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Im südirakischen Basra gehen die Proteste weiter: Behördengebäude und Büros religiöser Milizen gestürmt

Protest in Basra (Irak) geht trotz Polizei weiter - heir am 14.7.2018Demonstranten haben in der irakischen Stadt Basra das iranische Konsulat angegriffen und in Brand gesetzt. Irakische Sicherheitskräfte gaben Schüsse ab, um die Proteste aufzulösen. Der Iran verurteilte den Angriff, durch den das Gebäude erheblich beschädigt worden sei. Jedoch seien weder Diplomaten noch Angestellte verletzt worden, sagte Außenamtssprecher Bahram Ghassemi am Abend in Teheran. „Wir erwarten die umgehende Verhaftung und Bestrafung der Angreifer“, sagte Ghassemi. Es sei die Pflicht der irakischen Regierung, die Sicherheit der diplomatischen Missionen zu garantieren. Der Angriff sei geplant worden mit dem Ziel, die freundschaftlichen Beziehungen der beiden Nachbarländer zu untergraben. (…) Am Freitagabend war eine Ausgangssperre für die Stadt verhängt worden. Kurz vor 21 Uhr erklärten die Behörden, es würden alle, die sich auf der Straße befänden, festgenommen. Die seit Juli anhaltenden Proteste in der ölreichen Region, die sich auch auf andere Städte ausweiteten, richten sich gegen Korruption, Misswirtschaft und die massiven Probleme bei der Versorgung mit Trinkwasser. Mehr als 30.000 Menschen in Basra mussten behandelt werden, weil sie verunreinigtes Wasser getrunken hatten“ – aus der Meldung „Demonstranten setzen iranisches Konsulat in Brand“ am 08. September 2018 in der tagesschau externer Link – die dezent darüber hinweg geht, dass die später im Text erwähnten „anderen Gebäude“ die bereits am Vortag angegriffen worden seien, neben Behörden der Regionalregierung vor allem Quartiere verschiedener religiös orientierter Milizen gewesen sind… Zu den Protesten (nicht nur) im Südirak und ihren Ursachen vier weitere Beiträge, sowie der Hinweis auf unseren bisher letzten Bericht zu Ursachen und Ereignissen:

  • „Schiiten gegen Sunniten war gestern“ von Karim El-Gawhary am 08. September 2018 in der taz externer Link hat den Protest gegen die religiösen Milizen schon weitaus mehr zum Thema, unter anderem: „Seit Tagen gehen die Menschen in der südirakischen Stadt Basra auf die Straße, auch gewalttätig. Mindestens elf Menschen sind bei Protesten ums Leben gekommen. Der Ärger der Demonstranten richtet sich nicht, wie man das letzten Jahren aus dem Irak gewöhnt war, gegen eine andere Religionsgemeinschaft. Diesmal gehen sie gegen die eigenen politischen Führungen auf die Straße. Schiitische Demonstranten protestieren gegen schiitische Politiker – und das nicht immer friedlich. Das Gebäude der staatlichen Fernsehanstalt Iraqiya wurde in Basra ebenso angegriffen und angezündet wie die Zentralen religiöser schiitischer Parteien und Milizen, die für den Niedergang Basras verantwortlich gemacht werden. Der Umm Qasr-Hafen in unmittelbarer Nachbarschaft der Stadt musste aus Sicherheitsgründen geschlossen worden. Für Basra wurde mittlerweile eine Ausgangssperre verhängt…
  • „Die Krise als Chance begreifen“ von Seyed Ali Alavi am 29. August 2018 bei Qantara.de externer Link ist ein Beitrag, in dem versucht wird, ein Gesamtbild der Situation deutlich zu machen: „Immerhin hat die Zentralregierung inzwischen zumindest personell eingelenkt: Inmitten der wochenlangen Massenproteste wurde der irakische Stromminister Qassem al-Fahdawi Ende Juli entlassen. In der Folge begann Premierminister Al-Abadi, Treffen mit Delegationen lokaler Stammesführer und prominenter Persönlichkeiten durchzuführen und versprach eine Reihe von schnellen Maßnahmen, um den ökonomischen Forderungen der Bevölkerung zu entsprechen. Ende Juli ordnete Al-Abadi auch eine Entschädigung für Geflügelhalter an, die unter der Vogelgrippe-Epidemie zu Beginn dieses Jahres zu leiden hatten. Am 23. Juli gaben die sunnitischen arabischen Stämme von Hawija symbolisch eine Presseerklärung heraus, die die Proteste in den südlichen Provinzen unterstützt. In gewisser Weise spiegelten diese Demonstrationen jene wider, die im Dezember 2017 in den Großstädten der Region Kurdistan stattfanden. Kurdische Demonstranten in Sulaymaniyah und Halabja gingen wegen mangelnder Grundversorgung und verspätet ausgezahlter Gehälter auf die Straße. Ein Bewohner von Sulaymaniyah sagte mir, dass viele Menschen in Kurdistan Sympathie für ihre Landsleute in Najaf und Basra haben, da sie alle unter dem gleichen Mangel an grundlegenden Dienstleistungen und der Korruption leiden. Klar ist jedoch auch, dass die jüngsten Proteste im Irak noch keine Revolution bedeuten. Sie reflektieren vielmehr eine neue Phase der politischen Reife der irakischen Öffentlichkeit. Die jüngsten Demonstrationen haben zudem eine neue nicht-sektiererische Dimension in die gesellschaftspolitische Arena des Zweistromlandes transportiert. Klar ist auch, dass der künftige Irak nicht ohne Rechenschaftspflicht oder reine Straffreiheit regiert werden. Die Zeichen eines allmählichen gesellschaftlichen Wandels lassen sich erahnen. Die Zeit ist reif, sich an ein nicht-sektiererisches technokratisches Kabinett zu wenden, das sich auf das Wohl der irakischen Bürger und die Bekämpfung der Korruption konzentriert. Dies wirft jedoch die Frage auf, wie die künftige Regierung den Anliegen der Bevölkerung durch konkrete Schritte entsprechen kann. Das irakische Volk hat ja bereits seit geraumer Zeit seine Frustration über die Unfähigkeit der politischen Eliten, die wirtschaftlichen Probleme des Landes anzugehen, deutlich zum Ausdruck gebracht. In gewissem Sinne lassen die zahlreichen wirtschaftlichen Sorgen und täglichen Überlebenskämpfe im heutigen Irak die sektiererischen Verwerfungen und Stammesrivalitäten in den Schatten treten. Und genau darin besteht eine große Chance für die politischen Entscheidungsträger im Irak, nämlich das Land zu einer nicht-sektiererischen und nicht-tribalen Regierungsführung zu führen, bei der die Erneuerung des Landes im Mittelpunkt steht…
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=137205
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