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Studierende in Indonesien: Im Protest gegen weit mehr als die Verschärfung des Strafrechts – gegen den Ruck nach Rechts

Studierende protestieren in Indonesien im September 2019 mit 6-Punkten Katalog„… Bei Straßenschlachten zwischen Studenten und der Polizei sind in der indonesischen Hauptstadt Jakarta mehr als 300 Menschen verletzt worden. Die Proteste richten sich gegen ein härteres Strafrecht im bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Welt. Demnach soll Sex zwischen Unverheirateten mit bis zu sechs Monaten Haft bestraft werden können. Mit vier Jahren Gefängnis sollen Abtreibungen ohne medizinische Indikation geahndet werden, und auch wer den Präsidenten beleidigt, soll künftig hinter Gitter. An einer Demonstration vor dem Parlamentsgebäude hatten sich mehr als 3000 Studenten beteiligt. Die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein. Nach Angaben von Polizeichef Gatot Eddy Pramono wurden mindestens 254 Studenten mit Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. Elf davon müssen stationär behandelt werden. Die Zahl der verletzten Polizisten bezifferte der Polizeichef auf 39. (…) Die protestierenden Studenten haben noch weitere Themen im Blick: Die Region Papua wird seit Wochen von bürgerkriegsähnlichen Unruhen erschüttert, massive Brandrodungen der Regenwälder zugunsten der Palmölindustrie zerstören die Lebensgrundlage tausender Ureinwohner, gefährden Ökosysteme und setzen große Teile der Bevölkerung einem giftigen Smog aus….“ – aus dem Beitrag „Indonesiens Studenten revoltieren“ am 25. September 2019 bei der Deutschen Welle externer Link, worin – im Gegensatz zu vielen anderen Berichten – immerhin neben dem Strafrecht einige Punkte aus dem veröffentlichten Forderungsprogramm der Studierenden-Koordination berichtet werden. Siehe dazu einige weitere aktuelle Beiträge, inklusive solcher zum generellen Rechtsruck auch in Indonesien und zum Widerstand dagegen, sowie den Hinweis auf unseren letzten Beitrag zur wachsenden Repression nach dem 1. Mai 2019:

„Scharia ohne Peitschenhiebe – Indonesien will sein Strafgesetz verschärfen“ von Manfred Rist am 23. September 2019 in der NZZ online externer Link zum neuen Strafgesetz auf Initiative islamistischer Gruppierungen unter anderem: „… Menschenrechtsgruppen und lokale Nichtregierungsorganisationen, die sich unter anderem für die Rechte von Frauen, der LGBT-Community und religiöse Minderheiten einsetzen, zeigen sich über eine Reihe diskriminierender Artikel entsetzt. Ein indonesischer Vertreter von Human Rights Watch sprach in diesem Zusammenhang von einem Desaster für ganz Indonesien. Weil der dem Parlament in Jakarta zugeleitete Entwurf auch gelebtes Gewohnheitsrecht ausdrücklich akzeptiert, gehen Rechtsexperten davon aus, dass regionale und lokale Bestimmungen, die aus dem Scharia-Recht stammen – etwa in der Provinz Aceh –, offiziell sanktioniert würden. Dazu gehören Kleidervorschriften, etwa der Zwang zum Tragen eines Kopftuches, oder gar öffentliche Auspeitschungen. Nach Protesten aus liberalen Kreisen hat Staatspräsident Joko Widodo die für diese Woche geplante Verabschiedung im Parlament gestoppt. Einige Artikel müssten überarbeitet werden, meinte der Regierungschef. Diese Aufgabe wird nun in Zusammenarbeit mit dem im April neu gewählten Parlament erfolgen, das im Oktober seine Arbeit aufnimmt. Widodo, der als liberaler und pragmatischer Staatschef gilt, aber auf Unterstützung aus islamisch-konservativen Kreisen angewiesen ist, steht auf jeden Fall zwischen den Fronten. Rufe nach einer grundlegenden Revision des alten Strafgesetzes, das zum Grossteil noch auf die Kolonialzeit vor 1945 zurückgeht, sind in der Vergangenheit immer wieder laut geworden. Das hatte zunächst mit Indonesiens Emanzipierung als Nation zu tun sowie mit der Tatsache, dass der alte Kodex während der dreissigjährigen Suharto-Diktatur als Machtinstrument missbraucht worden war...“

