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Sudan

Auch am dritten Tag des Generalstreiks im Sudan gelingt es den (europäisch finanzierten) Milizen nicht, mit Terror die Proteste zu beenden

Szene aus Khartum vom 10.6.2019 - dem Morgen des zweiten Tages des Generalstreiks gegen den Militärrat im Sudan„… Anders als in Libyen oder Syrien, gibt es im Sudan derzeit keine Anzeichen, dass der Konflikt in einen Bürgerkrieg münden könnte. Die Gewalt geht vom Militär und paramilitärischen Milizen aus, die Opposition will mit friedlichen Protesten antworten. Sie fordert eine Übergangsregierung aus Technokraten und freie Wahlen in drei Jahren. So lange brauche man, um nach Jahrzehnten der Diktatur eigene Parteien aufzubauen und eine freie Presselandschaft. Und Politiker, die bisher nicht Teil des Regimes waren. (…) In einem wirklich freien Sudan würde den Generälen und ihrer Clique Strafverfolgung drohen – wegen Korruption, wegen des Völkermords in Darfur und anderer Verbrechen. „Sie gehören alle vor Gericht gestellt“, sagt ein Aktivist. Viel Hilfe von außen dürfen die Demonstranten dabei nicht erwarten. (…) An der Grenze des Sudan nach Libyen patrouilliert seit Jahren vor allem die paramilitärische Miliz „Rapid Support Forces“ (RSF), die einerseits selbst Flüchtlinge schmuggelt, andererseits im Auftrag der Regierung auch Grenzübertritte verhindern soll. Letztlich macht sie im Einzelfall wohl einfach das, was mehr Gewinn verspricht. „Die EU verliert im Kampf gegen Migration Millionen, deshalb muss sie uns unterstützen“, prahlte der RSF-Milizenführer Mohamed Hamdan Dagalo, genannt „Hemeti“, im Jahr 2017. Mittlerweile ist er der tonangebende Mann des Regimes, der am Montag seine „Rapid Support Forces“ mindestens 130 Demonstranten ermorden ließ. Die Frage nach der Mitverantwortung wurde in Europas Hauptstädten bisher nicht gestellt…“ – aus dem Artikel „Trägt die EU eine Mitverantwortung an der Lage im Sudan?„ von Bernd Dörries am 11. Juni 2019 in der Süddeutschen Zeitung online externer Link – woraus deutlich wird, dass eine vielleicht nicht in europäischen Hauptstädten, aber an sehr vielen Orten dieser Welt (nicht nur im Sudan) gestellte Frage sich immer mehr aufdrängt… Zum Verlauf des Generalstreiks und der Repressionsversuche gegen die  Massenbewegung im Sudan eine kleine aktuelle Materialsammlung:

a) Zum Streikverlauf an den ersten drei Tagen

„Strike Against Military Shuts Down Businesses Throughout #Sudan“ am 11. Juni 2019 bei Enough is Enough externer Link ist ein kurzer Überblick über den Streik der Zivilgesellschaft in den ersten beiden Tagen, aus dem deutlich wird, dass die Befolgung der Losung vom „totalen zivilen Ungehorsam“ ausgesprochen massiv war.

„Deuxième jour du mouvement de désobéissance civile au Soudan“ am 10. Juni 2019 bei Assawra externer Link ist ebenfalls ein Bericht – vom Abend des zweiten Streiktages, worin auch konkrete Ereignisse während des Streiks in verschiedenen Einrichtungen berichtet werden.

„Sudan’s rivals to resume talks on Sovereign Council soon: Ethiopian mediator“ am 11. Juni 2019 bei der Sudan Tribune externer Link meldet, dass der äthiopische Unterhändler mitgeteilt habe, dass beide Seiten kurzfristig neue Verhandlungen aufnehmen würden. In dem Artikel wird das bewertet als Ergebnis des massiven Streiks auch am dritten Tag.

„Sudan-wide civil disobedience: Major shut-down of Govt offices, commerce, industry“ am 11. Juni 2019 bei Radio Dabanga externer Link ist ein knapper Überblick über die Streikbewegung in verschiedenen Provinzhauptstädten, worin etwa berichtet wird, dass in El Obeid (Mord Kordofan) die Beteiligung leicht gesunken sei – auf etwa 80%…

b) Zu den Untaten der Milizen – und wer sie bezahlt

„Die Türsteher der EU“ am 12. Juni 2019 bei German Foreign Policy externer Link zur Milizenfinanzierung unter anderem: „… Dabei dauerte die recht enge Zusammenarbeit mit der Regierung Al Bashir bis mindestens Ende 2018 an. Sudanesische Medien berichteten im November nach einem Treffen des sudanesischen Außenministers El-Dirdeiry Mohamed Ahmed mit seinem Amtskollegen Heiko Maas, der Berliner Minister habe „dem Wunsch seines Landes Ausdruck verliehen“, nicht nur die bilateralen Beziehungen zum Sudan zu stärken, sondern Khartum auch „in verschiedenen internationalen Foren“ zu unterstützen – insbesondere in der EU. Eine sudanesische Regimegegnerin bekräftigte im Dezember, als die Massenproteste im Sudan begannen, zwar werde Khartum inzwischen durch einige westliche Staaten gefördert; „der größte Unterstützer Sudans in den EU-Ländern“ sei allerdings, „sowohl was die technische Zusammenarbeit angeht als auch finanziell“, Berlin. Dabei hat die Bundesregierung nie Einwände dagegen vorgebracht, dass Khartum die praktische Durchführung der Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr in erheblichem Maße den RSF übertragen hat – etwa Aufgaben in der Grenzabschottung, die sich der Sudan teils von der EU finanzieren lässt, obwohl nicht nur die überaus blutige Vergangenheit der RSF in Darfur bekannt ist, wo sie – damals als Janjawid bekannt – einen massenmörderischen Krieg gegen Aufständische führten, sondern auch ihre brutalen aktuellen Praktiken: Dass sie Flüchtlinge misshandelt und gefoltert haben, ist belegt…

