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“Haha, sagte der Clown, als der König die Krone verlor”

Italien hat also einen Clown. Ein ehrenwerter und überaus nützlicher Beruf. Allemal jedenfalls besser als Kanzlerkandidat. Erst recht als Weltmeister im Fettnäpfchen-Mehrkrampf. Und jetzt wird gerätselt, was uns “der Italiener” mit dieser Wahl sagen will. Wobei die meisten Kommentare mehr über die Kommentatoren aussagen als über die Sachlage. Dabei ist eines sicher: “Der Italiener” (und erst recht “die Italienerin”) haben die Cinque Stelle nicht aus Unkenntniss gewählt, im Gegenteil: Das sizilianische Modell hat weit über Sizilien hinaus Stimmen gebracht.

Italien hat gewählt” externer Link – von Claudio Sozzani am 26. Februar 2013 bei telepolis gibt einen Überblick und versucht einen Ausblick, ohne die Hektik der meisten bürgerlichen Kommentatoren. Hervorzuheben ist zuerst, dass die Cinque Stelle in der Tat stärkste Einzelpartei wurde, da die beiden anderen grossen Stimmenblöcke jeweils an Parteibündnisse gingen. Und der Autor hebt auch hervor, dass es eben durchaus ein Programm gibt, das gerne unterschlagen wird, weil es eben nicht in die “politische Landschaft” (insbesondere in der BRD) passt. Ein Programm eben, das bereits in Sizilien den Wahlerfolgt eingefahren hatte.

In Sizilien hatten die Fünf Sterne bei den Regionalwahlen Ende 2012 ihren ersten grossen Wahlerfolg erzielt, mit rund 15% der Stimmen (jetzt erhielten sie dort etwa 30%). Ein Abgeordneter im Regionalparlament erhält rund 10.000 Euro/Monat – die Stellini geben bis auf 2.700 alles davon ab, für regionale Projekte usw. “Als Giorgio Ciaccio im Oktober zum ersten Mal mit seinem Fahrrad zum Sitz des sizilianischen Regionalrats in Palermo fuhr, wusste er nicht, wo er es abstellen sollte. Einen Fahrradständer gab es nicht. Warum auch, alle anderen Abgeordneten nutzten Dienstwagen mit Chauffeur” – aus “Die „Grillini“ müssen noch viel lernenexterner Link von Fabio Ghelli am 01. März 2013 in Zeit-Online (Ein Kommentar, der stellvertretend für viele dieser Richtung in diversesten Medien stehen kann, die allesamt eine Entwicklung erhoffen, wie sie etwa die Grünen in der BRD genommen haben). Wobei festgehalten werden sollte, dass dies schon mehr sind als symbolische Aktionen (was sie natürlich auch sind). Weil die Problematik der politischen Korruption in Italien besonders intensiv in den gesellschaftlichen Debatten steht – nach langen Jahren von Bettino Craxi bis Berlusconi kein Wunder. In dem Zeit-Artikel heisst es weiter: “Im sizilianischen Regionalrat nämlich unterstützten die Fünf-Sterne-Abgeordneten bei einigen Gesetzesvorschlägen die Mitte-Links-Regierung von Rosario Crocetta. Das ist keine Allianz, sagen sie. Wenn die Regierung aber für sie nachvollziehbare Ziele verfolgt – zum Beispiel als sie das umstrittene Projekt für ein Super-Radar der US-Armee blockierte – machen die 15 jungen Politiker gern mit. Ihr Verantwortungsgefühl und ihre Konsequenz haben sie zu Volkshelden gemacht” – was ein erster Hinweis auf politische Orientierung sein mag.

Das “Programmexterner Link der Grillobewegung enthält eine ganze Reihe von Punkten, die aus den Bewegungen der letzten Jahre stammen: Etwa die Abschaffung des Gelmini-Gesetzes (faktisch: Die Privatisierung, Kommerzialisierung und Unternehmens-Bedarfsdeckung des Bildungswesens zurücknehmen, inklusive der Festlegung staatliche Gelder dürften nur dem öffentlichen Bildungsbereich zugute kommen – anders gesagt habe die Berlusconi-Gang dem Kultusministerium 8 Milliarden Euro gestohlen), der Anspruch aller in Italien lebenden Menschen auf öffentliches Gesundheitswesen (eine Einheitsversicherung, deren Beitrag Einkommensgestaffelt sein soll), oder aber eben auch die oft genannte Volksabstimmung über den Euro, die Entprivatisierung der Energieversorgung und einiges mehr – was alles noch lange nicht bedeutet, dies sei ein “linkes Programm”, was es auch gar nicht sein will, da die Cinque Stelle stets betonen, gerade in Italien sei diese traditionelle Unterscheidung längst nichtssagend geworden.

“Das Movimento 5 Stelle ist keinesfalls mit der FPÖ in Österreich oder der VVD in den Niederlanden zu vergleichen. Grillo ist Populist, sicher aber weder Rassist noch Faschist, das gilt wohl auch für 99,9%  seiner Anhänger. Da sie sich aber als „postideologisch“ verstehen, haben sie keine Berührungsängste mit der Lega Nord oder den Faschisten der „Casa Pound“, was sehr irritierend wirkt. Ihr Credo ist: Wenn wir etwas durchsetzen können und die Lega unterstützt uns dabei, ist es uns egal, dass es die Lega ist, auch wenn diese Zusammenarbeit in der Realität recht selten sein dürfte. Grillo hat einige widersprüchliche Äußerungen getätigt, unter anderem über die Staatsbürgerschaft über in Italien geborene Menschen nichtitalienischer Herkunft, was ihm immer wieder vorgehalten wird. Das Programm des Movimento 5 Stelle enthält meiner Erkenntnis nach keinerlei Formen des Rassismus” – das sagt der Politologe Bastian Brandau (Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung) am 27. Februar 2013 im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten “Beppe Grillo: Wer ist der Mann, vor dem Europa zittert?externer Link .

