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„Anderes Europa? – Nur ohne EU“

Demonstration Lissabon am 22. Juli 2015 gegen das EU DiktatDas ist der Standpunkt, den Pedro Guerreiro vom Zentralkomitee der KP Portugals in dem Gespräch „Ein anderes Europa ist nur durch den Bruch mit der EU möglich“ mit Raoul Rigault vertritt (in kürzerer Fassung ursprünglich am 27. Juli 2015 in der jungen welt – mit Dank an den Autor) worin es zur Frage des „sozialen Europa“ unter anderem heißt „Eine solche Europäische Union hat niemals existiert. Das sind Wortspielereien, um den Klassencharakter der EU zu verbergen, ihr Wesen, ihre Ziele und die Politik der intensiven Ausbeutung, des Abbaus von sozialen bzw. Arbeitsrechten und ihre Respektlosigkeit und Verachtung von Demokratie und nationaler Souveränität. Die angeblichen „Gemeinschaftsfonds“ werden im wesentlichen dazu benutzt, um die großen Industrie- und Finanzkonzerne zu unterstützen und als ein falscher „Ausgleich“ für die Zerstörung, Beherrschung und Abhängigkeit der Ökonomien der so genannten „Peripherieländer“. Das soll über die katastrophalen sozialen Folgen dieser Politik hinwegtäuschen, wie die Wirklichkeit in Portugal beweist

„Ein anderes Europa ist nur durch den Bruch mit der EU möglich“

Pedro Guerreiro ist Mitglied des Sekretariats des Zentralkomitees der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP) und Verantwortlicher für Internationales

Von Raoul Rigault

Hat Sie die massive Ablehnung der von der EU geforderten neuen Sparmaßnahmen beim griechischen Referendum überrascht?

Für uns ist der deutliche Sieg des Nein bei der Volksabstimmung vom 5.Juli eine beeindruckende Bestätigung des Willens zum politischen Wandel, der zuvor bereits bei den Parlamentswahlen am 25.Januar zum Ausdruck gekommen war. Ein wichtiges und bedeutendes Ergebnis, besonders weil es unter brutalem Druck, Destabilisierung und Einschüchterung zustande kam, mit dem EU und IWF versucht haben, die freie Willensäußerung des griechischen Volkes in ihrem Sinne zu manipulieren. Ein Versuch, den die portugiesische Regierung unterwürfig unterstützt hat.

Das Resultat des Referendums stellt eine klare Ablehnung der Zumutungen und Diktate von EU und IWF dar und ist zugleich ein Beweis für die Souveränität, das politische Bewusstsein und die Entschlossenheit der davon Betroffenen. Das hat die deutsche und die französische Regierung überrascht und ist eine schwere Niederlage für alle, die diese Abstimmung nutzen wollten, um eine Politik der Ausbeutung, Verarmung und Beseitigung der nationalen Souveränität des griechischen Volkes zu „legitimieren“.

Was halten Sie von der Reaktion der Troika und der Merkel-Regierung auf das Ergebnis?

Das ist eine Respektlosigkeit gegenüber dem Willen der griechischen Bevölkerung. EU, IWF und alle, die die Interessen des Großkapitals vertreten, inklusive der CDU / SPD-Regierung in Berlin, setzen damit ihre Manöver zur Destabilisierung und Erdrosselung Griechenlands fort. Sie profitieren von der Inkonsequenz, den Widersprüchen, Zugeständnissen und dem Zurückweichen der Regierung in Athen und verschärfen die Politik, die zum wirtschaftlichen und sozialen Desaster geführt hat, sogar noch. Da geht es um die Plünderung ihrer Ressourcen und die Durchsetzung von neokolonialen Verhältnissen mit Hilfe des unerträglichen „Memorandums“, das heißt der Zwangsjacke, die der Euro, der Fiskalpakt und die so genannte „Wirtschaftsregierung“ der EU darstellen.

Das Geschehen rund um Griechenland und die Entwicklung der EU, die immer neoliberaler, militaristischer und föderalistischer wird, zeigt, dass der einzig richtige Weg für die Arbeiter und die breite Masse der Bevölkerung der des Widerstandes und des Kampfes um die Verteidigung ihrer Rechte und ihrer nationalen Souveränität ist und nicht der des Verzichts und der Unterwerfung unter inakzeptable Auflagen, Diktate und supranationale Entmündigung.

Was bleibt von dem „Zusammenhalt“, der „Solidarität“ und der „sozialen Gerechtigkeit“, die von EU-Vertretern in offiziellen Reden so gern beschworen werden?

Eine solche Europäische Union hat niemals existiert. Das sind Wortspielereien, um den Klassencharakter der EU zu verbergen, ihr Wesen, ihre Ziele und die Politik der intensiven Ausbeutung, des Abbaus von sozialen bzw. Arbeitsrechten und ihre Respektlosigkeit und Verachtung von Demokratie und nationaler Souveränität.

Die angeblichen „Gemeinschaftsfonds“ werden im wesentlichen dazu benutzt, um die großen Industrie- und Finanzkonzerne zu unterstützen und als ein falscher „Ausgleich“ für die Zerstörung, Beherrschung und Abhängigkeit der Ökonomien der so genannten „Peripherieländer“. Das soll über die katastrophalen sozialen Folgen dieser Politik hinwegtäuschen, wie die Wirklichkeit in Portugal beweist.

