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Nach vier Monaten Streik und Protest: Ein – bitteres – Ende des Kampfes der mexikanischen Gewerkschaftsopposition gegen die Privatisierung im Erziehungswesen?

„Yo soy CNTE!“Seit Mittwoch, 7. September haben die Schulen im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca wieder geöffnet, der Unterricht findet zunehmend normal statt. Was unter anderen Umständen eine relativ beliebige Nachricht sein könnte, ist es in diesem Falle keineswegs. Oaxaca ist zwar nicht Ursprung, aber Hochburg der CNTE, der Opposition in der SNTE, der Gewerkschaft der LehrerInnen Mexikos. Und die Sektion 22 – eben die dieses Bundesstaates Oaxaca – hat auch die tragende Rolle gespielt in dem Streik der Gewerkschaftsopposition gegen die sogenannte Erziehungsreform des Universitätsbetrügers Pena Nieto. Ist ein Streik von 100 Tagen – inklusive massiven Widerstandes gegen die Repressionsorgane des mexikanischen Staates – damit beendet? Noch geht der Streik weiter: Die Sektion des Bundesstaates Chiapas hat seine Fortsetzung beschlossen. Aber alleine?  Dieser lange Kampf hatte es geschafft, andere Teile der mexikanischen Gesellschaft zu mobilisieren, wie kaum eine andere Bewegung zuvor. Selbst die Drohungen des Pena Nieto – gedrängt von den wie immer blutrünstigen Unternehmerverbänden – mit einem Armee-Einsatz hatten nicht zu einem Ende der wochenlangen Blockaden in einer ganzen Reihe von Bundesstaaten geführt. Warum also jetzt? Ein Ergebnis vielleicht der internen Auseinandersetzungen der verschiedenen linken Strömungen, die die CNTE organisieren? Siehe dazu unsere kommentierte aktuelle Materialsammlung „CNTE-Streik zu Ende – ohne Ergebnis?“ von Helmut Weiss vom 08. September 2016:

CNTE-Streik zu Ende – ohne Ergebnis?

Wenn eine der traditionellsten und stärksten Sektionen (Bundesstaat-Einheiten) der CNTE, die Sektion 22 in Oaxaca die Wiederaufnahme des Unterrichts nach 111 Tagen beschließt, dann ist dies natürlich ein Schritt, der den ganzen weiteren Kampf zunächst einmal in Frage stellt. Wie auch die bisher erreichten Erfolge – die nicht so gering waren. Da nützt es dann auch nicht so sehr viel, eine Erklärung zu verabschieden, in der betont wird, dies sei nicht das Ende des Kampfes, sondern eine andere Etappe. Es ist das absehbare Ende des Streiks, weil die Sektion 7 des Bundesstaates Chiapas, die die Fortführung beschloss, alleine diesen Kampf nicht allzu lange wird führen können.

Streik-Ende – oder was?

„REGRESO A CLASES NO SIGNIFICA NINGUNA DERROTA, LA JORNADA DE LUCHA CONTINÚA“ am 05. September 2016 bei der CNTE Oaxaca externer Link ist die Erklärung der (hier seit langem stark mehrheitlichen) Gewerkschaftsopposition zur Wiederaufnahme des Unterrichts im Bundesstaat. Darin wird vertreten, es handele sich keineswegs um ein Ende des Kampfes, sondern um eine neue Etappe, eine neue Strategie, aufgrund des starken Wunsches der Elternvertretungen des Bundesstaates werde der Unterricht wieder aufgenommen, ohne von den Forderungen des Streiks Abstand zu nehmen – und mit einer ganzen Reihe weiterer beschlossener Protestaktionen.

