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Die Verteidiger der christlichen Familie als Unterdrückungsinstrument gegen Frauen und Kinder versammeln sich bei der italienischen Rechtsregierung

Dossier

Tausende stellen sich in Verona/Italien am 30.3.2019 dem Weltfamilienkongress entgegen„… Mutter und Vater sind das Geheimnis des Glücks. Nordio gehört der fundamentalistischen Bewegung Christus Rex Traditio an, die unter anderem jede Form von Verhütung ablehnt. Die Familie sei bedroh (…) Im Laufe des dreitägigen Kongresses in der norditalienischen Stadt sind viele solcher Aussagen zu hören, die aus einem anderem Zeitalter zu stammen scheinen: Die Heilung von Homosexuellen wird hier ebenso propagiert wie lange Haftstrafen für gleichgeschlechtlichen Sex…“ – aus dem Beitrag „Salvini erweist christlichen Fundamentalisten die Ehre“ von Andrea Spalinger am 31. März 2019 in der NZZ online externer Link, worin auch über die massenhaften GegendemonstrantInnen berichtet wird. Und wer jetzt denkt, warum die Aufregung über eine christliche Sektengemeinschaft: Sie kamen auf Einladung eben jenes italienischen Ministers kamen, der gerade versucht, Abtreibung zu verbieten – siehe dazu weitere aktuelle Berichte und ein Interview zur Frage, warum der Gewerkschaftsbund CGIL zur Gegendemonstration mobilisierte:

