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Panama

„Vielleicht solltet ihr auch wissen, dass dieser Fonseca nicht irgendein Anwalt ist – er war bis vor kurzem Minister der Regierung Panamas“

Panama Papers (ICIJ)Enrique Duarte ist langjähriger Aktivist der Baugewerkschaft Suntracs in Panama Stadt. In dem Telefoninterview „Eine Fallstudie des Finanzkapitalismus ist unser Panama geworden“ am 10. April 2016 (dessen anderen Teile wir demnächst veröffentlichen werden) spricht er zum aktuellen „Weltruhm“ Panamas – in seiner Rolle als Steueroase, und vor allem, wie die Menschen im Land diese Entwicklung erleben – die den Kern und keineswegs nur den Rand des politischen Systems Panamas aufzeigt.

„Eine Fallstudie des Finanzkapitalismus ist unser Panama geworden“

Wie ist eigentlich die Reaktion der Menschen in Panama auf die Publikation der Panama Papers und – kann man ja so sagen – die weltweite Aufregung über Panama in den letzten Tagen?

Also, mehrheitlich: Ablehnend, abwehrend. Du musst schon sehen, wie das ja immer in Lateinamerika ist – alle wollen „USA“, na ja, sagen wir: Viele, den Lebensstil meine ich, oder hingehen. Aber wenn dann etwas passiert, irgendetwas Negatives, dann waren es die USA. Das Ganze nennt sich dann Antiimperialismus, was ich sehr bezweifle, es heißt dann „die wollen unserem Land schaden“ – das ist die Richtung, wie wohl die Mehrheit denkt, die Medien wirken auch entsprechend und das extrem massiv und nahezu ohne Ausnahme.

Aber warum mehrheitlich ablehnend – ich meine, so viele dürften es ja nicht sein, die davon profitieren

Aber schau mal, das ist ja alles nicht zufällig. Das ist das Entwicklungsmodell Panama und zwar seit, sagen wir mal, zwei Generationen. Was haben wir schon? Bananen? Und: Den Kanal, solche Sachen. Und unsere Position als Brücke: Zwischen Mittelamerika und Südamerika, zwischen zwei Ozeanen. Könnte man auch anders interpretieren, aber seit den 70er Jahren wird das verstanden als Brücke für das Kapital. Wir sind, wie bei euch in Europa die Schweiz oder Luxemburg, die Finanzdienstleister der Welt. Weißt Du, eine der Sachen die ich, soweit ich es verfolgen kann, seltsam finde ist, dass der Fokus aller Berichte immer auf der Kanzlei Mossack Fonseca liegt. Na gut, einerseits klar, weil da halt die Unterlagen her stammen. Andererseits: Ich weiß jetzt gar nicht, wie viele Anwaltskanzleien es in Panama gibt, aber ich wette mit Dir einen Monatslohn, dass es überproportional viele sind, für ein Land, das keine 4 Millionen Einwohner hat. Und sehr viele von denen sind mit eben solchen Geschäften der Platzierung von Unternehmen befasst – sehr viele.

Also, Du meinst, es sind so viele, dass es ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung ist, der von diesen Geschäften profitiert?

Na ja, es sind nicht so wenige, weißt Du: Sagen wir mal, genau weiß ich es nicht, es seien ungefähr eintausend Kanzleien – und ich glaube, glaube, nirgends auf der Welt gibt es prozentual so viele Anwälte wie hier, aber sagen wir tausend, die mit solchen Geschäften befasst sind, Scheinfirmen zu gründen, mindestens. Wenn das dann größere Kanzleien sind, dann sind das ganz direkt ungefähr 20.000 Menschen, die damit ihr Geld verdienen. Rechne dann noch die Umgebung dazu, die Zulieferer, bis hin zur Pizzeria oder zum Edelrestaurant beim Mittagessen, und die Familien und so weiter, dann hast Du halt vielleicht 200.000 Menschen – bei einer Bevölkerung von etwa 3,5 Millionen und all denen, die das sehen und auch Gelderwerb brauchen, ist das schon ein echter Teil der Gesamtbevölkerung. Zumal das ja auch Weiterungen in die ganze Gesellschaft hinein hat: Als diese Art Politik zu machen begann, vor über 40 Jahren, gab es ein paar Banken, heute gibt es, glaube ich hunderte davon. Und die haben ja viele tausend Angestellte und, noch weiter, beispielsweise auch auf mich selbst bezogen: All die Bankgebäude, das Stadtzentrum des Finanzdienstleisters mussten ja auch gebaut werden – und wenn Du das so zusammen siehst, dann sind es schon viele Menschen.

