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„Für bessere Löhne und Bildung – Der lange Streik der Lehrer*innen 2017 in Peru“

ila Titelbild 415Das ist der Titel des Beitrags von Alix Arnold in der ila (Zeitschrift der Informationsstelle Lateinamerika) Ausgabe 415 vom Mai 2018 über den großen Streik der LehrerInnen in Peru im Sommer 2017, der so eingeleitet wird: „Mehr als zwei Monate lang überzogen die Lehrer*innen die öffentlichen Schulen in Peru mit einer Streikwelle, unter schwierigen Bedingungen. Die Gewerkschaft ist gespalten und die Regierung weigerte sich, mit dem Streikkomitee zu verhandeln. Sie setzte auf Repression und eine Diffamierungskampagne, die die Streikenden des Terrorismus bezichtigte“. Der Artikel hier Web-Exklusiv beim LabourNet Germany – wir danken Redaktion und Autorin. Und verweisen ausdrücklich darauf, dass diese ila-Ausgabe 415, die den Schwerpunkt zum Kampf von LehrerInnen zwischen Mexiko und Argentinien hat, gerade für Leserinnen und Leser des LabourNet Germany von besonderem Interesse sein dürfte.

Für bessere Löhne und Bildung – Der lange Streik der Lehrer*innen 2017 in Peru

Von Alix Arnold

(aus ila Ausgabe 415 Mai 2018)

Mehr als zwei Monate lang überzogen die Lehrer*innen die öffentlichen Schulen in Peru mit einer Streikwelle, unter schwierigen Bedingungen. Die Gewerkschaft ist gespalten und die Regierung weigerte sich, mit dem Streikkomitee zu verhandeln. Sie setzte auf Repression und eine Diffamierungskampagne, die die Streikenden des Terrorismus bezichtigte.

Hintergrund des Streiks sind die üblichen neoliberalen Privatisierungen. Mehr als die Hälfte der Schüler*innen gehen heute auf Privatschulen und es gibt über vierzig private Universitäten. Bildung wird zunehmend zum Geschäft, in die öffentlichen Schulen wird nicht investiert und ihr Niveau wird immer schlechter. Für Lehrer*innen wurden kürzere und ungeregelte Ausbildungen eingeführt, ihre Löhne wurden eingefroren und Beamt*innen werden zunehmend durch Lehrer*innen mit prekären Verträgen zu schlechteren Bedingungen ersetzt. Stein des Anstoßes war ein neues Bewertungsverfahren, dem sich die Lehrer*innen nun alle fünf Jahre unterziehen sollen. Wer diese Evaluierung nicht besteht, muss sie im folgenden Jahr wiederholen, und wer es beim dritten Mal nicht schafft, wird entlassen. Mit der Ausarbeitung und Durchführung der Bewertungsverfahren werden private Organisationen beauftragt und aus öffentlichen Mitteln vom Staat bezahlt, der dann wiederum behaupten kann, es sei in die Bildung „investiert“ worden. Mit der Forderung nach der Abschaffung dieser Evaluierungen wenden sich die Lehrer*innen nicht generell gegen eine Bewertung der Unterrichtsqualität, aber dagegen, dass die Evaluierungen für Entlassungen und damit weitere Prekarisierung genutzt werden können. Außerdem müssten die Verfahren in Absprache mit den Lehrer*innen entwickelt und von qualifzierten Stellen durchgeführt werden. Weitere Streikziele waren neben der Arbeitsplatzsicherheit eine Lohnerhöhung, die Angleichung der Löhne zwischen Beamt*innen und angestellten Lehrer*innen und die Erhöhung des Bildungshaushaltes auf zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Sechs Prozent gelten bereits seit 15 Jahren als Richtwert, tatsächlich eingesetzt wurden aber wesentlich geringere Mittel.

