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Französischer Front National (FN): Vor strukturell enger Zusammenarbeit mit der AfD – Marion Maréchal-Le Pen flirtet mit dem Monarchismus – Altvater und „Dissident“Jean-Marie Le Pen sammelt rund 400 Abtrünnige am 1. Mai um sich

Artikel von Bernard Schmid vom 10.5.2016

An den französischen Front National wird sich das deutsche antifaschistische Publikum, das vor allem zur extremen Rechten im eigenen Lande arbeitet, wohl oder übel (übel!) gewöhnen müssen. Denn die deutsche AfD nähert sich auffällig an die französische neofaschistische Partei an. Einer ihrer Europaparlamentarier wird künftig mit dem französischen FN und der österreichischen FPÖ gemeinsam in einer Fraktion sitzen – und nicht „irgendeiner“ oder „irgendwer in der AfD“, denn Marcus Pretzell, um den es geht, ist zugleich der „Mann von der Chefin“, d.h. der Lebensgefährte von Parteichefin Frauke Petry.

Wir erinnern uns: Sieben Abgeordnete zogen für die deutsche AfD nach der Europaparlamentswahl vom Juni 2014 in selbiges Parlament ein. Doch fünf zählen zu der wirtschaftsliberalen „Dissidenten“fraktion um Ex-Chef Bernd Lucke, welcher im Juli 2015 – infolge von Kongressniederlage und Abspaltung – seinen eigenen Verein in Gestalt der Partei ALFA gründete. Diese fünf sitzen zusammen mit den britischen Konservativen (Tories) in einer Fraktion. Es blieb die Frage, wie sich die übrigen beiden positionieren würde, zumal Pretzell vor einigen Wochen durch ebendiese Fraktion ausgeschlossen wurde. Nunmehr hat er die Frage eindeutig beantwortet.

Völkische, hört Ihr die Signale, aus dem Ösi-Reich?

Sicherlich, es war vielleicht eher das Gewicht der FPÖ (angesichts ihrer Deutschsprachigkeit sowie der Sieges-Aussichten ihres Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer am 22. Mai d.J.), das bei der deutschen AfD den Ausschlag gab. Aber auch Marine Le Pen und ihre neofaschistische Combo sind nunmehr in ihren Kreisen wohlgelitten. Am Montag, den 09. Mai 16 zitiert die deutsche Tageszeitung ,Die Welt’ den erwähnten Europaparlaments-Abgeordneten – und Landesvorsitzenden der AfD in NRW – Pretzell mit den Worten: „Der persönliche Kontakt mit Marine Le Pen ist gelebte Normalität.“ Und weiter im Text: „Selbstverständlich habe ich mich im Vorfeld meines Fraktionseintritts mit Marine Le Pen unterhalten.“ Er, Marcus Pretzell, werde auch in Zukunft mit der Vorsitzenden des Front National „sicher eine ganze Reihe persönlicher Gespräche führen“.

Eine andere Vertreterin der deutschen Partei im Europarlament – die zweite eben Pretzell, die sich nicht der Lucke-Abspaltung anschloss – ist unterdessen gegen eine solche Annäherung an den FN und dessen Verbündete. Weil es sich beim französischen FN um eine neofaschistische Partei handelt? Um eine „Bewegung“, welche noch immer die Flamme in den drei Nationalfarben als ihr Symbol benutzt – und damit ein Abzeichen, das bei Gründung des FN im Jahr 1972 vom italienischen Neofaschismus übernommen wurde, wo es die „Auffahrt der Seele Benito Mussolinis aus dem Sarg gen Himmel“ verkörperte? Nicht doch, weit gefehlt. Beatrix von Storch hat andere Beweggründe, die da lauten: Der französische FN ist… zu links. Doch, doch. Die Tageszeitung,Die Welt’ zitiert die Dame mit den Worten: Der Front National sei „eine wirtschafts- und gesellschaftspolitisch sehr linke Partei“, die „ihren Sozialismus in Frankreich ausüben“ wolle. (Sic!) Eine solche Argumentation geht natürlich nur dann scheinbar auf, wenn man eine soziale Demagogie à la – im zugespitzten Falle – Brüder Strasser oder Ernst Röhm für „links“ erachtet. Beatrix von Storch ihrerseits schloss sich übrigens im Europaparlament jener Fraktion an, die durch den rechten britischen EU-Gegner Nigel Farage und seine UKIP sowie die „Bewegung Fünf Sterne“ des italienischen Polit-Scharlatans Beppe Grillo aufgebaut wurde.

