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Wofür die italienische Rechtsregierung von der EU kritisiert wird. Und wofür von den Basisgewerkschaften, die am 26.10. für eine wirklich andere Sozialpolitik mobilisieren

Italien: Aufruf, den die CUB gemeinsam mit anderen Basisgewerkschaften für einen Proteststreik-Tag am 26. Oktober 2018 für eine wirklich andere Sozialpolitik verbreitetDie Europäische Union hat einiges an der italienischen Regierung auszusetzen: Sie will zu viel Geld ausgeben. Sie will soziale Reformen verwirklichen – sagt sie. Was man in Brüssel und Berlin nicht gerne hört. Bundesdeutsche Medien, die endlich mal wieder eine Chance wittern, sich als kritisch zu profilieren, veröffentlichen im Stundentakt Botschaften über die dubiosen Personen, die in der italienischen Regierung Ämterhaben und scheuen vor keiner Entstellung zurück. Die „Italiener“ wollen: Grundeinkommen einführen! (Kommunismus!), Rentenalter senken! (Kommunismus!), Steuern senken! (äh?) – träfe das alles zu, würde manch Einer ins Grübeln kommen. Dabei ist es schlicht so, dass die Salvinibande die deutsche Sozialdemokratie kopiert. Denn was da beispielsweise als Grundeinkommen dargestellt und entsprechend kritisiert wird, ist nichts anderes als eine weitere „Hartz IV“-Variante, samt Zwangsarbeit und Weiterbildungsdiktat. Und wenn konkret Bilanz gezogen wird, sind die eingehaltenen Wahlversprechen in Rom jene, die sich auf den Krieg gegen MigrantInnen bezogen – darüber aber kann man sich mit der EU „einigen“, wie bereits verschiedentlich zu sehen war. Zur angeblich neuen Sozialpolitik der italienischen Rechtsregierung eine kleine Sammlung aktueller Beiträge – inklusive zu den Forderungen der EU nach Änderungen im Sinne neoliberaler Diktate (Italien ist das neue Griechenland) – und den ganz anders gearteten Gegenpositionen basisgewerkschaftlicher Strömungen:

„Beispielloser Verstoß gegen Regeln“ am 19. Oktober 2018 beim Deutschlandfunk externer Link ist eine Meldung über die EU-Reaktion(per Brief) auf den italienischen Haushalts-Entwurf, in der es unter anderem heißt: „Die Pläne zur Neuverschuldung seien eine noch nie dagewesene Abweichung von den Kriterien des Stabilitätspaktes, heißt es in einem Brief von Wirtschaftskommissar Moscovici an die Regierung in Rom. Darin wird Italien aufgefordert, sich bis zum kommenden Montag dazu zu äußern. Zuvor hatte der italienische Ministerpräsident Conte erklärt, es gebe keinen Grund, Kritik der EU zu fürchten. Alle Maßnahmen seien gut durchdacht. Die Regierung aus europakritischer Fünf-Sterne-Bewegung und rechter Lega plant eine deutlich höhere Neuverschuldung als mit Brüssel vereinbart.  Das Land hat mit rund 130 Prozent der Wirtschaftsleistung bereits jetzt die zweitgrößte Gesamtverschuldung der Eurozone nach Griechenland. Der verabschiedete Haushaltsentwurf sieht ein Defizit von 2,4 Prozent vor. Das ist dreimal so hoch wie vorher zugesagt. Unter anderem sind kostspielige Ausgaben für die Einführung eines Grundeinkommens und Erleichterungen beim Renteneintritt geplant…

„Italien reicht umstrittenen Haushaltsplan bei der EU ein“ am 16. Oktober 2018 bei Spiegel Online externer Link hatte bereits – vor der offiziellen EU-Antwort – den Ton angegeben: „Die Regierung hat den Entwurf nun an die EU-Kommission nach Brüssel zur Prüfung weitergeleitet. Italien – wie auch die 18 anderen Euro-Länder – mussten bis Mitternacht ihre Haushaltsentwürfe für 2019 bei der EU-Kommission einreichen. Italien plant unter anderem die Einführung eines Grundeinkommens für Arme, ein früheres Renteneintrittsalter und Steuererleichterungen für Selbstständige. Zudem sollen Banken Steuervergünstigungen verlieren. (…) Zur Finanzierung kostspieliger Wahlversprechen plant die Regierung aus populistischer Fünf-Sterne-Bewegung und fremdenfeindlicher Lega für 2019 eine deutlich höhere Neuverschuldung als von der Vorgängerregierung in Aussicht gestellt. Sie geht damit auf Konfrontationskurs zur EU. Deren Regeln sehen unter anderem eine Obergrenze für die Schuldenquote von maximal 60 Prozent im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung vor. Italien hat aber bereits Schulden von mehr als 130 Prozent – nur Griechenland kommt in der Euro-Zone auf einen noch höheren Wert…“

