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Italien vor wichtigen Parlamentswahlen: Italien wieder als großes politökonomisches Versuchslabor

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 04.01.12

Die soziale „Wende“ des „Super-Mario“ Monti – und die Frage nach der Reichweite des „Diktats“ „der Märkte“?

So sei jetzt dir als „Auch-Italien-Fan“ jetzt einmal diese Wende des „Super-Mario“ Monti für die Parlamentswahlen in Italien Ende Februar angezeigt. Das wirft die interessante Frage auf, ob „die Märkte“ gar nicht so eine „sozial-verheerende“ Politik erfordern, sondern – siehe den Zinssatz bei den italienischen Staatsanleihen – auch hier „kompromissbereit“ sein können, wenn nur „grundsätzlich“ ihre Interessen nicht „tangiert“ werden – und wo würde das mit den „wirklichen“ Interessen der Finanzmärkte anfangen?

Bisher gingen „wir“ (ging ich) davon aus, dass die strikte Austeritätspolitik im „gefühlten“ Interesse der Märkte ist, die ja auch für Merkel das zentrale Orakel sind. Eine derarige Austeritätspolitik hat ja Monti unter Brechung des Widerstandes der italienischen Gewerkschaften bisher auch eifrig betrieben. (vgl. z.B. den Abschnitt „Generalstreik in Italien: Montis erste große Hürde“ bei (http://archiv.labournet.de/diskussion/eu/wipo/krise_bahl19.html) Langfristig gehen die „Staatsschulden“ natürlich mit der Austeritätspolitik – einfach empirisch gesehen! – unter, weil sie mit dem immer weiteren Ansteigen der Staatsschuld einfach „unbedienbar“ werden. Aber wie die Märkte eben blind für reales Wachstum sind (= Merkel sieht das sicher anders – und kann für Deutschland dabei gewisse Erfolge verbuchen aus der spezifisch deutschen „Exportüberschuss-Lohndumping“-Position heraus), müssten sie demnach auch blind für eine angemessene reale Schuldenbedienung sein. – Lehrt uns Monti – der „Kapitalversteher“ (Wolfgang Streeck) – jetzt das Gegenteil? Und wie weit kann das gehen? Damit würde „experimentell“ die Frage beantwortet werden können, wie „tief“ das „Diktat“ der Märkte wirklich gegenüber der Politik geht – bzw. gehen muss?

Auslese zu Monti – vor den Parlamentswahlen in Italien: Monti sieht das Licht

Monti stürzt sich voller Elan in die neue Rolle als Aushängeschild einer neuen Zentrumskoalition bei den Parlamentswahlen im Februar.
In einem Radio-Interview hat er am Mittwoch angekündigt, im Falle eines Wahlsieges die Steuern auf Arbeit senken zu wollen und die Umverteilung des Reichtums von den Vermögenden zu den Armen voranzutreiben. Die plötzliche Wandlung Montis, in dessen 13-monatiger Regierungszeit sich die Steuerlast für die Italiener deutlich erhöht hat, ist dann auch das Thema in den italienischen Medien. „Der Professor verspricht soziale Gleichheit und will das Technokraten-Image und den Vorwurf der mangelnden sozialen Sensibilität loswerden“, schreibt z.B die „Unita“. Und Monti kommt zugute, dass sich Italien derzeit so billig Geld leihen kann, wie lange nicht. Der Riskoaufschlag für italienische Staatsanleihen ist auf eine Marke gesunken, die Monti stets als Ziel ausgegeben hat: die Hälfte des Höchststandes beim Rücktritt Berlusconis im November 2011. Ganz egal was er im neuen Gewand des politischen Führers vorhabe, schreibt die Turiner Zeitung „La Stampa, die Märkte bewerten Montis Bereitschaft für eine zweite Amtszeit als Premier eben positiv.
FR (http://www.fr-online.de/meinung/auslese-zu-monti-mario-monti-sieht-das-licht,1472602,21381228.html externer Link)

Alle Medienblicke sind auf die Rechte (ohne Berlusconi) in Italien gerichtet bei Vernachlässigung der Linken mit Pier Lugi Bersani

Immerhin wurde Bersani in einer allgemeinen Abstimmung unter den Italienern (= nicht nur Partei-Mitglieder!) mit rund 3 Millionen Stimmen in zwei Wahlgängen gewählt und hat damit nicht nur für eine Revitalisierung der Demokratie in Italien gesorgt, sondern auch mit seine Anspruch für soziale Korrekturen das politische System Italiens – nicht nur gegenüber dem im steilen Sinkflug begriffenen Berlusconi – unter Druck gesetzt. (vgl. dazu zunächst „Ein Exkurs: Italien in der Eurokrise. Ein Beispiel für eine „Revitalisierung der Demokratie“ auf der Seite 8 bei (Politik » Europäische Union » EU-Krise “The Times They Are a-changin”).

