»
Italien »
»

Drei Beträge der italienischen (Gewerkschafts)Linken zum Ergebnis der Volksabstimmung und den Perspektiven

USB-Plakat zum Referendum in Italien am 4.12.2016 - Nein zur Verfassungsreform!Nach der Niederlage bei der Volksabstimmung über die Verfassungsänderung und dem daraus folgenden Rücktritt des Regierungschefs Renzi  ziehen die politischen und gewerkschaftlichen Linken, die für das „soziale Nein“ mobilisiert hatten, sowohl eine jeweilige Bilanz über die Bedeutung dieses Referendums, als auch sie sich nahe liegender Weise auch Gedanken dazu machen, welche politischen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind und welche Aktivitäten anzugehen. In drei Beiträgen – der linken Opposition im Gewerkschaftsbund CGIL, der kommunistischen Zeitschrift Contropiano und des langjährigen Repräsentanten der Gewerkschaftslinken Giogio Cremaschi  – wird dies praktiziert. Die Beiträge wurden dankenswerter Weise vom Gewerkschaftsforum Hannover übersetzt und mit Kommentaren und Erläuterungen versehen. Siehe: Drei Beträge der italienischen (Gewerkschafts)Linken zum Ergebnis der Volksabstimmung und den Perspektiven:

Die Position der Gewerkschaftslinken in der CGIL

Vorbemerkung des Gewerkschaftsforum Hannover: Die linke Opposition im größten und früher KP-nahen italienischen Gewerkschaftsbund CGIL – „Sindacato è un’altra cosa“ („Gewerkschaft ist was anderes“) veröffentlichte am 5. Dezember 2016 den folgenden Kommentar zum Ausgang des Verfassungsreferendums auf ihrer Homepage (https://sindacatounaltracosa.org). Auf den darin angesprochenen neuen Metalltarifvertrag, über den kurz vor Weihnachten die Urabstimmung stattfindet, sowie die Tarifabkommen des Öffentlichen Dienstes in Italien werden wir in Kürze in Form weiterer Übersetzungen eingehen.

Jetzt ein großes NEIN auch zum Nationalen Metalltarifvertrag! Jetzt eine neue Kampfperiode!
Zum Ergebnis des Verfassungsreferendums, den stattfindenden Tarifrunden und der nächsten politisch-gewerkschaftlichen Phase

Gestern hat das NEIN gewonnen. Deutlich und mit einer bemerkenswerten Wahlbeteiligung. Nachdem sich sein Regierungsprogramm um diese Gegenreform drehte, nachdem er persönlich das Gesetzesdekret über die Verfassungsänderung unterzeichnet und sie seiner Mehrheit in den beiden Parlamentskammern aufgezwungen hatte, ist Renzi zurückgetreten. Mit diesem großen NEIN haben wir eine Gegenreform gestoppt, die die Machtbefugnisse in der Exekutive konzentriert und das grundlegende Programm der Verfassung zugunsten der Vorherrschaft des Unternehmens und der Beseitigung der sozialen Rechte verändert hätte. Wir haben eine autoritäre Wende vonseiten der Bosse aufgehalten.

Nun muss man eine neue Kampfperiode entwickeln. Diese Regierung hinterlässt nämlich ein für alle Arbeiterinnen und Arbeiter schwerwiegendes Erbe: Jobs Act, Buona Scuola <d.h. die von Renzi & Co. „Gute Schule“ getaufte Bildungsreform>, Kürzungen im Gesundheitswesen und Geldgeschenke an die Unternehmerschaft. Ein Erbe, das erst noch besiegt werden muss. Doch das reicht nicht. Nur eine Wiederbelebung des sozialen Konfliktes und ein neuer Protagonismus der Arbeiterbewegung kann ein weiteres reaktionäres Abdriften verhindern. Aus all diesen Gründen ist es notwendig, erneut eine große Massenmobilisierung zu starten und für diesen Sieg eine Mündung vonseiten der Arbeit und der sozialen Rechte zu schaffen.

