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Südafrikas Bergbau: Streikwelle, Propagandaschlacht, Perspektiven – who is who?

Das ist die Frage, die sich bei den jüngsten Entwicklungen in Südafrikas Bergbau aufdrängt. Beispiele? Jacob Zuma ist der Präsident, weiss man. Sein Sohn ist Teilhaber einer der grösseren „Labour Brokers“ des Landes, das weiss man eher nicht. Leiharbeit wird eigentlich von den Gewerkschaften bekämpft – uneigentlich hat die Bergarbeitergewerkschaft NUM diesem Unternehmen eine positive Bescheinigung gegeben. Die NUM ist ja eigentlich die Gewerkschaft der Bergarbeiter (gewesen?) – uneigentlich ist sie aber auch Miteigentümer einer Spezialbank, die Kleinkredite vergibt – an Bergarbeiter, und dies nicht zu besonders kleinen Zinsen. Eigentlich ist Zwelenzima Vavi Vorsitzender des Regierungsbestandteils COSATU, des Gewerkschaftsbundes also – uneigentlich hat er jetzt bekundet, man werde die Konterrevolution mit allen Mitteln bekämpfen, ist also jetzt zur Avantgarde geworden – oder was versteht ein Berufsgewerkschafter eigentlich unter Konterrevolution? Julius Malema wiederum ist eigentlich wegen Korruption aus dem ANC ausgeschlossen. Uneigentlich ist er der einzige etablierte Politiker, zu dessen Versammlungen massenhaft Bergarbeiter kommen – wenn die Polizei ihn reden lässt… Eine eigentlich keinesfalls unparteische kurze Materialsammlung, die vor allem auf einer ausführlichen Bestandsaufnahme basiert, haben wir unter der Überschrift „Who is who im südafrikanischen Bergbau?“ am 25. Oktober 2012 zusammengestellt.

Who is who im südafrikanischen Bergbau?

Bei jedem Versuch, die aktuelle Lage und die Entwicklung aus der sie stammt zu analysieren, muß der 16. August, etwa 16 Uhr, als erster Bezugspunkt genommen werden, als die Polizei das Feuer auf Arbeiter eröffnete, die ihr verfassungsmäßiges Recht auf Versammlung wahrnahmen – so unterstreicht es auch Patrick Bond in seiner sehr ausführlichen Bestandsaufnahme „How the Marikana Movement Stunned Neoliberal South Africaexterner Link die in einer großen Zahl Zeitschriften, Webseiten und Mailinglisten in den letzten Tagen publiziert wurde – unter anderem etwa bei Counterpunch (USA) am 19-21. Oktober 2012. Zwei Monate nach den Ereignissen ist deutlich geworden, dass nichts von dem, was die Polizei und ihre dienstbereiten Journalisten zunächst verbreiteten, mit der Wahrheit übereinstimmt. Nicht zuletzt die Recherchen einiger weniger Journalisten – einer extrem kleinen Minderheit – haben die Schilderungen von Staatsanwaltschaft und Polizei völlig unglaubwürdig gemacht, so weit immerhin, das sie faktisch ersatzlos gestrichen wurden, weil diese Journalisten die betroffenen Menschen selbst zu Wort kommen liessen.

Bond vergisst aber über diesem Stichdatum keineswegs die Vorgeschichte – weder die von Lonmin, das einst Lonrho hiess und so berüchtigt war, dass ein englischer konservativer Premier es „das unannehmnbare Gesicht des Kapitalismus“ nannte, noch die von den 10 Todesopfern vor diesem Tag in Rustenburg. 6 Bergarbeiter, 2 Guards und 2 Polizisten waren bereits am 11. August gestorben – und was zunächst als Beweis der besonderen Gefährlichkeit der Marikana Arbeiter galt, ist inzwischen ganz anders: Jetzt wird untersucht, ob das Gerücht stimmt, es hätten NUM-Aktivisten das Feuer eröffnet…Aber auch dieses: Dass der Bürgermeister von Rustenburg im offiziellen Verdacht steht, einen ANC-Whistleblower, der ihn der Korruption bezichtigt hatte, per Auftragsmord zu beseitigen.

