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Rechte Gelbwesten: Vom völligen Durchknallen eines vermeintlichen Vordenkers gesellschaftlicher Opposition in Frankreich

Foto von Bernard Schmid vom 1.5.2019 in Paris/Frankreich„… Jüngst hat Etienne Chouard jedoch definitiv und auf irreparable Weise sämtliche Grenzen überschritten. In einem vergangene Woche publizierten Interview mit dem linken Internet-TV-Sender Le média redete er sich gewissermaßen um seine Existenz als irgendwie ernstzunehmende und dialogfähige Person. Während die beiden Interviewer ihn während des 65 Minuten dauernden Gesprächs immer und immer wieder dazu bewegen wollen, etwa die Holocaustleugnung eindeutig zu verurteilen, reagiert er zunehmend unwirsch auf das gütliche Einreden. In der 42. bis 44. Minute antwortet er auf die Vorhaltung des Journalisten Denis Robert: „Hast Du persönlich einen Zweifel an der Existenz der Gaskammern?“ mit folgenden Sätzen: „Aber was soll diese Frage? Das ist nicht mein Thema, ich habe keine Ahnung davon, ich habe nicht die Zeit genommen, darüber nachzulesen. Ich werde Dir sagen <Ich habe keinen Zweifel>, denn sonst bin ich ein Gedankenkrimineller. Wenn diese Gaskammergeschichte so schwerwiegend ist, wenn man daran zweifelt – warum nicht einfach den Beweis gegen die antreten, die bestreiten, und dann zu etwas Anderem übergehen?“ Zwischendurch attackiert er auch noch die beiden, ihm gegenüber überaus gutmeinenden – und zweifellos viel zu gut meinenden – Interviewenden als üble Absichten hegende Staatsanwälte in der Tradition der Gesinnungsjustiz von 1793 u.a…“ – aus dem Artikel von Bernard Schmid vom 16. Juni 2019 – wir danken!

Vom völligen Durchknallen eines vermeintlichen Vordenkers
gesellschaftlicher Opposition in Frankreich

Oder: Zusatz zum Thema „faschistischer und faschismusoffener Flügel innerhalb der Gelbwestenbewegung“. Wie einer ihrer vermeintlichen Vordenker sich zu einer Light-Version der Holocaustleugnung bekennt…

Wie man sich absolut, total, vollständig um Kopf und Kragen faselt und sich als zumindest faschismusoffen vorführt, jedenfalls als jemand, dem jegliche politischen und selbst moralischen Maßstäbe abgehen, führte vor wenigen Tagen in Frankreich eine in Kreisen sozialer Bewegungen mindestens halbprominente Persönlichkeit vor. Es handelt sich um den in Marseille lebenden Oberstufenlehrer Etienne Chouard.