Deshalb war es falsch, die Tarifauseinandersetzungen der Metaller und des Öffentlichen Dienstes wenige Tage vor diesem Abstimmungstermin schnell und mittels Zwang zu beenden. Es bringt nichts diese auf Wasser geschriebenen Übereinkünfte zu unterzeichnen, für wenige Euro Lohnerhöhung und mit so vielen Zweideutigkeiten (Öffentlicher Dienst und Schulen) oder Tarifverträge abzuschließen, die Löhne und Rechte nicht verteidigen (Metallarbeiter). Deshalb ist es notwendig, sich heute gegen die fragile Übereinkunft in den öffentlichen Sektoren auszusprechen, die mit Blick auf die Wahlen <bzw. das Referendum> Kleingeld verteilt und dabei die Arbeitsorganisation und die Zusammensetzung des Gehaltes (bestehend aus Produktivität, Gesundheitsversorgung und zusätzlichen Sozialleistungen) infrage stellt. Deshalb ist es von grundlegender Bedeutung bei der Urabstimmung über den Nationalen Metalltarifvertrag am 19. / 21. Dezember weiterhin NEIN zu sagen: zu einem Abkommen, das die landesweiten Flächentarifverhandlungen demontiert und jede mögliche Umverteilung auf die betrieblichen Ebenen verlagert (wodurch Arbeiterinnen und Arbeiter gespalten werden), hin zum variablen Teil des Gehaltes (indem jede Konsolidierung des Einkommens verhindert wird), hin zu tariflichen Sozialleistungen (was zur Demontage des öffentlichen Sozialsystems beiträgt und den Gesamtlohn senkt).

Deshalb muss die gewerkschaftliche Initiative sofort wieder aufgenommen werden. Wir müssen raus aus der Starre der letzten Monate und einen Generalstreik gegen das Stabilitätsgesetz organisieren, um zu erreichen, dass alle Gegenreformen der Regierung Renzi (auch durch die kommenden Urabstimmungen der CGIL) beseitigt werden. Von unserer Seite, von der Seite der Arbeit aus.

*************

Ein Artikel von Giorgio Cremaschi

Vorbemerkung des Gewerkschaftsforum Hannover: Die einschneidenden politischen Ereignisse der letzten Monate sorgen zuweilen selbst bei renommierten bürgerlichen Journalisten für Verwirrung. So überraschte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 6. Dezember 2016 der Ressortchef Außenpolitik, Klaus-Dieter Frankenberger, am Schluss seines Leitartikels zum Scheitern der reaktionären Verfassungsänderungen in Italien mit der erstaunlichen Behauptung: „Aus der Perspektive der europäischen Linken sind Ausgang und Folgen des Referendums eine weitere herbe Enttäuschung“, weil „nun Renzi auf seinem Modernisierungskurs entgleist ist“. Eine beeindruckende Begriffsverwirrung: Rückschritt heißt jetzt „Modernisierung“ und ein neoliberaler Christdemokrat und Demagoge wie Matteo Renzi mutiert in der bürgerlichen Phantasie zum „europäischen Linken“. Da trifft der gute alte Silvio Berlusconi die Wirklichkeit sehr viel besser, wenn er über seinen Nachfolger als Regierungschef sagt: „Er ist wie ich.“ (NZZ 5.12.2016) Was das Ergebnis des Verfassungsreferendums für die Linke und die Lohnabhängigen tatsächlich bedeutet, fasst Giorgio Cremaschi in dem folgenden Beitrag zusammen. Wir entnahmen ihn dem Onlinemagazin „Contropiano“ des Rete dei Comunisti (Netzwerk der Kommunisten – RdC) vom 6. Dezember 2016 (17:37 Uhr).

