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Natürlich foltert Erdogan nicht (persönlich). Es gibt nur Isolationshaft, Nacktdurchsungen, Schikanen

Turkey up in arms against Erdoğan!Murat Sabuncu sitzt im Großraumbüro von T 24, einem unabhängigen Onlineportal. Zuvor hatte er für die traditionsreiche, regierungskritische Istanbuler Zeitung „Cumhuriyet“ gearbeitet – bis die eine neue Führung bekam. Für seine Artikel dort ging er 2016 ins Gefängnis, zusammen mit anderen Kollegen. Mehr als 400 Tage war er in Untersuchungshaft im Hochsicherheitsgefängnis in Silivri, wo auch Yücel saß: „Keiner der Wärter hat uns körperlich was angetan, so wie es Yücel beschreibt“, erzählt Sabuncu. Bei ihm sei es anders gewesen. „Wovon ich spreche, ist vor allem, dass wir die ersten neun Monate in Isolationshaft waren. Dass wir, abgesehen von einem einstündigen Besuch durch unsere Anwälte und einem einstündigen Besuch durch unsere Familien, die gesamte Zeit in unseren Zellen waren.“ Der türkische Kulturmäzen Osman Kavala sitzt ebenfalls in Silivri, das erste Jahr ohne Anklageschrift und in Einzelhaft. Er beschreibt es als Folter, isoliert von der Gesellschaft zu sein. Auch der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner war in Silivri. Vor allem die Ungewissheit habe ihm zu Schaffen gemacht. Er spricht nicht von Folter. Aber in der Untersuchungshaft zuvor habe es Geschubse und Gebrüll gegeben…“ – aus dem Bericht „Auch andere berichten von Misshandlungen“ von Karin Senz am 14. Mai 2019 bei tagesschau.de externer Link, worin noch berichtet wird, die Regierung der Türkei habe wissen lassen, man sei gegen Folter und das ohne jede Toleranz dafür… Siehe dazu einen (von sehr vielen möglichen) weiteren aktuellen Beitrag zur Repression in der Türkei, und einen Beitrag über die Reaktion in der BRD auf diese keineswegs neue Information:

  • „Nacktdurchsuchungen: Friedensmütter in Gewahrsam misshandelt“ am 14. Mai 2019 bei der ANF externer Link berichtet: „Die Ende letzter Woche nach einer Mahnwache vor dem Frauengefängnis im Istanbuler Stadtteil Bakirköy festgenommenen Mütter von hungerstreikenden politischen Gefangenen wurden im Polizeigewahrsam erniedrigenden und gewalttätigen Nacktdurchsuchungen unterzogen. Das berichtet die Journalistin Zeynep Kuray, die ebenfalls festgenommen worden war. Seit drei Wochen bereits führen Gefangegenangehörige trotz Polizeiblockaden ein Sit-In vor dem Hochsicherheitsgefängnisin Bakirköy durch, um auf den Hungerstreik ihrer Töchter gegen die Isolation des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan aufmerksam zu machen. Doch täglich kommt es zu Übergriffen auf die überwiegend älteren Aktivistinnen und Angehörigen der Gefangenen. Auch am vergangenen Freitag ging die Polizei gewaltsam gegen die Mahnwache vor. Von den insgesamt 41 festgenommenen Personen wurden 40 gegen Meldeauflagen freigelassen. Gegen Hacı Oğiş aus dem Vorstand der HDP in Bakirköy ordnete das Gericht wegen Terrorvorwürfen Untersuchungshaft an. Die Journalistin Zeynep Kuray verbrachte wie viele weitere Betroffene den Muttertag in überfüllten stickigen Zellen in der Antiterrorzentrale der Polizeiwache Vatan…“
  • „Berlin, Ankara und die Folter“ von Gerrit Wustmann am 10. Mai 2019 bei telepolis externer Link zur Reaktion in der BRD auf die Foltervorwürfe an die Türkei: „… Interessant ist diese Reaktion schon deshalb, weil es keineswegs eine Neuigkeit ist, dass in der Türkei gefoltert wird. Begebenheiten wie die von Yücel geschilderte sind in türkischen Haftanstalten an der Tagesordnung. Auch nach der Ratifizierung der Antifolterkonvention im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen änderte sich daran nichts – offiziell abgeschafft wurde lediglich die schwere Folter. Bereits unmittelbar nach dem Putschversuch von 2016, der zu Massenverhaftungen von Oppositionellen führte, mehrten sich auch die Foltervorwürfe. Amnesty International forderte damals vergeblich intensivere Kontrollen, um sicherzustellen, dass die Gefangenen nicht gefoltert werden. Seither dokumentierten sowohl kurdische Gruppen als auch die Gülen-Bewegung, die von Erdogan für den Putschversuch verantwortlich gemacht wird, Folter. Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren zahlreiche Personen in Haft starben – die genauen Umstände sind unklar. Bei einigen Fällen steht ein Folterverdacht im Raum. Ende 2016 gab es Berichte über Folter, die dann sogar die UN animierten, Untersuchungen einzuleiten. Ende 2018 ergaben die Recherchen des ZDF-Magazins Frontal 21, dass Gülen-Anhänger in geheimen Haftanstalten gefoltert werden. Human Rights Watch dokumentierte ebenfalls Fälle von Entführungen. Bis heute sind zahlreiche Menschen spurlos verschwunden – was an düstere Zeiten erinnert. Denn lange war es Praxis des türkischen Geheimdienstes MIT, politische Gegner zu entführen und zu ermorden. Bis heute verlangen die „Samstagsmütter“ Woche für Woche in Istanbul, zu erfahren, was mit ihren Söhnen geschehen ist. Das Echo in der Bundespolitik war damals ähnlich verhalten wie schon Ende 2015, als türkische Soldaten im kurdischen Südosten des Landes folterten und Massaker an der Zivilbevölkerung begingen. Dass die aktuelle Empörung aus Berlin zu einer anderen Haltung gegenüber der türkischen Regierung führen wird, ist also unwahrscheinlich“.
  • Siehe als Ursprung der „neuen“ Aufregung: Deniz Yücels Verteidigungsrede. „Deniz Yücel, ehemaliger Türkei-Korrespondent der „Welt“, hat der Türkei vorgeworfen, ihn während seiner Haft gefoltert zu haben. Die DW veröffentlicht die deutsche Übersetzung seiner Verteidigungsrede in voller Länge…“ Deutsche Welle-Beitrag vom 10.05.2019 externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=148792
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