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Neofaschistische Sozialdemagogie & die Mühen der Ebene

Artikel von Bernard Schmid, Paris, 16.09.2014

Joseph Goebbels hätte seine helle Freude: Rechtsextreme Agitatoren wirken für die (nachträgliche) Nationalisierung der Arbeiterklasse, in einer FN-regierten früheren Stahlarbeiterstadt in Lothringen.Unterdessen nehmen jedoch die Probleme in mindestens einem der vom Front National regierten Rathäuser, in Hayange (Lothringen), massiv zu. Dem dortigen Bürgermeister Fabien Engelmann stehen ernsthafte Schwierigkeiten ins Haus. Ansonsten macht die französische extreme Rechte derzeit Stimmung wegen der Aussetzung von Rüstungslieferungen an Russlands Machthaber, im Zusammenhang mit dem Ukrainekonflikt. Dabei findet sie auch bei manchen Lohnabhängigen rund um die Werften ein mehr oder minder offenes Gehör.

In der früheren Arbeiterstadt Hayange in Lothringen, die durch die Stahlkrise gebeutelt wurde, regiert seit März der 35jährige Bürgermeister Fabien Engelmann vom Front National, ein sich durch besondere Aggressivität auszeichnender kleiner Id(…)t. Ihm droht nun die Amtsenthebung. Seit einigen Wochen spitzt sich die Krise mit seiner früheren ersten Beisitzerin Marie Da Silva, einer ehemaligen Gewerkschafterin und Lokaljournalistin, zu. Letztere wirft ihm autoritäre, alleinherrliche Amtsführung vor. Deswegen publizierte sie Ende August d.J. einige Dokumente, die auf einen Betrug oder jedenfalls eine Regelverletzung bei den Wahlkampfkosten im Umfeld der Rathauswahlen vom März dieses Jahres – eine falsche Abrechnung von Wahlkampfspesen – hindeuten. Am 03. September 14 wurden ihr daraufhin in einer Abstimmung vom Kommunalparlament alle Vollmachten entzogen. Aber vieles deutet dabei auf Wahlbetrug hin.

Engelmann scheint die Unterstützung von Marine Le Pen verloren zu haben, beispielsweise war er im Gegensatz zu anderen Parteikadern nicht zur „Sommeruniversität“ der Parteijugend FNJ am 06/07. September 14 in der ebenfalls FN-regierten Stadt Fréjus an der Côte d‘Azur eingeladen. Und viele in der Partei finden inzwischen, dass der in mehreren Interviews geäußerte muslimfeindliche Fanatismus Fabien Engelmanns allmählich zu viel des Guten wird. Engelmann, ein früherer Angehöriger der radikalen Linken – er war sechs Jahre lang u.a. bei der traditionsmarxistisch-trotzkistischen Kleinpartei Lutte Ouvrière (LO, „Arbeiterkampf“) sowie bei der Gewerkschaft CGT aktiv, Letztere schloss ihn 2011 aufgrund rechtsextremer Betätigung aus -, geriet ab dem Jahr 2010 unter den Einfluss der Sekte Riposte Laïque (RL, ungefähr: „Die Laizisten schlagen zurück“). Diese radikal muslimfeindliche Spinnersekte, die ebenfalls durch einen früheren Linken und sogar Ex-Linksradikalen in Gestalt von Pierre Cassen angeführt wird, besteht aus einer gleichnamigen Internetpublikation sowie einer Vorfeld-„Bürgerinitiative“ unter dem Namen Résistance Républicaine (RR, „Republikanischer Widerstand“). Aufgrund des eher geringen Realitätssinns dieser Sekte finden mittlerweile auch einige Parteigänger des FN, dass Engelmann es mit seinem Engagement dort übertreibt.