„General ohne Gnade“ von Bernd Dörries am 07. Juni 2019 in der SZ online externer Link porträtiert den Hauptverantwortlichen für die Morde so: „… Formal gesehen ist der wahrscheinlich 44-Jährige nur stellvertretender Chef des Militärischen Übergangsrates, der das Land seit dem Sturz von Langzeitdiktator Omar al-Baschir regiert. Letztlich scheint aber er die Entscheidungen über die Zukunft von 40 Millionen Sudanesen zu treffen. Hemeti war lange ein enger Vertrauter des Diktators al-Baschir, der nannte ihn angeblich „Hemayti“ – woraus sich später der Spitzname ableitete und was im Arabischen wörtlich „mein Schutz“ bedeutet. Mit seinen etwa 50 000 Kämpfern der paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) war er so etwas wie die Leibgarde des alternden Diktators. Solange der Preis stimmte zumindest…“

„Während der Fokus der Welt auf Khartum liegt“ am 10. Juni 2019 im Twitter-Kanal ESVM externer Link ist eine Meldung über den aktuellen Terror der RSF-Miliz in Darfur, wo sie ebenfalls – wie schon seit langem – Menschen ermorden, ohne dass dies international Beachtung fände…

„Sudans Militärrat lässt Soldaten festnehmen“ am 11. Juni 2019 bei tagesschau.de externer Link meldet zum neuerlichen Bauernopfer der Täter: „… Eine Woche nach dem gewaltsamen Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten im Sudan sind mehrere Soldaten in Militärgewahrsam genommen worden. Der herrschende Militärrat teilte laut staatlicher Nachrichtenagentur Suna mit, dass ein Ermittlungsausschuss vorläufige Beweise gegen einige Einheiten der aktiven Streitkräfte geliefert habe. Alle Schuldigen würden ohne Verzögerung zur Rechenschaft gezogen. Die Zahl der Festgenommenen und die Vorwürfe gegen sie wurden aber nicht mitgeteilt. Am 3. Juni hatte das Militär eine seit Wochen andauernde Sitzblockade in der Hauptstadt Khartum mit Gewalt aufgelöst. Diese hatte maßgeblich zum Sturz des Langzeitmachthabers Omar al-Baschir beigetragen. Nach Angaben eines Ärzteverbandes wurden bei der Räumung mehr als 100 Menschen getötet und rund 500 verletzt. Die Opposition im Sudan setzte ihren Generalstreik am Montag fort. In der Hauptstadt Khartum blieben Geschäfte den zweiten Tag in Folge geschlossen, allerdings weniger als am Tag zuvor. Auch auf den Straßen gab es wieder mehr Verkehr…

„Sudan opposition members ‚deported‘ on 2nd day of general strike“ am 10. Juni 2019 bei Al Jazeera externer Link meldet die Verhaftung von Mitgliedern des Sudan People’s Liberation Movement-North – und ihre Verschleppung nach Juba. Was die Hauptstadt eines anderen Landes ist – Südsudan…

„Blutbad in Khartoum“ von Matu, Shanakdakhete und Lojain am 07. Juni 2019 im re:volt Magazin externer Link (übersetzt von Johanna Bröse) ist ein Bericht über beispielsweise Videos von dem blutigen Überfall der Milizen auf das Protestcamp wenige Tage vorher, worin es unter anderem heißt: „… Die Sudanese Aviation Professionals Alliance (SAPA; Luftfahrts-Berufsgenossenschaft, Anm. Red.) riefen am Montag, den 3. Juni, ihre Mitglieder zum Streik und zu zivilem Ungehorsam auf. In Folge wurde fast der gesamte Luftraum über dem Sudan eingefroren, die Woche über kaum Flüge innerhalb und außerhalb des Landes statt. Meldungen berichten allerdings davon, dass Flughafenpersonal und Piloten unter Waffengewalt dazu gezwungen werden, weiter zu arbeiten. Es wird auch davon berichtet, dass ein hoher Beamter der sudanesischen Luftfahrtbehörde von Hemedtis Männern (Mohamed Hamdan Dagalo, auch als Hemedti bekannt, Teil des militärischen Übergangs-Rates (TMC); Kommandeur der Rapid Speed Forces (RSF) und frühere rechte Hand von Ex-Präsident Omar Al-Bashir, unter anderem im Bürgerkrieg in der Region Darfur, Anm. Red.) hingerichtet worden sei, als er sich weigerte, den zivilen Ungehorsam zu brechen. Die Hinrichtung fand angeblich in seinem Haus vor den Augen seiner Frau und seinen Kindern statt. Bislang dringen aber nur sehr wenige Nachrichten über die konkrete Lage in Sudan durch; großen Nachrichtenkanälen wurde in den letzten Tagen angeordnet, nicht weiter zu berichten. Allen ausländischen Bewohner*innen des Landes wurde die Evakuierung geraten, die Internetkommunikation wurde unterbrochen und teilweise sogar gestoppt. Wir wissen nicht, wie lange wir noch Zugang erhalten. Wir möchten auch deshalb dringend erzählen, was in den letzten drei Tagen passiert ist und immer noch passiert…“

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=150128
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