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Ein Jahr Rechtsregierung in Italien: Rassismus und Sozialhatz – rufen Großdemonstrationen hervor

Demonstration gegen Verfassungsreform in Rom am 15.8.2016Das »Bürgereinkommen« war das zentrale Wahlversprechen des M5S. Nun wird dieses erfüllt, und der Zeitpunkt ist nicht zufällig. Denn der Wahlkampf für die Europawahlen läuft bereits. Schon ab April sollen die ersten Berechtigten über ihr »Einkommen« verfügen. (…) Bedürftige Alleinstehende sollen maximal 780 Euro monatlich, Familien bis zu 1 330 Euro zur Verfügung haben, Geld wird aufstockend zum Einkommen des Empfängers gezahlt, wenn dieses darunter liegt. Nach Schätzungen der Regierung wird die Unterstützung etwa 1,4 Millionen Familien beziehungsweise 4,6 Millionen Menschen zugute kommen. Mindestens ein Drittel der in Armut Lebenden in Italien sind allerdings nicht arbeitslos, sondern working poor – prekär beschäftigte Menschen, die abwechselnd arbeiten und arbeitslos sind oder unfreiwillig in Teilzeit ­arbeiten. Ausländer, die nicht mindestens zehn Jahre offiziell in Italien gelebt haben – und damit ein Großteil der in ­Armut lebenden EU-Ausländer und Migranten –, sind vom Bürgereinkommen ausgeschlossen, ebenso Familien, in denen ein Mitglied in den vergan­genen zwölf Monaten eine Stelle gekündigt hat. (…). Auch frei verfügen dürfen die Empfänger nicht über das Geld, das monatlich auf die Debit-­Karte überwiesen wird. (…) Die Grundsicherung ist außerdem an eine Reihe von Bedingungen geknüpft, die die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt fördern sollen – die »Anti-Couch-Vorkehrungen«, wie Di Maio sie genannt hat: Arbeitslose müssen während der gesamten Zeit des ­Bezugs aktiv nach Arbeit suchen. Dazu verpflichten sie sich mit ihrer Unterschrift unter den »Arbeitspakt«. Dieser sieht vor, dass der Bezieher täglich auf der offiziellen Online-Plattform der Regierung nach neuen Stellenangeboten sucht. Wer in den ersten sechs Monaten eine bis zu 100 Kilometer entfernte Stelle ablehnt, kann wegen Verdachts der Schwarzarbeit kontrolliert werden. Nach sechs Monaten gelten bis zu 250 Kilometer als zumutbar, nach einem Jahr ein Umzug innerhalb Italiens. Wer drei Mal ein Stellenangebot ablehnt, bekommt kein Geld mehr. Zu den »Anti-Couch-Vorkehrungen« gehört zudem die Verpflichtung zu acht Wochenstunden gemeinnütziger Arbeit…“ – aus dem Beitrag „Wie Hartz IV, nur schlimmer“ von Federica Matteoni am 14. Februar 2019 in der jungle World externer Link über die italienische antisoziale HartzIV-Variante. Zur Bilanz nach einem Jahr Rechtsregierung in Italien zwei weitere aktuelle Beiträge über leere Versprechungen, die zu Drohungen wurden und auch nochmals mit einer knappen Zusammenfassung des rassistischen Sicherheitsgesetzes – sowie ein kurzer Bericht von der Mailänder Großdemonstration gegen Migrantenlager, nur eine Woche nach der großen Gewerkschaftsdemonstration:

  • „Ein Jahr rechtskonservative Regierung in Italien“ am 25. Januar 2019 im revolt:mag externer Link ist ein Gespräch von Maja Tschumi mit einem neapolitanischen Aktivisten von Potere al Popolo (mit dem sie vor einem Jahr bereits einmal gesprochen hatte und der nun eben eine Zwischenbilanz zieht). Neben parteipolitischen Überlegungen zur Reorganisierung der Linken in Italien, führt er dabei zur Migrantenhatz der Rechtsregierung unter anderem aus: „Bisher gab es drei Wege für eine Person, in Italien Asyl zu beantragen: 1. der internationale Schutz, 2. der subsidiäre Schutz welcher dann vergeben wird, wenn zwar die persönlichen Verfolgungskriterien nach der Genfer Konvention