In dem (hier ins Englische übesetzten) Gespräch “An Ungovernable Italy: Interview with Bifoexterner Link von Richard McAleavey mit Franco Berardi am 01. März 2013 bei critical legal thinking hebt dieser eindringlich noch einmal hervor, dass es ganz eigene politische Inhalte der 5 Sterne waren, die die italienischen WählerInnen dazu brachten, sie als Alternative zum Maastricht-Europa zu sehen: Grundeinkommen, 30 Stundenwoche, Rücknahme der Steuerreform und ordnet diese Wahl in den von ihm analysierten Prozeß der “Desintegration des neoliberalen Europa” ein.

Beim eher linken italienischen Portal rassegna wird deutlich, wie der Druck auf die Bewegung aussieht: “I grillini a Grillo: vota la fiducia a Bersaniexterner Link heisst ein Bericht vom 27. Februar 2013 in dem ausführlich geschildert wird, wie die “Basis der Bewegung” über Internetpetitionen Grillo auffordert mit der PD zu koalieren – oder zumindest eine Bersani Regierung zu stützen.

Ansonsten verhält sich die Linke eher so, wie es in dem Beitrag “How Beppe Grillo stole the left’s clothesexterner Link von Lorenzo Fe in der Ausgabe März 2013 des britischen Red Pepper dargestellt wird: Fast schon ein Lamentieren darüber, die Bewegung habe der Linken sozusagen die Themen geklaut, sich aber von ihr distanziert. Wobei hier deutlich gemacht wird, dass ein “Linker” wie Bersani, der die Austeritätspolitik “sozial abgefedert” fortsetzen möchte, nicht nur keine echte Alternative war, sondern auch nicht als eine gesehen wurde. Während die kleineren linken Parteien und Ansätze stramm an der 4%Klausel gescheitert sind. In dem Beitrag „Il voto, Grillo, e la Sinistraexterner Link von Gianmarco Pisa am 02. März 2013 beim linken Portal bellaciao wird vor allem unterstrichen, dass diese Wahl speziell für die gesamte Linke eine Schlappe gewesen sei (unter anderem darauf verweisend, dass Berlusconis Lager gegenüber Umfragen vor einigen Wochen sich deutlich wieder stabilisieren konnte), weshalb ein Wiedergründungsprozess nötig sei, den der Autor um die Rifondazione Comunista herum zu organisieren vorschlägt – was einige Debatten produziert die, wie auch eine Reihe anderer Beiträge, zu denen verlinkt wird, ein grobes Bild der Reaktionen der radikaleren Linken bietet.

In dem Interview “Il risultato elettorale chiama in causa il sindacato. Serve più radicalitàexterner Link am 02. März 2013 bei liberazione (nur Abonnenten zugänglich, hier dokumentiert bei controlacrisi) zieht Mimmo Pantaleo, Vorsitzender der Lehrergewerkschaft in der CGIL die Konsequenz, dass die Gewerkschaftsbewegung auf dieses Wahlergebnis mit radikalerer Positionierung und Aktivität antworten muss. Der Gewerkschaftsbund CGIL unterstreicht in seiner Presseerklärung “CGIL, serve un governo propositivo capace di produrre cambiamentoexterner Link vom 01. März 2013 dass die Wahl zwei Hauptergebnisse gebracht habe: Die Ablehnung des europäischen Austeritätskurses und das erklärte Mißtrauen gegenüber dem politischen Establishment – wobei der Gewerkschaftsbund unterstreicht, jetzt komme es darauf an, eine Regierung zu bilden, die positive Veränderung zu schaffen in der Lage sei. Wohingegen der Basisgewerkschaftenverband USB in der knappen Erklärung “Alcune, poche, brevi, prime considerazioni post votoexterner Link vom 27. Februar 2013 vor allem unterstreicht, dass sowohl die “Merkelpartei” (Monti) als auch die Antieuropäaer (Berlusconi) als auch die “Abfederer” (Bersani) und die (nicht im Parlament vertretenen) linken Bündnisse Stimmen verloren haben, und Cinque Stelle als einziger Wahlgewinner nun Position beziehen müsse, was ihre Klassenorientierung betrifft.

Den Versuch, eine generelle Bestandsaufnahme der Entwicklung antikapitalistischer Bewegungen in den letzten Jahren zu ziehen – und darin eben die Rolle zu analysieren, die 5Stelle spielt – durch die Autorengruppe Wu Ming (5 Autoren, die in der BRD unter anderem auch durch ihren gemeinsamen Roman „Q“ bekannt wurden) stellt das Interview „Wu Ming’s interview “Beppe Grillo lives on the ruins of the movements” externer Link von Roberto Ciccarelli am 01. März 2013 bei Il Manifesto (hier in englischer Übersetzung bei Struggles in Italy) dar: eben weil diese Bewegungen es nicht geschafft hätten, sich irgendwie zu erneuern nach diversen Niederlagen, könne Grillos Bewegung jetzt sozusagen die Scherben aufsammeln (was sich auf die vielen linken WählerInnen der Fünf Sterne bezieht) – und habe alles getan, um den sich neu entwickelnden Protest und Widerstand gegen die Austeritätspolitik in den Bahnen der Legalität zu halten.

(Helmut Weiss, 03. März 2013)

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=28210
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