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Was das Wiener „Ibizagate“ deutlich macht: Über die bürgerliche Politik…

Am 13.Jänner 2018: Großdemonstration in Wien gegen die rechte Regierung von ÖVP und FPÖ„… Auf der Donnerstagsdemo in Graz wurde das Ende der Demos verkündet, weil das Ziel nun »erreicht« sei! Nach dem Scheitern der ÖVP-FPÖ-Koalition zu Beginn der Nuller-Jahre war es die SPÖ, die den neoliberalen Kurs weiterverfolgt hat – und die FPÖ kann sehr gut von der Oppositionsbank aus mit-regieren; sie hatte die Große Koalition aus ÖVP und SPÖ oft vor sich hergetrieben. Außerdem hat die FPÖ viele wichtige Posten wie Österreichische Bundesbahnen, Österreichischen Rundfunk, Nationalbank oder Autobahngesellschaft mit ihren Leuten besetzt – diese sind nicht leicht aus dem Weg zu räumen. Wie Sebastian Kurz wirklich tickt, war an der Verwendung der ersten Person Singular und der Vermeidung der ersten Person Plural in seiner ersten Rede zu erkennen: er sprach von dem Reformprojekt und der Partei als »ich«. Im EU-Wahlkampf versuchte Kurz mit anti-europäischen Parolen zu punkten. Vom Auftreten her ist er telegener und »wundersam wandelbar«, aber inhaltlich unterscheiden sich Sebastian Kurz und die FPÖ nicht. Das einzig richtige und legitime am Samstag wäre gewesen, das Bundeskanzleramt und die FPÖ-Büros zu stürmen, alle Unterlagen zu beschlagnahmen (um sehen zu können, wer noch alles in der Korruption drinhängt, bräuchten wir allerdings auch die Unterlagen aus den Büros der ÖVP…), das Gesetz für den 12-Stunden-Tag für ungültig zu erklären, Mindestlöhne, Mindestpension und Mindestsicherung (oder Sozialhilfe, wie sie nun wieder genannt werden soll) kräftig anzuheben, die legalen und illegalen Spendengelder der Parteien einkassieren, usw. Hätte eine Bewegung die Regierung gestürzt, wäre dies durchaus vorstellbar gewesen – so kann man leider nur witzeln, dass »wir befreit wurden«. Von wem, das ist leider noch immer unklar. Wird diese tiefste Krise des Politzirkus Momente hervorbringen, der die Unternehmer in ihrem Durchmarsch stoppt? Ist das Vertrauen in die Institutionen dermaßen erschüttert, dass wir nicht nur zusehen, sondern selber außerhalb der gewohnten, vorgefertigten Wege neue Versuche riskieren?…“ – aus dem Kommentar „»Ibizagate«: »Haben uns die Russen zum zweiten Mal befreit?«“ in Wildcat 103 vom Winter 2019 externer Link, mit dem der Wiederabdruck des Beitrags über „Sozialstaat und FPÖ“ aus Anlass von Ibizagate eingeleitet wird: Eine Analyse der Politik, wie sie keineswegs nur von der aktuellen Koalition verfolgt wurde – und wird… Siehe dazu auch zwei weitere aktuelle Beiträge, in denen das System hinter dem sogenannten Skandal deutlich wird – und auch die Kontinuität antisemitischer Propaganda in den rechtsradikalen Verteidigungsversuchen, sowie den Hinweis auf unseren ersten Beitrag zu „Ibizagate“:

  • „Darmspiegelung auf Ibiza“ von Franz Schandl am 22. Mai 2019 bei den Streifzügen externer Link hebt unter anderem hervor: „… Aktuell hat die Verlogenheit gegen die Ungeheuerlichkeit eine Schlacht gewonnen. Mehr ist nicht. Freilich wer den letzten Samstag in Wien erlebte, musste wirklich denken, hier habe eine kleine Revolte stattgefunden, bei der ein Bündnis fortschrittlicher Kräfte sich gegen die rechtsrechte Pack durchgesetzt hat. Solch Analyse krankt an allen Ecken und Enden. Im Prinzip ist Strache medial abserviert worden, was nicht schade ist, aber doch einen anderen Sachverhalt ausdrückt. Wenn Sebastian Kurz sagt: „Ich möchte in Zukunft ohne Skandale regieren“, dann ist der Appell bar jeder Erkenntnis, nicht mehr als simple Propaganda, Blendwerk für Gläubige. Wie viele Skandale brauchen wir noch um zu sehen, dass das nicht geht. Gerade der Zusammenhang von Skandal und Normalität bedürfte einer