Und es sei noch einmal daran erinnert, dass es gerade in dem entsprechenden Arbeitskreis mit Nichi Vendola auf dem „Kurswechsel-Kongress“ der IG Metall Colin Crouch („Postdemokratie“) war, der ja auch den Gewerkschaften eine wichtige Rolle für den Kurswechsel zugeschrieben hatte. Nun sind mit Monti`s Rücktritt und Berlusconi`s Rückkehr die Karten in Italien noch einmal neu gemischt worden, (http://www.taz.de/!107115/ externer Link) nur „diesseits“ der Alpen gibt es zur Überwindung des „Berlusconismus“ jetzt einfach nur einen „Monti-Kult“, (www.sueddeutsche.de/politik/wahlkampf-in-italien-monti-will-koalition-der-mitte-anfuehren-1.1561292 externer Link)

Diesseits der Alpen allein ein „Monti-Kult“ in den Medien.

Dieser Monti-Kult in den Medien ist geneigt, nur noch von Monti als mögliche politische Alternative zu Berlusconi zu schreiben. Ich habe nur den Eindruck, dass dies den italienischen Verhätnissen wohl kaum gerecht werden kann. Nach den hiesigen Medien sieht es deshalb so aus, dass sich der „entscheidende“ Wahlkampf deshalb nur noch im rechten Lager abspielen muss. Dies ist nun „inzwischen“ zwar in der hiesigen Politik und den „hiesigen“ Medien schon fast „total“ angesagt, (vgl. Deutschland und „EU-Troika“ trimmen Italien für Rechtspopulismus“ (www.wirtschaftundgesellschaft.de/?p=7410 externer Link) sowie „Italy: Barroso „praises“ Monti`s reforms – but he is fundamentally wrong“ (www.wirtschaftundgesellschaft.de/?p=7463 externer Link), aber für die Italiener ist dies wohl noch überhaupt nicht ausgemacht. Im Gegenteil die „immer noch“ mögliche Beliebtheit Berlusconis könnte die italienische Linke doch noch zum entscheidenden politischen Faktor machen – und die Rechte in ihren verschiedenen Formen doch insgesamt ziemlich „gespalten“ daherkommen lassen.

Während die Linke mit der „PD“ geade einen großen Coup in der „Aufarbeitung“ des Berlusconismus mit „30 Jahren Vetternwirtschaft“ (ein italienischer Unternehmer) gelandet hat, indem sie den bekannten Anti-Mafia-Jäger Pietro Grasso zur Kandidatur bewegen konnte. (http://bigstory.ap.org/photo/piero-grasso-pier-luigi-bersani externer Link) Diese Tatsache hatte die Süddeutsche wenigstens in ihrer Druckausgabe noch wiedergegeben: Der neue Star der Sozialdemokraten ist Piero Grasso, der wichtigste Mafia-Jäger des Landes. Somit könnte Grasso, der jetzige Chef der nationalen Anti-Mafia-Direktion, der nächste Justizminister von Italien werden – und zu einer „demokatischen Reform“ gehört auch eine Reform des Justizwesens, wie Grasso bei seiner Vorstellung betonte. (http://qn.quotidiano.net/politica/2012/12/28/822594-grasso-aspettativa-csm-motivi-elettorali.shtml externer Link)

Ausdrücklich erwähnte er dabei seine vielfältigen Auftritte vor Parlamentsausschüssen, vor denen er ausführliche Auskünfte in Sachen Mafia, Korruptionsbekämpfung und Geldwäsche gegeben habe – und in der Politik ist nichts umgesetzt worden. Er machte auch noch deutlich, wessen Schuld das wohl vor allem war: Berlusconi! Denn das Delikt Bilanzfälschung hatte Berlusconi noch entschärfen lassen, um seinen eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen zu können und seine Haut zu retten. „Moral und Gesetz“ nennt deshalb Grasso als die Schlüsselworte seines bisherigen und zukünftigen Engagements.

Wer also in Italien wirklich den „alten“ Berlusconismus überwinden will, der muss wohl eher Bersani mit seiner „PD“ wählen, damit neben den sozialen „Korrekturen“ der Rechtsstaat in Italien die Oberhand gewinnen kann. Auch wenn die deutschen Medien vor dieser weiteren und wahrscheinlich besseren Perspektive für die Italiener weitgehend die Augen verschließen. Statt eines diesbezüglich blinden „Monti-Kultes“ mit dem alten Goldman-Sachs-Mann und „Kapitalversteher“ Mario Monti als Mittelpunkt, sollten auch die Medien hierzulande sich einen realistischen Überblick über das Italien vor den Wahlen leisten können. Oder meinen sie die „Schlachten“ für die Bundestagswahl in Deutschland 2013 schon in der „altgewohnten“ Merkel-Einseitigkeit in Italien „vor“entscheiden zu müssen?

Dafür haben nur die Italiener das „letzte“ Wort!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=21036
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