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Der Sekretär der größten italienischen Metallgewerkschaft zum Tod des Streikpostens bei GLS Piacenza, zu immer mehr Arbeitsunfällen – und zu den politischen Bedingungen solcher Entwicklungen

Logo CGILZur Tötung eines Streikpostens vor den Toren eines Subunternehmens des Logistikkonzerns GLS in Piacenza durch einen aufgewiegelten LKW-Fahrer, zur Häufung tödlicher Arbeitsunfälle in Italien, zur von der Regierung Renzi betriebenen Deregulierung des Arbeitsmarktes und der Entwicklung von Widerstand gegen diese Verhältnisse brachte die unabhängige linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ vom 18.September 2016 das folgende Interview mit dem Chef der größten Metallarbeitergewerkschaft des Landes FIOM-CGIL, Maurizio Landini“ – so die Einleitung zur Übersetzung des Interviews durch das Gewerkschaftsforum Hannover, das auch verschiedene Erläuterungen hinzugefügt hat

Landini: „Das Leben ist zu einem Lohngutschein geworden“

Der Führer der FIOM: Mit der Auftragsvergabe an Subunternehmer und Kürzungen bei der Vorbeugung befindet sich die Arbeitssicherheit in einer dramatischen Lage. Man muss die verfehlten Gesetze korrigieren. Die CGIL fordert ein neues Statut für die Rechte der Werktätigen und ein Referendum gegen den Jobs Act

Von Adriana Pollice

Am Donnerstag <den 15.9.2016> die Tötung von Abdesselem El Danaf an der Einfahrt der SEAM, einer Logistikfirma des Zulieferbereiches der GLS. Gestern der Tod eines Arbeiters des Auftragsunternehmens Steel im ILVA-Werk von Taranto sowie eines Beschäftigten der ATAC, dem römischen Nahverkehrsbetrieb, der während einer Reparatur durch einen Stromschlag ums Leben kam. Die Metallarbeitergewerkschaften FIM, FIOM und UILM <der drei großen, sozialpartnerschaftlichen Dachverbände CISL, CGIL und UIL> riefen für kommenden Mittwoch <den 21.9.2016> zu einem einstündigen landesweiten Streik auf. „Seit Anfang des Jahres kamen 500 Beschäftigte während ihrer Arbeit ums Leben“, erklären die Chefs der Branchengewerkschaften Marco Bentivogli, Maurizio Landini und Rocco Palombella. „Das ist eine inakzeptable Zahl, die eine dramatische Situation zeigt. Diese Toten sind nie die Folge verhängnisvoller Unglücke, sondern stets der fehlenden Einhaltung der Sicherheitsregeln und -prozeduren durch die Unternehmen sowie im Allgemeinen der Unzulänglichkeit der Präventionssysteme, die wirkungsvolle Absicherungen für die Arbeitsnehmer bilden sollten.“

– Landini, die Arbeitsbedingungen in Italien scheinen sich zu verschlechtern.

Für den kommenden 21.September haben wir die RSU’en <Anm.1> nicht nur aufgerufen, zu streiken, sondern auch Betriebsversammlungen zu organisieren, um über das Thema Sicherheit zu diskutieren. Die Prekarität, die Ketten von Auftrags- und Unterauftragsvergabe verschlechtern die Arbeitsbedingungen bis auf unerträgliche Niveaus. Die gesamte Organisation dreht sich um Erträge und Profite. Was als Kostenfaktor betrachtet wird, kürzt man weg. Im Übrigen, wenn man die Lohngutscheine im Tabakwarenladen kaufen kann wie eine Schachtel Zigaretten, dann ist die Arbeitsleistung des Beschäftigten zu einer Ware wie alle anderen geworden. Am 28.September beginnen die Verhandlungen über die Erneuerung der Tarifverträge für die Metaller. Bei der Gelegenheit werden wir fordern, dass die Sicherheit ein entscheidender Punkt der Diskussion wird.

– Die Reform des Testo Unico (Gemeinsamer Text) über die Arbeitssicherheit scheint jedoch in Richtung einer Verringerung der strafrechtlichen Verantwortung der Unternehmenschefs zu gehen.

Wir sind gegen jedwede Verschlechterung des gegenwärtigen Textes. Es sind im Gegenteil Gesetze notwendig, die auch der Auftragsfirma eine solidarische Verantwortung zuerkennen, während heute hingegen die Schuld immer mehr entlang der Kette der Subunternehmen abgeladen wird. In den Fällen von Piacenza und Taranto haben wir es übrigens mit zwei Zuliefererfirmen zu tun. Immer öfter bekommen die prekär beschäftigten Arbeiter keine Ausbildung, gerade um zu sparen. Die Kosten um jeden Preis zu reduzieren, hat für die Unternehmen keinen Preis. Die Gewährleistung der Sicherheit wird nicht mehr als eine Pflicht und eine Vorschrift betrachtet. So erleben wir eine allgemeine kulturelle Rückentwicklung. Ergebnis ist, dass die Erwerbslosigkeit und die Kurzarbeit zunehmen, aber gleichzeitig die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle nicht sinkt, sondern steigt.

– Am Freitag <den 16.9.2016> hatte die FIOM wegen der Lage bei ILVA Alarm geschlagen und an die Regierung geschrieben, dass das Problem der Instandhaltungen nicht in Angriff genommen wurde.