„Hartz IV auf Italienisch“ von Michael Braun am 16. Oktober 2018 in der taz externer Link wird da schon konkreter: „Schluss mit der Austerität, her mit einem expansiven Budget: Das ist die Ansage des Fünf-Sterne-Chefs Luigi Di Maio und des Lega-Anführers Matteo Salvini, die beide als Vize­premiers die eigentlichen starken Männer im Kabinett sind. Beide Parteien konnten zentrale Wahlversprechen wenigstens zum Teil in den Haushalt einbringen. Die Lega hat die 7 Milliarden Euro teure Senkung des Renteneintrittsalters für Personen, die wenigstens 38 Beitragsjahre vorweisen können, durchgesetzt. Außerdem gibt es künftig einen einheitlichen Steuersatz (Flat Tax) von 15 Prozent für Selbstständige, die weniger als 65.000 Euro jährlich verdienen. Die Maßnahme kostet 1,5 Milliarden Euro. Sogar 9 Milliarden Euro soll die Kernforderung der Fünf Sterne kosten: das „Bürger­ein­kommen“ von 780 Euro monatlich, das ab März 2019 gezahlt werden soll. Der Begriff suggeriert, es gehe hier um ein bedingungsloses Grundeinkommen, in Wirklichkeit aber handelt es sich um eine Grundsicherung, die Hartz IV ähnelt. (…)Für Menschen im Erwerbsalter ist der Bezug der Leistung allerdings mit der Pflicht verbunden, Arbeitsangebote zu akzeptieren. Bei der dritten Ablehnung soll die Leistung gestrichen werden. Alternativ ist die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen und die Ableistung gemeinnütziger Arbeit für 8 Stunden pro Woche vorgesehen. Ausgeben können die Empfänger ihr „Bürgereinkommen“ nur über eine Geldkarte, die so programmiert sein soll, dass zum Beispiel Einsätze an Spielautomaten unmöglich sind…“

„Der kommende Aufstand“ von Ulrike Herrmann am 17. Oktober 2018 ebenfalls in der taz externer Link ist ein Kommentar zu diesem Bericht, in dem unter anderem das Kräfteverhältnis in dieser Auseinandersetzung Thema ist: „… Zwei Zahlen sagen alles: In Italien sind 33 Prozent der Jugendlichen arbeitslos, und 1,5 Millionen Italiener haben ihre Heimat verlassen, um anderswo ihren Lebensunterhalt zu suchen. Die neue Regierung in Italien ist zwar populistisch und oft degoutant – aber sie irrt sich trotzdem nicht. „Weiter so“ ist keine Option für Italien. Man muss die Wirtschaft ankurbeln. Die italienische Regierung hat daher einen Haushalt aufgestellt, der ein moderates Defizit von 2,4 Prozent vorsieht. Doch selbst diese kleine Kreditaufnahme geht der EU-Kommission schon zu weit: Die italienischen Pläne seien eine „Provokation“. Sparen heißt das heilige Ziel; die italienische Not interessiert überhaupt nicht. (…) Doch wird auch diese Regierung am Ende kuschen, wie ihre diversen Vorgänger. Denn es gibt eine Knute namens „Spread“. Diese technische Vokabel kennt inzwischen jeder Italiener – und fürchtet sich davor. Gemeint ist der Risikoaufschlag, der für italienische Staatskredite fällig werden könnte. Eurozone und EZB können jederzeit entscheiden, ob sie die Finanzmärkte von der Leine lassen – und eine Spekulation gegen Italien erlauben. Sobald aber die Zinsen für italienische Kredite steigen, droht die Staatspleite, während die Wirtschaft in die Krise stürzt. Italien ist also maximal erpressbar, was auch schon mehrfach genutzt wurde…

