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Kein kurzer Prozess. Rheinmetall Man Military Vehicles in Wien-Liesing will einen unbequemen Arbeiterbetriebsrat aus dem Betrieb rausprozessieren

express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und GewerkschaftsarbeitWeil die Bundesregierung sämtliche Waffenexporte nach Saudi-Arabien gestoppt hat, bleibt Rheinmetall auf 120 Militär-LKW sitzen. Das wäre für den Konzern ein Verlust von 136 Millionen Euro. Rheinmetall verlangt eine entsprechende Entschädigung vom Bund. Auf der letztjährigen Jahreshauptversammlung im Mai 2018 wollten AktivistInnen ein Banner mit dem Spruch »8. Mai 1945, damals wie heute: war starts here, let‘s stop it here« hochhalten. Zwei AktivistInnen sollen jetzt 15.000 Euro für die von der Polizei unterbundene Aktion zahlen. Der Prozess findet nach Redaktionsschluss des vorliegenden express statt. [Verfahren eingestellt, siehe Berichterstattung im LabourNet Germany] Bereits im November 2018 wurde ein Friedensaktivist wegen »Aufrufs zum Whistleblowing« zu einer Geldstrafe von 1.800 Euro verurteilt, weil er Beschäftigte dazu aufgefordert habe, illegale Waffenexporte zu veröffentlichen. Das Rheinmetall in solchen Fällen nicht zimperlich ist, zeigt auch der Fall eines österreichischen Betriebsrats, über den Peter Haumer im Folgenden berichtet.Mesut Kimsesiz kam bereits 2005 als Leiharbeiter und Schweißer zur MAN Nutzfahrzeug AG in Wien-Liesing. 2007 wurde er in die Stammbelegschaft übernommen und seit 2012 ist er Mitglied im Arbeiterbetriebsrat, in dem die gewerblichen Beschäftigten vertreten werden, während für die Angestellten ein eigener BR zuständig ist. Im Wiener Werk von Rheinmetall sind ca. 650 ArbeiterInnen und ca. 350 Angestellte fest angestellt, dazu kommen noch ca. 140 LeiharbeiterInnen. Im Arbeiterbetriebsrat gibt es drei Fraktionen: die Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG) mit sechs Mandaten, die Freiheitlichen Arbeitnehmer mit einem Mandat und die Liste Gemeinsam Solidarität mit zwei Mandaten. Mesut Kimsesiz ist Listenführer der Liste Gemeinsam Solidarität, die keiner der genannten Fraktionen angehört...“ Artikel von Peter Haumer (ehemaliger Produktionsarbeiter bei MAN in Wien-Liesing), erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 02-03/2019:

Kein kurzer Prozess

Rheinmetall Man Military Vehicles in Wien-Liesing will einen unbequemen Arbeiterbetriebsrat
aus dem Betrieb rausprozessieren – Von Peter Haumer[*]

Weil die Bundesregierung sämtliche Waffenexporte nach Saudi-Arabien gestoppt hat, bleibt Rheinmetall auf 120 Militär-LKW sitzen. Das wäre für den Konzern ein Verlust von 136 Millionen Euro. Rheinmetall verlangt eine entsprechende Entschädigung vom Bund.

