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In Italien wie anderswo: Rechtsradikale an der Regierung bedeuten nicht nur verstärkte staatliche Repression, sondern auch Förderung und Freiraum für faschistischen Terror

"Die Party ist vorbei" - zum italienischen Innenminister und seinem HetzaufrufVor einigen Tagen wurden im mittelitalienischen Viterbo zwei junge Männer festgenommen. Sie sollen am 11. April eine 36-jährige Frau zusammengeschlagen und mehrfach brutal vergewaltigt haben. Die Beweislage ist gut: Die mutmaßlichen Täter hatten alles gefilmt und an die Kameraden geschickt. Was hat das mit Politik zu tun? Viel. Die Täter sind Aktivisten der rechtsradikalen Casa-Pound-Bewegung. Einer der beiden, 19 Jahre alt, ist im vorigen Jahr auf deren Liste in den Stadtrat von Vallerano gewählt worden, einer nahegelegenen Kleinstadt. 21 Prozent der Stimmen hatte die Liste bekommen. Casa Pound ist derzeit eine der einflussreichsten rechtsradikalen Organisationen in Italien, benannt nach dem amerikanischen Dichter und glühenden Bewunderer des italienischen Faschismus, Ezra Pound (1885-1972). Gegründet wurde sie 2003 in Rom. Die Mitglieder besetzten ein großes leerstehendes Haus – angeblich aus Protest gegen hohe Mieten – und machten daraus ihr Hauptquartier. Das ist es bis heute, von der Obrigkeit still geduldet. Später übernahmen sie eine verlassene U-Bahn-Station in der Nähe des Fußballstadions und machten daraus ihr „Kulturzentrum“ – mit rechtsextremen Rock-Bands und Kampfsportturnieren. Illegal, aber geduldet…“ – so beginnt der Beitrag „Die entfesselte Gewalt der Neofaschisten“ von Hans-Jürgen Schlamp am 06. Mai 2019 bei Spiegel online externer Link, worin noch zahlreiche Beispiele für die Verharmlosung von Mord und Totschlag der Casa Pound-Banden angeführt werden – von Berlusconi bis Renzi, von der heutigen Regierung ganz zu schweigen… Siehe dazu zwei weitere aktuelle Beiträge über faschistische Umtriebe und einen Hintergrundbeitrag zum Verständnis dieses Aufschwungs:

  • „Salvini provoziert auf Mussolinis Balkon“ von Dominik Straub am 06. Mai 2019 im Standard online externer Link über den programmatisch-faschistischen Auftritt Salvinis unter anderem: „… Die Stadtbehörde von Forlì und Vertreter der Opposition zeigten sich empört über Salvinis Auftritt. „Der Innenminister hat es für passend gehalten, die Massenveranstaltungen des faschistischen Regimes zu imitieren“, kritisierte Davide Drei, der sozialdemokratische Bürgermeister von Forlì. Das sei inakzeptabel. Von einem „grotesken Déjà-vu“ sprach die lokale Sekretärin des linken PD. „In all den Jahrzehnten des Friedens hat Forlì keine so dunkle Nacht mehr erlebt wie an diesem Wochenende“, betonte Valentina Ancarani. Salvinis Auftritt belege, mit welcher Unverfrorenheit der Innenminister den Italienern ein neues Geschichtsbild eintrichtern wolle. Tatsächlich handelte es sich beim Auftritt Salvinis auf dem Duce-Balkon einmal mehr um eine gezielte Provokation, mit welcher der rechtsnationale Innenminister die post- und neofaschistischen Wähler umgarnen will. Der letzte Tabubruch liegt nur zwei Wochen zurück: Salvini – und auch die anderen Lega-Minister – hatten demonstrativ den nationalen Feiertag des 25. April boykottiert, an dem Italien der Befreiung von Diktatur und Nazifaschismus gedenkt. Der Feiertag der „Liberazione“ ist den alten und neuen Duce-Nostalgikern seit jeher ein Dorn im Auge:_Sie sehen im Sturz Mussolinis keinen Grund zur Freude…“
  • „Die nächste Unsäglichkeit der Lazio-Ultras“ von Oliver Meiler am 26. April 2019 bei der SZ online externer Link berichtet über die bekannteste faschistische Grupperung des Landes: „… Zehn Kilometer liegen zwischen dem Piazzale Loreto im Osten Mailands und dem Stadion Giuseppe Meazza im westlichen Stadtteil San Siro. Wer aus Rom kommt, über die Autobahn A1, wie das etwa 4000 Anhänger von Lazio taten, die am Mittwoch zum Halbfinal-Rückspiel des italienischen Pokals gegen den AC Mailand fuhren, ist schnell beim Stadion. Es gibt da eine Ausfahrt. Der historisch schwer befrachtete Piazzale Loreto dagegen liegt nicht am Weg. Doch er war das Ziel von fünfzig, sechzig „Irriducibili“, wie sich die rechtsextremen Ultras von Lazio nennen: Unbeugsame. Sie haben an der Ecke zum Platz, auf dem vor 74 Jahren die Leichen des Faschistenführers Benito Mussolini und von dessen Geliebten Claretta Petacci an den Füßen aufgehängt worden waren, eine Aktion inszeniert und gleich darauf ins Netz gestellt, die nun viel zu reden gibt. Man sieht die Ultras, wie sie sich auf dem Gehsteig hinter einem langen Spruchband aufgebaut haben. „Onore a Benito Mussolini“ steht da drauf, Ehre für Benito Mussolini. Dazu die Signatur „IRR“, kurz für Irriducibili. Der Chef der Gruppe, ein 53-jähriger Römer, den die Polizei leicht identifizieren konnte, steht vor der Abordnung, in Habachtstellung erstarrt, als wäre das ein militärischer Appell, und brüllt: „Camerata Mussolini?