»
Sudan

Trotz Einigung versucht der Militärrat im Sudan die demokratische Entwicklung weiter zu blockieren und möchte – vergeblich – die Blockaden im ganzen Land beendet sehen

Zur Ikone der Bewegung im Sudan geworden: Der Zug aus Atbara bringt Demostranten nach KhartumSudans Revolution ist an einem kritischen Punkt angelangt. Die zivile Opposition, die mit monatelangen Massenprotesten das Gewaltsystem des alten Diktators Bashir zum Einsturz gebracht hat, steht kurz vor einer Einigung mit den hohen Generälen, die durch ihren Putsch gegen Bashir im April die wichtigste Forderung der Protestbewegung erfüllten und zugleich ihre eigene Haut retteten. Es wäre ein grandioser Sieg einer arabischen Volksbewegung, sollte es tatsächlich zu einer gemeinsamen Übergangsregierung kommen, die freie Wahlen und eine Überwindung des sudanesischen Unterdrückungssystems aus repressiven Gesetzen und mörderischen Milizen organisiert. Aber bis es so weit ist, bleibt Sudans Gewaltapparat intakt. Das haben die bislang nicht identifizierten uniformierten Kräfte in Erinnerung gerufen, die in der Nacht zum Dienstag Demonstranten und Soldaten in Khartum angriffen und manche von ihnen erschossen. Der skrupellose Angriff ist ein Warnsignal an Militär und Opposition, dass jeder neuen Übergangsstruktur die Feuerprobe erst noch bevorsteht – und dass jede bewaffnete Streitkraft im Sudan die Mittel hat, ihre Interessen mit der Waffe zu verteidigen…“ – aus dem Kommentar „Die Feuerprobe steht noch bevor“ von Dominic Johnson am 15. Mai 2019 in der taz online externer Link, der trotz des faktischen Appells an „internationale Vermittlung“ die aktuelle Lage zutreffend als angespannt und instabil charakterisiert – diese internationale Vermittlung, die längst stattfindet, wenn die arabischen Mörderregime den Militärrat unterstützen und die EU die blutigen Milizen finanziert. Siehe zum Entwurf eines Abkommens, der Auseinandersetzung auch darum und weiteren – erfolglosen – Versuchen, die Massenproteste einzuschüchtern, weitere aktuelle Beiträge und den Hinweis auf unseren bisher letzten Beitrag zu den Protesten im Sudan – in dem der Feuerüberfall auf die DemonstrantInnen das Thema war:

»Wir schwören unserem Volk«“ von Philip Malzahn am 15. Mai 2019 in neues deutschland online externer Link, worin zu dem Entwurf eines Abkommens unter anderem hervor gehoben wird: „… Das Abkommen sieht vor, dass das sudanesische Parlament während der vereinbarten Zeit mit 300 Abgeordneten besetzt wird. 67 Prozent sollen der »Allianz für Frieden und Veränderung« angehören. Damit hätte das Bündnis eine Zwei-Drittel-Mehrheit, was auf den ersten Blick große Zustimmung in der Bevölkerung findet: Die derzeitigen Proteste wurden von einem breiten Querschnitt der Bevölkerung unterstützt und vorangetrieben. Die »Allianz für Freiheit und Veränderung« ist ein Spiegelbild dieses Querschnitts und ein Zusammenschluss diverser Gewerkschaften, Bauernverbände, politischen Parteien und Initiativen. Es wird jedoch das erste Mal sein, dass ihnen eine Entscheidungsmacht im Staatsgefüge zugesprochen wird. Niemand kann voraussagen, wie das plurale Bündnis den Übergang zur regierenden Fraktion meistern wird. Die Erwartungen sind auf jeden Fall hoch. Obwohl die endgültige Unterzeichnung des Abkommens noch aussteht, versprach der Stabschef des Militärrats, General Jasser Atta, ein Ergebnis, das »den Wünschen der Menschen entspricht«. »Wir schwören unserem Volk, dass die Übereinkunft innerhalb von 24 Stunden vollständig vollzogen wird«, sagte er auf einer Pressekonferenz am Mittwoch. In den Verhandlungen über die Dauer der Übergangsphase hatte das Militär für zwei und die Demonstranten für vier Jahre plädiert. Atta sagte weiter, die ersten sechs Monate der nun verabredet Dreijahresfrist sollten dazu verwendet werden, um in den Konfliktregionen des Landes Friedensverträge mit den Rebellen zu unterzeichnen – etwa in Darfur, Blauer Nil und Kordofan…

„Sudan military rulers suspend talks with protesters for 72 hours“ am 16. Mai 2019 bei Al Jazeera externer Link berichtet von der – überraschenden – Verkündung des Militärrates, man habe die Gespräche mit den Vertretern der demokratischen Plattform für 72 Stunden „ausgesetzt“. Die Gegenseite bei den Verhandlungen bezeichnete den Schritt einerseits als „bedauerlich“ und rief andrerseits die Bevölkerung zu erhöhter Wachsamkeit auf – auch angesichts erneuter bewaffneter Überfälle auf Demonstrantinnen und Demonstranten an verschiedenen Orten, deren Urheber nach wie vor unbekannt bleiben…

