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Sozialproteste und extreme Rechte

Artikel von Bernard Schmid vom 20.6.2016

Frankreich 2016: Loi travail: non, merci!FN-Wählerschaft äußert sich zu 72 Prozent verständnisvoll oder unterstützend zu Protestdemonstrationen. Die rechtsextreme Abgeordnete Marion Maréchal-Le Pen verurteilt unterdessen die CGT, während der Vizevorsitzende Florian Philippot eher die Regierung kritisiert. Dissonanzen und divergierende Stimmen an der Parteispitze zu eventuellen Demonstrations-Verboten

Um die extreme Rechte in Frankreich ist es derzeit in den Medien relativ ruhig, da ihre Hauptpartei – in Gestalt des Front National (FN) – sich in Zeiten zugespitzter sozialer Konflikte eher bedeckt hält: Es ist schwierig für ihn, die Gewerkschaften zu unterstützen, ebenso wie eine Pro-Regierungs-Position seiner Selbstdarstellung als Protest- & Wut-Partei schaden würde. Im Stillen bereitet Marine Le Pen sich auf ihre Präsidentschaftskandidatur für das Frühjahr 2017 vor, welche unter dem Motto La France apaisée („Das zum Frieden gekommene/zur Ruhe gekommene Frankreich“) stehen soll. Es ist keine unmittelbare Reaktion auf die derzeitigen sozialen Konflikte, vielmehr wurde dieses Motto zu Jahresbeginn 2016 vor deren Ausbruch gewählt. Marine Le Pen hatte ihre Kandidatur im Februar 16 offiziell angekündigt und dabei bereits diesen Slogan benutzt.

Doch nun stellt sich heraus, dass ihre eigene Wählerschaft auf extreme Weise gespalten ist, was ihre Haltung zu dem Gesetzentwurf betrifft. Während ihr eher in Südfrankreich (und zum Teil im Elsass) angesiedelter wohlhabenderer Teil – zu unterscheiden von der eher aus den soziale Unterklassen kommenden rechtsextremen Wählerschaft in Nordfrankreich oder in Lothringen zum Beispiel – mit den Gewerkschaftsdemonstrationen nichts anfangen kann, erklärt ein erstaunlich hoher Anteil gewisse Sympathien für dieselben. Dieses Phänomen ist nicht: Bereits anlässlich der massiv befolgten Herbststreiks in den öffentlichen Diensten im November/Dezember 1995 war die damalige FN-Wählerschaft im Sechzig-zu-Vierzig-Verhältnis in zwei größere Blöcke gespalten. Nunmehr sind es jedoch sogar 72 Prozent innerhalb der Wähler/innen/schaft des Front National, die Sympathien oder Verständnis für die sozialen Protestdemonstrationen äußern. Dies hat eine Befragung ergeben, deren Ergebnisse am 17. Juni d.J. publiziert wurden. Demnach entscheiden sich 46 Prozent – also eine Mehrheit innerhalb der 72 Prozent – sogar für die stärkste Antwort, welcher zufolge diese Sozialproteste „sehr gerechtfertigt“ seien. Bei der konservativen stärksten Rechtspartei, Les Républicains (LR) – früher UMP – hingegen betragen die beiden Anteile nur respektive 31 Prozent und sieben Prozent. (Vgl. http://www.lemonde.fr/politique/article/2016/06/16/le-fn-pris-en-flagrant-delit-de-grand-ecart_4951625_823448.html externer Link)

Im Unterschied zu 1995, als die Partei selbst offen feindselig auf die damaligen Streiks reagierte, zeigt sie sich heute hingegen um- und vorsichtig sowie gespalten zum Thema „Arbeitsgesetz und die Proteste dagegen“. Die aus zwei Abgeordneten – den südfranzösischen FN-Bürgermeistern David Rachline (Fréjus) und Stéphane Ravier, Bezirksbürgermeister in Barseille – bestehende Senatsfraktion des Front National hatte zwar zunächst Änderungsanträge für den Gesetzentwurf ausgearbeitet, die ihn sogar noch in wirtschaftsliberalem, arbeit„geber“freundlichem Sinne verschärft hätten. Infolge einer Intervention der Parteispitze wurden diese Anträge jedoch vor dem Beginn der Senatsdebatte zum Thema, die vom 13. bis 28. Juni dauert, zurückgezogen.

Was das eventuelle Verbot künftiger Gewerkschafts- und Sozialprotest-Demonstrationen – das durch die Regierung am Mittwoch, den 15. Juni infolge von „Ausschreitungen“ bei der Zentraldemonstration am Vortag angedroht wurde – betrifft, so herrscht keine Einigkeit an der Parteispitze des Front National.

Vize-Vorsitzender Florian Philippot, der eher als Flügelmann der Partei für die betonte soziale Demagogie auftritt, kritisierte die Regierung am 16.06. d.J. scharf für ihr Vorhaben eines eventuellen Demonstrationsverbots. Dabei wollte er die Urheber von Ausschreitungen einerseits – er bezifferte die „Gewalttäter“ auf „rund 800“, die „zu Gutteil aus dem Ausland anreisen“ – und das Gros der (eher gewerkschaftlich orientierten) Demonstrant/inn/en andererseits scharf unterschieden wissen.

