»
Frankreich »
»
»
Frankreich »
» »

Wie man ,soziale Bewegung’ von Rechts initiiert: Rechte unterschiedlicher Schattierungen machen gegen Homosexuellen-Ehe mobil

Artikel von Bernard Schmid vom 4.1.2013

„Liebe Deinen Nächsten“: Es wäre den christlichen Kirchen in Frankreich sehr recht, wenn Ihre Anhänger diese biblische Aufforderung in nächster Zeit nicht allzu wörtlich nehmen würden. Oder, jedenfalls, wenn sie sich keine eigenmächtigen Auslegungen der Worte erlauben, die den Freunden der Tradition beim bloßen Gedanken daran Schauer über den Rücken treiben.

Teile des Klerus und seiner profanen Parteigänger wollen es nicht dabei bewenden lassen, für eine (hetero)sexuell korrekte Auslegung der Bibel zu sorgen. Es zieht sie auch auf die Straße, nachdem die sozialdemokratisch-grüne Regierung in Frankreich nun ernsthaft daran geht, Eheschlüsse von homosexuellen Paaren zu erlauben. Am 29. Januar 13 soll der Gesetzesentwurf dazu ins Parlament eingebracht werden, nachdem das Kabinett ihn Anfang November 12 abgesegnet hatte.

Der Einspruch der rechtskatholischen Abgeordneten Christine Boutin – deren Ruf hinlänglich prominent wurde, nachdem sie 1999 in der französischen Nationalversammlung eine Bibel schwenkte, um gegen die Einführung einer eingetragenen Lebensgemeinschaft unter dem Namen PACS zu protestieren – blieb dabei ungehört. Die frühere Präsidentschaftskandidatin und Wohnungsbauministerin unter Nicolas Sarkozy erklärte am 24. Dezember 12 in einem Fernsehsender, das Problem stelle sich doch gar, denn die Homosexuellen könnten ja bereits heute längst alle heiraten. „Nur nicht untereinander“, fügte die Dame treuherzig hinzu. Auch katholische Reaktionäre können sich manchmal schlitzohrig geben. (Christine Boutins Ehemodell dürfte dabei allerdings in weiten gesellschaftlichen Kreisen nur eine sehr begrenzte Attraktivität entfalten. Denn einerseits ist die Dame seit Urzeiten mit ihrem leiblichen Cousin verehelicht – der arme Vetter!, könnte man freilich dazu denken. Zum Anderen aber führt sie in oben erwähntem Interview auch wörtlich aus: „Bei der Ehe geht es um die Hoffnung auf eine Geburt. Die Ehe hat mit Liebe überhaupt nichts zu tun.“)

Modell: Massendemonstration von Rechts für die katholischen Privatschulen

Am Freitag, den 28. Dezember 12 wurde darüber hinaus bekannt, dass der oberste Leiter der 8.300 katholischen Privatschulen in ganz Frankreich, Eric de Labarre, seine Untergebenen zur Mobilisierung gegen die „Ehe für Alle“ – so lautet der offizielle Titel des Regierungsvorhabens – aufruft. Überall in den Bildungseinrichtungen des so genannten „freien Schulwesens“ sollen das Gesetzesvorhaben und sein angeblich skandalöser Charakter debattiert werden. Dabei gehe es es darum, so de Labarre, dass „das Recht auf die Unterschiedlichkeit der Geschlechter“ anerkannt werden müsse.

Auf indirekte Weise ruft er auch zur Teilnahme an den nächsten geplanten Demonstrationen auf, die sich gegen den Zugang von homosexuellen Paaren zur Institution der Ehe richten werden. Auch wenn er einen unmittelbaren Aufruf an Lehrer und Schüler zur Teilnahme dementierte. Das konfessionelle, überwiegend katholische, Privatschulwesen stellt im offiziell laizistischen Frankreich den zweitgrößten Schulzweig neben dem religiös neutralen öffentlichen Schulwesen dar und bildet circa ein Fünftel der Heranwachsenden aus. Im Gegenzug zur öffentlichen Schule sind die katholischen Privatschulen nicht kostenlos, sondern die jährliche Einschreibung ist mal mehr, mal weniger teuer. Deshalb dient die so genannte „freie Schule“ auch zur Selbstreproduktion der Bourgeoisie über die Generationen hinweg. Viele dieser Privatschulen sind mit einem Vertrag an den Staat gebunden und zur Einhaltung bestimmter Lehrprogramme gezwungen, im Gegenzug wird das von ihnen verliehene Abitur allgemein als Schulabschluss anerkannt. Neben dem obligatorischen Lehrstoff können diese Einrichtungen frei ihre ideologischen Inhalte vermitteln. Etwa gegen das Recht von Homosexuellen auf Heirat wettern.