  • Italien verabschiedet Maßnahmen, die Abtreibungsgegnern den Zugang zu Abtreibungskliniken ermöglichen New
    Oppositionsparteien sagen, dass Frauenrechte nach der Verabschiedung des Pakets durch das Kabinett von Georgia Meloni beeinträchtigt werden
    Die italienischen Oppositionsparteien haben erklärt, dass die Rechte der Frauen in Italien einen „schweren“ Schlag erlitten haben, nachdem das Parlament eine Maßnahme der rechtsextremen Regierung von Giorgia Meloni verabschiedet hat, die es Abtreibungsgegnern erlaubt, Beratungsstellen für Schwangerschaftsabbrüche zu betreten.
    Die Maßnahme ist Teil eines vom Kabinett Meloni verabschiedeten Maßnahmenpakets, das aus dem EU-Wiederaufbaufonds für die Zeit nach der Pandemie finanziert wird, von dem Italien der größte Nutznießer ist. Es wird erwartet, dass das Maßnahmenpaket auch im Senat problemlos angenommen wird. Der Schritt folgt auf Maßnahmen, die bereits von mehreren rechtsgerichteten Regionen ergriffen wurden, indem sie Interessengruppen finanzieren, um Beratungsstellen zu infiltrieren, in denen Frauen eine Bescheinigung über ihren Wunsch, eine Schwangerschaft zu beenden, erhalten. Einige Regionen, wie z. B. die Marken, die von Melonis Brüdern von Italien geführt werden, haben ebenfalls den Zugang zur Abtreibungspille eingeschränkt.
    Im traditionell katholischen Italien wurde der Schwangerschaftsabbruch 1978 mit dem Gesetz 194 legalisiert. Obwohl Meloni versprochen hat, das Gesetz nicht zu ändern, wird der Zugang zu sicheren Abtreibungen in Italien immer schwieriger, da viele Gynäkologen sich aus moralischen oder religiösen Gründen weigern, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums aus dem Jahr 2021 weigern sich etwa 63 % der Gynäkologen, den Eingriff vorzunehmen.
    Der stellvertretende Ministerpräsident Antonio Tajani sagte, die Regierung habe zwar nicht die Absicht, das Gesetz zu ändern, aber „wir dürfen diejenigen, die gegen Abtreibung sind, nicht kriminalisieren“. Er sagte: „Wir haben in solchen Fragen immer die Gewissensfreiheit zugelassen. Ich halte es für richtig, dass jeder nach seinen eigenen Überzeugungen und seinem Gewissen handeln kann“. Elly Schlein, die Vorsitzende der Mitte-Links-Partei der Demokraten (PD), bezeichnete die Maßnahme als „schweren Angriff auf die Freiheit der Frauen“, während Silvia Roggiani, eine Abgeordnete der PD, sagte: „Der rechte Flügel zeigt weiterhin seine nostalgische Natur und seine obskurantistische und patriarchalische Vision, indem er auf jede Weise versucht, die Rechte der Frauen zu untergraben. Das ist beschämend.“Abgeordnete der Fünf-Sterne-Bewegung erklärten, Italien habe sich „für einen weiteren Rückschritt entschieden„…“ engl. Artikel von Angela Giuffrida vom 16.4.2024 im Guardian online externer Link (maschinenübersetzt)
  • Abtreibungsrecht in Italien: Der Wettlauf gegen die Zeit 
    Weil sich 65 Prozent der Gynäkolog:innen weigern, Schwangerschaften abzubrechen, ist in Italien das Recht auf Abtreibung in Gefahr. (…) «Das Gesetz Nr. 194 bleibt», verkündete Giorgia Meloni im Sommer 2022 – und meinte damit das italienische Abtreibungsgesetz. Meloni, seit Oktober Italiens Ministerpräsidentin, steht als Katholikin und bekennende Abtreibungsgegnerin für eine äusserst reaktionäre Familienpolitik. Ihr vermeintliches Versprechen, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch nicht abzuschaffen, kommt reiner Wahlkampfpropaganda gleich. Denn in Italien ist der Zugang zu einem Abort bereits so voller Hürden, dass eine Änderung der Gesetzeslage gar nicht nötig ist. Ungewollt schwangere Frauen und genderqueere Menschen durchleben schon jetzt eine Odyssee, bei der ihre psychische und körperliche Gesundheit, manchmal sogar ihr Leben auf dem Spiel steht. (…) Alessia Sacchetti nahm ihren eigenen Leidensweg als Ausgangspunkt für ihren dieses Jahr erschienenen Debütroman «Prima che sia tardi». Die Autorin erzählt darin die schmerzlichen Erfahrungen eines jungen Mailänder Ehepaars, das sich für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden hat. Den Titel «Bevor es (zu) spät ist» wählte Sacchetti nicht ohne Grund: «Es ist für die beiden Protagonist:innen ein echter Wettlauf gegen die Zeit», sagt sie, «der Zeitfaktor ist reine Folter für dieses Paar.» Sie spricht von Frustration, Druck und Ohnmacht, von Ungerechtigkeit, Gewalt und Trauma. Einer der Gründe für die langen Wartefristen, einer der Stützpfeiler des «Systems, das es auf dich abgesehen hat», um mit den Worten Sacchettis zu sprechen, ist die hohe Anzahl der «Verweiger:innen». So nennt man in Italien Ärzt:innen, Hebammen