Das geplante Demo-Verbot wies er deutlich zurück. Er nannte es „eine Reaktion von Unfähigen“ und höhnte, dann könne man „ja auch gleich Wahlkampfveranstaltungen im Präsidentschaftswahlkampf verbieten“, da auch diese mitunter „von Chaoten angegriffen“ würden (vgl. https://www.youtube.com/watch?v=NkffT4fAzk8 externer Link ). Bei letzterem Ausdruck denkt er natürlich vor allem auch an antifaschistische Aktionen gegen die eigene Partei. Am folgenden Tag (Freitag, den 17. Juni) legte Philippot dann in schärferem Tonfall gegen „die Chaoten“ nach und forderte, die Regierung müsse „diese linksextremen Milizen“ endlich verbieten. Noch immer wollte Philippot jedoch kein Regierungsverbot für Demonstrationen befürworten; das Kabinett lasse den Chaoten-Anteil sogar bewusst gewähren, um den Rest zu diskreditieren. Den Hauptstoß führte er aber gegen die Regierung und gegen die Europäische Union, die ihr angeblich das geplante „Arbeitsgesetz“ angeblich auferlegt habe – in Wirklichkeit geht dieses zwar zum Teil auf „Empfehlungen“ der EU-Kommission an Frankreich vom 13.05.2015, aber auch auf Vorschläge des französischen Kapitalistenverbands MEDEF aus dem Frühjahr 2000 zurück -; die Demonstrationen mitsamt Ausschreitungen dauerten „drei Wochen“, hingegen die Auswirkungen des geplanten Gesetzes „das ganze Leben lang“. (Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=RzKPlywDuwg externer Link )

Hingegen sprach sich die 26jährige Parlamentarierin Marion-Maréchal-Le Pen – eine der beiden derzeitigen Abgeordneten des FN in der französischen Nationalversammlung – im Prinzip für die Möglichkeit eines Verbots solcher Demonstrationen aus. Sie sei, erklärte die Nichte von Marine und Enkelin von Jean-Marie Le Pen am 16. Juni 16, „nicht sonderlich schockiert“ darüber, dass man ggf. „gewisse Demonstrationen, natürlich für eine bestimmte Zeit, verbieten könnte“, unter Berufung auf den nach wie vor geltenden Ausnahmezustand sowie auf die laufende Europameisterschaft im Fußball. Ihre Tante und Parteichefin Marine Le Pen ergriff hingegen Positionen, die eher denen ihres Vizevorsitzenden Philippot ähneln. (Vgl. zu beiden: http://actu.orange.fr/france/manifestations-un-point-de-divergence-entre-le-pen-CNT000000q9vAi.html externer Link) Auch ihr Lebensgefährte Louis Aliot „würde die Demonstrationen nicht verbieten“, glaubt man seinen Worten (vgl. http://www.bfmtv.com/politique/louis-alliot-n-interdirait-pas-les-manifestations-990176.html externer Link). Aliot ist ebenfalls, wie Philippot, Vize-Vorsitzender der Partei doch mit etwas stärker wirtschaftsliberal gefärbten Positionen.

Auch bei der inhaltlichen Bewertung des geplanten „Arbeitsgesetzes“ selbst widerspiegelt sich diese, zumindest strategisch-taktische, Uneinigkeit. Florian Philippot (vgl. obige Quelle) wirft ihm u.a. vor, ein durch die EU gewolltes Regelwerk zur Prekarisierung von französischen Lohnabhängigen sowie zur Lohnsenkung zu sein. Hingegen ist Marion Maréchal-Le Pen der erklärten Auffassung, dass das Gesetzesvorhaben „bedeutungslos“ sei, weil es „vor allem für die kleinen und mittleren Unternehmer (…) nicht weit genug“ gehe. Den Hauptangriff führt sie gleichzeitig gegen die CGT – den mit Abstand stärksten Gewerkschaftsdachverband in Frankreich (auch wenn die schlecht informierte junge Welt in Berlin vorige Woche zum wiederholten Male und aus unerfindlichen Gründen behauptet, es sei angeblich „der drittstärkste“) -, die bei Philippot eher relativ verschont bleibt: „Die CGT repräsentiert das französische Volk nicht.“ (Vgl. ihre Aussagen vom 12. Juni d.J.: https://www.youtube.com/watch?v=Tq6X5hnDPIM externer Link ) Ähnliche inhaltliche Positionen nimmt auch der rechtsextreme Bürgermeister von Béziers – der einwohnerstärksten unter den zwölf vom FN regierten Städten – ein, unter Berufung auf das Wohlergehen südfranzösischer Unternehmen. Er beklagt lautstark, dass das geplante Gesetz durch parlamentarische Kompromisse „zunehmend kastriert“ würde (Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=MIk90Kjbqh0 externer Link , ab 21 Minuten 57 Sekunden)

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=100064
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