Der 62jährige war laut eigenen Angaben vor dem französischen Referendum über den EU-Verfassungsvertrag von Ende Mai 2005 politisch eher unbedarft, inaktiv und Wähler der Sozialdemokratie. Nachdem er den Vertragstext gelesen und auseinandergenommen hatte, veröffentlichte er damals eine in der Sache nicht unberechtigte Kritik im Internet, welche ihn schlagartig berühmt machte (vgl. dazu etwa in der bürgerlichen Presse: https://www.lemonde.fr/les-decodeurs/article/2018/12/21/les-deux-visages-d-etienne-chouard-chantre-du-referendum-d-initiative-citoyenne_5400957_4355770.html externer Link). Seitdem spezialisierte er sich vor allem auf „institutionelle Fragen“, wie er sich ausdrückt, also auf die Kritik an der repräsentativen und Forderungen nach einer direkteren und repräsentativeren Demokratie. Er macht sich dabei etwa für die Ersetzung von Wahlmechanismen durch Losverfahren stark, beispielsweise bei der Bildung einer Verfassungsgebenden Versammlung, die ihm zufolge einen neuen Verfassungstext ausarbeiten soll, und will die Gesellschaft in „Volk“ gegen „Oligarchie“, keinesfalls jedoch in links und rechts oder auch in fortschrittlich und reaktionär eingeteilt sehen. In Teilen der politisch heterogenen Protestbewegung der „Gelbwesten“ – die derzeit wohl ihre letzten Ausläufer erlebt, zwar finden nach wie vor samstägliche Demonstranten statt, doch ihre Teilnehmerzahl fiel zuletzt auf unter 10.000 frankreichweit ( konkret 7.000 laut innenministeriellen Zahlen am 15. Juni 19, also vielleicht ein BISSCHEN mehr ) – wurde er in den vergangenen Monaten als eine Art Chefdenker und Berater behandelt. (Vgl. zu seinen Auftritten, sofern sie in Medien Spuren hinterließen, u.a. und nur beispielhaft : https://www.youtube.com/watch?v=5Ao-KkbqzQQ externer Link und https://www.lesinrocks.com/2018/12/24/actualite/societe/comment-etienne-chouard-profite-des-gilets-jaunes-pour-revenir-sur-le-devant-de-la-scene/ externer Link und https://www.youtube.com/watch?v=QC7rGpZyOEM externer Link )

Im Laufe dieses Jahrzehnts äußerte Chouard sich jedoch mehrfach auch in positiven Begriffen über den Berufs-Antisemiten Alain Soral – zitiert etwa 2014 in L’Express (vgl. https://www.lexpress.fr/actualite/politique/le-discours-trouble-d-etienne-chouard-contre-les-1-qui-se-gavent_1622043.html externer Link) und im Dezember 2018 in Le Monde (vgl. https://www.lemonde.fr/les-decodeurs/article/2018/12/21/les-deux-visages-d-etienne-chouard-chantre-du-referendum-d-initiative-citoyenne_5400957_4355770.html externer Link) -, den er unter anderem als „Widerstandskämpfer“ und „Warner, der gegen die etablierte Ordnung protestiert“ bezeichnete. Auch behauptete er, für ihn sei Soral nicht rechtsextrem, sondern „links, weil er gegen Privilegien kämpft“, auch wenn er ebenfalls hinzufügte, dessen Äußerungen gegen Homosexuelle, gegen Feministinnen und sein Chefdenken stießen ihn ab, wie auch auf Chouards Wikipedia-Seite vermerkt ist (vgl. https://fr.wikipedia.org/wiki/%C3%89tienne_Chouard externer Link).

Jüngst hat Etienne Chouard jedoch definitiv und auf irreparable Weise sämtliche Grenzen überschritten. In einem vergangene Woche publizierten Interview mit dem linken Internet-TV-Sender Le média redete er sich gewissermaßen um seine Existenz als irgendwie ernstzunehmende und dialogfähige Person. Während die beiden Interviewer ihn während des 65 Minuten dauernden Gesprächs (vgl. im Original: https://www.youtube.com/watch?v=zMtmZQ4lb2g&app=desktop externer Link ) immer und immer wieder dazu bewegen wollen, etwa die Holocaustleugnung eindeutig zu verurteilen, reagiert er zunehmend unwirsch auf das gütliche Einreden. In der 42. bis 44. Minute antwortet er auf die Vorhaltung des Journalisten Denis Robert: „Hast Du persönlich einen Zweifel an der Existenz der Gaskammern?“ mit folgenden Sätzen: „Aber was soll diese Frage? Das ist nicht mein Thema, ich habe keine Ahnung davon, ich habe nicht die Zeit genommen, darüber nachzulesen. Ich werde Dir sagen <Ich habe keinen Zweifel>, denn sonst bin ich ein Gedankenkrimineller. Wenn diese Gaskammergeschichte so schwerwiegend ist, wenn man daran zweifelt – warum nicht einfach den Beweis gegen die antreten, die bestreiten, und dann zu etwas Anderem übergehen?“ (Leicht kondensierte Abschrift) Zwischendurch attackiert er auch noch die beiden, ihm gegenüber überaus gutmeinenden – und zweifellos viel zu gut meinenden – Interviewenden als üble Absichten hegende Staatsanwälte in der Tradition der Gesinnungsjustiz von 1793 u.a.