Theoretisch dürfte es so etwas in einem laizistischen Staat überhaupt nicht geben. Gibt es jedoch (weshalb man vielleicht auch die armen muslimischen Schülerinnen in Ruhe lassen sollte., denen man bei Kopftuchtragen eine Verletzung des Laizimus vorwerfen und die man – seit einem Gesetz vom 15. März 2004 – deswegen mit einem definitiven Schul-Ausschluss sanktionieren kann.) In der Praxis verbrannte sich die damalige sozialistisch-kommunistische Koalitionsregierung furchtbar die Finger daran, als sie 1984 mit vollem Recht versuchte, die Privilegien der katholischen Privatschulen einzuschränken und ihnen zumindest eine Subventionierung durch die öffentliche Hand vorzuenthalten. In einem Kontext, als die von der Regierungsbilanz enttäuschte und desillusionierte Linke auf der Straße sowie in den Betrieben in der Defensive steckte (und als französische KP & CGT in den Betrieben den „sozialen Gendarmen“ für eine in weiten Teilen nach rechts umgeschwenkte Regierungspolitik abgaben, um für Ruhe zu sorgen), besetzte zum ersten Mal seit Juni 1968 die politische Rechte massenhaft die Straße. Rund zwei Millionen Menschen demonstrierten im Frühjahr 1984 „für die freie Schule“. Zuerst ab März 1984 in vielen Städten – u.a. Versailles -, am 23. Juni 1984 dann frankreichweit bei einem zentralen Aufmarsch. Politiker der damaligen bürgerlichen Parteien RPR und UDF sowie des damals (bei den Europaparlamentswahlen vom 17. Juni 1984) soeben zur Wahlpartei mit Massenanhang aufgestiegenen, neofaschistischen Front National liefen vorneweg.

Konservative und faschistische Mobilisierung

Genau dieses Szenario zu wiederholen, davon träumen Rechte aller Schattierungen im Augenblick. Noch ist es nicht so weit, dass sie dazu in der Lage wären. Am 17. und 18. November 12 fanden erste größere Mobilisierungen gegen die „Ehe für Alle“ statt. Dabei konnten am ersten Tag in Paris zwischen 70.000 und 100.000, in ganz Frankreich rund 200.000 Leute mobilisiert werden. Den Aufruf trug dabei ein relativ breites Bündnis unter Anführung der als leicht verrückt geltenden katholischen Komikerin „Frigide Barjot“ – das Pseudonym bedeutet ungefähr „Frigide Bescheuert“ und veräppelt den Namen von Brigide Bardot. Die Allianz der Aufrufenden legte Wert darauf, offiziell nicht als homophob zu gelten. Deshalb wurde auch die Anwesenheit von einzelnen Homosexuellen, die ihr Desinteresse am Recht auf einen Eheschluss kundtaten, und von Angehörigen religiöser Minderheiten wie etwa Muslimen oder Juden betont. Diese Gruppen erschienen aber nur in geringer Zahl. Das Gros der Demonstranten stellten Menschen aus Kirchengemeinden sowie aus der bürgerlichen Rechten. Zahlreiche Abgeordnete der konservativ-wirtschaftsliberalen UMP, der stärksten Oppositionspartei, nahmen teil.

Am zweiten Tag demonstrierte dagegen das offen antidemokratische, reaktionäre bis faschistische Spektrum. Auf Aufruf des katholisch-fundamentalistischen „Instituts Civitas“, an dessen Spitze der frühere Sprecher des Front national belge – der in Frankreich lebende belgische Staatsbürger und 42jährige Buchhändler Alain Escada – steht, kamen knapp 10.000 Menschen. Auch mehrere verschiedene rechtsextreme Parteien waren vertreten, darunter mehrere Abspaltungen des Front National wie der Parti de France (PdF) von Carl Lang. Auch der frühere Vizepräsident des FN als Hauptpartei der extremen Rechten, Bruno Gollnisch vom eher „traditionalistischen“ Flügel, sowie der den „Identitären“ nahe stehende Parlamentsabgeordnete Jacques Bompard, Bürgermeister von Orange, nahmen teil. Neben homophoben Argumenten wurden an diesem Tag auch nationalistische und bevölkerungspolitische („Frankreich braucht mehr Kinder, keine Homos“) vorgetragen.