Und zur Person: Zum besseren Verständnis und zur Einordnung der folgenden Kommentars dürfte einige Informationen zur Person interessant sein: Der am 27. September 1948 in Bologna geborene Giorgio Cremaschi hat einen Abschluss in Politischen Wissenschaften. 1974 begann er in Brescia  beim „150 Stunden“-Projekt der damals vereinten Metallergewerkschaft FLM mit der Gewerkschaftsarbeit. In den 80er Jahren sammelte er Erfahrungen in vielen betrieblichen Auseinandersetzungen um Löhne und Arbeitsorganisation und war von 1981 bis 1988 Erster Sekretär der damals KP-nahen Metallarbeitergewerkschaft FIOM-CGIL. Später wurde er Mitglied von deren Nationalem Sekretariat und war unter den FIOM-Generalsekretären Claudio Sabattini und Gianni Rinaldini faktisch die Nummer 2 der mit Abstand größten Branchengewerkschaft in der italienischen Metallindustrie. Zugleich war er einer Köpfe des linken CGIL-Flügels, unter anderem von 2005 bis zu seiner Verrentung als Führer des Rete 28 Aprile (Netzwerk 28. April). Von 2010 bis zum Sommer 2012 fungierte er darüber hinaus als Präsident des FIOM-Zentralkomitees, ein allerdings eher repräsentatives Amt. Aus Protest gegen die immer üblere Politik der CGIL-Spitze trat er im September 2015 nach mehr als 40 Jahren Mitgliedschaft aus der CGIL aus und ist heute der linken Basisgewerkschaft USB verbunden. Politisch zunächst Mitglied des PCI und der nach 1989 aus dieser hervorgegangenen Linksdemokraten (DS), wechselte er später zur DIE LINKE-Schwesterpartei  Rifondazione Comunista (PRC) und galt eine Weile lang als enger Gefolgsmann des Parteichefs Fausto Bertinotti. Cremaschi verlies Rifondazione jedoch wegen ihrer desaströsen Politik in der Regierung Prodi 2004 – 2008, die dazu führte, dass die Partei von einst 11 Prozent auf heute landesweit nur noch 0,5% der Stimmen und von circa 120.000 auf aktuell kaum mehr als 20.000 eingeschriebene (zumeist inaktive) Mitglieder absackte. Cremaschi spielt seit langem eine bedeutende Rolle in verschiedenen außerparlamentarischen Kämpfen und Zusammenhängen. So war er im Sommer 2011 einer der Mitbegründer des Schuldenstreichungsbündnisses „No Debito“ und ab 2013 des antikapitalistischen Netzwerks Ross@.

Man nennt es Klassenkampf und für einen seltenen Moment haben die Armen gewonnen

Von Giorgio Cremaschi

Es gibt eine wahre Flut von Analysen über das Referendum, insbesondere über die unterschiedlichen politischen Positionen der Wähler. Für mich ist die deutlichste Tatsache allerdings die soziale Aufteilung des Votums. Je mehr das Einkommen steigt, umso mehr nimmt das JA zu. Je mehr es sinkt, umso klarer siegt das NEIN. Dies ist das einzige konstante Punkt in jedem Teil des Landes. Und der erdrückende Sieg des NEIN zeigt, dass die ärmere oder verarmte Mehrheit des Landes sich für einmal nicht von der Macht und von den ökonomischen Interessen, die die Macht schützt, hat einwickeln lassen.

Diese Macht führt mittlerweile seit Jahrzehnten einen Klassenkampf von oben. Das heißt sie attackiert und reduziert die sozialen Rechte und die soziale Gleichheit im Namen des Marktes und der Wettbewerbsfähigkeit. Und häufig gelingt es dieser Macht, dank der kulturellen Hegemonie und der Medienmacht, die Armen davon zu überzeugen, dass Veränderungen, also die Begünstigung der Reichen, in ihrem Interesse seien.

Dieses Mal hat dieses Spiel in Italien, genau wie in anderen Ländern in der letzten Zeit, nicht geklappt und die Armen haben für einen seltenen Moment eine Runde des Klassenkampfes gewonnen.

