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Updated: 18.12.2012 15:51
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"Wer stets sofort die Frage des Faschismus aufwirft, irrt: Und tut so, als ob die bürgerliche Demokratie nicht mörderisch wäre..."

Nach den Polizeimorden an streikenden Stahlarbeitern in der letzten Woche haben sich die Fronten zwischen einer Reihe von Gewerkschaften und der Regierung in Mexiko weiter verhärtet, wie es sich schon seit dem Tod von 65 Bergarbeitern vor einigen Wochen abzeichnete und mit der gerichtlichen Absetzung eines Gewerkschaftsvorsitzenden zuspitzte. Derweil wächst die Zahl gewerkschaftlicher BasisaktivistInnen, die in die inhaltliche Auseinandersetzung mit der "Anderen Kampagne" suchen - auch und gerade, um der permanent krisengeschüttelten mexikanischen Gewerkschaftsbewegung neue Perspektiven zu schaffen. Eine kleine Telefonkonferenz "quo vadis, Gewerkschaft?" von Ende April 2006 zur aktuellen Lage vor den Präsidentschaftswahlen im Juli.

Quo vadis, Gewerkschaft ?

(Hernán Silva ist 43, aus Mexiko-Stadt und langjähriger Aktivist der organisierten Opposition in der Lehrergewerkschaft; der gleichalte Mosés Jerundiaran aus Guadalajara ist bei der Elektrikergewerkschaft SME zugange und Carmen Ruiz Machel ist im für Frauen besonders gefährlichen Tijuana an der US-Grenze zuhause, wo sie sich unter vielen anderen Dingen der gewerkschaftlichen Aktivierung von Maquilaarbeiterinnen widmet; Bekanntschaften die entweder von irgendwelchen Weltsozialforen oder der Arbeit des einstigen AK International der IG Medien Dortmund entstammen und über Internet-Telefonkonferenz beinahe kostenlos zu sprechen waren).

Kannst Du kurz skizzieren, worum es bei der gegenwärtigen Auseinandersetzung zwischen Unternehmen und Regierung auf der einen Seite und vor allem Stahl- und Bergarbeitergewerkschaft auf der anderen Seite eigentlich geht?

Hernán: Nun, das ist kompliziert, weil sich mehrere Dinge vermischen. Heftig ist das Klima mit dem sogenannten Grubenunfall geworden - ich sage sogenannt, weil Unfall beschönigend ist für ein weiteres Verbrechen der Marktwirtschaft - und dabei wurde schon vermischt, dass das betroffene Unternehmen durchaus auch Einfluss innerhalb der Gewerkschaft hat, und es gibt nicht wenige die meinen, die Proteste und Streiks, die dem Vorfall beim Grupo Mexico folgten, seien Grund für den politisch-juristischen Eingriff gegen Napoleón Urrutia gewesen - kann ich nur dazu sagen, dass ich mir das gut vorstellen kann, bei dem ganzen Klüngel, der hierzulande Unternehmen, Politik und Gewerkschaften verbandelt. Dann gab es die ersten grossen Protestdemonstrationen gegen diesen Eingriff in Gewerkschaftsrechte und danach wurde es immer schärfer.

Mosés: Die SME hat mit zu diesen Protesten aufgerufen und die Mobilisierung war gross, nicht nur in Ciudad de Mexico. Ich und meine Kollegen sehen das so, dass, was immer auch Napoleon vorzuwerfen ist - und ich persönlich habe nicht die Vorstellung, dass es gesund ist, wenn eine Funktion wie die des Gewerkschaftsvorsitzenden vom Vater auf den Sohn übergeht - ist es einzig und allein die Zuständigkeit der Mitglieder der Gewerkschaft, Entscheidungen zu fällen, auch wenn ich gleichzeitig dazu sagen muss, dass, nach meiner durch einen Besuch beschränkten Kentniss, die Demokratie in den mexikanischen Gewerkschaften auch nicht grösser ist als in den deutschen.