Auf der letztjährigen Jahreshauptversammlung im Mai 2018 wollten Aktivis­tInnen ein Banner mit dem Spruch »8. Mai 1945, damals wie heute: war starts here, let‘s stop it here« hochhalten. Zwei AktivistInnen sollen jetzt 15.000 Euro für die von der Polizei unterbundene Aktion zahlen. Der Prozess findet nach Redaktionsschluss des vorliegenden express statt. Bereits im November 2018 wurde ein Friedensaktivist wegen »Aufrufs zum Whistleblowing« zu einer Geldstrafe von 1.800 Euro verurteilt, weil er Beschäftigte dazu aufgefordert habe, illegale Waffenexporte zu veröffentlichen. Das Rheinmetall in solchen Fällen nicht zimperlich ist, zeigt auch der Fall eines österreichischen Betriebsrats, über den Peter Haumer im Folgenden berichtet.Mesut Kimsesiz kam bereits 2005 als Leiharbeiter und Schweißer zur MAN Nutzfahrzeug AG in Wien-Liesing. 2007 wurde er in die Stammbelegschaft übernommen und seit 2012 ist er Mitglied im Arbeiterbetriebsrat, in dem die gewerblichen Beschäftigten vertreten werden, während für die Angestellten ein eigener BR zuständig ist. Im Wiener Werk von Rheinmetall sind ca. 650 ArbeiterInnen und ca. 350 Angestellte fest angestellt, dazu kommen noch ca. 140 LeiharbeiterInnen. Im Arbeiterbetriebsrat gibt es drei Fraktionen: die Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG) mit sechs Mandaten, die Freiheitlichen Arbeitnehmer mit einem Mandat und die Liste Gemeinsam Solidarität mit zwei Mandaten. Mesut Kimsesiz ist Listenführer der Liste Gemeinsam Solidarität,die keiner der genannten Fraktionen angehört.[1]

Die Rheinmetall MAN Military Vehicles GmbH (oder kurz RMMV) ist ein Joint-Venture zur Herstellung von militärischen Radfahrzeugen der beiden deutschen Unternehmen Rheinmetall AG und MAN Truck & Bus AG. In dem Unternehmen wurden die militärischen Radfahrzeugaktivitäten der Rheinmetall Landsysteme GmbH und die Military Division der MAN Nutzfahrzeuge fusioniert. Mit Wirkung zum 1. Januar 2012 wurden die Radfahrzeug-Produktion in Kassel (bisher Rheinmetall Landsysteme) sowie das Lkw-Werk Wien (bisher MAN Nutzfahrzeuge Österreich AG) in das Gemeinschaftsunternehmen RMMV überführt.

Mesut Kimsesiz kam bereits 2005 als Leiharbeiter und Schweißer zur MAN Nutzfahrzeug AG in Wien-Liesing. 2007 wurde er in die Stammbelegschaft übernommen und seit 2012 ist er Mitglied im Arbeiterbetriebsrat, in dem die gewerblichen Beschäftigten vertreten werden, während für die Angestellten ein eigener BR zuständig ist. Im Wiener Werk von Rheinmetall sind ca. 650 ArbeiterInnen und ca. 350 Angestellte fest angestellt, dazu kommen noch ca. 140 LeiharbeiterInnen. Im Arbeiterbetriebsrat gibt es drei Fraktionen: die Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG) mit sechs Mandaten, die Freiheitlichen Arbeitnehmer mit einem Mandat und die Liste Gemeinsam Solidarität mit zwei Mandaten. Mesut Kimsesiz ist Listenführer der Liste Gemeinsam Solidarität, die keiner der genannten Fraktionen angehört.[1]

Nach einem Gespräch des Arbeiterbetriebsrates mit der Geschäftsführung über militärische Exportaufträge am 24. Mai 2017 beginnt ein monatelanges Kesseltreiben gegen Mesut, da er auch nachgefragt hatte, was es mit Gerüchten über den Export militärischer Fahrzeuge an das Königreich Saudi-Arabien, also in ein im Jemen kriegführendes Land, auf sich hat. Dass diese Fragen mehr als berechtigt sind, zeigen viele Artikel, die Ende 2018 in deutschen Tageszeitungen über die Umgehung des von der deutschen Bundesregierung verhängten Exportstopps gegen Saudi-Arabien durch Rheinmetall erschienen sind.

