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Russisches Arbeitsrecht arbeitnehmerfreundlicher!

Artikel von Dr. Rolf Geffken Mai 2014

Hierzulande weitgehend unbekannt ist, dass das Arbeitsrecht der Russischen Föderation weit arbeitnehmerfreundlicher als das deutsche Arbeitsrecht ist. Ausländische Investoren und westliche Beratungsfirmen haben dies wiederholt kritisiert und dem russischen Gesetzgeber „Formalismus nach dem Vorbild der Sowjetzeit“ vorgeworfen. Angesichts des extrem polemischen und unfairen Russlandbildes, das zur Zeit gerade in deutschen Medien verbreitet wird, erscheint es notwendig, hier einmal die andersartigen Grundzüge des russischen Arbeits- und Sozialrechts im Vergleich zu Deutschland zu skizzieren. Dass zwischen den Normen von Gesetzen und der sozialen und wirtschaftlichen Realität oftmals grosse Unterschiede bestehen, ist bekannt. Das gilt für Russland, ebenso aber auch für alle anderen Länder. In besonderer Weise seit einigen Jahren auch und gerade für Deutschland: Der Vormarsch prekärer Beschäftigungsverhältnisse aller Art hat die Effizienz des Arbeitsrechts als Schutzrecht der Arbeitnehmer massiv eingeschränkt. Insbesondere die weite Verbreitung sog. Scheinwerkverträge auch in der industriellen Produktion ist direkt gegen das Arbeitsrecht und die in langen Jahren entstandenen Mindeststandards gerichtet (vgl. dazu Geffken, Vom Kampf gegen Werkverträge, in: Kritische Justiz, Nr 2/2014).

  1. Zivilrechtliche Verträge werden von den russischen Gerichten beim Vorliegen der Kriterien eines Arbeitsverhältnisses oft in Arbeitsverträge umgedeutet. Ein Vorgang, der in Deutschland etwa bei Scheinwerkverträgen oder sog. Scheinselbstständigen nur mit grösstem Aufwand der Betroffenen möglich ist und sehr selten vorkommt.
  2. Im russischen Arbeitsrecht gilt das Günstigkeitsprinzip generell. Regelungen, die im Vergleich zum geltenden Recht für Arbeitnehmer günstiger sind, gelten unmittelbar. In Deutschland gilt das Günstigkeitsprinzip nur für tarifgebundene Arbeitnehmer in Bezug auf einen geltenden Tarifvertrag.
  3. Unternehmer können -ähnlich wie in China – im Falle von Verstössen gegen das Arbeitsrecht staatlicherseites mit Bussgeldern belangt werden. In Deutschland müssen die Standards des Arbeitsrechts im wesentlichen von den Betroffenen selbst eingeklagt werden. Der Staat kontrolliert das Arbeitsrecht nur in Ausnahmefällen.
  4. Spätestens 3 Tagen nach Arbeitsaufnahme hat der Arbeitgeber einen schriftlichen Arbeitsvertrag abzuschliessen. In Deutschland muss der Arbeitnehmer selbst seine Rechte nach dem sog. Nachweisgesetz wahrnehmen. Tut er das nicht, bleibt es bei einem nur mündlich abgeschlossenen Arbeitsvertrag.
  5. Arbeitsverträge können nur in gesetzlich bestimmten Fällen befristet werden. Grundsätzlich kann ein Arbeitsvertrag nur dann befristet abgeschlossen werden, wenn an seiner Stelle ein unbefristetes Arbeitsverhältnis nicht abgeschlossen werden kann. In Deutschland wurde durch das Teilzeit- und Befristungsgesetz die Befristung von Arbeitsverhältnissen weitgehend liberalisiert.
  6. Auch befristete Arbeitverhältnisse müssen (kurzfristig) gekündigt werden, anderenfalls entsteht ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. In Deutschland läuft das Arbeitsverhältnis einfach aus. Klagen dagegen sind nicht möglich.
  7. Ohne Einverständnis des Arbeitnehmers können praktisch keine Versetzungen vorgenommen werden. In Deutschland sind Versetzungen weitgehend auch gegen den Willen der Betroffenen zulässig, es sei denn es handelt sich um Änderungskündigungen, gegen die dann der Arbeitnehmer (mit entsprechendem Risiko) klagen muss.
  8. Überstunden dürfen ohne Zustimmung des Arbeitnehmers nur in besonderen Ausnahmefällen angeordnet werden. In Deutschland können Überstunden erheblich leichter angeordnet werden und bedürfen allenfalls der Zustimmung des Betriebsrates (die aber oft pauschal erteilt wird). Selbst in den o.g. Ausnahmefällen muss in Russland auch die Zustimmung des gewählten gewerkschaftlichen Kollegialorgans (vergleichbar mit dem Betriebsrat) erfolgen.
  9. Überstunden sind mit dem 1,5 fachen Stundenlohn zu vergüten. In Deutschland hängt dies von tarifvertraglichen Regelungen ab. Die Vergütung erfolgt meist entweder ohne jeden Zuschlag (im Wege eines blossen Zeitkontos) oder aber wesentlich geringer.
  10. Erkrankte Arbeitnehmer dürfen nicht entlassen werden. In Deutschland schützt die Krankheit in keiner Weise vor einer Kündigung. Es kann sogar w e g e n einer Erkrankung aus betriebsbedingten oder personenbedingten Gründen gekündigt werden.
  11. Bei Beschreitung des Rechtsweges tragen die Arbeitnehmer keinerlei Verfahrenskosten. In Deutschland gibt es allenfalls dann eine Befreiung, wenn in vollem Umfang Prozesskostenhilfe gewährt wird und eine Rückforderung der Kosten durch die Staatskasse ausgeschlossen ist.
  12. Die Frist für die Anrufung der sog. Arbeitsrechtskommissionen beträgt 3 Monate. In Deutschland beträgt die Frist im Falle einer Kündigung nur 3 Wochen(!), in anderen Fällen gelten meist tarifvertragliche Ausschlussfristen, die bisweilen nur bei einem Monat liegen und dann sogar stufenweise geltend gemacht werden müssen (zunächst schriftlich oder mündlich dann im Wege einer Klage).
  13. Ein Gesetz zum Verbot der Leiharbeit steht kurz vor der Unterzeichnung. Damit geht das russische Arbeitsrecht  w e i t  über den Stand der europäischen Richtlinie zur Leiharbeit und noch weiter über das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) hinaus. Dasselbe gilt übrigens für das chinesische Arbeitsrecht, das zwar die Leiharbeit nicht grundsätzlich verbietet, aber weitgehende Restriktionen vorsieht (vgl. Geffken/Cui, Das Chinesische Arbeitsvertragsgesetz, dreisprachig, Cadenberge, 4. Auflage 2014).
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=57853
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