Rechts & Rechtsradikal: beide Stränge laufen zusammen

Bei der Vorbereitung der Demonstrationen vom 13. Januar 13 zeigt sich nun eine andere Konstellation. Zu ihnen rufen bislang sowohl die bürgerliche UMP als auch das fundamentalistisch-faschistische respektive von Franco-Anhängern geleitete „Institut Civitas“ auf. Auch wenn es bei der UMP einige leise Bedenken diesbezüglich gibt; so hatte die frühere Umweltministerin (und eher moderate Mitte-Rechts-Politikerin) Nathalie Kosciusko-Morizet alias „NKM“ am Mittwoch früh, den 02. Januar 12 im Radiointerview ein paar Vorbehalte angemeldet. Sie wolle erst die bei der Demonstration zu vernehmenden Slogans abwarten, um inhaltlich zu urteilen, kündigte sie an. Ferner machte die Politikerin geltend: „Bei einer solchen Demonstration, die eine große soziale/gesellschaftliche Bewegung darstellt (Sic!), ist es nicht unbedingt optimal, wenn politische Akteure in der ersten Reihe stehen.“ Ein impliziter Widerspruch dagegen, dass ihr augenblicklicher Parteichef Jean-François Copé schon seit längerem „die aktiven Mitglieder und Sympathisanten der UMP“ dazu auffordert, „eine Schlüsselrolle für den Erfolg dieser Demonstration zu spielen“.

Sowohl die UMP als auch finstere Antidemokraten wie das „Institut Civitas“ rufen also für den 13. Januar 13 auf. Aber, bisher jedenfalls, nicht der Front National. Die Hauptpartei der extremen Rechten wird dabei in gewisser Weise zwischen den Initiativen ihrer bürgerlichen Rivalen einerseits, der „Ultras“ aus dem eigenen Lager andererseits in die Zange genommen. Parteichefin Marine Le Pen zögert erkennbar, zu einer Teilnahme aufzurufen. Einerseits möchte sie die Bemühungen um „Modernisierung“ und „Entdämonisierung“ im Erscheinungsbild ihrer Partei, die sich auch verstärkt um weibliche Wählerinnen und jüngere Generationen bemühen soll, nicht ruinieren.

Zum Anderen will sie vermeiden, den Eindruck zu erwecken, sie laufe Initiativen des großen Konkurrenten UMP hinterher, mit dem der FN sichtbar um gemeinsame potenzielle Wähler ringt. UMP-Parteichef Jean-François Copé ruft seit mehreren Wochen zu den Demonstrationen auf. Derzeit ist er allerdings der unpopulärste Politiker in ganz Frankreich; er löst in Umfragen stärkere Antipathiebekundungen hervor als Marine Le Pen, deren Namen normalerweise erheblich polarisiert. Und Copés aufgrund höchst wahrscheinlicher Manipulationen sehr umstrittene Wahl in den Parteivorsitz (vom 18.11.12) muss nun – nach einer jüngst getroffenen Vereinbarung mit seinem Rivalen François Fillon – im September 2013 wiederholt werden. Bis dahin wird Copé versuchen, aus seiner Isolierung herauszukommen, indem er möglichst viele spektakuläre Initiativen startet. Von ihm ist also mit weiteren Demoaufrufen gegen Homosexuellenehe, Ausländerwahlrecht und zu anderen „für Hetze geeigneten“ Themen zu rechnen.

Beim Front National ist die eher zögerliche Position Marine Le Pens allerdings zunehmend umstritten. Ihr Vizechef Louis Aliot etwa wartet nicht ab, sondern hat in seinem persönlichen Namen längst seine Teilnahme angekündigt. Bislang galt gerade er als Vertreter einer jüngeren und „in sittlichen Fragen unverkrampften“ Generation, da der promovierte Staatsrechtler ohne Trauschein mit der zweifach geschiedenen Marine Le Pen zusammenlebt. Am 26. November 12 hatte er bereits in einem Interview auf Nachfragen, ob er die Gewalt am Rande der Demonstration des „Instituts Civitas“ acht Tage zuvor verurteile, erklärt: „Nein. Ich verurteilte diejenigen, die diese Demonstration attackiert haben.“ Der rechtsextreme Aufmarsch war jedoch zu keinem Zeitpunkt körperlich angegriffen worden, sondern er war nur das Ziel symbolisch-satirischer Störaktionen – deren Teilnehmerinnen deswegen zum Teil krankenhausreif geprügelt wurden.

Auch der Gründervater der rechtsextremen Partei, Jean-Marie Le Pen, ruft explizit zur Teilnahme an den Demonstrationen gegen die Homosexuellenehe auf. Dagegen zeigen sich manche jüngeren Mitglieder der Parteiführung eher reserviert, wie ihr Generalsekretär Steeve Briois oder das neue Vorstandsmitglied Florian Phlippot (zuvor Wahlkampfleiter für Marine Le Pen im Präsidentschaftswahlkampf), respektive um die 40 und um die 30. Philippot erklärte, eher als um die „Ehe für Alle“ zu kümmern, müsse seine Partei sich stärker für das Thema „Arbeitsplätze für Alle“ interessieren.