Mesut Kimsesiz wird eine Woche nach dem Gespräch am 1. Juni 2017 als einziger Betriebsrat schriftlich der Geheimhaltungs- und Verschwiegenheitspflicht unterworfen und am 24. November 2017 wegen angeblichen Verstoßes gegen arbeitsvertragliche Pflichten mit sofortiger Wirkung vom Dienst freigestellt. Er wird – wenig überraschend – des Verstoßes gegen Geheimhaltungspflichten und wegen unrechtmäßiger Veröffentlichung von Fotos betriebsinterner Bereiche angeklagt. Bis zur endgültigen Klärung des gegenständlichen Sachverhaltes behält sich Rheinmetall eine Kündigung oder Entlassung ausdrücklich vor. Seine Betriebsratstätigkeit darf er bei rechtzeitiger Voranmeldung nur noch im Betriebsratsbüro ausüben – der Zutritt zu den Werkshallen ist ihm untersagt worden. 15 Monate dauert dieser Prozess nun schon und in den nächsten Wochen ist mit einem Urteilsspruch zu rechnen.

Mesut Kimsesiz ist ein kämpferischer Betriebsrat, der 1995 nach Österreich gekommen, 59 Jahre alt, verheiratet und Vater von drei Kindern ist. Schon 2013 ist er in einen Hungerstreik getreten, da er gegen die geplante Kündigung von 147 KollegInnen kein anderes Mittel des Widerstandes gesehen hatte, weil die anderen Betriebsräte keinen Widerspruch gegen die Kündigungen erhoben hatten. Nicht zuletzt aufgrund seines öffentlich wirksamen Hungerstreiks konnten 70 der geplanten 147 Kündigungen verhindert werden.

Doch Mesut wurde seit damals als Unruhestifter und Nörgler denunziert, dem die anderen Arbeiterbetriebsräte oft die Unterstützung und Solidarität verweigerten. Was macht es da schon aus, dass viele der FSG-Arbeiterbetriebsräte im Liesinger Rheinmetallwerk eine Vergangenheit im Gewerkschaftlichen Linksblock, der Gewerkschaftsfraktion der KPÖ, hatten.[2] Von dieser klassenkämpferischen Tradition ist nicht mehr viel übriggeblieben. Im Gegenteil: Die zur Sozialdemokratie konvertierten Betriebsräte betrachten sich als Co-Manager, die die Standortlogik verinnerlicht haben und immer wieder bereit sind, der Geschäftsführung in die Hände zu arbeiten, in der irrigen Hoffnung, den Standort Wien-Liesing dadurch konkurrenz- und überlebensfähig zu halten. Und so verwundert es nicht, dass der Betriebsratsvorsitzende, als Zeuge beim Prozess vorgeladen, im Sinne der Geschäftsleitung ausgesagt hat. Dass er damit der Wahrheitsfindung gedient hat, kann mit einigem Recht bezweifelt werden. Bezeichnend ist auch, dass der BR-Vorsitzende in den 15 Monaten seit Beginn des Prozesses keine einzige Erklärung abgegeben hat, in der er sich mit Mesut Kimsesiz solidarisch erklären würde!

Das Vorgehen von Rheinmetall lässt vermuten, dass die Entlassung bzw. Kündigung von Mesut Kimsesiz von langer Hand vorbereitet wurde und Rheinmetall dabei nicht eben zimperlich vorgegangen ist. Der Vorwurf des Verstoßes gegen Geheimhaltungspflichten und unrechtmäßiger Veröffentlichung von Fotos betriebsinterner Bereiche auf einer von ihm verantworteten Homepage wird von Mesut Kimsesiz bestritten. Er forderte das Gericht sogar auf, die Möglichkeit zu untersuchen, dass eventuell sogar Rheinmetall selbst hinter der »unrechtmäßigen Veröffentlichung von Fotos« stehen könnte. Mesut hat zur Unterstützung seiner Betriebsratsarbeit zwar hin und wieder Fotos betriebsinterner Bereiche aufgenommen, diese aber nie auf eine öffentlich zugängliche Webseite gestellt. Der Verdacht ist daher nicht gänzlich von der Hand zu weisen, dass hinter all den Vorwürfen eine vorsätzliche und kriminelle Manipulation stecken könnte.

