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Der Oberste Gerichtshof Indiens verlängert den Hausarrest von fünf AktivistInnen erneut – während die Regierungspartei ihre Hetzkampagne verstärkt

#MeToo urban naxalWie umstritten die Situation – nicht nur im Gericht – in Indien in Bezug auf die Inhaftierung der fünf sozialen AktivistInnen im August 2018 ist, wurde schon daran deutlich, dass es über eine Woche dauerte, bis die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (mit 2 zu 1 Stimme) öffentlich verkündet wurde: Der Hausarrest für die fünf Betroffenen wurde um weitere 4 Wochen verlängert, die Forderung nach Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission anstatt der Polizeiuntersuchung abgelehnt. So war es am 19. September 2018 verfügt worden, so wurde es am 27. September verkündet. Die fünf unter Hausarrest gestellten AktivistInnen – die ja „nur“ die letzten Opfer einer ganzen Reihe solcher willkürlichen Repressionsmaßnahmen im Verlauf des Jahres 2018 sind – werden von den Behörden des Bundesstaates Maharasthra landesweit verfolgt – wegen einer angeblichen Beteiligung an Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Regierungspartei BJP (beziehungsweise ihrer Massenorganisation RSS) und gegen ihre Diskriminierung protestierenden Dalits zur Jahreswende in Pune im selben Bundesstaat. Die Anhänger der Hindutvapolitik der Regierung Modi haben das Urteil des Obersten Gerichts zum Anlass genommen, ihre Schmutzkampagne gegen die Betroffenen – und gegen alle, die sich Modis reaktionärem Neoliberalismus entgegenstellen – weiter zu verstärken. Die „urbanen Naxaliten“, die in dieser Repressionskampagne gezeichnet werden, erinnern nicht nur entfernt an die überall tätigen Terroristen, die etwa Erdogan in der Türkei bei jeder Kritik an ihm am Werk sieht. Zum Urteil des Gerichts und zur aktuellen Entwicklung in Indien siehe eine erste Zusammenfassung einer uns bekannten Korrespondentin (wir danken!) und den Hinweis auf den bisher letzten unserer Berichte zum Thema:

Das Urteil des Supreme Court vom 28. September stärkt der Polizei von Pune den Rücken
bei der Hexenjagd gegen regierungskritische Stimmen

Die Polizei hatte am 6. Juni und 28. August 2018 insgesamt zehn seit langer Zeit bekannte  Aktivist*innen festgenommen – darunter Anwält*innen, eine Gewerkschafterin und ein Dichter – und dazu das drakonische Anti-Terror-Gesetz (UAPA) herangezogen. Die Beschuldigten hatten ihre Stimmen lautstark für Arbeiter*innen, Adivasi (indigene Communities), Dalit und Frauenbewegungen erhoben.

Unterstützer*innen der Beschuldigten scheiterten mit ihrer Petition, die die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission (SIT – Special Investigative Team) zum Ziel hatte. Dadurch sollte ein faires Verfahren sichergestellt werden. Zwei Richter sprachen in ihrer Urteilsbegründung davon, dass genug Indizien vorlägen, die die Ermittlungen gegen die Aktivist*innen rechtfertigen und sahen das Supreme Court als nicht zuständig an. Stattdessen hätten die Beschuldigten sich an die zuständigen, niederen (konservativeren) Gerichte zu wenden.

Siehe zum Urteil den Beitrag „Bhima Koregaon: SC allows investigation to continue, extends activists’ house arrest by four weeks“ am 28. September 2018 bei Scroll.in externer Link, worin auch ein zusammenfassender Überblick über die gesamte Entwicklung „des Falls“ gegeben wird.

Ein Richter sah das anders und legte in seiner Urteilsbegründung ausführlich dar, was in den bisherigen Ermittlungen bereits schiefgelaufen sei und führte aus, dass zahlreiche Hinweise dafür sprächen, dass durch die bisherige Ermittlungsbehörde nicht mit einem fairen Prozess zu rechnen sei. Zum abweichenden Minderheitsurteil siehe den Beitrag „Why Justice Chandrachud Thinks an SIT, Not Maha Police, Should Probe Bhima Koregaon Case“ am 28. September 2018 bei The Wire externer Link, worin die Gründe des Minderheitsurteils zusammengefasst werden.

Da jedoch das Mehrheitsurteil bindend ist, scheint es nur eine Frage der Zeit, wann die nächsten Festnahmen erfolgen. Bereits Ende August hatte die Polizei in Pune auf einer Pressekonferenz erklärt, dass sie Ermittlungen gegen weitere Personen führe, wie etwa aus dem Beitrag „Police Releases One More Letter, Chhattisgarh Land Rights Activist Named This Time“ von Sukanya Shantha am 01. September 2018 bei The Wire externer Link bereits hervor ging.

Die Reaktionen auf das Urteil waren eindeutig: Die verschiedenen Strömungen der regierungstreuen Hindu-Nationalisten hatten die Entscheidung begrüßt und erneut das polizeistaatliche Konstrukt der sogenannten  „urban naxals“ verbreitet, wie etwa in dem Beitrag „Charges against activist VV Rao echo cases he’s faced for 45 years – but never been found guilty of“ von N. Venugopal ebenfalls bei Scroll.in externer Link deutlich wird, der die ganze Geschichte der Verfolgung des Schriftstellers Rao und der entsprechenden Kampagnen nachzeichnet, die in 25 Gerichtsverfahren kulminierten, von denen kein Einziges eine Verurteilung ergab – die Kampagne gegen ihn aber dennoch stetig fortgesetzt wurde.

„Bhima Koregaon Verdict: Arrest Should be the Last Step of an Investigation, Not the Starting Point for One“ am 28. September 2018 bei Newsclick externer Link ist ein Kurzmeldung (mit Link zu einem Video) über die Pressekonferenz, die die Initiatoren der Petition an den Obersten Gerichtshof nach dem Urteil einberufen hatten, in der dieser Urteilsspruch kritisiert wurde.

Auch zahlreiche demokratische Gruppierungen kritisierten das Urteil noch am selben Tag. So etwa in dem „Statement On The Majority Judgement Of The Supreme Court Regarding The Arrests Of Sudha Bhardwaj, Vernon Gonsalves, Arun Ferreira, Gautam Navlakha And Varavara Rao“ am 28. September 2018 von Women Against Sexual Violence and State Repression externer Link oder in dem Statement der demokratischen Anwaltsvereinigung „Statement by People Lawyers Forum on the SC judgement in Bhima Koregaon case“ am 01. Oktober 2018 bei Kracktivist externer Link dokumentiert.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=138092
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