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Oberster Gerichtshof in Rom entscheidet zugunsten der Distomo-Klägerinnen – kann Konto der Deutschen Bahn zugunsten von Opfern des NS-Massakers in Distomo gepfändet werden?

AK-Distomo-03„Der Kassationsgerichtshof in Rom hat in einer am 3. September veröffentlichten Entscheidung, auf die der AK Distomo nun aufmerksam macht, indirekt über Entschädigungsforderungen gegen den deutschen Staat für das Massaker im griechischen Distomo verhandelt. Konkret ging es um die Rechtmäßigkeit von Pfändung von Forderungen der Deutschen Bahn an die italienische Bahn. In Distomo haben SS-Männer am 10. Juni 1944 218 Menschen aus der Zivilbevölkerung ermordet, darunter auch Kinder. Die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer haben bis heute keine Entschädigung vom deutschen Staat erhalten, obwohl das Landgericht Livadia diesen 1997 zur Zahlung von 28 Millionen Euro plus Zinsen verurteilt hatte. (…) „Nunmehr hat der Suprema Corte di Cassazione in Zivilsachen nochmals die Vollstreckbarkeit solcher Urteile bestätigt, so dass die Vollstreckung gegen die Deutsche Bahn fortgesetzt werden kann.“ (…) Der AK fordert weiterhin: Deutschland muss endlich seine Schulden bezahlen!“ Gespräch mit Martin Klingner vom 13. September 2019 bei Radio Dreyeckland externer Link Audio Datei (Audiolänge: 3:32 Min.), siehe dazu auch die Pressemitteilung des AK-Distomo:

  • Deutschland verliert vor italienischen Gerichten – Der Fall Distomo ist noch nicht zu Ende New
    Anfang März 2024 veröffentlichte das Berufungsgericht in Rom seine Entscheidung, wonach der Fall Distomo in Italien noch nicht abgeschlossen ist und fortgeführt werden kann. Das Berufungsgericht folgte damit einer Entscheidung des Vollstreckungsgerichts in Rom in erster Instanz, dass ebenfalls zu Gunsten der Betroffenen aus Distomo entschieden hatte. Dies ist ein großer Erfolg, nachdem es zuletzt so aussah, als sei das Verfahren auch in Italien beendet.
    Eine Vollstreckung des rechtskräftigen griechischen Urteils des Landgerichts Levadia aus dem Jahr 2007 (!) scheint in Italien weiterhin möglich. Mit dieser Entscheidung war die BRD verurteilt worden, an die Opfer des Massakers im griechischen Distomo ca. 28 Mio. Euro als Entschädigung zu zahlen. Da eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil in Griechenland derzeit nicht möglich ist, weil hierfür bis heute die Zustimmung der griechischen Regierung fehlt, kann die Durchsetzung des Urteils nur über die Zwangsvollstreckung im Ausland erfolgen.
    Rechtsanwalt Joachim Lau aus Florenz kämpft seit vielen Jahren darum, die Ansprüche der Opfer und Angehörigen der von der SS am 10. Juni 1944 Ermordeten vor italienischen Gerichten durchzusetzen. Diese Bemühungen sabotiert Deutschland seither immer wieder mittels juristischer und politischer Interventionen. Trotz rechtskräftiger Urteile verweigert Deutschland die Zahlung unter Berufung auf den Grundsatz der Staatenimmunität. Vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) erwirkte Deutschland 2012 ein Urteil, das die Bundesrepublik – Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs – vor Schadensersatzklagen aus dem Ausland bewahren sollte. Der IGH entschied, dass der Grundsatz der Staatenimmunität auch im Fall von NS-Kriegsverbrechen gelte und Deutschland vor Gerichten im Ausland nicht verklagt werden könne.
    Dies sahen italienische Gerichte allerdings anders. Das italienische Verfassungsgericht hatte in einer Grundsatzentscheidung schon 2014 das Urteil des IGH aus 2012 als nicht mit der italienischen Verfassung vereinbar angesehen und zugunsten der Rechte der Opfer Nazi-Deutschlands geurteilt. Es hatte das Grundrecht auf Zugang zu den italienischen Gerichten betont und die Anwendung des von Deutschland reklamierten Grundsatzes der Staatenimmunität für NS-Kriegsverbrechen abgelehnt. Das Verfassungsgericht sah den Rang des Menschenrechtsschutzes als höherwertiger an als das Prinzip der Staatenimmunität. Daher konnte das Verfahren in Italien fortgeführt und in deutsches Staatseigentum vollstreckt werden.