In letzter Zeit gab es immer wieder Anzeichen für Meinungsverschiedenheiten und unterschiedliche Positionen zwischen EU und IWF. Existieren ernsthafte Widersprüche innerhalb der neoliberalen Front?

Ja. Wir sind der Ansicht, dass sich im Rahmen der strukturellen Krise des Kapitalismus, von der die Krise in der EU ein Ausdruck ist, die Widersprüche zwischen den imperialistischen Großmächten, insbesondere zwischen USA und EU, aber auch zwischen den wichtigsten EU-Mächten vertiefen. Unter kapitalistischen Mächten existiert immer eine Zweigleisigkeit von Rivalität und Übereinstimmung. Die sich verschärfenden Widersprüche stellen deshalb ihre Klassenkoordination gegen die Arbeiter und die breite Masse, zum Beispiel bei der Durchsetzung ihrer Diktate gegenüber Mitgliedsländern der EU und insbesondere der Eurogruppe, nicht in Frage.

Das deutsche Großkapital versucht die Krise zu managen, um seine ökonomische und politische Herrschaft innerhalb des Euro und der Europäischen Union abzusichern. Die Berliner Agenda sorgt dabei unter einigen Partnern, namentlich dem französischen Großkapital, für Misstrauen. Dennoch sind die Große Koalition in Deutschland und die sozialdemokratische Regierung in Frankreich Brüder, wenn es um Sozialabbau oder die Unterwerfung anderer Länder geht.

Ist ein „anderes Europa“, ein „soziales Europa der Arbeitnehmer“ etc., wie es Gewerkschaften einige Linksparteien und die Antiglobalisierungsbewegung fordern, innerhalb der EU möglich oder brauchen wir einen Bruch?

Die jüngsten Ereignisse zeigen, dass die Mechanismen und Orientierungen der EU und der Währungsunion Instrumente der Großmächte und des Großkapitals sind, um ihre politische und ökonomische Herrschaft zu sichern und, wenn nötig, Einmischungsaktionen gegen Staaten zu starten, die eine alternative Politik im Sinne der Rechte, Interessen und Wünsche ihrer Leute machen wollen. Die Bedingungen und Zwänge der EU und des Euro sind Hindernisse für ein souveränes Entwicklungsprojekt.

Deshalb stellte und stellt jeder neue Schritt im europäischen kapitalistischen Integrationsprozeß eine Stärkung der Großmächte und der multinationalen Konzerne, eine Verdoppelung der Angriffe auf soziale und Arbeitsrechte und zunehmende Beschränkungen von Demokratie und nationaler Souveränität dar.

Wir als portugiesische Kommunisten verwechseln Europa nicht mit der EU. Unseres Erachtens wird ein anderes Europa der Kooperation zwischen gleichberechtigten und souveränen Staaten, ein Europa des Friedens und des sozialen Fortschritts nur durch einen Bruch mit der Europäischen Union des Großkapitals und des Direktorats von Großmächten möglich sein.

Was heißt das auf Portugal bezogen?

In Portugal ist die PCP der Ansicht, dass eine Alternative, die den Bedürfnissen der Menschen und den Problemen des Landes entspricht, nur durch eine rasche Neuaushandlung der portugiesischen Staatsverschuldung möglich ist, das heißt der Fristen, der Gesamtsumme und der Tilgungsraten, und durch die Befreiung des Landes von der Unterwerfung unter den Euro sowie die Bekräftigung der geld-, haushalts- und wirtschaftspolitischen Souveränität. Nur so kann die Nutzung der Auslandsverschuldung als Instrument für Einmischungen, Zumutungen und Diebstahl beendet werden. Es geht um Orientierungen und Maßnahmen, die notwendigerweise eine Förderung des wirtschaftlichen Wachstums, die Berücksichtigung sozialer Rechte und eine souveräne Entwicklung beinhalten. Das ist eine linke und patriotische Politik, die mit dem Weg des Niedergangs und der nationalen Selbstaufgabe von PS, PSD und CDS bricht. Dafür werden wir zusammen mit dem portugiesischen Volk kämpfen.

Kann man die Zustimmung von Alexis Tsipras der Syriza / ANEL-Regierung zu vielen von EU, EZB und IWF geforderten „Strukturreformen“ als eine Kapitulation betrachten? Und wenn ja, welche Auswirkungen wird das haben? Eine Wiederbelebung der Massenbewegung oder eher Frustration und eine Stärkung der Faschisten und der Rechtspopulisten?

Die Kommunisten, Arbeiter und das gesamte griechische Volk müssen die Politik der Regierung in Athen konkret beurteilen und die sich daraus ergebenden Entwicklungen bewerten. Aber unserer Meinung nach besteht ein deutlicher Widerspruch zwischen dem Willen zum Wandel, wie ihn die Griechen wiederholt manifestiert haben, und dem was die Regierung Tsipras beim EU-Gipfel am 12.Juli 2015 akzeptiert hat.

Die PCP ist solidarisch mit den griechischen Arbeitern und dem Volk und vertraut darauf, dass sie Lösungen finden werden, um den ernsten Gefahren, vor denen sie stehen, zu begegnen und den Widerstand und den Kampf um ihre Rechte, ihre nationale Souveränität und die Verwirklichung ihrer Ziele zu verstärken und zu verbreitern, um so ihre soziale und nationale Souveränität zu erringen.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=84419
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