Das, was die Biedermann-Presse skandalisierend „Populismus“ nennt, ist zuallererst dies: der politische Bruch, der unter den Armen und unter den von der Bereicherung der Globalisierung Ausgeschlossenen, die immer zahlreicher werden, heranreift. Dass diese Anzeichen für eine soziale Revolte, im Unterschied zur Vergangenheit, keine Entsprechung in der offiziellen Linken findet, ist nur das Signal für die genetische Veränderung dieser Letzteren. Die nach Jahrzehnten der Anpassung an den neoliberalen Reformismus zum Ausdruck der in der globalen sozialen Selektion erfolgreichen Schichten geworden ist.

Heute ist der typische Mitte-Links-Wähler ein durchschnittlicher bürgerlicher Freiberufler, der im Zentrum und auf den Hügeln der großen Städte lebt. Der in Bezug auf Bürgerrechte progressiv ist und reaktionär, wenn es um soziale Rechte geht. Der Europa, die Märkte sowie das glänzende Leben der neuen Stadtzentren liebt und meint, dass sein Erfolg ausschließlich seinem Können geschuldet sei.

Dieser neue Durchschnittsbürger steht in der Mitte zwischen den großen Reichen, die alles entscheiden und denjenigen, die danach streben seine Stellung zu erreichen. Sie alle zusammen bilden den sozialen Block, der diese dreißig Jahre der Globalisierung beherrschte und dabei die Masse der Armen und der Verarmten, von den Arbeitern über die Erwerbslosen bis hin zu den von den Banken strangulierten Kleinunternehmern platt machte und zersplitterte.

Nun jedoch beginnt diese Herrschaft, aufgrund der fortdauernden Krise, Risse zu bekommen und ebenso die vollständige Kontrolle, die der bürgerliche soziale Block über die Massenmedien und die kulturelle Produktion ausübt. Auch die reicht nicht mehr aus. Die Armen beginnen sich aufzulehnen. Sie kehren als Volk auf das Schlachtfeld zurück und treffen dort auf ihrem Weg – im Unterschied zu früher – nicht mehr auf das, was ein Großteil der Linken geworden ist. Die verliert so ihre historische Funktion und deshalb immer mehr auch ihr Gewicht bei Wahlen.

So wird das Feld des modernen Klassenkampfes, der Rebellion der Armen gegen die sozialen Übergriffe von anderen Kräften besetzt, die manchmal explizit rechts sind und andere schlicht populistisch sind. Doch es ist die Linke, die sich in die Modenschauen der Via Montenapoleone zurückgezogen hat. Überlassen wir diese Linke ihrem Schicksal und versuchen wir den Klassenkampf der Armen zu organisieren und zu repräsentieren, so wie er sich heute neu auszudrücken und zu manifestieren beginnt.

Ein populistischer Klassenkampf, der Italien die aus der Resistenza <dem Antifaschistischen Widerstand> entstandene Verfassung gerettet hat.

*************

Ein Artikel aus der Zeitschrift Contropiano

Vorbemerkung des Gewerkschaftsforum Hannover: Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi hat beim Referendum über seine Verfassungsreform eine krachende Niederlage erlitten. Mehr als 59% der Abstimmenden votierten mit Nein. In dieser Deutlichkeit mit einem Abstand von 18 Prozentpunkten zu den Befürwortern, hatte es kaum jemand erwartet. „Das war der klassische Schuss in den eigenen Fuß“, kommentierte die „Neue Zürcher Zeitung“ am 5.12.2016 noch in der Wahlnacht um 1:06 Uhr. Das Sprachrohr des wichtigsten Schweizer Finanzplatzes beweist in Bezug auf Renzi bemerkenswert dialektisches Denken: „Er, der als ‚rottamattore‘ angetreten war, als Verschrotter der alten politischen Kaste, findet sich selbst auf dem Schrottplatz wieder. Die Schadenfreude seiner Gegner ist grenzenlos.“ Doch Vorsicht vor voreiligen Schlüssen ist geboten: „Die hohe Kunst des Verschrottens jedoch ist das Wiederverwerten, Neuzusammensetzen, Umwandeln. Renzi ist immer noch Chef seiner Partei; man kann annehmen, dass er in erneuerter Gestalt schon bald wieder hervortritt. Und auch Berlusconi und weitere alte Männer aus dem Schrottinventar rühren sich wieder. Es ist die Stunde der Akrobaten und Clowns, der Verwandlungskünstler und Ventriloquisten, der Untoten und Wiedergänger, die zwischen Abfällen und Trümmern – all die gebrochenen Versprechen und missratenen Projekte! – eher ungelenk ihre Kunststücke vorführen.“ Genau in diesem Sinne, mit der Freude über den errungenen Sieg, aber zugleich warnend und mit dem Fuß auf der Euphoriebremse, analysiert auch die Redaktion des kommunistischen Onlinemagazins „Contropiano“ am 5. Dezember 2016 um 14:46 Uhr in einem Leitartikel den Ausgang des Referendums. „Contropiano“ (www.contropiano.org) ist das Organ des aus einer Strömung der Arbeiterautonomie-Bewegung von 1977 / 78 hervorgegangenen Rete dei Comunisti (Netzwerk der Kommunisten) und erfreut sich – in Zeiten eines stetigen Niedergangs der linken Tageszeitung „il manifesto“ – inzwischen einer erheblichen Leserschaft.