“ Darauf die Parade mit einer Stimme: „Presente!“ Anwesend. Dann der Chef: „Ruhen!“ Danach strecken noch alle den rechten Arm zum Faschistengruß, tönen nostalgische Chöre an, gefolgt von Verwünschungen an die Adresse der gegnerischen Fans, der „Milanisti“. Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Ultras von Lazio eine Unsäglichkeit leisten…“ – und vor allen Dingen ist es keine Unsäglichkeit, sondern zielgerichtete faschistische Propaganda…
  • „Der aufhaltsame Aufstieg des Neofaschismus in Italien“ von Info Aut am 02. März 2018 beim re:volt Magazin externer Link hob zu dieser Entwicklung hervor: „… Drei grundlegende Verschiebungen müssen in Betracht gezogen werden, um den erneuten Aufstieg von Nationalismus und Faschismus in Italien adäquat zu begreifen. (…) Die Erste ist die Staatsschuldenkrise in Südeuropa in den Jahren 2010-2011. Die unnachgiebige und räuberische Haltung der EU-Bürokratien, die die Gier und Vetternwirtschaft nationaler Politiker ausnutzte, entmachtete einige Teile der nationalen Bourgeoisie, wie man auch später während dem griechischen OXI sehen konnte. Letztere, insbesondere diejenigen, deren Interessen von den Sanktionen gegen Russland im Zuge der Krim-Krise 2014 betroffen waren, begannen, sich vom Atlantizismus und dem neoliberalen Europäismus abzuwenden. Dies war eine Entwicklung, die parallel verlief zu der Veränderung der ausländerfeindlichen Partei Lega Nord – damals ein föderalistischer und regionalistischer Zusammenschluss –, die unter ihrem neuen Sekretär Matteo Salvini auf eine lepenistische und nationalistische Linie gebracht wurde. Die Zweite steht im Zusammenhang mit den Auswirkungen der Migrationsströme im Zuge des Arabischen Frühling. Auch wenn diese in Italien weniger bedeutend waren als in Ländern wie dem Libanon oder der Türkei, strapazierten sie den italienischen Staates in vielerlei Hinsicht – namentlich in Bezug auf Wohlfahrts- und Umverteilungssysteme, nationale Identität, Beziehung zur EU – und beeinflussten dementsprechend die politische Debatte. Trotz NATO-Operationen in Libyen; der Verantwortung dafür, mittels der Etablierung örtlicher Cyber- und Militärkomplexe Unterdrückung, Krise und Instabilität in Teilen Afrikas und des Nahen Ostens gefördert zu haben; der Komplizenschaft mit Erdoğans AKP-Regime; und der übergreifenden Kooperation zwischen Parteien und kriminellen Organisationen bei der Ausbeutung von Zuwanderern und ArbeiterInnen insbesondere im aufstrebenden Logistiksektor konnten nur wenige den Zusammenhang zwischen Krieg, Migration und Austerität erkennen – und noch weniger dagegen ankämpfen.  Die dritte Verschiebung ist die vollendete Verwandlung der Mitte-Links Partito Democratico (PD) in ein neoliberales und autoritäres Gebilde.  Vor allem seit dem Jahr 2014, als der Sekretär von PD Matteo Renzi die ehemalige Letta-Regierung durch einen Palast-Putsch stürzte, besteht eine verhängnisvolle historische Verantwortung dieser Partei, die extreme Rechte zurück in die Mainstream-Politik gelassen zu haben. Nachdem seine Vorgänger erstmals nach 50 Jahren ein gemeinsames Gedenken an die Faschisten des Zweiten Weltkriegs gestatteten und eine Law-and-Order-Politik und diskriminierende Rahmenbedingungen einführten in einem Versuch, diese mit einer „linken“ Identität zu verbinden, stach die von Renzi geführte Regierung in zweierlei Hinsicht hervor. Auf der einen Seite wurden die stärksten sozialen Bewegungen (HäuserkampfaktivistInnen, Studis, lokale Komitees, LogistikarbeiterInnen) in Italien sowohl mit gezielten Gesetzen als auch mit beinahe terroristischen „Sicherheitsoperationen“ angegriffen. (…) Auf der anderen Seite fetischisierten Renzi und die ihn umgebenden Medien Salvini (und auch andere faschistische Parteien) als ihren bequemen „abscheulichen Gegner“ und „nützlichen Idioten“ anstatt sich auf einen absehbar nicht erfolgreichen Kampf gegen die aufsteigende populistische Fünf-Sterne-Bewegung einzulassen…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=148408
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