„Pensioni: pensavamo fosse ‘quota 100’ e invece era l’apocalisse (almeno per Boeri)“ am 17. Oktober 2018 bei Contropiano externer Link ist ein Beitrag über die Rentenreform, von der italienischen Regierung als großer sozialer Fortschritt dargestellt (und dementsprechend, natürlich, von der EU und ihrer neoliberalen Propagandamaschinerie heftig kritisiert), worin deutlich wird – und zwar anhand der Ausführungen des Leiters des Sozialversicherungsinstituts, der mit den geplanten Änderungen die Apokalypse nahen sehe  – dass es mit dem Fortschritt nicht weit her ist. Die Formel Quote 100 (63 Jahre alt plus 37 Jahre im Beruf, oder 64 und 36 und so weiter) macht es schon mal Frauen schwerer, in Rente zu gehen, die Erziehungszeiten haben und die generellen Einkommensverluste durch Erwerbslosigkeit und/oder Hungerlöhne werden sich entsprechend auf die Rentenhöhe auswirken, so lauten, kurz zusammen gefasst, die Einwände des Kollektivs von Wirtschaftswissenschaftlern, die diesen Beitrag verfasst haben.

„La necessità di una ripresa delle lotte, i rischi di un autunno freddo“ am 17. Oktober 2018 bei Il sindicato è un’altra cosa externer Link ist eine Erklärung der organisierten Gewerkschaftsopposition im größten italienischem Gewerkschaftsbund der CGIL zur aktuellen Situation. Darin wird vor allem darauf abgehoben, zu zeigen, dass die Regierung der Rechten überall dort, wo sie den Bruch mit der Kontinuität ihrer Vorgänger vollziehen oder behaupten, dies eben im Dienste bestimmter Interessen tun, die nicht die der Beschäftigten und der Erwerbslosen sind, was sich etwa ganz konkret an der Steuersenkung für Selbstständige zeige, die eine der wesentlichen Zielgruppen dieser Regierung seien. Dass der größte Gewerkschaftsbund Italiens in dieser Situation weitgehend inaktiv bleibe, sei viel mehr, als die Gefahr an Einfluss zu verlieren – es stelle für diese Rechtsregierung die Möglichkeit dar, sich als Sachwalter der „kleinen Leute“ darzustellen.

„“Sicherheitspaket“ soll Italiens Asylrecht verschärfen“ am 12. Oktober 2018 bei Radio Dreyeckland externer Link ist ein Beitrag über eine der zentralen Maßnahmen der italienischen Rechtsregierung, die ohne Kritik aus der EU stattfinden. Darin heißt es unter anderem im begleitenden Text: „… Am 24. September verabschiedete das italienische Kabinett ein sogenanntes „Sicherheitspaket“, das ganz im europäischen Trend liegt: Wo Sicherheit draufsteht, sind asyl- und ausländerrechtliche Verschärfungen drin. Obwohl der konstruierte Zusammenhang zwischen (Un-)Sicherheit und Migration zur Zeit kaum mehr überraschen dürfte, bleibt er doch fatal. Inhaltlich wichtiger ist aber ein anderes Verhältnis: Das zwischen Migrationspolitik und Ökonomie. Und nebenbei wird u.a. auch das Versammlungsrecht beschnitten und Hausbesetzungen werden weiter kriminalisiert. Radio Blackout hat über den Gesetzentwurf – von dem bisher noch keine offizielle Version vorliegt – und die Unterschiede zu den bisherigen Regelungen mit dem Rechtsanwalt Gianluca Vitale gesprochen. Ausschnitte aus dem Interview ergänzen wir hier durch übersetzte Passagen einer Stellungnahme des operaistischen Aktivisten und Wissenschaftlers Sergio Bologna. Er erkennt in dem Gesetzespaket auch einen Angriff auf die Arbeitskämpfe in der Logistikbranche…“

„SCIOPERO GENERALE 26 ottobre 2018“ am 04. Oktober 2018 bei der Basisgewerkschaft CUB externer Link ist der Aufruf, den die CUB gemeinsam mit anderen Basisgewerkschaften für einen Proteststreik-Tag am 26. Oktober verbreitet. An diesem Tag soll für eine wirklich andere Sozialpolitik mobilisiert werden, die unter anderem die seit langem populäre Forderung einer Rente mit 60 beinhaltet. Wir bleiben dran!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=138797
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