ATTAC Frankreich – die Organisation verfügt nach wie vor über beträchtlichen Einfluss im linksgewerkschaftlichen Spektrum – distanzierte sich umgehend und erklärte, nun sei erwiesen, dass man Recht gehabt habe, Chouard als „schlechten Umgang“ zu betrachten. Auch der linke Abgeordnete François Ruffin, der vor einigen Wochen noch mit Chouard diskutieren wollte, ging auf deutlichen Abstand und sagte, er habe darin einen Fehler begangen. Am Samstag, den 15.06.19 erklärte Chouard selbst beim Sender Sud Radio, er „bedauere“ seine Äußerungen, die eine „Riesendummheit“ gewesen sein. Zur Korrektur dürfte es jedoch zu spät sein. (Vgl. AFP-Meldung dazu: http://www.lefigaro.fr/flash-actu/en-videos-etienne-chouard-regrette-ses-propos-negationnistes-20190615 externer Link)

A propos: Etienne Chouard, den man künftig zweifelsohne von jeglichem Dialog unter solidarischen, progressiven und humanistischen Perspektiven verpflichteten Menschen wird AUSSCHLIESSEN müssen, ist dabei nur eine Figur neben anderen, die die Tatsache verkörpern, dass es innerhalb der jüngeren Protestbewegung – neben tatsächlich dort vorhandenen fortschrittlichen und demokratischen Kräften – eben auch einen faschistischen sowie einen dem Faschismus gegenüber offenen, aufgeschlossenen, sich nicht von ihm abgrenzenden Flügel gibt. Nein, in diesen Zeiten gibt es eben gesellschaftliche Aufbrüche und Kräfte, die man nicht den unverfänglichen, über jeglichen Anfangsverdacht erhabenen, mit eindeutiger Klarheit dem progressiven Lager zuzuordnenden zurechnen kann.

Auch deswegen verbietet es sich von selbst, über solche schreienden Widersprüche und Orientierungsfragen locker hinwegzugehen, indem man mit einer alle Widersprüche und Streitfragen zukleisternden Wohlfühl-Rhetorik (vgl. dazu etwa dieses Video: https://www.youtube.com/watch?v=lXBIQekumgc externer Link ), in welcher zwar der soziale und politische Gegenspieler – also die Regierung unter Präsident Emmanuel Macron – mehr oder minder korrekt beschrieben wird; dann aber schlicht & einfach implizit so getan wird, als seien, wenn die Macron-Regierung auf der falschen Seite steht, notwendig alle gegen dieselben eintretenden Akteure schon irgendwie „auf der richtigen Seite“. Eine Wohlfühl-Rhetorik, in welcher, wenn die bestehende soziale Ungerechtigkeit (als Ausgangslage für den stattfindenden Protest) nur einmal festgestellt worden ist, von vornherein alle stattfindenden Aktionen unter das Label berechtigten sozialen Protests subsumiert werden. Eine Wohlfühl-Rhetorik, welche nicht ein einziges Mal, aber auch nicht eine Minute lang, strategische Fragen aufwirft oder nach politisch-ideologischer Ausrichtung von Protestierenden fragt. Ja, so einfach kann mensch es sich natürlich auch machen. Doch in solch widerspruchsreichen Zeiten, in denen eine Reihe von Akteuren eifrig daran arbeiten, politische Verwirrung zu stiften, verbietet sich ein solches simplizifierendes Herangehen dennoch von selbst.

Bernard Schmid, 16. Juni 2019

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=150365
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