Inzwischen hat Florian Philippot sich sogar offen von denen, die eine Teilnahme an den Demonstrationen wünschen, abgesetzt. Am 02. Januar 13 erklärte er: „Unsere Position ist sehr bekannt, wir sind gegen die Homosexuellenehe.“ Aber „die Verteidigung der Familie beschränkt sich nicht auf dieses eine Thema“, fügte er hinzu. Ferner solle man vermeiden, über das Stöckchen zu springen, das die Regierung einem da hinhalte – wolle diese doch „nur von Florange (Anm.: dem  drohenden Abbau in der lothringischen Stahlindustrie nach heftigem Hin und Her) sowie dem Anstieg der Arbeitslosenzahlen ablenken“. Da komme es, so Philippot, der Regierung nur recht, wenn alle sich auf die Homosexuellenehe fokussierten, weshalb man da nicht mitspielen solle. Zu den Differenzen in der eigenen Partei nahm er ebenfalls Stellung, und er versuchte, diese als Stärke darzustellen: „So sieht eine normale, erwachsene Partei aus, eine politische Partei mit lebendigen Diskussionen.“

Auch die Pro-Seite ging auf die Straße

Am 26. Januar 13 wollen dagegen die Befürworterinnen und Befürworter der „Ehe für Alle“ demonstrieren. Zum ersten Mal in der bisherigen Auseinandersetzung waren sie in Paris und anderen Städten am 16. Dezember 12 auf die Straße gegangen. In der französischen Hauptstadt waren sie damals rund 60.000. Auf Plakaten bekannten sich viele Teilnehmer als „solidarische Heterosexuelle“, während Tausende von homosexuellen Paaren mit und ohne bei ihnen lebende Kinder im Zentrum der Demonstration liefen. Oder auch bekennende Eltern von Homosexuellen. Satirisch fragten viele Demonstrierende auf Schildern die Homophoben: „Bin ich etwa zu Eurer Hochzeit um meine Meinung gefragt worden?“ Ein Demonstrant bekundete sarkastisch: „Auch ich will Unterhaltszahlungen – Scheidungsrecht für Alle!“ Ein älteres heterosexuelles Paar tat kund: „Unsere 45 Jahre Ehe werden durch Eure Hochzeitsplänme nicht gefährdet!“ Auch progressive Katholik/inn/en, wie die linkschristliche Zeitschrift ,Témoignage Chrétien’ (mit einem Unterstützerflugblatt für die „Ehe für Alle“) waren mit von der Partie.

Noch sind einige Punkte des künftigen Gesetzes ungeklärt. Außer Zweifel dürfte stehen, dass das Recht auf Eheschließung – neben dem weiterhin bestehende, eingetragene Lebensgemeinschaften einzugehen, oder auch ohne Trauschein zusammen zu wohnen – für homo- wie für heterosexuelle Paare geöffnet wird. Außer, wenn die Gegner wirklich Millionen dagegen auf die Straßen bringen, dürfte dies von ihrer Seite her kaum noch zu verhindern sein. Ein Scheitern oder Rückzug an dem Punkt ist höchst unwahrscheinlich. Unklar ist dagegen, ob auch das Adoptionsrecht für homosexuellen Paare oder das Recht auf künstliche Befruchtung durch das zukünftige Gesetz anerkannt wird. Präsident François Hollande ist dagegen. Allerdings war der notorisch konsenssüchtige Politiker persönlich ohnehin im Vorhinein gegen den ganzen Gesetzentwurf. Er war jedoch durch seine Partei und später durch seine Parlamentsmehrheit dazu genötigt worden, sich des Themas anzunehmen, um wenigstens eine progressive Reform auf der Tagesordnung stehen zu haben, nachdem das Thema Ausländerwahlrecht auf die längere Bank geschoben wurde. Nunmehr sollen die Abgeordneten über die noch offenen Fragen entscheiden, wie Hollande ankündigte: „Das Parlament ist souverän.“

Die französische Öffentlichkeit ist gespalten, laut einer jüngsten Umfrage waren 58 Prozent der Befragten für das Prinzip der „Ehe für Alle“ (doch zwei Drittel sind laut Umfrageergebnissen vom 03. Januar 13 auch für eine Volksabstimmung zum Thema).  Allerdings sind besonders die konservativ- bis reaktionär- katholischen Milieus zu dem Thema so mobilisiert wie zu kaum einem anderen, geht es doch in ihren Augen darum, ein „Sakrament“ anzutasten. Die Auseinandersetzung dürfte sich also vorläufig nicht beruhigen. Die politische Rechte aller Couleur wird den Konflikt als Steilvorlage nutzen, um in der Opposition neue Energien zu finden.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=20856
nach oben