Carmen: Die mexikanische Gewerkschaftsbewegung in ihrer Gesamtheit, selbst die oppositionellen Kräfte, die oft sehr gute Arbeit an der Basis machen, hat bis heute mit ihrer Geschichte der PRI-Nähe zu kämpfen, und jene, die sich davon - allmählich - lösen oder lösen wollen, haben immer noch mit massiver Unterdrückung zu kämpfen, auch wenn heute ein moderner ehemaliger Coca Cola Vertreter Präsident ist. Aber es sind die mächtigen Apparate, die funktionieren - die auch einen immer noch ab und an funktionierenden Klientelismus betreiben - die die Szene dominieren und das Bild ausmachen. Ich bin das nicht gewohnt, in unseren Bereichen haben wir beispielsweise keine Hauptamtlichen und es funktioniert gut. Die sind doch immer stolz auf ihre "kurzen Drähte" in die Schaltzentralen der Politik - und dafür bezahlen sie sehr teuer. aber selbstverständlich ist es so, dass keine Regierung und diese schon gar nicht und kein Arbeitsminister und kein Richter der Mitgliedschaft das Recht nehmen können, ihren Vorstand zu bestimmen.

Polizeimorde - keine Ausnahme

Jetzt sind drei Arbeiter tot und ein Polizist, der von einem Bagger überfahren wurde - bedeutet das eine Verschärfung der Verhältnisse und wenn ja, in welcher Beziehung?

Mosés: Nun, natürlich ist ein solch unverschämter Polizeimord eine Verschärfung und man hat es ja schon gesehen, dass sich die Kollegen völlig zurecht mit allem gewehrt haben, was ihnen in die Hände kam. Aber ich habe jetzt schon wieder Flugblätter gelesen, die dies als Faschismus bezeichnen undd das finde ich falsch. Dass hunderte bewaffneter Anti-Aufruhr-Einheiten antreten um protestierende Menschen an einfachsten Rechten zu hindern, ist doch in weiten teilen der Welt Alltag - das Gerichte ganz dem Gesetz entsprechend diese Streiks nun für illegal erklären ebenfalls. Das mit dem Faschismus meine ich nicht, weil ich meine, diesen Staat und diese Regierung in Schutz nehmen zu müssen, im Gegenteil. Ich finde es seltsam, das politisch radikale Menschen immer so tun, als wäre die Demokratie nicht mörderisch - was sie, keineswegs nur in Mexiko, von Beginn an war...

Carmen:...ja die französische Revolution hat Frauen, die für Gleichberechtigung eintraten guillotiniert...

Mosés:...schliesslich gibt es auch in Deutschland Stammheim.

Hernán: Die ganzen Entwicklungen sind natürlich so, weil keine der Versprechungen die gemacht wurden und von den Medienclaqueren verbreitet, realisiert wurde. Das macht auch die Erfolgsstory von Lopez Obrador aus, der wohl gewählt werden wird, ohne eine radikale Alternative zu sein - vielmehr gerade deswegen, denke ich, weil jene, die eine Art Revolution wollen, wenige sind. Und man muss einfach sehen, dass das Morden in vielen Bundesstaaten, gerade entlegeneren, Alltag ist.

Wer bietet Perspektiven?

Ja dann käme ja auch sofort die Frage, dass es eben auf der einen Seite die Wahlkampagne von der PRD und Obrador gibt, "die Armen zuerst" und auf der anderen Seite die "andere Kampagne" - was bietet Perspektiven für die Gewerkschaftsbewegung?

Carmen: Nun, je näher die Wahl rückt, desto mehr wird deutlich, dass Obrador kein Chavez oder Castro ist, sondern eher ein Lula oder Kirchner. Also laufen auch immer mehr Debatten auf das berüchtigte kleinere Übel hinaus. Da kann man jetzt die Meinung vertreten, die man will, ob das kleinere Übel vor allem kleiner oder vor allem übel ist - Perspektive bietet das keine einzige, denke ich. Und ich fand es immer und finde es immer noch die Stärke der anderen Kampagne, dass sie gar nicht darauf abzielt, Wahlboykott oder etwas ähnliches zu propagieren, sondern einfach sagt, ändern müsst ihr selbst. Dass das Wahlrecht - zumal bei den Parteien heute - das höchste demokratische Recht sei, ist eine Mär. Das höchste demokratische Recht ist meiner Meinung nach die Selbstorganisation...