„Resolutivos de la Asamblea estatal de la Sección XXII del SNTE-CNTE“ am 27. August 2016 dokumentiert bei indymedia Mexico externer Link sind beschlüsse der staatlichen Mitgliederversammlung der CNTE Oaxaca des selben Tages: in denen allerdings von einem Ende des Streiks oder einem entsprechenden Abkommen mit Elternvertretungen nicht die Rede ist…

„Striking teachers in southern Mexico return to class“ am 06. September 2016 im World Bulletin externer Link ist die Meldung über die Wiederaufnahme des Unterrichts, wie sie durch die Medien vieler Länder ging. Darin wird auch berichtet, dass die Sprecherin der CNTE Oaxaca, Isabel Garcia Velasco, in ihrer Mitteilung unterstrich, dass der Kampf weitergehe – und rund 20 Prozent aller Mitglieder im Bundesstaat das Protest-Zeltlager in der Landeshauptstadt weiterhin aktiv betreiben werden, wie auch etwa 10 Prozent beim Zentrallager der CNTE in Mexiko-Stadt sein werden.

„La CNTE enfrenta un momento decisivo“ am 05. September 2016 bei Radio Ke Huelga externer Link dokumentiert sind Beschlüsse und Protokolle der CNTE Versammlungen der Woche unter anderem eben im Bundesstaat Chiapas, wo die Sektion 7 der SNTE historisch diejenige ist, in der die Gewerkschaftsopposition zuerst die Mehrheit hatte – und sie seitdem kontinuierlich ausgebaut hat – bei denen es um die Fortführung oder nicht, der Streikmaßnahmen ging. Die Sektion 7 beschließt nicht nur die Fortsetzung des Streiks, sondern will auch für weitere Bündnisse mobilisieren, die nach Sektionseinschätzung bereits jetzt alles bisher da gewesene überbieten würden.

„Inician clases en Chiapas con maestros sustitutos“ am 07. September 2016 beim Informador.mx externer Link ist die Meldung darüber, dass im Bundesstaat Chiapas die Landesregierung und Präfekturen die Schulen zwangsweise geöffnet haben und dafür auch ZeitarbeiterInnen mobilisiert – eine weitere Maßnahme, um Druck auf die Streikenden auszuüben, nach Gehaltskürzungen, Entlassungen und (zahlreichen) Festnahmen durch die (bekanntermaßen völlig „saubere“) Polizei

„Lucha no debe afectar derechos de los niños, dice SNTE“ am 23. August 2016 beim Informador.mx externer Link ist die Wiedergabe einer Presseerklärung der Gewerkschaft SNTE. Dieser wahre Schandfleck der (nicht nur, nachzusehen bei der EI) mexikanischen Gewerkschaftsbewegung – vom ersten Tag an massiv gegen den Streik hetzend – spielt hier den Vertreter der Eltern und Kinder, in dem sie mitteilen lässt, die Kinder dürften nicht Opfer des Streiks sein. (Opfer der sogenannten Reform des Erziehungswesens der Pena&Co dürfen sie aber schon sein, gelle?) Aber natürlich: Das verstärkt den Chor der Hetze in den mexikanischen (? – oder eher: Slim?) Medien – und so ist es ja auch von dieser Truppe gedacht, oder aber eher, wie man sie kennt: Ihr anbefohlen worden

„Descuentan pago a más de 28 mil maestros en Oaxaca“ am 30. August 2016 beim Informador.mx externer Link ist die Meldung darüber, dass 28.000 Lehrerinnen und Lehrer im Bundesstaat Oaxaca im August kein Gehalt bekommen haben. Dafür, dass laut Regierungspropaganda (auch diese von der SNTE lebhaft unterstützt) nur „ein paar Hundert“ Beschäftigte am Streik im Bundesstaat teilgenommen haben, sind das ganz schon viele, die Abzüge wegen Streikbeteiligung erleiden. Hm? Regierung? Wahrheit?

Wie geht es weiter? Was steht zur Debatte?