Letzterer lässt sich unterdessen bislang nicht beirren. Am Sonntag, den 14. September 14 organisierte er ein „Fest des Schweins“ (sic, im Original: fête du cochon) in „seiner“ Stadt. Auf einem öffentlichen Platz in Steinwurfweite vom Rathaus – zum Steinewerfen wäre es praktisch gewesen… – war eine Tribüne aufgebaut, wo der bekennende Vegetarier Engelmann eine Ode auf die Sau im Allgemeinen und das Schweinefleisch im Besonderen verlas. Letzteres konnte man dann auch ganz in der Nähe in zahlreichen Formen verköstigen. „Unser Vetter“ (sic), das Schwein, wurde vom Bürgermeister als Bestandteil „unseres Kulturerbes“ vorgestellt, und es verleihe – fuhr Fabien Engelmann fort – „uns Wurzeln, die dermaßen vielen jungen Leuten fehlen/abgehen“. Die im Hintergrund des ganzen Gedöns‘ stehende Konzeption ist denkbar prosaisch und lässt sich einfach zusammenfassen: Da weder moslemische noch jüdische Menschen Schweinefleisch essen, wird das arme Vieh in der rassistischen extremen Rechten als Identitätsmarkierer eingesetzt. (Was sagt eigentlich der Tierschutz dazu?) Die Sekte Riposte Laïque hielt vor diesem Hintergrund beispielsweise im Sommer 2010 so genannte „Aperitifs mit Wein und Schwein“ unter freiem Himmel ab – die Hauptsache war dabei allein, ohne Muslime auszukommen.

An dem ideologisch unterfütterten Fressfest nahmen auch rund zwanzig gewaltbereite Neofaschisten teil, bekleidet mit T-Shirts, die vom Keltenkreuz und/oder Aufschriften der faschistisch-antisemitischen Sekte L’Oeuvre française (eine im November 1968 gegründete Splittergruppierung, ihr gehörten etwa die Mörder des am 1. Mai 1995 am Rande des FN-Aufmarschs in Paris getöteten Marokkaners Brahim Bouarram an) ver„ziert“ respektive verunstaltet wurden. Auch Riposte Laïque-Sektenchef Pierre Cassen war persönlich mit von der Partie, und dazu wohl extra aus Paris angereist[1].

Zuvor hatte Fabien Engelmann in den letzten Monaten dadurch auf sich aufmerksam gemacht, dass er eine – weitgehend weitgehend ideologisch motivierte – Umgestaltung an symbolischen Orten in seiner Stadt vornahm. Zunächst ließ der rechtsextreme Stadtoberhaupt ein Kunstwerk, das unter seinen Amtsvorgängern errichtet worden war, eine Art Sprungbrunnen, und andrere Örtlichkeiten in (hell-, himmel-)blau neu anstreichen. Die blaue Farbe mag zwar in seinen Augen ästhetischer als die vorherigen Farbtönen (eher gräulich) gewirkt haben; im Falle des Kunstwerks löste dies jedoch einen Skandal aus, da der Künstler nicht gefragt worden war. Tatsächlich stellt dies einen prinzipiellen Verstoß gegen das Prinzip der künstlerischen Freiheit sowie das Recht auf geistiges Eigentum dar. Dies war jedoch noch nicht das Schlimmste, es sollte noch mit Abstand übler kommen. Unter den sozialdemokratischen Amtsvorgängern Engelmanns war ein kleiner Bergarbeiterzug in der Stadt aufgestellt worden, der die Vergangenheit Lothringens und der Region als früherem Schwerindustrie-Standort mit Kohle und Stahl symbolisieren sollte. Fabien Engelmann und seine Umgebung gingen hin und ließen den kleinen Zug einfach in den französischen Nationalfarben, also in blau-weiß-rot, anmalen. In diesem Falle waren es nicht einfach ästhetische Beweggründe, die den Ausschlag gegeben hatten, sondern der offenkundige Wunsch nach einer „Nationalisierung der Arbeiterklasse“- sozusagen nachträglich, denn es gibt heute in der Region keine Bergbautätigkeit mehr. Joseph Goebbels, dem die „Einbindung des Proletariats in Nation und Volksgemeinschaft“ stets ein zentrales Anliegen war, hätte seine helle Freude verspürt. Kritiker/innen allerdings pflanzten rund um das an- respektive umgemalte Eisenbahndenkmal eine Reihe von Fahnen auf. Diese symbolisieren die Länder, aus denen die Bergarbeiter in Wirklichkeit (neben Frankreich) kamen: Marokko, Algerien, Tunesien, Portugal, Ukraine, …