Aufdeckung. Skandalisierung und Kampagnisierung der Politik sind selbst Zeichen der Erosion des Politischen. Verheerend ist das Sittenbild zweifellos, aber ist es auch verzerrend? Wenn Van der Bellen sagt: „So sind wir nicht“, dann stellt sich die Frage, was dem guten Mann in den 25 Jahren, die er nun in der Politik weilt, aufgefallen ist. Ist das mehr als eine staatsbürgerliche Andacht? Was Strache ohne es zu wollen aufdeckt, decken solche Kommentare wieder zu. Von Erkenntnisgewinn wäre es, zu betonen, dass in der Realität vieles nicht anders läuft als Strache es da großkotzig beschreibt. Das Land badet wieder einmal in einer Real Soap. Doch was als Operette erscheint, ist keine. Es ist der exemplarische wie dramatische Niedergang der Politik insgesamt, der sich hier spiegelt. Was stabil schien, wird immer fragiler. Keine Beschwörung der liberalen Demokratie wird das verhindern. Wer die Alternative zu den Rechtspopulisten in Kurz und Weber, Timmermann und Verhofstadt sieht, wird die Strache, Orbán oder Salvini bekommen. Wenn der Politologe Peter Filzmeier meint, dass „Kurz bei der Partnerwahl ins Klo gegriffen hat“, dann stimmt das nur bedingt. Was das Personal betrifft, ist das richtig, aber was die Inhalte angeht, hat der ÖVP-Chef in schlüssiger Manier zu jenen gegriffen, die ihm am nächsten stehen. Zwischen die programmatischen Vorstellungen der Koalitionsparteien passte und passt wirklich kein Löschblatt. Beide entwachsen dem gleichen Abort der Unmenschlichkeit. Die bisherigen Maßnahmen der türkis-blauen Koalitionsregierung wurden allesamt ohne Friktionen oder gar Turbulenzen beschlossen, beide Parteien betonen zurecht ihr bisher gutes Arbeits- und Vertrauensverhältnis…“
  • „Rechtspopulisten – die wahren „Volksverräter“?“ von Tomasz Konicz am 25. Mai 2019 bei telepolis externer Link unterstreicht außerdem zur parteiübergreifenden „Abwehrfront“: „… Nicht die skandalösen Taten der korrupten rechten Täter, die letztendlich einen großen Sommerschlussverkauf Österreichs auf Ibiza organisieren wollten, sind im Zentrum des rechten Narrativs zum Ibizagate, sondern eine „Verschwörung“, die es gewagt hat, die schmutzige Unterwäsche der rechten Saubermänner zu skandalisieren. Und da weiß man in der Neuen Rechten ganz schnell, wer dahinterstehen muss – so viel antisemitische Tradition muss schon sein. Letztendlich ist es immer der Jude, der hinter allem Bösen steckt. Der Kanzler Österreichs erklärte gegenüber der Bild-Zeitung aus einem Bauchgefühl heraus, dass es der Jude Tal Silberstein war, der es wagte, den Abgrund an Korruption und Demokratieverachtung offenzulegen, der in der österreichischen Rechtsregierung herrscht. Aus reiner Wut und Frustration über das Ende seiner Rechtsregierung lässt der Kanzler Österreichs in dem größten Revolverblatt der westlichen Welt antisemitische Stereotype aufleben, ohne auch nur den Funken eines Beweises vorzulegen (etwa ein Video?) – so sieht die verantwortliche Politik der Rechtspopulisten aus, sobald sie mal politisch unter Druck geraten. Der betroffene israelische Politikberater dementierte zwar diese Anschuldigungen umgehend, die den latenten Antisemitismus der Neuen Rechten zutage treten ließen, doch das antisemitische Ressentiment hat die Realität nie anders behandelt als einen Steinbruch, der zur Errichtung der eigenen Wahngebäude dient. Auch die deutschen Rechtsmedien wussten quasi instinktiv, wo die „Hintermänner“ des Videos zu suchen seien: beim israelischen Geheimdienst Mossad. Der ehemalige BND-Chef Rudolf Adam durfte im Cicero im Vorwahlkampf frei spekulieren, dass es eine aufwendige und hochkomplexe Operation des Geheimdienstes des jüdischen Staates war, die Strache zu Fall brachte…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=149374
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