Eine Schlacht gewonnen, der Krieg geht weiter

Von der „Contropiano“-Redaktion

Und auch Renzi ist verschrottet worden. Der Sieg des NEIN zur Gegenreform der Verfassung hat, auch wenn er in gewisser Weise vorhergesagt wurde, sofort außerordentliche Dimensionen angenommen, die derart waren, dass sie jeden Versuch das Kommando einer Regierungsgesellschaft zu behalten, die inzwischen das Aussehen und das Verhalten einer Bande von Handelsvertretern bzw. Räubern angenommen hat, unmöglich machte.

Die kurze Abschiedserklärung <vor der Presse> hat die Nichtigkeit einer Persönlichkeit plastisch verdeutlicht, die nur eingestand, dass sie nicht in der Lage war, das Produkt – die Verfassungsreform – zu verkaufen. Die ein anderer (<der ehemalige Staatspräsident Giorgio> Napolitano) schlecht zugeschnitten hatte.

Wir sind glücklich, an dieser erfolgreichen Schlacht, mit einem über die bereits ehrgeizigen Hoffnungen hinaus gelungenen Generalstreik, einer landesweiten Demonstration am 22. Oktober, die dem SOZIALEN NEIN Gesicht und Gestalt verlieh, und dann mit Hunderten von Aktionen, Flugblattverteilungen, Straßenarbeit… aktiv teilgenommen zu haben. Das ging bis zur freudigen „Belagerung“ des <Regierungssitzes> Palazzo Chigi am Sonntagabend, bei der die Abwesenheit der offiziellen „Komitees für das NEIN“ hervorstach, die in ihren Büros unter sich blieben und sich dort mit einem Ergebnis auseinandersetzten, dass sie nicht erwartet hatten. Wie immer weit entfernt von denjenigen, die gezwungen sind, mit den Konsequenzen der politischen und massenfeindlichen Entscheidungen zu leben.

Wir sind uns bewusst, dass ein Sammelsurium untereinander entgegengesetzter politischer Subjekte diesen Sieg errang. Aber wir sind uns ebenfalls bewusst, dass es sich um ein NEIN handelte, das vor allem aus unserem sozialen Block hervorging. Einem Block, der aus Menschen besteht, die trotz Arbeit arm sind und verschiedene Formen von Verträgen haben, von Prekären, Erwerbslosen, Obdachlosen, Scheinselbständigen und „Ich-AG-Unternehmern“…Die außergewöhnlich hohe Wahlbeteiligung – die doppelt so hoch war wie beim letzten Referendum und fast die der Parlamentswahlen von 2013 erreichte – und vor allem das von den Peripherien der Großstädte verordnete, massive NEIN verleihen diesem Resultat ein ganz klares Klassenkennzeichen.