„Eine Lektion für Generäle“ von Philip Malzahnam 16. Mai 2019 in neues deutschland online externer Link zum angegebenen Grund der Militärs für die „3 Tages-Aussetzung“: „… Die Demonstranten machen alles richtig. Das zeigt die Entscheidung des Militärrats, die abschließenden Verhandlungen über die geplante Übergangsphase für 72 Stunden zu vertagen. Die Generäle scheinen nämlich irgendwas falsch verstanden zu haben: Mit dem Versprechen, eine Zivilverwaltung einzurichten, mindert sich nicht das Recht auf Protest, es vermehrt sich. Kein Wunder also, dass am Mittwochabend, als Sicherheitskräfte versuchten, die vielen Sitzblockaden und Barrikaden im Stadtzentrum Khartums zu räumen, die Menschen auf der Straße klar und deutlich geantwortet haben: Nein! Die anschließende gewalttätige Eskalation, als Sicherheitskräfte mit scharfer Munition in die Menge schossen, ist die Folge eines naiven Irrglaubens: Dass die Menschen die Straßen räumen, auf denen sie einen Diktator zu Fall gebracht haben. Doch mit einem in Aussicht gestellten Stück Kuchen lassen sich die Menschen in Sudan nicht mehr locken…“

„Sudan protesters decry military council’s suspension of talks“ am 16. Mai 2019 bei Al Jazeera externer Link berichtet ebenfalls über die fortgesetzten Massenproteste nach dem Einschüchterungsversuch des Militärrats und ergänzt um die Reaktionen der organisierten Opposition, die die Militärs darauf verwies, dass die „passende Atmosphäre“, die der Militärrat für weitere Verhandlungen verlange, bereits bestehe – in der Massenmobilisierung…

„Angespannter Stillstand“ von Gerrit Hoekman am 17. Mai 2019 in der jungen Welt externer Link zur Gesamtsituation: „… Die auf wichtigen Verkehrsachsen in der Hauptstadt Khartum errichteten Barrikaden bezeichnete Al-Burhan als ungerechtfertigt. Durch sie komme es zu erheblichen Behinderungen, auch der Bahnverkehr sei durch Blockaden beeinträchtigt, was in einigen Landesteilen Schwierigkeiten bei der Versorgung zur Folge habe. »Das alles führt zum Verschwinden der friedlichen Revolution«, so der Chef des Militärrats. Die Demonstranten hätten nun 72 Stunden Zeit, alle Barrikaden abzubauen und zu ihrem Sit-in vor dem Armeehauptquartier zurückzukehren. Die Opposition bedauerte den vorübergehenden Abbruch der Verhandlungen. »Es gibt keine Rechtfertigung für das Eröffnen des Feuers auf unbewaffnete Bürger«, heißt es laut Sudan Tribune in einer Erklärung des Bündnisses »Kräfte der Freiheit und des Wandels«, in dem alle relevanten Oppositionsgruppen vertreten sind. »Niemand hat Angst vor Kugeln, wir bleiben«, erklärte Mohammed Nadschi, Mitglied der Verhandlungsdelegation der Protestierenden, in einem Filmbeitrag von Al-Dschasira. Er bat die Demonstranten jedoch, keine weiteren Barrikaden zu errichten. Wie Bilder des TV-Senders nahelegen, machten sich Oppositionelle tatsächlich daran, die Blockaden beiseite zu räumen…“

„Sudans Mullahs fürchten die Macht der Bilder“ von Johannes Diedrich am 15. Mai 2019 in der FR online externer Link zu einer zentralen Stütze des alten Bashir-Regimes und wohl auch aktuell des Militärrates unter anderem: „… Einst gab es im Sudan mehr als 65 Kinos – heute ist das „Star“ das einzige in dem 40 Millionen Einwohner zählenden Land. Als durch Omar al-Baschirs Militärputsch vor 30 Jahren auch die islamistischen Muslimbrüder an die Macht kamen, war es mit der cineastischen Unterhaltung in dem nordostafrikanischen Staat vorbei. Muslimische Fundamentalisten haben schon grundsätzlich etwas gegen Bilder. Und wenn sie auch noch im sinnlichem Kontext bei Dunkelheit gezeigt werden, hört der Spaß endgültig auf. Fünfzehn Jahre lang gab es in der ersten „Islamischen Republik“ auf afrikanischem Boden überhaupt keine Kinos mehr. Erst 2004 durfte das „Star“ seinen Betrieb aufnehmen. Abends, vor allem an Feiertagen, sei der Saal mit seinen rund 200 Sitzplätzen für gewöhnlich ausgebucht, berichtet Filmvorführer Abd al-Karim. Es kämen Freundesgruppen, Pärchen oder ganze Familien. Nicht nur Sexuelles fällt unter die Kino-Zensur. Genauso wenig akzeptieren die Film-Prüfer des Geheimdienstes NISS politische Aussagen, die nicht den herrschenden Auffassungen, das heißt den Auffassungen der Herrschenden entsprechen. Werde in einem Streifen ein Protagonist gefeiert, der gegen eine unterdrückerische Staatsmacht ankämpft, würden die Kontrolleure abwinken, erzählt Abd al-Karim. Und nennt als Beispiel den ägyptischen Film „Hassan und Morcos“, der religiöse Eiferer bloß stellt und muslimisch-christliche Versöhnung preist. Liberales Gedankengut verschafft sich im politisch aufgewühlten Sudan zunehmend Gehör. Tag für Tag versammeln sich auf der Straße vor dem Hauptquartier der Streitkräfte in Khartum Hunderttausende Demonstranten. Sie haben bereits die Absetzung al-Baschirs erzwungen und fordern die Rückkehr zur Demokratie, ein Ende der Islamistenherrschaft und die Säkularisierung des Landes. Frauen legen ihre Schleier ab und ziehen Hosen an. Dafür wären sie noch vor wenigen Jahren mit Geldbußen oder gar Stockschlägen bestraft worden. Noch immer aber ist der seit Wochen anhaltende Machtkampf zwischen den Aufständischen und den Militärs nicht entschieden. Die Generäle wollen weder auf die Macht noch auf das islamische Recht, die Scharia, verzichten…“

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=148905
nach oben