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Gelbwesten in Frankreich: Zwischenbilanzen nach 13 Akten

Foto von Bernard Schmid der Demo in Paris am 24.11.2018Es gibt nur eine Sache, die die Mächtigen nicht ertragen können: Nicht in der Lage zu sein, alles zu kontrollieren. Also lasst uns unkontrollierbar sein. Seien wir doch mal ehrlich: Acte XIII hat uns positiv überrascht und beruhigt bezüglich der Zukunft der Bewegung. Ganz abgesehen von ihrer Entschlossenheit wissen wir jetzt auch, dass die ‘Gelben Westen’ weitgehend dagegen sind, das angekündigte und festgelegte Spiel einer Demonstration zu spielen, deren Route und Verlauf kalkulierbar sind. Als sich in Paris die meisten Gilets Jaunes an dem Ort der einzigen angemeldeten Demonstration versammelten, geschah dies es vor allem, um mit so vielen Menschen wie möglich zusammen zu kommen, um dann rasch von der von der Präfektur geplanten Route abzuweichen. Nicht, um alles zu zerstören, sondern um die Kontrolle über unsere Bewegung zurückzugewinnen. Um sich zu treffen und autonom und gemeinsam über die zu ergreifenden Aktionen zu entscheiden. Dies ist in einer Demonstration, die vollständig von der Polizei und einem Ordnungsdienst überwacht wird, unmöglich geworden. Am frühen Nachmittags haben dann gerade mal etwa zehn Demonstranten die Durchführung einer ‘wilden Demonstration’ [manif sauvage] eingeleitet. Nach ein paar Sekunden des Zögerns stürmten Hunderte von Gilets Jaunes ebenfalls in die kleine Seitenstraße und riefen “Streik, Blockade, ‘wilde Demonstration’ [manif sauvage] “. Zu unserer großen Überraschung beschloss dann fast die gesamte Demo, dem unkontrollierten Zug zu folgen. Mehr als eine Stunde lang war die ‘wilde Demonstration’ völlig unbehelligt von Polizei und Ordnungsdiensten. Die Medien und die Behörden werden verbrannte Autos und kaputte Bank- und Versicherungsschaufenster in Erinnerung behalten. Aber die Kraft des Augenblicks lag woanders, war von wesentlicherer Natur.’…“ – aus dem Beitrag „Unsere Sehnsüchte sorgen für Unruhe“ am 12. Februar 2019 bei non.copyriot externer Link (eine Übersetzung von Sebastian Lotzer eines Textes vom Vortag aus Paris-Luttes.info). Zur kontinuierlichen Debatte um Bedeutung und Perspektiven der Geldwesten Bewegung in Frankreich zwei weitere Beiträge und der Verweis auf unseren bisher letzten Bericht aus Frankreich über den „Akt 13“:

  • „Der Brotaufstand ist zurück“ von Joshua Clover in der Ausgabe 5/2019 des Freitag externer Link unter anderem: „Links gegen rechts, dieser altbekannte Gegensatz scheint in Frankreich gerade obsolet zu werden. Ausgerechnet hier, wo dieses Konzept geprägt wurde. Die Rechte hat sich unter dem Rassemblement National (ehemals: Front National) nationalistisch radikalisiert. Die Parti Socialiste wurde von einer Art „Pasokifizierung“ ausgehöhlt und hinterlässt eine radikalere Linke. Beide Seiten stehen nun zwangsläufig demselben Feind gegenüber: der technokratischen Mitte um Macron. Dieses politische Dreieck könnte erklären, warum der Aufstand der Gelbwesten so chaotisch wirkt, warum er so schwer zu fassen ist. Viele Beteiligte bezeichnen sich selbst als apolitisch. Sie leben im Zentrum des Dreiecks, sind vom sozialen Abstieg bedroht und misstrauen den Versprechen aller Parteien. Auch die Themen der Bewegung – Steuern und Kaufkraft – haben für Verwirrung gesorgt. Doch dazu gibt es eigentlich keinen Anlass: Die Bewegung der Gelbwesten ist ein Aufstand wie aus dem Lehrbuch. Es ist kein Arbeiterprotest. Jener kreist, selbstredend, um arbeitsbezogene Forderungen. Arbeiterinnen kämpfen – in ihrer Rolle als Arbeiterinnen – um den Preis und die Bedingungen ihrer Arbeit. Ein Arbeitskampf spielt sich im Bereich der Produktion von Gütern und Dienstleistungen, im Bereich der Wertschöpfung ab. Dagegen ist der klassische Aufruhr, wie er im Europa des Mittelalters und der Frühen Neuzeit entstanden ist, ein kollektives Handeln, das 1. darum kämpft, die Preise von Marktgütern zu beeinflussen; 2. Menschen zusammenbringt, die nichts verbindet als ihre Enteignung; und 3. sich in der Sphäre der Konsumption entfaltet und auf die Störung der Warenzirkulation setzt…“
  • „Zum Stand der Gilets Jaunes“ von Laura Stern am 11. Februar 2019 bei RambaZamba externer Link ist ein Interview mit Sébastien de Beauvoir zur Entwicklung der Bewegung, worin dieser unter anderem zu regionalen Differenzierungen hervor hebt: „Die Bewegung ist ganz wesentlich in den Regionen verwurzelt. Abseits von Paris sind vor allem Toulouse, Marseille und Bordeaux wichtige Zentren der Bewegung. Insbesondere das kämpferische Toulouse hat sich in den letzten Monaten zu einer Hochburg des radikalen Flügels der Bewegung entwickelt, mit hohem Mobilisierungsgrad, interner Strukturarbeit und frühzeitigen Schulterschlüssen mit anderen sozialen Kämpfen. In der Region haben sich auch die Gewerkschaften frühzeitig mit der Bewegung solidarisiert, der Regionalverband Haute-Garonne ist auch eine der Kräfte an der Basis der CGT, die die Gewerkschaftsführung um Generalsekretär Martinez von links unter Druck setzt. Beim landesweiten, branchenübergreifenden Streik letzte Woche sollen sich in Marseille laut CGT 55000 Menschen am gemeinsamen Demonstrationszug von Gewerkschaften, Gilets Jaunes und Studierenden beteiligt haben. Ohne die Repression auszublenden, die die Gilets Jaunes auch außerhalb der Hauptstadt erfahren, kann man aber auch feststellen, dass die Aktionen in Paris tendenziell einen anderen Charakter haben, da sie in unmittelbarer Nähe der Zentren der Macht stattfinden, die seitens der Staatsgewalt mit exzessiver Brutalität verteidigt werden…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=144262
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