Dissidenz von rechts

Vielleicht nicht für „zu links“, aber auf jeden Fall für nicht (oder nicht länger) rechts genug hält aber auch in Frankreich mindestens ein Prominenter den FN unter seiner aktuellen Führung. Es handelt sich, natürlich, um Jean-Marie Le Pen. Der (Mit-)Gründer und langjährige Vorsitzende der Partei, bis im Januar 2011, war am 20. August 2015 aus derselben ausgeschlossen worden. Ursächlich dafür war u.a., dass er beim Thema ungeschminkter Antisemitismus nicht zurückstecken wollte, und dass er – wie sich durch ein Interview ebendort im April 2015 offenbarte – nach wie vor offene Kontakte zur altfaschistischen und geschichtsrevisionistischen Wochenzeitung,Rivarol’ hielt.

Daran hat sich im Übrigen mitnichten etwas verändert. Am 11. April dieses Jahres wurden (im Internet) erste Bilder sowie Video-Aufnahmen von dem „Bankett“ mit mehreren Hundert Menschen veröffentlicht, das die 1951 gegründete faschistische Wochenzeitung im Februar d.J. aus Anlass ihres 65jährigen Bestehens abhielt. Dabei nimmt Jean-Marie Le Pen einen zentralen Platz bei der erlauchten Versammlung ein. Nach ihm sprach dort auch der „Papst“ der Geschichtsrevisionisten bzw. Holocaust-Leugner, Robert Faurisson, den Jean-Marie Le Pen allerdings persönlich nicht mehr mitbekam: Da er nicht mehr gänzlich der Jüngste ist (Jean-Marie Le Pen wird im Juni dieses Jahre 88), blieb er nicht bis zum Schluss. Mitbekommen hat Jean-Marie Le Pen jedoch u.a. den Auftritt von Henry de Lesquen, welch Letzterer sich in seiner Ansprache sogar an ihn wandte. De Lesquen, ehemals Vorsitzender des bekannten rechtsextremen Eliteclubs und Denkclubs unter dem Namen Club de l’Horloge (inzwischen umbenannt in Carrefour de l’Horloge) sowie des rechten Rundfunksenders Radio Courtoisie, hat seine Kandidatur zur Präsidentschaftswahl 2017 erklärt. Jüngst wurden strafrechtliche Ermittlungen gegen diesen Vertreter einer hochgradig elitären Rechten eingeleitet, wie am 04. Mai dieses Jahres bekannt wurde. Er hatte sich bei Twitter ironisch darüber ausgesprochen, wie erstaunt er doch über die „Langlebigkeit von Shoah-Überlebenden, die über neunzig werden“, sei.

Doch ob nun körperlich fit oder nicht, Jean-Marie Le Pen machte auch in den folgenden Wochen noch von sich reden. Am 1. Mai dieses Jahres versammelte er die ihm verbliebenen Anhänger in der Nähe der Jeanne d’Arc-Statue auf der Pariser place des Pyramides, um den Verrat und die Schwächlichkeit der aktuellen Parteiführung des FN anzuprangern, nachdem diese die seit 1988 jährlich durchgeführten 1. Mai-Demonstrationen erstmals aufgegeben hatte. Anfang Februar 2016 war publik geworden, dass der FN in einer französischsprachigen Publikation des so genannten Islamischen Staates (IS) verbal bedroht war: Die jihadistische Terrorsekte verkündete dort, die „Versammlungen der Götzenanbeter des Front National“ (sic) seien ein potenzielles „Ziel erster Wahl“. Dabei war sicherlich beiden Seiten – dem FN ebenso wie dem IS – daran gelegen, die Sache verbal hochzuschrauben, um sich jeweils als die entschlossenste Alternative zur jeweils anderen Seite darzustellen.