Und die „sonstigen Bedingungen“ – etwa der Arbeit, der Leiharbeit, die auch im Platingürtel weit verbreitet ist. Vor allem das Unternehmen JIC, grösster Arbeitsverleiher der Region wird da angeführt – dessen Miteigentümer Duduzane Zuma, der Sohn des Präsidenten ist, wo es nicht verwundert, dass JIC ein „recognition agreement“ mit der NUM hat – also von der Gewerkschaft faktisch ein Gütesiegel erhalten hat, trotz aller gegenteiliger Kampagnen.

Bond zieht naheliegenderweise auch den Vergleich zu ähnlichen Ereignissen im Kampf gegen Apartheid – und verweist auf die aktuellen politischen Auseinandersetzungen innerhalb COSATU, bei denen die Bergarbeitergewerkschaft NUM jene Kraft war, die darauf beharrte, die Gewerkschaften müssten allesamt die Wiederwahl Jacob Zumas als ANC-Vorsitzendem (und damit, nach Lage der Dinge, auch als Präsident) unterstützen.

Schliesslich kommt er auch zu dem Thema, das vor allem in den letzten Tagen immer mehr die Diskussion der Gesellschaft über die Lage der Bergarbeiter bestimmt: Die Verschuldung qua Mikrokredite. Wobei zwei der grossen Spezialbanken, die diese vergeben besonders im Fokus stehen: Ubank, unter deren Eigner auch die NUM ist und Capitec, die einen Aufsichtsrat hat, der voll mit ANC-Grössen stecke.

Die politischen Reaktionen bis heute sind eindeutig: Neoliberale Panik, die Kredite werden teuerer, und die Profitjäger aus aller Welt schauen schon mal nach anderen Gegenden. Die offizielle Linke ist so wie immer: Wenn etwas nicht in die Parteilinie passt, ist es reaktionär – sagen vor allem die Regierungsparteien ANC, SACP und COSATU… Konterrevolution nennt es der Generalsekretär der COSATU, die KP scheut sich nicht zu sagen, es habe in Marikana kein Massaker gegeben, sondern eine „Schlacht gegen die Reaktion“. Ansonsten, so Bond, stelle diese aktuelle Entwicklungen alle gesellschaftlichen Positionierungen in Frage und auf den Prüfstand, auch wenn sie weder abgeschlossen sei, noch auch nur klar, wohin es kurzfristig gehen werde.

Wie weit diese Debatten bereits in der ganzen Gesellschaft verbreitet sind, zeigt unter vielem anderen etwa der Artikel „Has the African National Congress become of a party of elites?externer Link von Geoffrey York am 12. Oktober 2012 im Globe and Mail. York vergleicht dabei traditionelle ANC-Kämpfer wie Dennis Goldberg und Cyril Ramaphosa – der einstige Gewerkschaftsführer ist heute ein reicher Geschäftsmann mit Ambitionen auf hohe ANC-Posten und vielen Geschäftsinteressen im Bergbau…

Herr Ramophosa kommt allerdings allmählich in eine Bredouille: „South Africa labor hero urged crackdown on „criminal“ strikeexterner Link heisst die Reuters-Meldung von Pascal Fletcher and Jon Herskovitz am 24. Oktober 2012 in der berichtet wird, dass Ramaphosa per email am Tag vor dem Massaker ein hartes Vorgehen von der Polizei forderte… Ramaphosa ist als Person und Funktionär eben wichtig und auch repräsentativ – weswegen diese Meldung auch dazu führte, dass die Jugendliga des ANC ihn aufforderte, sich bei den Familien der Getöteten zu entschuldigen, wie in der SAPA-Meldung „Ramaphosa must apologise to families of those killed: ANCYLexterner Link hier am 24. Oktober 2012 bei TimesLive berichtet wird.

