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Calais: Rassistische Hassdemonstration und Positionierung der Bürgermeisterin gegen Migrant/inn/en am Ärmelkanal

Artikel von Bernard Schmid, Paris, 16.09.2014

Die Crème de la crème, oder eher: der Abschaum des Abschaums? In jedem Falle ist es eine Art Ansammlung der Superlative, welche die französische extreme Rechte am Sonntag, den 07. September 14 in Calais auf die Straße brachte. Den Anlass respektive Vorwand lieferte die Situation in der nord(ost)französischen Stadt, wo seit Jahren eine Art Nadelöhr für Migrant/inn/en, die auf die britischen Inseln überzusetzen versuchen oder jedenfalls von einer Ankunft in England träumen, entstanden ist. Die Behörden sorgen einerseits durch wiederholte polizeiliche „Säuberungs“aktionen und Zwangsräumungen dafür, dass sich der Eindruck, diese Menschen stellten ein vordringliches und brennendes „Problem“ dar, allgemein noch verstärkt wird. Andererseits sorgen die diversen behördlichen Schikanen nicht dafür, dass sich die Lage vor Ort durch eine Abnahme der Konzentration vieler Migranten auf engem Raum entspannen würde: Zwar werden die Menschen wiederholt von ihren Unterkünften an Ort und Stelle zwangsweise entfernt, und ihr Hab und Gut wird zerstört, doch mangels anderer Perspektiven kommen sie fast zwangsläufig immer wieder zurück.

(Vgl. dazu unseren Hintergrundartikel vom Juli 2014: http://www.antifaschistische-nachrichten.de/fileadmin/users/antifana/pdf/2014/an_14_14.pdf externer Link ).

Rassisten und offene Nazifreunde versuchten sich diese objektive Ausgangssituation nun zunutze zu machen, um ihre offene Hasspropaganda über die Region auszuschütten. Aufrufer der Demonstration vom 07.09.2014 war das Kollektiv Sauvons Calais – „Retten wir Calais“ -, das bereits im April dieses Jahres durch Aufmarschversuche von sich reden machte. Anführer der Gruppierung ist ein junger Mann namens Kévin Rèche, in dessen Haut ein Hakenkreuz eintätowiert wurde.

Neben dieser örtlichen Gruppierung riefen dieses Mal auch mehrere Parteien und Formationen der extremen Rechten zu der Kundgebung auf. Es handelt sich um Gruppen der außerparlamentarischen faschistischen Rechten, die „jenseits“ des Front National – als stärkster Wahlpartei dieses Spektrums – stehen und diesen als „viel zu schlapp“ erachten. Aufrufer waren insbesondere:

  • der Parti de la France (PdF, „Partei Frankreichs“) von Carl Lang, früherer Generalsekretär des FN, eine Rechtsabspaltung der Le Pen-Partei, gegründet im Februar 2009;
  • der Mouvement national républicain (MNR, „National-republikanische Bewegung“), eine ebenfalls durch eine Abspaltung vom FN im Jahr 1999 entstandene Kleinpartei;
  • die seit November 1968 bestehende, faschistisch-antisemitische Kleinpartei L’Oeuvre française („Das Französische Werk“), von ihrer Gründung bis im Januar 2012 von Pierre Sidos angeführt und seit diesem Datum durch Yvan Benedetti, den der FN im Juni 2011 u.a. wegen des Anspruchs „Ich bin Antizionist, Antisemit und Antijude“ von seinen Mitgliedsrechte suspendiert hatte;
  • und das Réseau Identitaire („Identitäre Netzwerk“) von Richard Roudier, eine der Unterorganisationen der außerparlamentarisch-aktivistischen „identitären Bewegung“.

Rund 250 bis 300 Personen kamen zu dieser Kundgebung, die unter dem Titel „Gegen die Invasion“ angekündigt worden waren. Dabei waren u.a. auch offen zur Schau gestellte Hitlergrüße – auch nach französischem Recht strafbar – zu sehen, wie verschiedene Aufnahmen zeigen[1]. In seiner Ansprache wetterte Thomas Joly, der junge (knapp vierzigjährige) Generalsekretär des PdF, u.a. gegen „dieses Gesocks, das gekommen ist, um Europa zu kolonisieren und zu plündern“ und „für das wir nur eine Antwort parat haben: Raus!“ Und der für seinen Jähzorn bekannte Yvan Benedetti donnerte mit hassverzerrtem Gesicht: „Organisiert Euch nach Stadtteilen!“, um in nur unzulänglich verhohlenen Worten zur Organisierung von militanten Bürgerwehren und zur Gewalt zwecks „Abwehr“ von Migranten aufzurufen[2]. Dazu befinden sich derzeit Strafanzeigen bei antirassistischen Organisationen in Vorbereitung. Trotz Aufforderung hat hingegen die Staatsanwaltschaft bislang nicht, oder nicht dass es bekannt wäre, Ermittlungen auf eigene Initiative hin eingeleitet.

Auch circa 60 Gegendemonstrant/inn/en kamen am selben Sonntag an Ort und Stelle zusammen; sie wurden durch die Presseberichte (v.a. bei RTL) pauschal als „schwarzgekleidete Antifaschisten“ in einen Topf geworfen. In Wirklichkeit war die Gegenmobilisierung durchaus heterogener zusammengesetzt.

Auf einer anderen Ebene hat sich die amtierende UMP-Bürgermeisterin von Calais, Nathacha Bouchard, in – sagen wir – provokanter Weise zum Thema Migranten in „ihrer“ Stadt geäußert. Am Samstag, den 23. August 14 erschien ihr Interview in der Regionalzeitung La Voix du Nord, in welchem sie eine rhetorische Frage aufwirft: „Was machen wir mit diesen Leuten? Bringen wir sie um, ertränken wir sie?“ Dies war natürlich nicht wirklich wörtlich als Aufforderung gemeint; vielmehr wollte sie zu verstehen geben, dass – da an solche „radikalen“ Lösungen, natürlich natürlich, nicht zu denken sei – die Regierung endlich einschreiten müsse, um etwas für ihre Stadt und gegen die laut ihrer Darstellung übermäßige Migrantenpräsenz zu tun. Im aktuellen Meinungsklima ist nur zu befürchten, dass manche aufgeheizten Individuen diese Worte der Bürgermeister dennoch sehr ernst, und wörtlich, nehmen könnten…

Anfang September d.J. drohte die Amtsinhaberin im Rathaus von Calais auch schon einmal damit, den Hafen ihrer Stadt zu blockieren, falls die Regierung nicht im entsprechenden Sinne handele[3]. Unterdessen erklärte der britische Innenminister James Brokenshire am Sonntag, den 07. September (dem Tag der neofaschistischen Demo in Calais) seine Bereitschaft, der französischen Stadt Sicherheits-Stacheldraht zu schenken, um die unerwünschten – und hauptsächlich nach England strebenden – Migranten von ihr fernzuhalten. Draht vom selben Typ, wie er soeben zum Schutz des NATO-Gipfels in Newport/Wales eingesetzt worden war.


 

[1] Vgl. u.a.  http://www.rtl.fr/actu/societe-faits-divers/calais-derapages-nazis-lors-d-un-rassemblement-anti-migrants-7774167328/ (und http://www.ajib.fr/2014/09/calais-rassemblement-raciste-et-derapages-neo-nazis/ externer Link ) sowie

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=65671
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