Mobilisierung für Rüstungsexport – und Russlands Machthaberinteressen

Auf einem anderen Blatt steht eine weiter Mobilisierung, die der FN unterdessen mit einigem Erfolg oder jedenfalls Aufsehen betreibt. Am Mittwoch, den 03. September 14 verkündete der Elyséepalast (Amtssitz des französischen Präsidenten), dass ein größerer Rüstungsexport, nämlich die geplante Auslieferung von zwei Hubschrauberträgern vom Typ ,Mistral‘ an das regierende Regime in Russland, vorläufig ausgesetzt werde. Dies gelte bis zu einer „politischen Lösung“ in der Ostukraine, wo faktisch gleichermaßen ukrainische wie russische Söldner, Neofaschisten und Ultranationalisten – im staatlichen Auftrag und/oder auf eigene Faust – auf beiden Seiten mitmischen.

Auf den Werften im westfranzösischen Saint-Nazaire, wo die beiden Ungetüme gebaut wurden/werden, sorgt dies für einen gewissen Unmut. Denn eine Reihe von Mitarbeiter/inne/n verteidigen ebenso wie manche Gewerkschaften, etwa die politisch schillernde Gewerkschaft Force Ouvrière/FO, mehr oder minder blind „die Arbeitsplätze“ (ein Problem, auf das sich ja auch durch Konzepte für Rüstungskonversion zugunsten ziviler Produkte reagieren ließe).

Marine Le Pen, welche politisch den aktuellen russischen Machthabern ausgesprochen nahe steht – am 12. April 2014 wurde sie in den Räumlichkeiten der Duma vom Parlamentspräsidenten Sergej Naryschkin wie ein hoher Staatsgast empfangen, und der Mann gratulierte ihr zum Abschneiden ihrer Partei bei den Kommunalwahlen von Ende März -, nutzt diese Situation aus. Lautstark rührt sie die Trommel gegen diese vorläufige Aussetzung der Rüstungslieferung, welche „das Vertrauen auf Frankreichs gegebenes Wort in der Welt“ ankratze[2]. (Auch manche Politiker der französischen „Linksfront“ – ungefähr vergleichbar mit DIE LINKE in Deutschland – kritisierten diesen „Bruch französischer Versprechen“. Und setzten sich für Russlands Machthaber in einer Art und Weise ein, wie sie es vor 25 Jahren in Zeiten der Systemkonkurrenz getan hätten; nur, dass sie anscheinend noch nicht mitbekamen, dass Russland heute nicht mal mehr in Anführungszeichen von „Kommunisten“ regiert wird…)

Dabei scheint es der FN auch geschafft zu haben, im Rahmen eines Kollektivs unter dem Titel Mistral Gagnons – neben Anhängern des bürgerlichen Nationalisten und EU-Kritikers Nicolas Dupont-Aignan – auch Mitarbeiter/innen der Werften und ihrer Subunternehmen anzuziehen. Dieses veranstaltete am Sonntag, den 07. September eine Demonstration in Saint-Nazaire[3]. Der Bemühung von Marine Le Pen um soziale Demagogie kann dies nur nutzen.


 

[1] Vgl. Fotos von der Sause unter freiem Himmel bei: http://www.lexpress.fr/actualite/politique/fn/du-lard-et-du-cochon-a-la-fete-du-maire-fn-de-hayange_1575845.html externer Link

[2] Vgl. auch http://www.letelegramme.fr/economie/mistral-le-pen-c-est-une-decision-tres-grave-04-09-2014-10324921.php?xtor=EPR-3-[quotidien]-20140904-[detailarticle] externer Link

[3] Vgl. dazu http://canempechepasnicolas.over-blog.com/article-deux-manifs-a-saint-nazaire-ou-sont-les-communistes-124549953.html externer Link – Vorsicht: Bei der Quelle handelt es sich um eine neostalinistische Webseite, die auch Russlands aktuelle (durchaus nicht „kommunistische“) Machthaber weitestgehend kritiklos verteidigt.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=65695
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