Hernán:...was ich denke, immer gilt, selbst wenn es Parteien gäbe, die man mit voller Überzeugung unterstützen könnte.

Mosés: Die andere Kampagne hat hauptsächlich darauf gezielt, eben diese Selbstorganisation, als Gedanken und erst recht als Realität, im ganzen Lande zu verbreiten undd as hat sie sehr erfolgreich gemacht. Als Marcos in jene Gebiete kam, in der die gewerkschaftsbewegung präsent ist, gab es riesige Versammlungen - jeweils Tausende von GewerkschafterInnen bei mehreren Anlässen - in denen solcherart strategische Fragen debattiert wurden, für viele KollegInnen zum ersten Mal. Und das in "einem Atemzug" mit der Unterstützung für die Gründung neuer Organisationen, wie der der Landlosen. Bei der SME jedenfalls gibt es überraschend viele Mitglieder, die diesen Prozess zumindest sehr aufmerksam verfolgen, auch wegen der ganzen, zum Teil sehr scharfen Kritiken, die Marcos an einigen bekannten Gewerkschaftern übte, die im allgemeinen als Vertreter der oppositionellen Gewerkschaftsbewegung gelten, eigentlich an der vorherrschenden Linie der Gewerkschaftsopposition zu den traditionellen PRI-Verbänden.

Hernán: Ja gerade auch etwa die UNT hat er nicht ausgelassen - wegen ihrer Bereitschaft zu Sozialpakten - und so manchen anderen mehr. und ich denke, zumindest was das Anstossen von Denkprozessen betrifft, war dieses Vorgehen ebenfalls ziemlich erfolgreich, denn auch wir hatten und haben intensive Debatten darüber, an denen sich sehr viele mehr als normalerweise beteiligen.

Nationale Arbeiterkonferenz - konkretes Beispiel für andere Perspektiven?

Gibt es denn nun, abschliessend gefragt, konkretere Ergebnisse dieser ja wohl erstmaligen Treffen von doch grossen zahlen von Gewerkschaftsmitgliedern und Aktivisten mit der zapatistischen Delegation?

Carmen: Also Marcos hat ja mit vielen Arbeitern geredet, die durchaus exemplarische - oft einzelne - Kämpfe geführt haben, beziehungsweise bestimmte Traditionslinien vertreten, wie etwa die VW-Arbeiter von Puebla oder, um beim deutschen Kapital zu bleiben, die Continental-Leute, aber eben auch viele mehr, zum Beispiel mit GewerkschaftsaktivistInnen aus dem Maquilabereich. Und daraus ist die Idee der Einberufung einer nationalen Arbeiterkonferenz entstanden. Ich weiss nicht, ob das einen Durchbruch bedeuten wird - aber es könnte sein, das genügt mir bereits, ich und einige von uns werden hinfahren am Wochenende.

Hernán: Da denke ich, werden wir uns kennenlernen, denn von uns werden auch einige da sein, unter anderem ich. Bis jetzt kennen wir uns ja nur über Helmuts Telefonmagie. Die ja vermutlich auf Dauer einen Absolutkahlschlag der Telefonbeschäftigten bedeuten wird. Und hoffentlich trägt so ein Kongress dazu bei, etwas unbürokratisches zu schaffen.

Mosés: Ich werde nicht da sein, aber den versuch mit grossem Interesse verfolgen - auch kommende, wenn es diesmal nicht klappt, denn eine solche Allianz erscheint mir die Basis für eine neue Volksbewegung und die damit verbundene und dazu nötige runderneuerung der Gewerkschaftsbewegung...

Dann vielen Dank, und ich hoffe mit Euch, dass es wirklich was ändert.

(Das Gespräch führte Helmut Weiss am 26. April 2006)


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