Die Farlam-Kommission und die Positionierungen

Nach einer längeren Sitzungspause hat die Kommission – die von vielen als nicht unabhängig betrachtet wird – ihre Arbeit nun endgültig aufgenommen. Am 23. Oktober wird über die Wiederaufnahme der Arbeit berichtet, dass die Anwälte der verschiedenen Seiten ihre Positionen dargelegt hätten. Die mit Spannung erwartete Einlassung von Karel Tip, dem Anwalt der NUM, war eindeutig: Die Polizei habe richtig gehandelt, schliesslich seien NUM Funktionäre vorher gestorben, wird sie in dem Artikel „Marikana Commission: Lawyers draw up battle linesexterner Link von Sipho Hlongwane am 23. Oktober 2012 im Daily Maverick wiedergegeben. Die Anwälte von 21 der Todesopfer bezeichneten ihre Beweisabsicht: „Dass die Menschen von der Polizei absichtlich getötet wurden“. insbesondere wiesen sie auch darauf hin, dass das Argument der Polizei, man habe mit beiden vertretenen Gewerkschaften, NUM und ACMU, in kontakt gestnaden, insofern völlig unerheblich sei, als keine von beiden die Streikenden in vollem Umfang vertreten hätte. Die Rede des Sprechers der Anwaltsgruppe „Marikana: 14 strikers shot from behindexterner Link Dumisa Ntsebeza wurde am 22. Oktober 2012 im politicsweb dokumentiert.

In dem Artikel „Platinum belt: Vavi vows to fight back for Cosatu and NUMexterner Link von Khadija Patel am 22. Oktober 2012 im Daily Maverick fasst die Autorin die Ausführungen des Generalsekretärs der COSATU so zusammen, dass alles ein Versuch sei, die NUM und damit die COSATU zu schwächen, also die Regierung, also sei es ein Werk der Konterrevolution…

Als Zwelinzima Vavi, Generalsekretär des südafrikanischen Gewerkschaftsbundes ­­COSATU, gemeinsam mit einigen Offiziellen der Bergbaugewerkschaft National Union of Mineworkers (NUM) am vergangenen Freitag zu streikenden Bergarbeitern einer Goldmine bei ­Orkney, südwestlich von Johannesburg, sprechen wollte, flogen Steine. Die Kumpel halten die Bergbaugewerkschaft für den korrupten langen Arm der Konzerne. Ihre aufgestaute Wut traf nun auch den bisher recht populären Generalsekretär der Muttergewerkschaft. »Wir sind okay, das Auto wurde nicht beschädigt«, ließ sich ein NUM-Koordinator nach der Attacke durch »diese Hooligans« zitieren. Vavi war dennoch schwer getroffen von der offenen Feindseligkeit. Am Montag rief der ­COSATU zu einem Protestmarsch in Rustenburg auf, am morgigen Samstag nun wird es in der Provinzhauptstadt des Minengürtels zum Showdown kommen. »Alle Arbeiter« der drei umliegenden Provinzen sollten »die Region um Rustenburg von den Kräften der Konterrevolution zurückgewinnen«, heißt es in dem Aufruf“ – so beginnt der Artikel „Showdown in Rustenburgexterner Link von Christian Selz am 26. Oktober 2012 in der jungen welt.

Zur COSATU – Aktion am Samstag, den 27. Oktober gibt es ebenfalls eine Bewertung der (trotzkistisch orientierten) DSM: „Cosatu rally will not unite workers: DSMexterner Link am 24. Oktober 2012 in TimesLive.

Die radikale Linke

Die aus zwei Gründen bei den aktuellen Auseinandersetzungen eine größere Rolle als üblich spielt: Zum einen, weil sie auch im Großraum Johannesburg, wie an einigen anderen Orten, in der städtischen Armenbewegung einigermaßen stark vertreten ist – und die Grenzlinien zur Gewerkschaftsbewegung sind bei weitem nicht so krass, wie man es in Europa, zumindest aus der Vergangenheit, kennt. Zum anderen weil sie deswegen und wegen des Verhaltens der Gewerkschaften einen gewissen Einfluss in den örtlichen unabhängigen Streikkomitees, die die Bergarbeiter an einigen Orten gebildet haben, aufbauen konnten, weil es zumindest einige Aktivisten gab, die von vorneherein eine relativ deutliche Position für die Streikenden bezogen, heute schon ein bisschen verbreiteter, am Anfang der Auseinandersetzung eher rar. Letzteres wird etwa deutlich in dem Artikel „Mine workers‘ hope lies in mass actionexterner Link von Kwanele Sosibo am 19. Oktober im Mail and Guardian, der über die Rolle der DSM bei der Unterstützung des Streikkomitees berichtet. Über den Versuch, diese Komitees zu koordinieren wird in dem Video zur Pressekonferenz „National Strike Coordinating Committee launchedexterner Link am 15. Oktober 2012 bei socialistworld berichtet.

hrw

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