Wir haben von der Regierung und den Staatskommissaren eine Dringlichkeitssitzung gefordert. Man muss über die Sicherheit und die Gesundheit innerhalb und außerhalb der Anlagen in Taranto diskutieren. Wir verlangen eine Verpflichtung der Cassa Depositi e Prestiti <Anm.2> als Garantie, dass der Staat die ILVA nicht aufgibt. Die notwendigen Investitionen sind für eine Privatperson oder eine Gruppe von Privatpersonen nicht tragbar.

– In Piacenza wurde Abdesselem El Danaf getötet, weil er forderte, dass die Rechte seiner prekär beschäftigten Kollegen geachtet werden.

Die Logistikbranche ist eine derjenigen, wo die Verrohung am höchsten ist. Nicht nur die Subunternehmen, sondern auch die Scheinkooperativen haben die Arbeitsbedingungen dort sehr schwierig gemacht. Es ist klar, dass man so nicht weiter machen kann, auch weil all dies den Einstieg der organisierten Kriminalität begünstigt hat. In Italien gibt es gegenwärtig ganze Teile der Realökonomie, die sich in Händen der Unterwelt befinden. Das ist kein Problem, welches nur die Privatwirtschaft betrifft, sondern auch den öffentlichen Sektor. Denken wir zum Beispiel an das Gesundheitswesen, wo seit Jahren Ausschreibungen mit maximaler Kostensenkung an der Tagesordnung sind und wo dann auch Firmen ins Spiel kommen, die mit Verbrecherclans verbunden sind. Wo man auf Arbeitnehmer trifft, die denselben Job machen, aber mit ganz anderen Bezahlungen, Bedingungen und Rechten.

– Wie lässt sich das ändern?

Man muss die verfehlten Gesetze ändern, die während der letzten Jahren zu diesen Fragen gemacht wurden. Am 29.September endet die Unterschriftensammlung der CGIL für eine Gesetzesinitiative per Volksentscheid zugunsten der Charta der Universellen Rechte der Arbeit, einem neuen Statut der Arbeiterinnen und Arbeiter, das die Vorstellung umkehrt, dass das Unternehmen als starkes Subjekt die Bedingungen der Arbeitenden festlegt. Und dann haben wir drei Referenden gegen die Logik auf den Weg gebracht, die hinter dem Jobs Act <Anm.3> steht. Darin geht es um die Beseitigung der Voucher, die – so wie sie sind – die Arbeit demontieren; um die Auftragsvergabe, mit der sozialen Verantwortung, die auch bei dem bestehen bleibt, der die Arbeit fremd vergibt; und um die Kündigungen, um die Schiefheiten, die durch die Fornero-Reform und den Jobs Act eigeführt wurden, zu korrigieren. Man muss <bei ungerechtfertigter Entlassung> die Rückkehr der Arbeitnehmer an ihren Arbeitsplatz ab Betrieben mit fünf Beschäftigten vorsehen.

Anmerkungen des GFH Hannover:

1) Die Rappresentanze Sindacali Unitarie (Gemeinsame Gewerkschaftliche Vertretungen) in den einzelnen Unternehmen sind eine Mischung aus Betriebsrat und organisationsübergreifendem Vertrauensleutekörper. Nur zwei Drittel der RSU-Delegierten werden demokratisch gewählt. Ein Drittel ist von vornherein den Branchengewerkschaften der drei großen, braven und angepassten Dachverbände CGIL, CISL und UIL vorbehalten und wird entsprechend des Stimmenanteils bei der Wahl unter ihnen verteilt. Dies soll angeblich einer „Zersplitterung“ der Gewerkschaftslandschaft vorbeugen. Zeitweise war in der Metallindustrie und insbesondere bei FIAT sogar die bei weitem größte Branchengewerkschaft FIOM-CGIL von den RSU-Wahlen ausgeschlossen, weil sie sich geweigert hatte, die Spaltertarifverträge der kleineren FIM-CISL und UILM-UIL anzuerkennen sowie ein faktisches Unterwerfungsabkommen (den sog. „Testo Unico“) zu unterzeichnen. Inzwischen hat die FIOM-Führung allerdings – manchem Verbalradikalismus zum Trotz – klein beigegeben.

2) Die Cassa Depositi e Prestiti ist eine öffentlich-rechtliche „Einlagen- und Kreditkasse“ ähnlich der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Deutschland. Das bis vor kurzem der Familie Riva gehörende Stahlunternehmen ILVA steht derzeit unter staatlicher Verwaltung bis ein neuer Besitzer gefunden ist, was schwierig werden dürfte.

3) Der Begriff Jobs Act fasst eine Reihe von Gesetzen und Dekreten der Regierung von Matteo Renzi (Demokratische Partei – PD) zusammen, die eine massive Deregulierung des Arbeitsrechtes, insbesondere eine Aushöhlung des Kündigungsschutzes, zum Ziel haben und weithin als eine Art „Hartz-Gesetze für Italien“ beurteilt werden. Dank ihrer Durchsetzung kam es unter anderem zu einer massiven Zunahme von Mini-Jobs, die mit Voucher (Lohngutscheinen) vergütet werden.

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:  Gewerkschaftsforum Hannover / Kontakt: gewerkschaftsforum-H@web.de

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=105038
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