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Kenia: Occupy Parliament – und die Gewerkschaftszentrale gleich mit?

Kenia: Occupy ParliamentDie Märzwahlen in Kenia waren zumindest deutlich friedlicher als befürchtet (von manchen auch: erwartet?) und brachten den Sieg des grössten Grundbesitzers des Landes. Nach der Wahl gab es nicht wie versprochen, als erstes mehr Lehrer, sondern eine Diätenerhöhung im Parlament. Die auf heftige und breite Kritik stiess – ausser beim Gewerkschaftsbund COTU. Die kommentierte Materialsammlung “Occupy Parliament – und die Gewerkschaftszentrale gleich mit?” vom 20. Mai 2013, zusammengestellt und kommentiert von Helmut Weiss auf Initiative und Hilfestellung von Reinhard Gebhardt

Occupy Parliament – und die Gewerkschaftszentrale gleich mit?

Der vor rund zwei Monaten gewählte Präsident Kenyatta ist nicht nur der Sohn des ersten Präsidenten des unabhängigen Kenia – Familienclans gibt es eben nicht nur in Indien, Pakistan oder Nordkorea – sondern auch (deswegen?) der grösste Grundbesitzer des Landes. Gewonnen hat er in einer Art “Koalition der Verfolgten” – also (einiger) jener Politiker, die bei den Massakern nach den Wahlen 2007 (auf beiden Seiten) einiges an Verantwortung trugen, weswegen sie jetzt eigentlich vor den internationalen Gerichtshof in Den Haag sollten. Dies als imperialistisches Komplott gegen Kenia zu bezeichnen (was man, wenn allein betrachtet wird, wer alles nicht vor dieses Gericht kommt, nicht ganz verneinen kann, auch wenn Kenyatta nun gar nichts antiimperialistisches an sich hat) und einen Katalog sozialer Verprechungen in Verbindung mit einer absurd teueren Wahlkampagne – das waren zumindest einige der Gründe für seinen Wahlsieg. “Kenyattas Wahl bietet jetzt endlich die Gelegenheit, diese zwielichtige opportunistische Strafverfolgung zu beenden. Deswegen kann man jetzt nicht an Kenyatta das Exempel statuieren, vor dem man sich mit Kibaki und Odinga drückte. Vor allem ist Kenyatta jetzt nicht plötzlich ein wichtigerer Angeklagter als die anderen, bloß weil er Präsident ist. Vielmehr sollte seine Wahl als Chance gesehen werden, ein neues Kapitel aufzuschlagen, in dem eine Aufarbeitung der Verbrechen von 2007-08 möglich wird und Kenia zur Normalität zurückfindet. Die gut verlaufene Wahl von 2013 ist der erste, entscheidende Akt dazu gewesen. Er darf nicht der letzte sein” – so bewertet in “(Zeit für ein neues Kapitel externer Link)” Dominic Johnson am 10. März 2013 in der taz den Wahlsieg Kenyattas – beziehungsweise die “westliche Kritik” an ihm, die an seinen Gegnern, wie auch am bisherigen Präsidenten, nicht geübt wurde. In dem Artikel “(Wahlen in Kenia: Die Rechnung des ‚Westens‘ geht nicht auf externer Link)” von Siegfried Schröder am 14. März 2013 bei der Rosa Luxemburg Stiftung wird direkt die These vertreten: “Die Warnungen westlicher Länder, den vom ICC angeklagten Uhuru Kenyatta zu wählen, wirkten tatsächlich als Mobilisierungshilfe”.

In dem Artikel “(Capital: The Only Winner in Kenya’s 2013 Elections externer Link)” von Wangui Kimari am 08. April 2013 beim (US) Black Agenda Report wird einerseits hervorgehoben, dass “die Afrikaner nicht, wie von US- und europäischen Medien gierig erwartet, einander die Köpfe einschlugen” und viele Menschen stolz zur Wahl gegangen seien; andrerseits wird unterstrichen, dass die beiden grossen Koalitionen eben die des grössten Grundbesitzers gegen die des grössten Geschäftsmannes (Radinga) gewesen seien, wobei der unterlegene Radinga von den USA gestützt worden sei. Beider Wahlsieg würde und werde nichts ändern: Die Preise für Brot und Milch blieben horrend hoch, polizeitstaatliche Willkür präge weiterhin den Alltag und die Regierung bleibe von ausländischen Investoren abhängig und werde weiterhin Stellvertreterkriege mit führen, wie den in Somalia.

Wobei die innere Situation des Landes in weiten Bereichen – und für viele Menschen – auch immer noch von den bürgerkriegsähnlichen Konflikten nach den letzten Wahlen geprägt ist: “Solange eine zentrale Frage nicht gelöst ist, sagt Milly Lwanga, werden sich rivalisierende Politiker immer wieder zu solch makabren Schachzügen ermutigt fühlen: die Situation der Vertriebenen wie Zakaria. „Die Regierung hat ihr Versprechen nicht ansatzweise eingelöst, diese Menschen an ihren Ursprungsorten wieder anzusiedeln und zu integrieren“, sagt sie. „Die jetzige Lage vermittelt die klare Botschaft: Man kann in Kenia Menschen von ihrem Land vertreiben – und auf Dauer damit durchkommen.“ – aus “(Angst vor dem Wahlkampf externer Link)“ von Tobias Zick am 02. September 2012 in der “Süddeutschen Zeitung”. Worin auch unterstrichen wird, dass ein beträchtlicher Teil der damaligen Verbrechen von der Polizei begangen wurden – ohne dass bisher irgendetwas unternommen worden wäre.

