weg gelegt. Anstatt der Solidarität zwischen Journalisten wird der Alltag geprägt durch die Feindschaft zwischen Journalisten und dass Journalisten andere Kollegen melden und anzeigen. Ein Mensch wie Sedat Peker, der in der Türkei für viele blutige Aktionen bekannt geworden, inhaftiert und später freigelassen worden ist, wird in einer großen Zeitung reingewaschen und ihm wird mit Geschäftsleuten zusammen ein Preis verliehen. Warum? Weil er ein Wohltäter sei. Also in solch einer Türkei zu leben ist wahrhaft erschreckend. Die Hayatin Sesi leistete eine gute Berichterstattung und wurde viel geschaut. Jedoch sind einige Kreise unzufrieden damit, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Sie denken, dass die Bevölkerung es nicht sehen, hören und darüber reden wird, wenn sie ein Verbot auferlegen. Soviele ungelöste Massaker, deren Rechnung noch offen steht, deren Verantwortliche nicht aufgezeigt worden sind und sie konzentrieren sich auf Journalisten, die die Wahrheit sagen wollen und die Medien, in denen sie arbeiten und die als Opposition angesehen werden. Die Repression gegen die oppositionelle Presse ähnelt dem Prinzip einer altertümlichen Verurteilungsliste. Sie öffnen diese, wählen sich jemanden zum verurteilen aus und schließen sie wieder. In so einer Lage ist das eine Zeit, in der der Journalismus im Keller liegt und die Sprache fehlt. Das bedeutet jedoch nicht wir würden den Widerstand aufgeben. Wir werden Widerstand leisten, solange es in unserer Hand liegt. Wir werden aus Solidarität beim Prozess gegen die Hayatin Sesi auch vor Ort sein.

–  Faruk Eren, Präsident der Gewerkschaft DISK Basın İş

Es ist problematisch in diesem Land noch von Recht und Justiz zu sprechen. Es war gesellschaftlich ohnehin anerkannt, dass die Judikative nicht neutral ist. Es ist nun die Rede von einer Parteijustiz. Ein Großteil der neuen Richter und Staatsanwälte sind Mitglieder der Regierungspartei. Aus diesem Grund ist es schwierig von juristischen Normen zu reden wenn es um Prozesse gegen Journalisten geht, oder gegen politisch Andersdenkende. Statt ihre Aufgaben zu erfüllen betätigen sich die Staatsanwälte, wie man auch der Anklage entnehmen kann, als Medienkritiker. Die Staatsanwälte fragen “Warum habt ihr eine solche Nachrichtenpolitik?” Wenn sie nur fragen würden wäre unsere Antwort bereit: Was geht euch das an? Leider belassen sie es aber nicht dabei. Sie werfen Journalisten in Gefängnisse und fordern Haftstrafen, bis sie sterben. Sie würden sie hängen, wenn es die Todesstrafe gäbe. Wofür? Für ihre Kolumnen, ihre Artikel, ihre Beiträge in sozialen Medien. Wir können die Prozesse gegen inhaftierte Journalisten nicht einmal mehr aufzählen. Dutzende Sender, Zeitungen und Medienanstalten wurden geschlossen. Oppositionelle Internetseiten werden täglich mit Aufrufsperren belegt. Ein düsteres Bild. Aber die Dunkelheit werden wir durchbrechen, indem wir die Wahrheit herausschreien.

– Gökhan Durmuş, Vorsitzender der Journalistengewerkschaft der Türkei (TGS)

Seit dem Zusammenbruch des Rechtssystems in der Türkei begegnen wir solchen Anklageschriften, die keine Beweise liefern und eine Schuld erfinden. Die Nachrichtenpolitik von Zeitungen und Sendern wird nun in Gerichtssälen verteidigt. Während die Pressefreiheit ausgelöscht wird hat man angefangen Medienorgane, die für das Recht der Bevölkerung auf Nachrichten eine Arbeit leisten, mit juristisch haltlosen Prozessen zu versetzen. Was mit der Hayatin Sesi gemacht wird ist ein ganz anderes Diskussionsthema. Der Prozess gegen die per Staatsdekret geschlossene Hayatin Sesi, dessen sämtlicher Besitz beschlagnahmt worden ist, zeigt, dass der Hass und die Wut des Staates gegenüber nicht regierungstreuen Medien nicht aufgehört hat. Dieser Prozess bedeutet “Ich habe euren Sender geschlossen, euren Besitz beschlagnahmt aber das reicht mir nicht, denn ich will auch rückwirkend eure Arbeit  bestrafen.” Egal wie man es nimmt, der Prozess am Dienstag in Caglayan wird einer, den man sonst in keinem Land finden kann. Ich hoffe der Blödsinn dieses Prozesses wird schnellstmöglich klar und die Anklage wird fallen gelassen.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=116894
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