Die Lehrerinnen und Lehrer der mexikanischen Gewerkschaftsopposition haben nicht nur monatelang gestreikt – natürlich ohne Streikgeld, natürlich mit immer mehr Gehaltssperren. Sie haben gestreikt, demonstriert, Blockaden und zahlreiche andere Aktivitäten organisiert. Sie haben mit Elternverbänden und SchülerInnen-Komitees zusammen gearbeitet, in einem in Mexiko selten dagewesenen Ausmaß Bündnisse mit demokratischen und Menschenrechtsorganisationen geschmiedet. Die Unterstützung der EZLN gewonnen, der die Erziehung in ländlichen Gegenden besonders am Herzen liegt, was eines der zentralen Themen des Streiks war. Die Solidarität anderer Gewerkschaften über Deklarationen hinaus organisiert und mobilisiert. Einiges in Mexiko bewegt, das es vorher eher nicht gab. Sie sind von der korrupten Bundespolizei geschlagen und beschossen (mit deutschen Waffen, wie so viele in Mexiko?) worden, mit chemischen Kampfmitteln wie Tränengas traktiert. Von der Propaganda (nicht nur) des Slim-Konzerns als verkommene Leute, die ihre Privilegien verteidigen dargestellt, von einer Regierung permanent angegriffen und mit Militär bedroht, von der sich am besten (für sie) sagen lässt: Gar nichts. Sie sind auf Straßen von reaktionären Menschen beschimpft, bespuckt, manchmal geschlagen worden (und ja, sie haben auch zurückgeschlagen: Gut so, weitermachen). Niemand auf der weitaus weniger kämpfenden Linken etwa kann jetzt daher kommen und ihnen irgendwelche Vorwürfe machen. Dennoch erhebt sich die Frage: Wie kam es zu dieser Entwicklung, warum ist der Kampf ins Stocken geraten?

„Abrogación de la mal llamada Reforma educativa“ am 07. September 2016 bei kaosenlared externer Link dokumentiert ist eine Erklärung der Olep (Organización de Lucha por la Emancipación Popular) über den weiteren Kampf. Diese linke Gruppierung, was immer man von ihr ansonsten halten mag, hat den Kampf der CNTE von Anfang an vor Ort unterstützt und versucht, ihn zu verbreitern, beziehungsweise dazu beizutragen. Sie unterstreicht in dieser Erklärung, dass die Politik der Regierung intensiviert wurde, um die Spaltung unter den LehrerInnen voran zu treiben und zu vertiefen – um unter allen Umständen einen Erfolg zu verhindern, denn dieser könne zur Infragestellung aller neoliberaler Reformen der letzten Jahre führen.

„Elementos para comprender a la Sección 22 de la CNTE“ von Jorge Iván Puma Crespo am 22. Juni 2016 bei Nexos externer Link ist ein Beitrag der (von einem gutbürgerlichen Standpunkt aus) einen Einblick in die inneren Strukturen und Strömungsverhältnisse der CNTE Oaxaca zu geben versucht. Darin wird aber vor allem die Geschichte der Gewerkschaft im Bundesstaat skizziert – und vor allem unterstrichen, dass es immer wieder Phasen gab, in denen die Bürokratie der SNTE sich nicht einmal schämte, das Militär gegen die Opposition zu Hilfe zu rufen. Neben den Verweisen auf Zusammenhänge mit den Guerilla-Bewegungen in den 70er Jahren wird vor allem darauf abgehoben, dass die CNTE Mehrheit in der SNTE zustande kommt als ein Zusammenwirken verschiedener linker Strömungen innerhalb der Gewerkschaft, das des Öfteren unter dem Zwang der Reaktion entstand.