nicht bestehen, jedoch dem*der Asylsuchenden im Herkunftsland ein schwerer Schaden drohen würde, und 3. der humanitäre Schutz. Der humanitäre Schutz wurde jenen gewährt, die zwar nicht beweisen konnten, dass sie persönlich verfolgt wurden, eine Rückführung in ihr Herkunftsland aber wegen Unzumutbarkeit der dortigen Lage oder eines fehlenden Rückführungsvertrages zwischen Italien und dem Herkunftsland unmöglich ist. Diesen humanitären Flüchtlingsstatus hat das neue Sicherheitsgesetz abgeschafft. Folglich werden rund 40’000 Geflüchtete diesen Status verlieren, und damit auch das Recht, in Notunterkünften zu wohnen und ihren Aufenthalt zu verlängern. Kurzum: sie werden obdachlos und illegalisiert. Dem neuen Sicherheitsgesetz zufolge kann sich eine geflüchtete Person nur noch dann beim Einwohnermeldeamt einschreiben und also Residenz beantragen, wenn sie in einer Auffangstruktur lebt, den sogenannten SPRAR (Servizi Protezione Richiedenti Asilo e Rifugiati, deutsch: Dienste Schutz von Asylsuchenden und Geflüchtete) oder CAS (Centri di Accoglienza Straordinaria, deutsch: Zentren der außerordentlichen Zuflucht). Das schränkt den Bewegungsradius und den Handlungsspielraum dieser Menschen massiv ein. Das Sicherheitsgesetz von Salvini betrifft aber nicht nur Migrant*innen, sondern auch die Rechte der italienischen Bevölkerung. So werden zum Beispiel Straßenblockaden im Rahmen politischer Demonstrationen künftig mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft. Besetzungen von Häusern zu Wohnzwecken werden kriminalisiert…
  • „Große Töne gespuckt“ von Cédric Duran am 18. Februar 2019 in der jungen Welt externer Link hält in seinem Beitrag über rechte Zusammenrottungen zu Europawahl zum Verhältnis Versprechungen und Verwirklichungen nach einem Jahr unter anderem fest: „… Die italienische Erfahrung zeigt, dass es zwischen diesen beiden Sackgassen einen anderen Weg gibt. Salvini sagte im Oktober, Italien werde »nicht ein Komma des Haushalts« ändern. Letztendlich gab es doch Änderungen: Nach einem Streit mit der EU-Kommission stimmte die italienische Regierung zu, ihre Ausgaben zu reduzieren, um das Haushaltsdefizit auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu reduzieren. Noch schlimmer ist jedoch, dass das Prinzip der automatischen Mehrwertsteuererhöhung, der unfairsten Steuer, gilt, wenn das Budget aus dem Ruder läuft. Gleichzeitig ist der soziale Aspekt in der Koalition mit der »Fünf-Sterne-Bewegung« auf ein Minimum geschrumpft. Nicht nur die Umsetzung des garantierten Mindesteinkommens, das wichtigste Wahlversprechen, hat sich verzögert. Auch die dahinter stehende Philosophie wurde völlig verändert. Es ist jetzt ein Einkommen, das auf Aktivierung zur Erwerbsarbeit setzt. Nach sechs Monaten wird es den Begünstigten entzogen, wenn sie einen Job ablehnen, der weniger als 100 Kilometer von ihrem Zuhause entfernt ist. Kurz gesagt, diese Maßnahme hat am Ende nichts mit dem Projekt der Unterstützer eines universellen Einkommens zu tun. Schließlich, und dies ist ein klares Zeichen, wurden Maßnahmen zugunsten der Reichsten unverzüglich umgesetzt. Die pauschale Steuer von 15 Prozent ist jetzt in den Broschüren von Vermögensverwaltern, die die italienische Steuerattraktivität preisen, prominent vertreten. Und die einstigen Gegner des Finanzkapitals sagten, sie seien bereit, die Banca Carige zu retten, und zwar genau zu den Bedingungen wie bei anderen Bankenrettungsaktionen, die sie noch vor wenigen Monaten kritisiert hatten…
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=144503
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