Die einzigen Ausnahmen kommen aus den ehemaligen „roten Regionen“ Toskana und Emilia Romagna, wo ein Gutteil dessen, was einmal als das „Volk der Linken“ galt, noch immer wie die Lemminge hinter einem Rattenfänger der Demokratischen Partei (PD) herläuft, der in den Kleidern des mittlerweile mythischen „Parteisekretärs“ steckt.

Ein Angriff wurde also zurückgeschlagen. Wenn das putschistische Lager des JA gewonnen hätte, mitsamt der Übertragung außerordentlicher Machtbefugnisse an die Regierung und einem Wahlgesetz, das gemacht wurde, um jeden wirkungsvollen Spielraum für irgendeine Opposition auszuschließen, dann hätten sich die „Roten Zonen“ der Polizei bis vor die Haustür erstreckt. Von allen!

Die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse haben sich aber nicht verändert. Unser sozialer Block verfügt nicht über eine politische Vertretung und auch die gewerkschaftliche ist, wenngleich in starkem Wachstum begriffen, leider noch weit von dem entfernt, was die Tragweite der stattfindenden Prozesse erfordert. Lokale oder thematische Komitees und Bewegungen drücken eine territoriale und / oder soziale Verankerung aus, doch es gelingt ihnen nicht, auf eine allgemeine politische Dimension Bezug zu nehmen. Es gibt eine weit verbreitete Konflikt- und Widerstandsfähigkeit. Es fehlt allerdings der Intelligenzsprung, um daraus ein Subjekt mit politischer Stärke, sozialer Unterfütterung, einem Transformationsprojekt und einer konkreten Perspektive zu machen.

Auch auf der anderen Seite gibt es jedoch ein Sammelsurium von Interessen und unterschiedlichen Projekten. Gewiss haben wir klar und deutlich gesehen, dass das „Ja“ zur Verschrottung der Verfassung kräftig von der Europäischen Union, von den Vereinigten Staaten, von den internationalen Märkten, von den multinationalen Unternehmen, vom Industriellenverband Confindustria und von jenem politisch-klientelistisch-mafiösen Milieu gefördert wurde, das in Renzi die Vermittlungsstelle zwischen grundverschiedenen Interessen gefunden hatte.

Der soeben zurückgeschlagene Versuch bestand darin, die von der europäischen und den traditionellen lokalen Interessen verlangten „Strukturreformen“ zusammenzuhalten. Wobei jene traditionellen lokalen Interessen die wahren Verantwortlichen für die besondere Schwere der italienischen Krise sind, wenn auch in einem generellen Krisenkontext des Systems. Zwischen Austerität und korrupter öffentlicher Ausgabenpolitik also. Es war der Versuch, die Zustimmung einiger sozialer Sektoren zu den Politiken, die die Wertschöpfungs- und Reichtumsketten auf dem Alten Kontinent neugestalten, zu einem geringen Preis („80 Euro“ <Steuerbonus, den Renzi versprochen hatte>) zu kaufen. Es war der Versuch, die alten Fäulnisgerinnsel zu retten – die, auch vom Brüsseler Standpunkt aus, mit einem einzigen Schub des Kehrbesens hätten beseitigt werden sollen – und dabei die gesamten Kosten der „Strukturreformen“ auf die abhängig Beschäftigten in allen ihren Formen abzuwälzen und sie so eines anständigen Lohnes, der Einrichtungen des Sozialstaates (Gesundheitswesen, Renten, Bildung) sowie der politischen wie der Arbeitsrechte zu berauben. Bis dahin die Enteignung des Wahlrechtes, des Demonstrationsrechtes und des Rechtes auf Protest vorzubereiten.

Jobs Act, „Buona Scuola“ <d.h. die von der Regierung „Gute Schule“ getaufte Bildungsreform>, ein Darlehen, um vorzeitig in Rente zu gehen, Rettung der Banken und nicht der Menschen, Zerstörung der Zukunftsaussichten für die jungen Generationen – hierzulande genau wie in Großbritannien oder den Vereinigten Staaten – führten zu einer mächtigen, aber auch instrumentalisierbaren Ablehnungsreaktion.