„Ninguna sección consolidada de la CNTE puede negociar sin asamblea representativa“ von Pedro Echeverría V. am 03. September 2016 bei rebelion.org externer Link ist ein Beitrag eines langjährigen Aktivisten, der vor allem betont, dass es für solche Beschlüsse wie Verhandlungen aufzunehmen oder Streiks zu beenden in der CNTE Regeln gibt, die zu befolgen seien, weil Ergebnis der demokratischen Revolte gegen die SNTE-Bürokratie. Die Angebote, die die Regierung den Sektionen, und vor allem jener von Chiapas, gemacht habe, so der Autor – etwa die Verschiebung der Reform bis 2018, um Zeit für Verhandlungen zu haben – müssten nach aller Erfahrung mit größtem Misstrauen bewertet werden. Und unterstreicht abschließend: Nur Beschlüsse, die von Versammlungen, die entsprechend den Statuten einberufen worden seien, könnten als legal anerkannt werden, keinesfalls könnte dies durch Vorstandsbeschlüsse alleine legitimiert werden – zumindest eben nicht, wie die Überschrift sagt, in jenen Einheiten der SNTE, in denen die Mehrheit der Opposition seit langem konsolidiert sei

„Para abrogar la reforma necesitamos preparar el paro nacional“ von Arturo Méndez am 06. September 2016 bei La Izquierda Diario externer Link ist ein Beitrag eines Vertreters der CNTE-Strömung Agrupación Magisterial y Normalista Nuestra Clase, in dem vor allem argumentiert wird, dass die LehrerInnen und auch die Opposition der Gewerkschaft SNTE, so stark sie auch sein mag, diesen Kampf gegen die neoliberalen Reformen nicht alleine gewinnen können. Dies sei der einzige Weg, den „Abnutzungskampf“ der Regierung zu überstehen. Es wird darin auch kritisiert, dass die Sektionsvorstände der CNTE in den kampfstärksten Bundesstaaten Oaxaca und Chiapas wenig oder nichts unternommen hätten, den Kampf auf andere Regionen auszuweiten – obwohl beispielsweise die SNTE-Bürokratie sehr wohl Kräfte aus anderen Bundesstaaten und politische Verbindungen zu Parteien der Reaktion – natürlich insbesondere der  regierenden PRI – genutzt hätten, um ihre, bisher meist ergebnislosen, Streikbruch-Versuche zu organisieren. Der Autor verweist dabei auch darauf, dass es zwar Gespräche zwischen der CNTE und etwa dem unabhängigen Gewerkschaftsbund NCT gegeben habe, aber keine Beschlüsse und Maßnahmen.

„Sindicatos con la CNTE“ ebenfalls von Pedro Echeverría V. am 30. August 2016 bei rebelion.org externer Link ist ein Beitrag, der einen ausführlichen Überblick gibt über jene Gewerkschaften, die die CNTE in diesem Kampf in der einen oder anderen Weise unterstützt haben. Die Universitätsgewerkschaft STUNAM gehört ebenso dazu, wie die Elektrikergewerkschaft SME, die Telefonistengewerkschaft, die Gewerkschaftsverbände NCT und UNT. Darin sieht der Autor nicht nur ein „Kapital für die Zukunft“ sondern auch eine Hilfe für den aktuellen Kampf.

„Nochixtlán rumbo al autogobierno: Entrevista con compañeros mixtecos del Comité Ciudadano“ am 26. August 2016 bei kaosenlared externer Link ist ein Beitrag mit Vertretern des Bürgerkomitees von Nochixtlan – jener Stadt, in der im Juni die Bundespolizei ihr mörderisches Feuer auf streikende LehrerInnen und ihre SympathisantInnen eröffnet hatte. Die daran anschließnede regelrechte Volksrevolte hatte dazu geführt, dass sämtliche „Autoritäten und Behörden“ die Stadt fluchtartig verlassen hatten – und das Bürgerkomitee seitdem die Verwaltung übernommen hat – unter anderem mit Hilfe von streikenden LehrerInnen. So sehr dieser Beitrag eine eigene Würdigung verdient ist er doch zugleich auch eines, von vielen möglichen Beispielen dessen, was dieser lange und große Streik alles in Bewegung gesetzt hat – auch, und gerade außerhalb der Gewerkschaft.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=104181
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