    Zuletzt schien es aber so als hätte Deutschland es geschafft, diese Möglichkeit zu vereiteln. Deutschland klagte im Frühjahr 2022 erneut vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag gegen Italien, um Vollstreckungen in deutsches Staatseigentum in Italien zu verhindern. Deutschland nahm einen Eilantrag auf vorläufige Beendigung aller Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erst zurück, nachdem Italien Ende April 2022 zunächst ein Regierungsdekret und dann ein Gesetz verabschiedete, durch das alle gegen Deutschland gerichteten Entschädigungsprozesse und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gestoppt werden sollten. Gleichzeitig stellte die italienische Regierung einen Fonds in Aussicht, aus dem italienische NS-Opfer Zahlungen erhalten sollten und der mit der Verabschiedung des Gesetzes auf ca. 60. Mio. Euro dotiert wurde.
    Tatsächlich entschied das italienische Verfassungsgericht in einem Urteil aus Juli 2023 im Sinne Deutschlands, dass dieses ”Schlussstrich-Gesetz” verfassungsgemäß sei. Zwar stelle es einen erheblichen Eingriff in die Rechte der Betroffenen dar, der wegen der möglichen Zahlungen aus dem Fonds jedoch hinzunehmen sei. Damit, so das Gericht, seien die Rechte der Opfer ausreichend gewahrt. (…)
    Offen blieb in dieser Entscheidung, was dies für den Fall Distomo bedeutet. Hier haben nun das Vollstreckungsgericht in Rom und das Berufungsgericht für Klarheit gesorgt. Das Gesetz betrifft nach Auffassung der Gerichte nicht das Distomo-Verfahren, es gilt nur für Verfahren italienischer Opfer. In verfassungskonformer Auslegung entschied das Vollstreckungsgericht, dass ausländische Klägerinnen und Kläger nicht betroffen seien. Diese können nun weiterhin die Zwangsvollstreckung in Italien betreiben. Zur Begründung führten die römischen Gerichte vor allem an, dass es für griechische Opfer keine Entschädigungsregelung gebe, wie sie im Gesetz für italienische Opfer vorgesehen sei. Damit sei nur eine Auslegung des ”Schlussstrich-Gesetzes” verfassungskonform, die zu einer Nichtanwendung für ausländische Opfer führe.
    Deutschland hat es also bisher nicht geschafft, sich vollständig aus der rechtlichen und moralischen Verantwortung für die Menschenrechtsverbrechen der Nazis zu ziehen. Es besteht nun wieder die Chance, dass die Pfändung eines Kontos der Deutsche Bahn AG in Italien zugunsten der Opfer von Distomo doch noch zu einem Erfolg führt. Zu befürchten ist allerdings, dass Deutschland weiter versuchen wird, Italien politisch unter Druck zu setzen, um das Verfahren doch noch zu stoppen. Außerdem bleibt das erneute Verfahren in Den Haag vor dem Internationalen Gerichtshof abzuwarten. Allerdings könnte sich auch hier die Lage ein wenig zu Gunsten der Opfer von Kriegsverbrechen verschoben haben. Denn zuletzt entschieden sowohl der oberste Gerichthof Südkoreas als auch Gerichte in Brasilien und der Ukraine für eine Einschränkung des Prinzips der Staatenimmunität in Fällen schwerer Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen. Sollten diese Beispiele Schule machen, könnte es mit dem deutschen Anspruch auf einen Schlussstrich bald vorbei sein.
    Der AK Distomo fordert: Deutschland muss alle Opfer des Nationalsozialismus entschädigen! Nazi-Verbrechen nicht vergeben, den antifaschistischen Widerstand nicht vergessen! Gemeinsamer Kampf gegen den wiedererstarkenden Faschismus in Europa!“ Meldung von AK Distomo vom 11. April 2024 auf dessen Homepage externer Link (bitte scrollen)
  • Der oberste Gerichtshof in Rom (Kassationshof) entscheidet zugunsten der  Distomo-Klägerinnen und Kläger. Die Vollstreckung gegen deutsches Vermögen in Italien bleibt weiter möglich.
