letzte Änderung am 30. September 2003

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Warum starb Lee Kyung-hae? - Selbstmord aus Protest gegen WTO-Agrarpolitik

Von Christian Karl, Seoul

Chooseok, Südkoreas Erntedankfest, stand dieses Jahr vielerorts in den ländlichen Gebieten im Zeichen des Protests gegen die Welthandelsorganisation (WTO).

Ausgelöst hat diesen Protest die Tat des Bauernaktivisten Lee Kyung-hae, der sich vor einer Woche auf den Barrikaden von Cancún, unweit des Tagungsortes der WTO-Konferenz, das Leben nahm. Lee war lange Zeit Vorsitzender der Koreanischen Progressiven Bauernföderation. Er wolle gegen die »weltweite Politik der Ausrottung der Bauernschaft« protestieren, hatte er vor seiner Tat in einem Interview für das koreanische »AgroFood Magazin« erklärt. Einige wenige hier zu Lande halten Lee für einen »verrückten Extremisten«, die Mehrheit der Bauern Südkoreas aber sieht ihn als Märtyrer, müssen sie doch selbst mit ansehen, wie sie die WTO-Politik ihrer Existenz beraubt.

Lee Kyung-hae musste das am eigenen Leib erfahren. 1947 geboren, hatte er in Sòul Agrarwissenschaften studiert, bevor er 1974 in seine Heimatgemeinde Jangsu in der Provinz Nord-Cholla zurückkehrte, um mit viel Idealismus und moderner Technologie eine Musterfarm aufzubauen. Neue Methoden der Landwirtschaft machten ihn zu einer Art Guru für südkoreanische Bauern und vor allem für Studenten, die auf seiner Farm moderne, aber naturnahe Verfahren in Viehzucht und Ackerbau studieren konnten. Als Südkoreas Regierung jedoch 1988 den Markt für Rindfleischimporte öffnete, war Lees 300 Tiere starke Rinderherde über Nacht wertlos geworden. Um Kredite, die er für sein Projekt aufgenommen hatte, zurückzahlen zu können, musste er monatlich etliche Tiere verkaufen, was wegen des massiven Preisverfalls aber nichts mehr einbrachte. Mit den Niedrigstpreisen für australische Rinder aus Massentierhaltung konnte er nicht konkurrieren. Lees Farm wurde für bankrott erklärt, die Banken ließen sein Land beschlagnahmen.

Eben solche Erfahrungen fürchten die südkoreanischen Bauern - denen es schon jetzt nicht besonders gut geht - demnächst flächendeckend machen zu müssen. Die meisten betreiben kleine Familienbetriebe, die tief in der Schuld der Banken stehen. »Wenn erst einmal der Markt für alle landwirtschaftlichen Produkte geöffnet ist, dann sind wir bankrott«, prophezeit Anh Byong-son aus einem kleinen Dorf südlich der Hauptstadt Sòul. »Wir können nicht gegen den Reis aus den USA oder die auf Riesenplantagen geernteten Früchten aus China bestehen«, fürchtet die 68-Jährige, die ihren Lebensunterhalt durch Anbau und Verkauf von Wein und rotem Pfeffer verdient.

Südkoreanische Kunden mögen sich darüber freuen, wenn sie für Obst und Gemüse nicht mehr so tief in die Tasche greifen müssen wie bisher, für viele Bauern könnte dies jedoch das Ende bedeuten.

Am letzten Wochenende, im Verlaufe einer Trauerzeremonie fuer Lee, kam es in Seoul zu schwersten Auseinandersetzungen zwischen tausenden Bauern und Globalisierungsgegner auf der einen Seite und den beruechtigten Anti-Aufruhreinheiten der suedkoreanischen Polizei auf der anderen Seite. Diese wollten die Anwesenden daran hintern, einen Demonstrationszug zu formieren, welcher zum Amtssitz des Preasidenten Roh Moo-hyun fueren sollte. Dabei stiessen die Beamten auf einen dermassen haeftigen Widerstand, dass sie sich am Ende sogar gewungen sahen, sich fuer ihr "eigentlich unentschuldbares Vorgehen", so der Polizeipraesident von Seoul, bei den Demonstranten entschuldigen mussten.

Die Vertreter der Bauern und Globalierungsgegner machten ihrerseits klar, dass sie unter keinen Umstaenden, im Zuge einer weiteren Oeffnung des suedkoreanischen Marktes fuer Importe landwirtschaftlicher Produkte, eine Verschlechterung der Lebensbedingungen der Landbevoelkerung kampflos hin nehmen wuerden und kuendigten massiven Widerstand an.

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