Wie gross die Probleme auch jener Menschen sind, die im formellen Bereich einen Job haben, kann beispielsweise nachgelesen werden in dem Beitrag “(Mombasa Municipal Council Workers Down externer Link)(Tools externer Link)” von Veronica Riba am 14. März 2013 bei den Citizen News, worin deutlich wird, dass diese Arbeiter seit Januar keinen Lohn mehr ausbezahlt bekamen, weswegen sie in den Streik traten.

Ein allgemeiner verbreitetes Problem ist etwa die Wohnungssituation. In dem Artikel “(Boom externer Link)(boosting growth of slums externer Link)” von Immaculate Wairimu am 10. April 2013 bei “The Nation” wird unterstrichen, dass etwa 70% der Wohnungen in der Hauptstadt Nairobis Slum-Hütten sind, und dass selbst die sogenannte Mittelklasse höchstens aus zweiter Hand (bessere) Wohnungen bezahlen kann.

In dem Report “(One million Kenyan children still out of school externer Link)” von Joseph Kariuki am 11. April 2013 in “The Star” wird deutlich dass, trotz einiger Fortschritte seit 2003, immer noch vor allem Kinder in ländlichen Regionen nicht zur Schule können – weshalb auch Kenyatta Wahlversprechen, 40.000 neue Lehrer einzustellen, in der Wahlkampagne eine ziemlich wichtige Rolle spielte.

Die ersten Maßnahmen: Keine neuen Lehrer. Dafür: Höhere Diäten…

Das Versprechen, neue Lehrer einzustellen wurde sehr schnell nach der Wahl schon wieder in -frage gestellt. Finanzminister Njeru Githae hatte öffentlich das “einfrieren” der Neueinstellungen verkündet, weil die Lohnkosten im öffentlichen Dienst erst überprüft werden müssten, sie seien wohl eine Bedrohung für die Entwicklungsperspektiven des Landes. In dem Bericht “(Knut opposes bid to freeze hiring of new teachers externer Link)” von Geoffrey Rono am 18. März 2013 in “The Nation” wird der Vorsitzende der Lehrergewerkschaft KNUT Wilson Sossion von seiner Pressekonferenz zitiert, als er darauf verwiesen hatte, dass keinesfalls die Gehälter im öffentlichen Dienst, sondern Korruption und Patronage die Gefahr für die Entwicklung des Landes darstellen würden.

Worin ihm auch sofort Recht gegeben wurde: Die erste Maßnahme der Neugewählten war es, die Diäten für Abgeordnete zu erhöhen. Wogegen sich wiederum diesmal sofort öffentliche Proteste richteten, wie in dem Überblick (inklusive Link zu Twitter) “(Activists Occupy Parliament in Kenya externer Link)“ von Ndesanjo Macha am 16. Mai 2013 bei “Global Voices Online” dokumentiert wird – eine Besetzungsaktion im Parlament. Über die Protestaktion wird auch im redaktionellen Beitrag “(Protests in Nairobi over MPs‘ pay externer Link)” am 14. Mai 2013 in “Daily Nation” berichtet – wie die zugänge blockiert wurden, Schweine losgelassen (was eine Strafverfolgung wegen Tierquälerei nach sich zog…). Eine Protestaktion, die aber grosse Zustimmung fand.

Und: Die auch gleich auf Gewerkschaftszentralen hätte ausgedehnt werden können? Zumindest war der Gewerkschaftsbund COTU die erste grössere Organisation, die ihre Zustimmung zu der Diätenerhöhung signalisierte. “(Cotu backs Atwoli over MPs salaries externer Link)” heisst der Bericht von Samuel Otieno am 25. April 2013 in “The Star” worin unterstrichen wird, dass es keineswegs ein Alleingang des COTU-Vorsitzenden gewesen sei, der Diätenerhöhung zuzustimmen, sondern die Vorstandsposition…Was wiederum Proteste hervorrief: “(Kenyan Activist Boniface Mwangi Arrested externer Link)” vom 01. Mai 2013 ist ein kurzer Videobericht (hier dokumentiert bei allafrica) von der Festnahme eines Aktivisten am 1. Mai, als er die Rede des Vorsitzenden des Gewerkschaftsbundes zu unterbrechen versuchte – aus Protest eben gegen dessen Unterstützung für die Diätenerhöhung…

Die Initiative Unga Revolution beispielsweise hat die Petition “(Mwananchi Petition May 14, 2013 externer Link)“ gestartet, mit der Unterschriften gesammelt werden sollen, dass die Steuern vorrangig der Behebung sozialer Probleme dienen sollen und nicht dem Parlamentariereinkommen. In dem Interview “Experiences from below” am 03. April 2013 bei Pambazuka wird Gacheke Gachihi, Aktivist auch bei Unga nach den Erfahrungen der kenianischen Basisinitiativen mit den Wahlen und der Situation befragt und gibt einen Einblick in die generellen sozialen Probleme des Landes sowie in den Alltag jener, die Veränderung suchen…

In dem Bericht über den 1. Mai “(Let’s reform trade union movement externer Link)” von Jaindi Kisero am 02. Mai 2013 in “Business Daily” werden, wie es in einem solchen Blatt üblich ist, zwar einerseits Wünsche des Bürgertums über die Gewerkschaften ausgedrückt, andrerseits wird aber eben deutlich, dass die Gewerkschaften am 1. Mai den neugewählten Präsidenten über alle Maaße feierten – ganz im Gegensatz etwa zu den Kritiken an der politischen Korruption und der Patronage, wie sie etwa in den Streiks zur Jahreswende ständig präsent war…

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=35253
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