Die aktuelle Parteiführung entschied sich für ein „Bankett“ (diese Versammlungsform erfreut sich bei französischen Rechten wachsender Beliebtheit…) im 19. Pariser Bezirk. Dafür wurden rund 2.000 Sitzplätze reserviert. Die einzige Überraschung dort resultierte von einem unangekündigten Auftritt der ursprünglich in der Ukraine entstandenen Frauenorganisation,Femen’. Die Aktivistinnen von ,Femen’ hatten bereits am 1. Mai 2015 Marine Le Pen, deren Partei damals noch auf der Straße zum Maifeiertag und „zu Ehren von Jeanne d’Arc“ aufmarschierte, die Show ein wenig versemmelt. Damals entrollten sie ein Transparent auf einem Balkon im daneben liegenden Hotel, als Marine Le Pen auf dem Vorplatz der Pariser Oper die Abschlussrede dazu hielt. In diesem Jahr platzten sie unangemeldet in den Saal herein. Videoaufnahmen von dem Ereignis zeigen übrigens deutlich, wie die Pariser Polizei und der von Kritiker/inne/n als paramilitärisch bezeichnete Ordnerdienst des FN – der DPS (zu deutsch „Abteilung Schutz und Sicherheit“) – bei ihrem Einsatz gegen die,Femen’ Hand in Hand vorgehen und sich abstimmen.

Doch Jean-Marie Le Pen hielt es nicht in dem Saal bzw. es zog ihn nicht dort hin, wo er ohnehin wohl nicht willkommen gewesen wäre. Er sammelte also Getreue auf dem Pyramidenplatz, wo eine mit Blattgold verkleidete Statue der „Nationalheiligen“ (aus dem 15. Jahrhundert) Jeanne d’Arc steht. Im Vorfeld kündigte er gegenüber der Presse an, „wenn nur zwanzig oder dreißig Leute kommen, dann wird man zumindest wissen, dass Jean-Marie noch zwanzig oder dreißig Freunde zählt“. Es wurden ihrer 400. Unter ihnen natürlich das Umfeld von,Rivarol’ (mitsamt Chefredakteur Jérôme Bourbon, ein rund vierzigjähriger Choleriker), sowie der frühere Chef der 2013 verbotenen stiefelfaschistischen Gruppierung L’Oeuvre française – Yvan Benedetti – und auch der zuvor erwähnte Henry de Lesquen. (Vgl. hier auch ein Foto: http://www.lefigaro.fr/politique/2016/05/01/01002-20160501ARTFIG00064-jean-marie-le-pen-marine-le-pen-perdra-en-2017-et-peut-etre-des-le-premier-tour.php externer Link)

Erstaunlicher war, dass auch zwei Mitglieder der erweiterten Parteiführung des FN – des Bureau politique bzw. des Comité central – dort auftauchten, obwohl Marine Le Pen im Vorfeld angekündigt hatte, Mitgliedern des FN sei die Präsenz dort verboten und Zuwiderhandelnde würden sanktioniert bzw. aus ihren Funktionen entfernt. Es handelte sich um Bruno Gollnisch, den erfolglosen Gegenkandidaten zu Marine Le Pen im Kampf um die Parteiführung 2010/11, sowie Marie-Christine Arnautu, Vizepräsidentin „für soziale Fragen“. Beide sitzen auch als Abgeordnete im Europaparlament. Bereits am 02. Mai 16 forderte die Parteispitze die beiden jedoch ultimativ dazu auf, nun ihre innerparteilichen Ämter niederzulegen.

