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Gewerkschafter sein auf den Philippinen ist gefährlich: Vor zwei Jahren wurde Antonio Petalcorin ermordet

Antonio Petalcorin - ermordet am 2. Juli 2013Am Morgen des 2. Juli 2013 wurde der philippinische Gewerkschaftsführer Antonio Petalcorin von einem unbekannten Täter erschossen. Er war auf dem Weg zu seiner Arbeit, als ihn drei Schüsse vor seiner Haustür trafen. Jede Hilfe kam zu spät, er verblutete noch am Tatort. Er starb mit 56 Jahren und hinterließ Frau und Kinder. Es war bereits der dritte Anschlag auf Gewerkschaftsaktivisten, die in Davao im Süden der Philippinen auf der Insel Mindanao für Aufruhr sorgten. Im Januar 2013 wurde Emilio Rivera Opfer eines Anschlags. Im April konnte Toto Cirilo knapp zwei Anschlägen entrinnen; bis heute lebt er aus Angst versteckt unter Polizeischutz. Alle drei Männer waren engagierte Gewerkschaftsaktivisten in Davao City und kämpften gegen Korruption und faire Arbeitsbedingungen im Transportsektor“ – so beginnt der Beitrag „2. Juli 2015 – Zum zweiten Todestag des ermordeten Gewerkschaftsführers Antonio „Dodong“ Petalcorin“ von Regina Sonk (IPON e.V. – International Peace Observers Network) vom 02. Juli 2015 über den Kampf gegen die Straflosigkeit in Zusammenarbeit mit der Gewerkschaftsföderation SENTRO:

2.Juli 2015 – Zum zweiten Todestag des ermordeten Gewerkschaftsführers Antonio „Dodong“ Petalcorin

Am Morgen des 2. Juli 2013 wurde der philippinische Gewerkschaftsführer Antonio Petalcorin von einem unbekannten Täter erschossen. Er war auf dem Weg zu seiner Arbeit, als ihn drei Schüsse vor seiner Haustür trafen. Jede Hilfe kam zu spät, er verblutete noch am Tatort. Er starb mit 56 Jahren und hinterließ Frau und Kinder.

Es war bereits der dritte Anschlag auf Gewerkschaftsaktivisten, die in Davao im Süden der Philippinen auf der Insel Mindanao für Aufruhr sorgten. Im Januar 2013 wurde Emilio Rivera Opfer eines Anschlags. Im April konnte Toto Cirilo knapp zwei Anschlägen entrinnen; bis heute lebt er aus Angst versteckt unter Polizeischutz. Alle drei Männer waren engagierte Gewerkschaftsaktivisten in Davao City und kämpften gegen Korruption und faire Arbeitsbedingungen im Transportsektor.

Antontio Petalcorin war Präsident des Network of Transport Organization (NETO), eine Unterorganisation der Nationalen Transport Gewerkschaft National Confederation of Transport-workers Union (NCTU), außerdem Teil der Alliance of Progressive Labour (APL), jetzt SENTRO. Die meiste Aufmerksamkeit zog er auf sich, als er 2012/13 eine Kampagne gegen das Land Transportation Franchising Regulatory Board (LTFRB) wegen Bestechung und Korruption organisierte und anführte.

The Alliance of Progressive Labor (APL) ist ein nationales Labour-Center, eine Vereinigung unterschiedlicher Gewerkschaften und Organisationen mit der Vision, eine breite Allianz für Arbeitsrechte in den Philippinen zu schaffen. Anfang diesen Jahres ist APL zu SENTRO geworden. Ein lang gefasster Plan, der nun umgesetzt wurde. SENTRO ist ein Gewerkschaftsbund, der 18 Föderationen und insgesamt 150 000 Mitglieder in einer zentralen Gewerkschaftsallianz zusammenfasst. Sie sind nationalweit organisiert, mit der Hauptgeschäftsstelle in Manila und sind eine der wichtigsten politischen Akteure bzgl. Arbeitsrechten in den Philippinen. Antonio Petalcorin war engagiertes Mitglied der APL/SENTRO. Sie und seine MitstreiterInnen sind sich der Verbindung zwischen Mord und Petalcorins Gewerkschaftsarbeit sicher und arbeiten seit seinem Tod gegen die Straflosigkeit der Täter an. Sie vermuten, dass der Mord die Fortsetzung einer Reihe von Versuchen ist, diejenigen zum Schweigen zu bringen, die die Korruption im LTFRB-Büro aufdeckten, unter der vor allem kleine öffentliche Transportunternehmen und Selbständige leiden