„Angst vor neuem Gesetz“ von Franziska Bauer am 25. September 2019 in der taz online externer Link berichtet unter anderem: „… Zehntausende, vor allem Studierende, marschierten in mehreren Städten des Inselstaats. Die meisten kamen nach Jakarta, allein 3.000 Protestierende versammelten sich vor dem Parlament. Sie forderten, mit Parlamentssprecher Bambang Soesatyo zu reden. Der hatte vorher in einer Pressekonferenz offen gelassen, bis wann das Gesetz verschoben werden soll. Das gab wohl den letzten Anstoß zu den Straßenschlachten mit der Polizei. Während einige Demonstrierende Reifen anzündeten und die Polizei mit Steinen bewarfen, konterte diese mit Tränengas und Wasserwerfern. (…) Für konservative Muslime wäre das Gesetz ein großer Sieg. Viele der 628 Artikel enthalten Anlehnungen an eine konservative Auslegung der Scharia, islamisches Recht. Harsono sieht in dem Gesetzesentwurf einen Hinweis auf die „schleichende Islamisierung“ des Landes. Die Bevölkerung Indonesiens ist zu etwa 87 Prozent muslimisch…“

„Indonésie: 254 manifestants contre des lois répressives blessés par la police“ am 26. September 2019 bei Secours Rouge externer Link berichtet unter anderem über die Massenfestnahmen bei den Demonstrationen der Studierenden – aber auch über den Einsatz von Repressionsmitteln wie Tränengas und Ähnlichem…

„Students, journalists slam police use of force during student protests“ von Vela Andapita und Dyaning Pangestika am 26. September 2019 in der Jakarta Post externer Link ist ein Beitrag über die Reaktionen auf die massiven Polizeieinsätze insbesondere der letzten Tage – neben den Betroffenen selbst, also den Studierenden, sind inzwischen auch immer mehr Journalisten dazu übergegangen, das Vorgehen der Polizei zu kritisieren.

„Indonesia: The historical irony behind leftist book raids“ am 08. August 2019 bei Europe Solidaire externer Link ist die Übersetzung eines Berichtes von CNN Indonesien über die Razzien gegen linke Buchläden, die seit Juli des Jahres mehrfach stattgefunden haben. Was zunächst reine Polizei-Willkür war, ist durch die Duldung durch die Justiz sozusagen offizielle Politik geworden – die „Politik“ hatte ohnehin nicht auf diese Überfälle reagiert, die auch ein deutlicher Ausdruck der sich wandelnden gesellschaftlichen Atmosphäre seien.

„Wahlkampf in Indonesien: Spanduk zwischen Islam und Nation“ von Timo Duile am 02. September 2019 in Südostasien externer Link zur aktuellen politischen Konstellation im Wahlkampf unter anderem: „… Prabowo Subianto, wie bereits 2014 wieder der Herausforderer von Präsident Joko Widodo (der in Indonesien oft nur „Jokowi“ genannt wird), ist nicht nur ein ehemaliger General, der mit nationalistischen und militanten Wahlkampfauftritten auf sich aufmerksam machte. Er hatte auch versucht, aus den Protesten reaktionärer islamischer Organisationen gegen Basuki Tjahaja Purnama (meist „Ahok“ genannt), den ehemaligen, christlichen Gouverneur von Jakarta, politisches Kapital zu schlagen und mit diesen Gruppen paktiert. Gerüchte und diffuse Ängste, wonach Jokowi islamische Geistliche (ulama) kriminalisieren würde – darunter den prominenten Führer der Front Pembela Islam (Front der Verteidiger*innen des Islam, FPI ), Habib Rizieq, der nach einem Skandal um den mutmaßlichen Austausch pornografischer Bilder ins saudi-arabische Exil floh – machte sich Prabowo gezielt zu nutze. So wurde der Slogan bela ulama („verteidigt die islamischen Religionsgelehrten“) zum Schlachtruf vieler seiner Anhänger*innen. (…) Insgesamt haben die Kampagnen der beiden Spitzenkandidaten dazu geführt, dass Religion als Wahlkampfthema sehr präsent war. Dabei ging es besonders darum, sich als Kandidat*in religiös zu präsentieren, und das möglichst nicht auf Kosten des ebenfalls oft zur Schau gestellten Nationalismus. Gut zu sehen sind diese Phänomene auf Wahlkampfpostern, die in Indonesien als spanduk bezeichnet werden (ein Begriff aus dem Niederländischen, der ein aufgespanntes Tuch bezeichnet, auf dem öffentliche Informationen mitgeteilt werden)...“

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=154990
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