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Putins Renten-Gegenreform: Massenproteste überall in Russland

Unter der Lupe: RentenarmutEin paar Tage haben die Gegner von Wladimir Putins Rentenreform gebraucht, um sich zu sammeln. Nun kündigte die „Konföderation der Arbeit“, ein Zusammenschluss unabhängiger Gewerkschaften mit insgesamt fast zwei Millionen Mitgliedern, eine „aktive Kampagne“ gegen die Gesetzesänderung an. Völlig überraschend hatte die Regierung am Tag der Eröffnung der WM einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, womit das Renteneintrittsalter für Frauen bis zum Jahr 2034 schrittweise von heute 55 auf 63 Jahre und für Männer von derzeit 60 auf 65 angehoben werden soll. In der Vergangenheit lösten soziale Kürzungen stets die größten Proteste aus. So etwa die Monetarisierung von Sozialleistungen, die für Demonstrationen im ganzen Land sorgten. Deshalb hatte nicht nur die oppositionelle Presse den Eindruck, die Regierung wolle die WM nutzen, um von unpopulären Reformen abzulenken.  Am gleichen Tag wurde auch noch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 18 auf 20 Prozent angekündigt. Zumindest die Rentenreform wird zwar von Ökonomen als weitgehend unumgänglich betrachtet. Eine breite Diskussion darüber hat es in Russland jedoch nicht gegeben“ – aus dem Beitrag „Zum Anpfiff eine Rentenreform“ von Maxim Kireev am 18. Juni 2018 bei Spiegel Online externer Link, worin natürlich alles unternommen wird, um etwaige Vergleiche zur BRD fern zu halten, aber auf die Protestkampagne der unabhängigen Gewerkschaften hingewiesen. Siehe dazu auch zwei Beiträge zu den Protesten gegen den neuen Rentenplan:

  • „Streit um Russlands Renten“ von Klaus Joachim Herrmann am 19. Juni 2018 in neues deutschland externer Link, worin es zu den Protesten heißt: „Für eine Stellungnahme des Präsidenten sei es noch zu früh, suchte Kremlsprecher Dmitri Peskow seinen Chef zu Wochenbeginn noch schnell aus der Schusslinie zu holen. Die Rentenreform sei Sache der Regierung. Doch solches Abwiegeln dürfte angesichts der verbreiteten Ablehnung einer Erhöhung des Renteneintrittsalters bei Frauen von 55 auf 63 und bei Männern von 60 auf 65 Jahre wenig helfen. Wenn auch der Schwarze Peter bei der Regierung seines langjährigen Vertrauten Dmitri Medwedjew liegt, steht Wladimir Putin doch im Wort. Er wurde von Journalisten an seine Versicherung aus dem Jahre 2005 erinnert, dass es keine Anhebung des Rentenalters im Lande geben werde, solange er Präsident sei. Das ist er aber nach 13 Jahren immer noch, und aus solchem Segen droht jetzt kräftiger Fluch zu werden. Aus dem Süden Sibiriens drangen am Sonntag die ersten Nachrichten über Proteste gegen die Rentenreform in die Hauptstadt. Zwar gingen nur 300 Menschen in der mit 1,5 Millionen Einwohnern drittgrößten Stadt des Landes auf die Straße, doch dürfte in Nowosibirsk nur der Anfang gemacht worden sein. Meinungsumfragen hätten ergeben, dass sich 92 Prozent der Bürger Russlands gegen das Vorhaben der Regierung aussprechen, schrieb die »Obschaja Gaseta«“.
  • „Rentner als Ressource“ von Reinhard Lauterbach am 21. Juni 2018 in der jungen welt externer Link erinnert uter anderem daran: „Die Zuschüsse zur Rentenkasse verzehren derzeit etwa ein Drittel des russischen Staatshaushalts. Wenn also Putins ehrgeiziges Programm zur Modernisierung der Volkswirtschaft greifen soll, dann müssen die Ressourcen dafür irgendwo hergeholt werden. Gleichzeitig ist das neue Gesetz aber auch eine Antwort auf die Krise des sehr neoliberal zugeschnittenen Rentensystems, das Putin 2002 in seiner ersten Amtszeit eingeführt hatte. Eine Antwort, die das Problem lösen soll, indem dem System zusätzliche Einkünfte verschafft werden. Denn die Kombination aus einer aus dem Staatshaushalt finanzierten Grundrente, einer aus den geleisteten Beitragsjahren berechneten zweiten Komponente und einem Element »privater Vorsorge« war mit der Wirtschaftskrise 2008 in die Krise geraten. Bei sinkenden Einkünften hatten die Russen die private Altersvorsorge für nachrangig erklärt, daran haben auch staatliche Zuschüsse nichts geändert. Außerdem werden nach wie vor erhebliche Teile des Einkommens von Lohnabhängigen »im Briefumschlag« gezahlt und entgehen so der Beitragspflicht. Einige Jahre lang hatte der in den guten Jahren der hohen Ölpreise gefüllte »Fonds für nationale Wohlfahrt« erlaubt, das System über Wasser zu halten. Aber jetzt ist dieser Topf leer, und ein Durchstarten der russischen Wirtschaft ist kurzfristig nicht zu erwarten. Dass Putin seinen Segen für die vom liberalen Wirtschaftsflügel der Regierung seit Jahren geforderte Verlängerung der Lebensarbeitszeit lange verweigert hat, liegt an der politischen Brisanz dieses Schritts. 2005 hatten die Liberalen schon einmal versucht, Sachleistungen für Rentner – etwa Freifahrten im Nahverkehr – zu »monetarisieren«, also durch einmalige Geldzahlungen zu ersetzen, die alsdann der Inflation zum Opfer fallen sollten. Das löste damals Protestdemonstrationen im ganzen Land aus, und Putin nahm die Maßnahme zurück“.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=133864
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