Petalcorin, Cirilo und Rivera engagierten sich für bessere Bedingungen im öffentlichen Transportwesen, gegen steigende Benzinpreise, befristete Verträge und schlechte Bezahlung. 2012 zogen sie die größte Aufmerksamkeit auf sich, als sie eine Bestechungs- und Korruptionsaffäre im Transportsektor aufdeckten und führende Personen der LTFRB direkt beschuldigten und ihre Verwicklungen innerhalb der Affäre offenlegten. Gegenstand der Kampagne waren illegale Bestechungsgelder, die FahrerInnen für ihre Fahrlizenzen zahlen müssen. Liegt die gesetzlich festgesetzte Gebühr bei 6000PHP (umgerechnet ca. 120€), muss letztendlich ein Zehnfaches an Bestechungsgeldern addiert werden, um eine Lizenz zu erhalten. Die Kampagne sorgte für großes mediales Aufsehen. Besonders der Direktor der LTFRB, Benjamin Go, stand im Zentrum der Kritik. Petalcorin organisierte Demonstrationen und erstatteten Anzeige gegen Go. Die Anführerrolle machte ihn schließlich zum Ziel von Bedrohungen. SENTRO vermutet, dass er gerade durch die Anzeige zum target wurde. Durch seinen Tod fällt auch die Anzeige. MitstreiterInnen Petalcorins sind zu eingeschüchtert, um erneut Anzeige zu erstatten.

Nach Angaben seiner Ehefrau gab es keinerlei Bedrohungen gegen Antonio Petalcorin oder Anzeichen eines Mordanschlags. Der Tod von Emilio Rivera war das erste Alarmsignal. Rivera war Anführer eines Transportunternehmens, der Matina Aplaya Transport Cooperative (MATRANSCO) und wurde am 25. Januar 2013 ebenfalls von unbekannten Tätern erschossen. Toto Cirilo entkam nur knapp den Anschlägen, eine Granate, die in sein Haus geworfen wurde, explodierte glücklicherweise nicht. Petalcorins Name hatte neben anderen Human Rights Defenders 2008 in einer Power Point Presentation der Armed Forces of the Philippines (AFP) unter „Know Thy Enemies“ gestanden. Die AFP benutzte diese PPP innerhalb von Informationskampagnen, die in ländlichen Communities durchgeführt wurden. SENTRO schließt daraus, dass Petalcorin schon früh unter besonderer Beobachtung seitens staatlicher Akteure stand. GewerkschaftsaktivistInnen werden in den Philippinen schnell einem kommunistischen Lager zugeordnet, KollegInnen und WegbegleiterInnen Petalcorins stehen auf ähnlichen Listen. Die Bezeichnung „Red Baiting“ hat sich hier verbreitet und bezeichnet eine kommunistische Markierung als Vorwand für besondere und intensive Beachtung, bis hin zu politisch motivierter Kriminalisierung. Betroffene HRDs müssen sich gegen Verleumdung und oft willkürlichen Anzeigen zur Wehr setzen.

Kurz nach dem Mord, begann die APL intensiv auf den Fall aufmerksam zu machen. Es wurde eine an Präsident Aquino adressierte Briefaktion und Petition gestarten. SENTRO erwirkte, dass die Comission on Human Rights Davao (CHR) im Fall aktiv wird und auch die nur zögerlich agierende Polizei ihre Ermittlungen aufnahm. Zentral bei diesem sehr wahrscheinlich politisch motivierten Mordfall ist die Suche nach der Verbindung zum Auftraggeber. Um weiterführende Ermittlungen zu beginnen, war es also wichtig die Verbindungen zu Petalcorins Gewerkschaftsarbeit zu belegen.

In den Medien war der Fall problematisch: Einige JournalistInnen, die über den Fall berichteten, wurden von ihren Vorgesetzten zurückgerufen. Aufsehen erregte ein Fernsehinterview, in dem ein inhaftierter Auftragmörder angab, mit dem Mord beauftragt worden zu sein. Er wäre von Benjamin Go angeheuert worden, jedoch kam ihm jemand zuvor, bevor er den Mord ausführen konnte. Ein davaoer Journalist schaffte es tatsächlich über diesen Kontakt auch mit dem wirklichen Täter in Verbindung zu kommen. Dieser gab an über eine sogenannte „Fixxerin“ Army Escandor, den Auftrag bekommen zu haben. SENTRO hoffte eine Anklage Escandors würde die Verbindung zu Benjamin Go herstellen. Die erfolgsversprechenden Hinweise führten jedoch zu keinem Fortschritt. Der Journalist wurde mehrfach bedroht, nach eigenen Aussagen von Benjamin Go. Er will aus Angst nun nicht weiter in den Fall involviert werden und zog das Angebot, bei der Polizei auszusagen, zurück.

Ähnliches gilt für Petalcorins Familie. Sein Sohn war gewillt, aktiv in der Aufklärung mitzuarbeiten und eine Anzeige bei der Polizei, PNP Davao City, zu erstatten. Jedoch erfuhr die Familie weitere Verluste (nicht mit Petalcorins Fall verbunden). Petalcorin war bereits das dritte Mordopfer in der Familie. Ein Jahr zuvor  wurde ein Verwandter Opfer eines Mordanschlags. Er war im Minensektor ebenfalls Gewerkschaftsaktivist und wurde nach Bedrohungen schließlich getötet. Die Familie ist nun schwer traumatisiert. Seine Frau erwähnte schon kurz nach dem Mord, sich endgültig aus der Gewerkschaftsarbeit zurückzuziehen. Sie wolle nicht die Arbeit ihres Mannes fortsetzen, sondern ein sicheres Leben für ihre Kinder.