Der Konflikt begann am 15. Juni als regionaler Streik in Cusco. Die Forderungen wurden aufgegriffen und der Streik breitete sich nach und nach auf das ganze Land aus. Ab dem 12. Juli war es ein landesweit erklärter unbefristeter Streik, der in 18 der 21 Regionen Perus massiv befolgt wurde, mit Beteiligung von mehr als 300000 der insgesamt 420000 Lehrer*innen. Zwei Millionen Schüler*innen der öffentlichen Schulen waren vom Unterrichtsausfall betroffen.

Angeführt wurde der Streik jedoch nicht mehr von der Gewerkschaft der Lehrer*innen SUTEP. Diese 1972 gegründete landesweite Gewerkschaft wird von der maoistischen Partei Patria Roja dominiert, die alle Führungspositionen inne hat. Sie verwaltet den Fonds Derrama Magistral, ein Sozialwerk, in das alle Lehrer*innen Pflichtbeiträge einzahlen, und verfügt dadurch über erhebliche Gelder. Ihre eigenmächtigen Verhandlungen mit den jeweiligen Regierungen wurden schon seit längerem kritisiert und es gab Auseinandersetzungen zwischen dem Vorstand der SUTEP und regionalen Gliederungen. Aus Unzufriedenheit mit der kompromissbereiten und wenig kämpferischen Linie von SUTEP formierten sich regionale Bewegungen mit einer eigenen Struktur, dem CONARE, Comité Nacional de Reorientación y Reconstrucción, das bereits 2004 einen großen Streik organisierte. Auch mit der großen Mobilisierung in diesem Streik hatte das Vorstandskomitee CEN (Comité Ejecutivo Nacional) der SUTEP nichts zu tun.

Über das  Zustandekommen der Streikleitung berichtete der Streikführer Pedro Castillo Terrones in einem Interview: „Die offizielle Gewerkschaft SUTEP und ihr Vorstand CEN wurden mehr als 40 Jahre von der politischen Partei Patria Roja dominiert, die ihre Legitimierung als Vertretung verloren hat, weil sie nur noch politische Ziele verfolgte. In den letzten Jahren haben sie sich an Wahlen beteiligt und ihre gewerkschaftlichen Aufgaben stark vernachlässigt. Als es im Land zu verschiedenen Bildungsreformen kam, hat das CEN der SUTEP nicht so reagiert, wie es sich die Lehrer*innen erhofft hatten. Es gab also keinen anderen Weg, als an die Mitglieder selbst zu appellieren, an die Lehrer*innen in den Schulen, mit denen wir in direktem Kontakt stehen, so wie auch an die Schüler*innen und Eltern. Um gegen die Angriffe der Regierungen vorzugehen, die ein Interesse an billigen Lehrer*innen haben, nicht aber am öffentlichen Bildungswesen, mussten wir uns selbst mobilisieren. Aus Treffen an den Schulen und dann mit benachbarten Schulen entstanden regionale Versammlungen und schließlich eine nationale Versammlung in Lima, bei der ich zum Vorsitzenden des Nationalen Streikkomitees gewählt wurde, um den unbefristeten landesweiten Streik auszurufen, der am 12. Juli begann.“

In dieser Streikwelle kam es zu bemerkenswerten Aktionen. Um die Regierung an den Verhandlungstisch zu zwingen, besetzten Streikende die Flughäfen in Cusco, Arequipa und Jauja und sie bauten die Gleise der Zuglinie zum Touristenziel Machu Picchu ab. Immer wieder kamen Lehrer*innen aus dem ganzen Land in Lima zu Demonstrationen zusammen; die Plaza San Martín und andere Orte im öffentlichen Raum wurden als Treffpunkte und Versammlungsorte genutzt. An die Stelle eigenmächtiger Vorstandsbeschlüsse und intransparenter Verhandlungen traten in diesem Streik direkte Aktionen und Basisdemokratie. Beschlüsse für die Verhandlungen wurden auf Vollversammlungen auf der Plaza San Martín in Lima gefasst, die oft bis tief in die Nacht andauerten. Streikführer wie Pedro Castillo mussten sich ihre Verhandlungsergebnisse hier bestätigen lassen. Zweimal wurden ausgehandelte Abkommen von der Basis abgelehnt und der Streik weitergeführt.