Ich verstehe Dich richtig, dass Du damit sagst, das ist keine „Schmuddelecke“ der Gesellschaft in Panama?

Nein, das ist das „Geschäftsmodell Panama“ und zwar seit den 70er Jahren unter Torrijos. Wir sind Kanal- und Finanzdienstleister, pronto. Das gab es schon seit damals, und das war das Entwicklungsprinzip und ist es bis heute. Eine Fallstudie des Finanzkapitalismus ist unser Panama geworden – so hat es unser Gewerkschaftstag schon vor Jahren festgehalten, und genauso stimmt es auch. Vielleicht solltet ihr auch wissen, dass dieser Fonseca nicht irgendein Anwalt ist – er war bis vor kurzem  Vorsitzender der Regierungspartei Panamas und Minister der Regierung Varela  – ich weiß nicht, ob das im Ausland bekannt ist, aber das ist der Fakt, also das sind auch die Menschen, die im Zentrum der gesellschaftlichen Entwicklung Panamas stehen und keineswegs am Rande. Und wenn Du jetzt diese Reaktionen siehst und hörst, also sowohl vieler einfacher Menschen, als auch etwa des Präsidenten Varela – des Geschäftsmannes Varela – dann wird dieses Modell auch verteidigt. Leute wie wir, wie unsere Gewerkschaft, die ein solches Modell schon immer kritisiert hat, sind, das muss man schon zugeben, eine Minderheit, keine kleine Minderheit, aber eine Minderheit.

Und wie sieht das jetzt konkret aus, in bezug auf die Panama Papers?

Nun ja, wenn Du die staatstragenden Medien siehst, dann ist der Tenor eindeutig: Man will uns für unseren Erfolg bestrafen. Heißt: Alle kritisieren uns, niemand kritisiert die USA – von denen wir diese Methoden des Steuerbetrugs ja übernommen haben, die haben das  ja erfunden, in Panama haben sie Steuergesetze von US-Bundesstaaten kopiert. Was im Übrigen stimmt. Oder: Alle reden von Panama, aber es gibt viel mehr Scheinfirmen, die beispielsweise auf den Jungferninseln registriert sind, im Vergleich zu hier, also britisch.

Und wenn jetzt Panama international „geächtet“ wird, dann sagen wir – und das sagen schon alle, ich auch – sollen die selbstherrlich daher redenden USA und die EU-Staaten doch als erstes ihre eigenen Steueroasen, jene, die ihrer Gesetzgebung direkt unterstehen, weg machen. Dafür braucht es keine internationalen Abkommen, die über Jahre geschmiedet werden, wonach jetzt scheinheilig gerufen wird, das könnten die betreffenden Regierungen mit einem Federstrich in einer Stunde erledigen. Wollen sie aber nicht, weil es kapitalistische Regierungen sind, die Interessen zu vertreten haben, deswegen schlagen sie Schaum und zielen nur auf Panama. Da gibt es genügend, worauf es sich lohnt zu zielen, aber viel weniger als im United Kingdom, wo ja jetzt der Oberlügner wackelt, oder in den USA oder in, entschuldige, wenn ich das so sage, wie wir es hier sagen, in der Bundesrepublik Deutsche Bank.

Oh, klingt gut, habe ich bisher nicht gehört. Abschließend: Meinst Du es passiert irgendetwas in Panama?

Also, es kann sein, dass sie das Personal austauschen, mehr aber nicht. Leider. Varela, also der Mann, den man hier Präsident nennen soll, ist keine besonders große Leuchte unserer Mächtigen, die daran ohnehin nicht besonders reich sind, warum sonst hätte ein Noriega hier vorne dran kommen können. Und die Leute, die er jetzt aktuell nominiert hat, sozusagen als Krisenstab, sind ja selbst Leute, die an den kritisierten Geschäften aber dermaßen massiv beteiligt sind, dass keinerlei wesentliche Änderungen zu erwarten sind – wie alle, die in diesem Land zu sagen haben, an diesem Modell Panama beteiligt sind.

Dann doch noch was: Was macht Suntracs weiterhin?

Na ja, das was wir seither auch gemacht haben, die Menschen organisieren und mobilisieren, um gegen die Auswirkungen des Kapitalismus zu kämpfen – und gegen den Kapitalismus selbst. Und speziell gegen seine extrem perverse panamaische Variante. Wenn sie hier seit 40 Jahren die Gesetzgebung der USA, was Steuerpolitik fürs Kapital betrifft, kopiert haben, dann sagen wir, ja, wir sind gegen den US-Imperialismus, aber erst recht gegen seine panamaische Realisierung, denn darin müssen wir leben.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=96323
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