2.Juli 2015 – Zwei Jahre danach: Ein Ausblick

Zwei Jahre nach dem Mord an Petalcorin und Rivera ist die Lage ernüchternd. Weder der eigentlichen Täter, noch Auftraggeber sind gefasst. Nach Angaben der PNP Davao hängt der Fall noch in der Schwebe, es gibt lediglich “circumstancial evidences”, die juristisch zu schwach sind, um Anklage zu erheben. Die Familie Petalcorins lebt gegenwärtig in den USA und wünscht keine weitere Verbindung zu dem Mordfall und der traumatischen Vergangenheit. Auch Petalcorins ehemalige Mitstreitenden sind schwer zu mobilisieren, da auch sie Bedrohungen ausgesetzt sind. Die Situation in Davao ist für SENTRO schwierig. Sie verfolgen nun eine neue Strategie auf nationaler Ebene. Nach Gesprächen mit Justizministerin Leila De Lima und weiteren staatlichen Akteuren versucht SENTRO, wieder Bewegung in den Fall zu bekommen. Einen herben Rückschlag erlebte die Kampagne diesen Mai: Der Vorschlag Petalcorins Fall in das AO35 Komitee, einem Komitee der Regierung zur systematischen Untersuchung von EJK, aufzunehmen, wurde unter Berufung auf einen Polizeibericht der PNP Davao abgewiesen. Laut diesem Bericht werden auf unverständlicher Weise private Verstrickungen Petalcorins als Ursache für seinen Mord angegeben. Unterlagen von CHR und SENTRO, die Petalcorin klar als EJK kategorisieren, wurden ignoriert. Die Aufnahme in dieses Komitee hätte weitere Ermittlungen auf nationaler Ebene an Petalcorins Mord bedeutet, jenseits lokaler Machtstrukturen und Einflüssen, die eine Aufklärung behindern bzw. verfälschen könnten. Benjamin Go ist weiterhin weit entfernt, sich Gesprächen oder juristischen Nachforschungen zu stellen. Vermutungen, dass seine familiäre Verbindung zum Bürgermeister von Davao, Rodrigo Duterte, ihn schützen, werden selten bezweifelt.

Es bleibt abzuwarten, ob auf nationaler Ebene genügend Druck aufgebaut werden kann, um Petalcorins Mord weiter zu untersuchen und ihm letztendlich Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Die Situation für Gewerkschaftsaktivisten in den Philippinen bleibt weiter schwierig. Zu oft sind mächtige Familien und kapitalstarke Konzerne einflussreicher als implementierte Gesetze. SENTRO wird weiter unermüdlich für Petalcorins Fall arbeiten, denn nur durch die Aufklärung eines solchen Mordes kann sich die rechtliche und politische Situation für GewerkschaftsführerInnen ändern. In einem Gespräch einige Wochen nach dem Tod ihres Mannes, sagte uns Mrs Petalcorin: An eye for an eye will not stop – it will continue killing – I tell you, it will not stop. (…) I just want to say: “Stop the killing” Because of the killing there will be no leaders any more.”


EJK – Extrajuridical killings in den Philippinen

Politische Morde, das Verschwinden und die Kriminalisierung von Human Right Defenders sind ein stetig andauerndes Problem in den Philippinen. Während der Präsidentschaft von Gloria Arroyo 2001 bis 2010 erreichte dieser Missstand einen traurigen Höhepunkt. Die Asia Foundation dokumentierte in dieser Zeit rund 390 politische Morde. Extrajuridical killings beschreiben außergesetzliche Morde, die politisch motiviert sind und staatliche Akteure involvieren. Mit der Wahl 2010 des derzeitigen Präsidenten Benigno Aquino III, Sohn der nationalen Ikonen Ninoy und Corazon Aquino, gab es Hoffnung auf Verbesserung. In seiner Amtszeit haben die Philippinen acht der weiltweit wichtigsten Menschenrechtskonventionen unterschrieben und sind seit 2011 Mitglied des ICC in Den Haag. Die Zahlen gehen langsam zurück, trotzdem kann bislang nicht von einer Lösung des Problems gesprochen werden. Strukturen, v.a. fernab von Manila, bleiben bestehen und Ermittlungen stocken und werden verschleppt, sodass viele Fälle unaufgeklärt bleiben.


Über IPON

Regina Sonk arbeitet für IPON e.V., International Peace Observers Network, an dem Fall auf den Philippinen. IPON ist eine Menschenrechtsorganisation, die durch Menschenrechts-Monitoring in den Friedensprozess auf der Grundlage aktiver Gewaltfreiheit einwirken will. Das Ziel von IPON ist die Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen und der Schutz von MenschenrechtsverteidigerInnen. Seit 2013 arbeitet IPON an der Seite von APL/SENTRO gegen die Straflosigkeit im Mordfall von Antonio Petalcorin.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=83008
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