Am Sonntag, den 08. Mai demonstrierte ihrerseits die stiefelfaschistische oder offen antidemokratische Rechte (während der FN von sich selbst behauptet, eine nationale und demokratische Wahlpartei darzustellen) „für Jeanne- d’Arc“. Und zwar am „alten“ Datum, denn unter dem Vichy-Regime wurde der Feiertag der „Nationalheiligen“ jährlich am zweiten Sonntag im Mai begangen, und dabei blieb es für die extreme Rechte der Nachkriegszeit, bis Jean-Marie Le Pen ab 1988 den 1. Mai dadurch zu besetzen versuchte.

Rund 1.000 Hardcore-Aktivisten nahmen in diesem Jahr daran teil, darunter die katholischen Fundamentalisten des,Instituts Civitas’, Pierre Sidos – der Vorgänger (von 1968 bis 2012) von Yvan Benedetti an der Spitze der heute verbotenen Gruppierung L’Oeuvre française – oder die monarchistische Action française. Und auch… die Ehefrau von Jean-Marie Le Pen, also Jany Le Pen. Der frühere Chef des FN selbst ließ sich entschuldigen, war aber solcherart vertreten.

Zur selben Zeit lobt nun seine Nichte (und Abgeordnete) Marion Maréchal-Le Pen seit jüngstem die monarchistischen Ideen. Am Samstag, den 07. Mai 16 nahm sie an einem Kolloquium der seit 1905 bestehenden Vereinigung Action française teil – welche ihre Blütephase in den 1920er und 1930er Jahren unter Charles Maurras erlebte, als nationalistisch-antisemitische, monarchistische und präfaschistische Bewegung. In Frankreich kommt dem Monarchismus aus historischen Gründen (aufgrund der hohen Bedeutung des geschichtlichen Einschnitts von 1789 und des darauffolgenden Sturzes der Monarchie durch die bürgerliche Revolution) eine gewisse ideologische Sprengkraft zu; er ist nicht bloß eine Angelegenheit für von Nostalgie triefende Artikel in Regenbogenzeitschriften angesichts britischer Prinzenhochzeiten. Er ist vielmehr ein Einfallstor für konterrevolutionäre Bewertungen der französischen bürgerlich-revolutionären Geschichte. Die monarchistische und/oder katholisch-fundamentalistische Anti-1789-Strömung war immer eines der Segmente der französischen extremen Rechten, die ein Konglomerat bildet, jedoch nie das einzige (die „nationalrevolutionäre“ Strömung ist ihr etwa in ihren ideologischen Prämissen z.T. entgegengesetzt). Insofern ist die monarchistische Unterströmung nur ein Bestandteil eines breiteren ideologischen Ensembles.

Das Kolloquium der Action française, an welchem die junge FN-Abgeordnete aus der Nationalversammlung teilnahm, stand unter dem Motto „Ich bin Royalist, warum nicht Sie auch?“ Neben Marion Maréchal-Le Pen nahm auch Robert Ménard daran teil, welcher – als Parteiloser, jedoch mit Unterstützung des FN und auf einer von ihm aufgestellten Listen – 2014 zum Bürgermeister der südfranzösischen Stadt Béziers gewählt wurde. Die 26jährige Marion Maréchal-Le Pen erklärte aus diesem Anlass, sie selbst teile „nicht alle“ Ideen ihrer Gastgeber von der Action française, fügte jedoch hinzu: „Der Front National ist die monarchistischste unter den französischen politischen Parteien.“ (Vgl. http://www.24matins.fr/marion-marechal-pen-se-rapproche-mouvements-royalistes-320109 externer Link und http://actu.orange.fr/politique/fn-marion-marechal-le-pen-flirte-avec-les-royalistes-leparisien-CNT000000oh12p.html externer Link oder http://www.rfi.fr/france/20160508-france-quand-marion-marechal-le-pen-s-affiche-anti-monarchistes externer Link sowie http://www.leparisien.fr/politique/marion-marechal-le-pen-a-un-congres-de-l-action-francaise-07-05-2016-5775285.php externer Link)

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=98018
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