    Am 3. September 2019 wurde die Entscheidung des Kassationshofs in Rom vom 25.6.2019 veröffentlicht, mit der das oberste italienische Gericht in Zivilsachen erneut eine wichtige Entscheidung für die Angehörigen der Opfer und für die Überlebenden des Distomo-Massakers traf. Es wies eine Rechtsbeschwerde der Deutsche Bahn AG gegen eine Pfändungsmaßnahme der Klägerinnen und Kläger aus Distomo zurück. Damit bleibt der Rechtsweg für die Zwangsvollstreckung weiterhin offen.
    Im Fall Distomo, einer mittelgriechischen Ortschaft, in der deutsche Soldaten am 10. Juni 1944 ein Massaker an der Bevölkerung anrichteten und 218 Menschen ermordeten, steht fest: Deutschland wurde 1997 vom Landgericht Levadia in Griechenland rechtskräftig zu einer Entschädigungszahlung von ca. 28 Mio. Euro verurteilt. Doch Deutschland zahlt bis heute nicht.
    Der in Florenz/ Italien ansässige Rechtsanwalt Dr. Joachim Lau ist von den griechischen Klägerinnen und Klägern aus Distomo beauftragt, das griechische Urteil des Landgerichts Levadia (Griechenland) aus dem Jahr 1997 in Italien zu vollstrecken. Der Anwalt hat u.a. ein Konto der Deutsche Bahn AG erfolgreich gepfändet, um mit diesem Geld die Kläger*innen von Distomo endlich zu entschädigen. Doch obwohl der Kassationshof bereits mehrfach die Zahlungspflicht Deutschlands bestätigt hat, versucht Berlin, dieses politische Erbe des deutschen Faschismus durch die Erhebung immer neuer Rechtsmittel loszuwerden. In ihrer Rechtsbeschwerde erhob die deutsche Seite den Einwand der Staatenimmunität und erneut wies der Kassationshof diesen mit der Entscheidung vom 25.6.2019 zurück.
    Hierzu erklärte Rechtsanwalt Dr. Lau: „Nunmehr hat der Suprema Corte di Cassazione in Zivilsachen nochmals die Vollstreckbarkeit solcher Urteile bestätigt, so dass die Vollstreckung gegen die Deutsche Bahn fortgesetzt werden kann. Alle Urteile sind nicht mehr mit ordentlichen Rechtsmitteln anfechtbar. Unbeschadet dessen behauptet Deutschland weiterhin – wider besseren Wissens -, dass die Deutsche Bahn nicht für die Schulden Deutschlands haftet, obwohl in der Verfassung steht, dass die Bahn im Eigentum des deutschen Staates steht. Darüber kann jetzt entschieden werden.“
    Nun geht der Fall zurück an das Vollstreckungsgericht in Rom. Sollte dieses den Einwand zurückweisen, die Deutsche Bahn AG hafte nicht für Schulden Deutschlands, müsste die Entschädigungssumme für die Klägerinnen und Kläger aus Distomo ausgezahlt werden.
    Das deutsche Vorgehen ist beschämend. Deutschland verweigert den Überlebenden bis heute ihre Rechte. Opfer von Kriegsverbrechen müssen aber entschädigt werden, die Staatenimmunität kommt in Fällen wie Distomo nicht zum Tragen.
    Eine Vertreterin des AK-Distomo wird bei der Gedenkfeier am 14.9.2019 zum 76. Jahrestag des Massakers von Ano Viannos (Kreta) zum Thema der offenen Entschädigungsfrage sprechen.
    Wir fordern weiterhin die sofortige Entschädigung aller NS-Opfer! Deutschland muss endlich seine Schulden bezahlen!
    Hamburg, den 13. September 2019
    AK-Distomo

Siehe auch unser Dossier: Bundesregierung muss Zwangsanleihe und Reparationsforderungen an Griechenland zahlen

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=154428
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