Die Regierung unter Staatspräsident Pedro Pablo Kuczynski, der 2016 als „kleineres Übel“ gegenüber dem Fujimori-Clan gewählt worden war (und das Amt im März 2018 wegen Korruptionsvorwürfen niederlegte; vgl. Beitrag von Hildegard Willer in dieser ila), zeigte sich gegenüber den Forderungen der Lehrer*innen unerbittlich und setzte auf Repression. In einigen Provinzen wie Cusco und Puno wurde nach dem landesweiten Generalstreik Mitte Juli der Ausnahmezustand verhängt. Die Demonstrationen der Streikenden wurden immer wieder mit Knüppeln, Wasserwerfern und Tränengas angegriffen. Kurz vor dem Ende des Streiks erlitt ein Lehrer bei einer solchen Auseinandersetzung einen Schlaganfall und starb. Die Regierung weigerte sich, mit den Streikenden zu verhandeln. Obwohl es ein faktisch anerkanntes Streikkomitee gab, das in der Presse und vor der Öffentlichkeit auftrat, behauptete die Regierung, es gebe keine Verhandlungspartner, das
Streikkomitee habe keine rechtliche Legitimierung und werde außerdem von der ehemaligen Guerillagruppe Sendero Luminoso gelenkt. Mit diesem Versuch, die Streikenden in die Nähe des Terrorismus zu stellen, legitimierte die Regierung ihr hartes Vorgehen gegen die Lehrer*innen. Die Öffentlichkeit konnte sie damit jedoch nicht überzeugen. Der Streik bekam breite Unterstützung aus der Bevölkerung.

Statt sich mit den Streikenden zu verständigen, setzte die Regierung sich mit der Führung der SUTEP zusammen, die den Streik aber nicht ausgerufen hatte und von daher auch nicht beenden konnte. In Cusco, wo die Bewegung begonnen hatte, war der Streik Mitte August nach der Vermittlung eines Gewerkschaftssekretärs beendet worden. Die Streikführer*innen aus Cusco, die an den Gesprächen teilnahmen, hatten aber keinen Einfluss auf die Streikenden in anderen Landesteilen. Schließlich erklärte sich die Bildungsministerin Marilú Martens doch noch bereit, mit den Streikenden zu verhandeln. Sie erschien jedoch nicht selbst zu dem Termin, sondern schickte Stellvertreter*innen.
Wegen ihres Vorgehens im Streik musste Martens zurücktreten; die Fujimoristas nützten die Situation, um eine Regierungskrise auszulösen.

Am 5. September wurde der Streik mit einer Großveranstaltung in Lima beendet, kurz bevor die Schüler*innen wegen des Unterrichtsausfalls das gesamte Schuljahr verloren hätten. Die Beendigung des Streiks war umstritten, da nur ein Teil der Forderungen erfüllt wurde. Aber nach der langen und harten Streikzeit zeigten sich Ermüdungserscheinungen und auch Eltern drängten darauf, dass ihre Kinder keine Nachteile wegen einer Verlängerung des Streiks haben sollten. Erreicht haben die Streikenden eine Lohnerhöhung auf 2000 Soles (520 Euro). Vorher lagen die Gehälter bei 1200 bis 1500 Soles. Die geforderte schrittweise Erhöhung auf 4000 Soles konnten sie nicht durchsetzen, wohl aber die Gleichstellung der angestellten mit den verbeamteten Lehrer*innen, sowohl beim Lohn als auch bei den Sozialleistungen. Zusätzlich wurden einige soziale Verbesserungen vereinbart, wie die Möglichkeit, mit 55 Jahren in Rente zu gehen. Die Abschaffung der Evaluierungen konnte nicht durchgesetzt werden, nur die Zusage, das Verfahren zu überprüfen. Kein Sieg auf ganzer Linie, aber ein beeindruckender Kampf gegen neoliberale Politik, der die auf Härte setzende Regierung doch noch in Bedrängnis bringen konnte und vielen als Hoffnungsschimmer gilt

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=132009
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