und Pflegefachkräfte, die aus Gewissensgründen keine Abtreibungen durchführen oder sich nicht daran beteiligen. Diese Möglichkeit ist im Gesetz Nr. 194 von 1978 festgehalten – als Zugeständnis an die damals mitregierende Volkspartei Democrazia Cristiana. (…) «Hinter den hohen Verweigerungszahlen steht die katholische Kirche, die ihr Land zurückhaben will.» Dies zeigt sich bereits bei der medizinischen Ausbildung: «Wenn du an einer der vielen katholischen Universitäten Italiens Medizin studieren willst, wirst du erst gar nicht zugelassen, wenn du nicht Verweiger:in bist», erklärt Canitano. «Beim Vorstellungsgespräch fragen sie dich nach dem Leben der Heiligen – und notieren sich das: Er weiss alles über den heiligen Paulus, er hat keine Ahnung vom heiligen Petrus, er ist Verweigerer und gegen die gleichgeschlechtliche Ehe.» Am Samstag, dem 26. November, strömen 100 000 Aktivist:innen aus ganz Italien in die Hauptstadt auf die Piazza della Repubblica. Es ist die Demonstration zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, der am Vortag begangen wurde. Viele Demonstrant:innen tragen das fuchsiafarbene Halstuch des queerfeministischen Kollektivs Non una di meno (Nicht eine weniger), das die Kundgebung organisiert hat. Immer wieder erschallen spontan Sprechchöre: «Non una, non una, non una di meno.» (…) Die Sizilianerin Valentina Milluzzo war nach einer erfolgreichen künstlichen Befruchtung mit Zwillingen schwanger. In der 17. Schwangerschaftswoche wurde die 32-Jährige wegen einer drohenden Fehlgeburt ins staatliche Krankenhaus Cannizzaro in Catania eingeliefert. Zwei Wochen später, am 16. Oktober 2016, war sie tot. Gestorben an einer Blutvergiftung, weil alle Gynäkolog:innen der Station «Lebensschützer:innen» waren. Sie hatten sich geweigert, bei Milluzzo eine lebensrettende Abtreibung durchzuführen. Nicht solange der Herzton des zweiten, noch lebenden Fötus zu hören war. Für Gynäkologin Lisa Canitano ist die Sache klar: «Das sind dieselben Leute, die die Hexen verbrannt haben. Bei ihnen steht die Frau unter dem Embryo, dem Fötus, dem Ehemann.» Vor zwei Monaten wurden vier der sieben angeklagten Ärzt:innen zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Der Schuldspruch lautet auf fahrlässige Tötung. Die Mutter der Verstorbenen nimmt in einem auf Youtube veröffentlichten Video kein Blatt vor den Mund: «Valentina ist nicht aufgrund von Gewissensverweigerung gestorben. Denn dafür müssten diese Verweiger:innen erst einmal ein Gewissen haben.»“ Artikel von Elke Mählmann in der WOZ vom 22. Dezember 2022 externer Link
  • „Tausende stellen sich in Verona dem Weltfamilienkongress entgegen“ am 30. März 2019 bei der NZZ externer Link ist eine dpa-Meldung, in der es unter anderem heißt: „In Italien findet derzeit ein internationales Treffen erzkonservativer Christen und rechter Politiker statt. Am Samstag sprach dort die deutsche Adelige Gloria von Thurn und Taxis und auch der italienische Innenminister Salvini tritt auf. Rund 20 000 Gegendemonstrantinnen protestieren in Verona. (…) Zu der Kundgebung hatten feministische Organisationen, Gewerkschaften und linke Gruppierungen aufgerufen. Demonstranten waren aus ganz Italien angereist; an den umliegenden Parkplätzen wurden 140 Busse gezählt. (…) Hinter dem Treffen, das jedes Jahr in einem anderen Land stattfindet, steht ein christlich-fundamentalistisches Netzwerk evangelikaler Prägung aus den USA…
  • „Protest gegen erzkonservatives Treffen“ am 31. März 2019 in der tagesschau externer Link meldet zum Protest gegen diesen Kongress: „“Weltfamilienkongress“ nennen ultrakonservative Christen und rechte Politiker ihr Treffen in Verona. Die Veranstaltung ist umstritten und spaltet Italiens Regierung. Der Vatikan distanziert sich, auf den Straßen gibt es Protest. In Verona haben sich ultrakonservative Christen und rechte Politiker zu einem sogenannten Weltfamilienkongress getroffen. Auf den Straßen der norditalienischen Stadt gab es massive Proteste gegen die Konferenz. Nach Angaben örtlicher Medien beteiligten sich 20.000 bis 30.000 Menschen an einem bunten Umzug durch die Innenstadt. Die Organisatoren gingen von nahezu 100.000 Teilnehmern aus. Die Demonstranten sangen die Widerstandshymne „Bella Ciao“ und hielten Schilder hoch mit Aufschriften wie „Über unsere Körper und unsere Begierden entscheiden wir selbst“…“

Siehe unser Dossier: [Weltweiter Überblick] Kampf um Abtreibungsrecht: Wie Ultrakonservative die Menschenrechte auslegen

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=146689
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