Nachdem Renzis „Vermittlung“ gescheitert ist, werden diese Gerinnsel unterschiedlicher Interessen neue interne Gleichgewichte finden. Und es ist nicht schwer zu erkennen, dass die Alternativen auch hier dazu neigen, auseinander zu driften. Der Druck der Märkte und der Europäischen Union geht in Richtung einer Verstärkung der Zentralisierung der relevanten Entscheidungen innerhalb der „Gemeinschaft“. Die klientelistisch-mafiöse Vendée und das Universum derjenigen Unternehmen, die unfähig sind, „sich zu globalisieren“, wird versucht sein, sich wieder eine auf nationale Souveränität pochende Jungfräulichkeit zu verschaffen und sich so in aller Deutlichkeit der Welle der nationalistischen Bewegungen anzuschließen.

Zwei verschiedene Feinde unseres sozialen Blockes sowie aller Völker Europas, aber zugleich zu allem bereit, nur um die Oberhand zu behalten oder zu überleben.

Von heute an existiert in Italien keine politische Partei im alten Sinne des Begriffes mehr. Die Demokratische Partei (PD) liegt am Boden. Zusammen mit ihrem „Bergsteiger“, der jetzt nur noch beschließen muss, ob er die Reste für eine komplizierte Aussicht auf Vergeltung benutzt oder sie hinter sich lässt und sich ein schönes Leben macht. Seine Berater in den Spitzengremien der Banken oder der Troika werden in jedem Fall nicht darauf verzichten, ihn ihren Interessen entsprechend zu steuern.

De facto ist die italienische Politik – jene innerhalb der Paläste der Macht und um sie herum – seit heute ein verlassenes Lager durch das Gruppen von Plünderern auf der Suche nach ausreichend starken Sponsoren ziehen, die sie im Spiel halten können. Leute ohne Projekte, ohne Ideen und ohne Ehre, aber zu allem bereit. Manövriermasse (vor allem parlamentarische) bis zu den nächsten Wahlen und zu jeder Drecksarbeit bereit.

Giorgio Cremaschi sagte am vergangenen Freitag auf der Piazza zu recht, dass das JA alles ruiniert hätte, aber dass ein NEIN für einen Neubeginn nicht ausreicht.

Die Erfahrung des SOZIALEN NEIN und aller anderen Formen von Antagonismus, die in diesem Herbst praktiziert wurden, bilden eine gute Ausgangsbasis, um zu versuchen, eine geschlossenere, intelligentere und den Feinden gegenüber konfliktbereitere und intern solidarischere Subjektivität aufzubauen. Eine Subjektivität, die in der Lage ist Praktiken und Ideen der Zusammenarbeit in den Mittelpunkt zu stellen sowie die alten Dummheiten / Unsinnigkeiten der „internen Konkurrenz“ zu beenden. Eine Subjektivität, die in der Lage ist, an die generelle Transformation (des Landes, des Mittelmeerraumes und Europas) außerhalb jedes Vormachtstrebens im eigenen Hinterhof zu denken.

Dies ist kein Appell an den „guten Willen“. Es ist die Anerkennung einer Notwendigkeit, zu der es keine Alternative gibt.

Wer immer noch den Kopf in Richtung Vergangenheit wendet und so hofft, den üblichen Trott fortzusetzen, sich weiterhin mit den üblichen Dingen zu beschäftigen ist schlicht und einfach geliefert, noch bevor er das Haus verlässt.

Nachdem Renzi verjagt und ein Sieg des Widerstandes (der Resistenza) eingefahren wurde, wird das Spiel jetzt noch härter. Mit anderen Regeln, Geschwindigkeiten und Entwürfen. Weil dieses Ding da (die globale Finanz, multinationale Unternehmen, europäische Technokraten-Bürokratie, Troika, klientelistisch-mafiöse Seilschaften etc.) keine Zeit verlieren wird.

Und gefällt Euch das etwa? Uns nicht.

  • Zu allen drei Beiträgen: Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern: Gewerkschaftsforum Hannover
    Kontakt: gewerkschaftsforum-H@web.de
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=108634
nach oben