Die Schweige- und Geheimhaltungspflicht ist eine ständige Bedrohung für konsequente Interessenpolitik im Betriebsrat. Ist sie ausgesprochen, ist die Betriebsrätin/der Betriebsrat zum Schweigen verdammt, macht sich im Falle eines nachgewiesenen Bruches der Geheimhaltung schuldig vor dem Gesetz und kann als Folge davon »rechtmäßig« entlassen bzw. gekündigt werden. Es ist nichts Neues, dass Geschäftsleitungen bei Bedarf gezielt mit solchen Szenarien arbeiten!

Mit dem Prozess gegen Mesut Kimsesiz, der auch Wiener Arbeiterkammerrat der Unabhängigen GewerkschafterInnen [3] ist, wird der österreichischen ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung einmal mehr vorgeführt, wie das herrschende Gesetz bestens geeignet ist, die fragwürdigen Interessen und Rechte des Kapitals zu verteidigen. Die »Verrechtlichung« des Betriebsrätewesen entpuppt sich als unzumutbare Einschränkung von kämpferischen BetriebsrätInnen. Die notwendige Solidarität mit Mesut Kimsesiz sollte daher verbunden sein mit einer Kritik an der Schweige- und Geheimhaltungspflicht und den vielen anderen Fesseln, die im Arbeitsverfassungsgesetz [4] ehern festgeschrieben scheinen!

Artikel von Peter Haumer, erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 02-03/2019

* Peter Haumer lebt in Wien und war eine Zeit lang auch Produktionsarbeiter bei MAN in Wien-Liesing.

Anmerkungen:

1    Die Führung des ÖGB ist nach Fraktionen organisiert. Die Fraktionen haben enge Bindungen zu den jeweiligen politischen Parteien. Die Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG) ist die stärkste Fraktion und besetzt die meisten Spitzenpositionen. Die FSG hat ein enges Verhältnis zur SPÖ. Zweitstärkste Fraktion ist die Fraktion Christlicher Gewerkschafter (FCG), die der ÖVP nahesteht und die Gewerkschaft des Öffentlichen Diensts dominiert. Dazu kommen die Unabhängigen GewerkschafterInnen im ÖGB (UG), die Freiheitlichen Arbeitnehmer (FA), die der FPÖ nahestehen, und die Fraktion Gewerkschaftlicher Linksblock (GLB), die der KPÖ nahesteht.

2    In dem MAN-Werk in Wien-Liesing hatte der GLB mehr als eine Zweidrittel-Mehrheit im Arbeiterbetriebsrat und eine lange klassenkämpferische Tradition, die bis in die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zurückreichte. Als aber der angeblich »real existierende Sozialismus« in der Zeit von Gorbatschow bis Jelzin in sich zusammenbrach, durchlebten viele KPÖ-AnhängerInnen in Österreich eine sozialdemokratische Metamorphose – so auch die MAN-Betriebsräte des GLB in Wien-Liesing.

3    Die Kammer für Arbeiter und Angestellte, kurz Arbeiterkammer (AK), ist die gesetzliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer in Österreich. Ihre rechtliche Grundlage bildet das Arbeiterkammergesetz 1992. Für die meisten Arbeitnehmer besteht eine Pflichtmitgliedschaft in der Kammer. Es gibt ähnliche Interessenvertretungen in den deutschen Bundesländern Bremen (Arbeitnehmerkammer Bremen) und Saarland (Arbeiterkammer des Saarlandes) sowie in Luxemburg. Die »Alternativen, Grünen und Unabhängigen GewerkschafterInnen Wiens« sind eine der Fraktionen innerhalb der Arbeiterkammer in Wien. Zur bevorstehenden AK-Wahl vom 20. März bis 2. April 2019 in Wien kandidiert auch Mesut Kimsesiz wieder.

4    Das österreichische Arbeitsverfassungsgesetz von 1974 ist ein Arbeitsgesetzbuch, also eine Zusammenstellung des österreichischen Arbeitsrechts. Neben Kollektivvertrag und Schlichtungswesen, Mindestlohn und Kündigungsschutz legt es auch Status sowie Rechte und Pflichten des österreichischen und des europäischen Betriebsrats in einem Kodex fest – ähnlich dem Betriebsverfassungsgesetz in Deutschland.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=146141
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