»
Frankreich »
» »

Frankreich: Rechtsextreme Attacken auf Gewerkschafter/innen und Andere

Artikel von Bernard Schmid vom 8.5.2013

Am 02. und 03. Mai dieses Jahres berichteten wir in Labournet ausführlich (vgl. https://www.labournet.de/newsletter-am-donnerstag-02-mai-2013/#Frankreich_Ein_gespaltener_1_Mai_Regierungsfreundliche_und_kritische_Gewerkschaften_demonstrieren_getrennt und https://www.labournet.de/internationales/frankreich/politik-frankreich/rechte-f/frankreich-1-mai-auch-von-rechts/) über den diesjährigen 1. Mai; und zwar sowohl, was die Aktivitäten von Gewerkschaften – gelben und nicht-gelben – als auch der extremen Rechten abging. Hinzu fügen dürfen wir übrigens, dass am Sonntag, den 05. Mai in Paris rund 60.000 bis 90.000 Menschen auf einen Aufruf von Jean-Luc Mélenchon – im Vorjahr Präsidentschaftskandidat des reformistischen Linksbündnisses – demonstrierten. Es ging gegen die Austeritätspolitik und die Korruptionsaffäre um den ehemaligen Haushaltsminister Jérôme Cahuzac (zuständig für Steuerpolitik, und selbst Steuerflüchtling in der Schweiz und später in Singapur). Dazu hatten eher linke Parteien und nicht direkt Gewerkschaften aufgerufen, die CGT hatte sogar einen direkten Aufruf dazu verweigert. Allerdings nahmen auch viele Gewerkschafter/innen an dem Protestzug teil.

Was zu dem Zeitpunkt unserer Berichte über den ersten Mai allerdings im echten Ausmaß noch gar nicht bekannt war, das waren die neofaschistischen und sonstigen rechten Attacken auf progressive und/oder gewerkschaftliche Kräfte an jenem Tag. Erst allmählich hat sich deren tatsächliches Ausmaß, insbesondere dank der Regionalpresse und dank antifaschistischer Gewerkschafter/innen, herausschälen können.

Reims: Fahnenstange als Waffe

Im Raum Reims fand am ersten Mai dieses Jahres einerseits die Kleckerkundgebung von drei halbgelben Gewerkschaftsverbänden (CFDT – rechtssozialdemokratisch, UNSA – „unpolitisch“ und „moderat“, CFTC – Christenheinis) statt. An ihr nahmen laut überregionaler Presse „300“, laut einer regionalen Quelle hingegen „höchstens 200“ Personen teil (vgl. http://www.francebleu.fr/social/1er-mai-les-syndicats-reformistes-cormontreuil-529440 externer Link). Diese großartige „frankreichweite zentrale Initiative“, in einem Vorort von Reims, war bereits Gegenstand der Berichterstattung im Labournet. Auch wenn gar nicht genug über diese Schleimscheißer gespottet werden kann, soll sie uns an dieser Stelle jetzt nicht weiter interessieren. Auch wenn erwähnt werden muss, dass lt. örtlichen Kollegen drei Personen, die bei der Kundgebung der CFDT-UNSA-CFTC-Arschlöcher eine Spendensammlung für streikende Kollegen bei PSA Sochaux durchführten wollten, vom Ordnerdienst brutal hinausgeworfen wurden.

Parallel zu ihr fand, andererseits, eine Demonstration von nicht-gelben Gewerkschafter/inne/n im Stadtzentrum von Reims statt. Dazu kamen lt. Regionalpresse rund 350 Menschen, besonders von der CGT, der Bildungsgewerkschaft FSU, sowie einige Menschen von der „Linksfront“ (reformistische Linke, Zusammenschluss aus französischer KP und einer Abspaltung der Sozialdemokratie“) und der „Neuen Antikapitalistischen Partei“ (radikale Linke). Dieser 1. Mai-Zug hatte einen rein regionalen Charakter, und die Beteiligung an ihm fiel in diesem Jahr – die derzeitigen Schulferien und die allgemeine soziale Depression mögen die Hauptgründe sein – außergewöhnlich schwach aus.

Gegen 10 Uhr früh stieß der gewerkschaftliche Demonstrationszug auf ein Dutzend neofaschistischer Aktivisten, die in der Nähe einer Statue des früheren Königs Ludwig XV. verweilten, wo sie ihrerseits eine Kundgebung (im Geiste der ewigen Konterrevolution) abhalten wollten. Beim Aufeinandertreffen der beiden, ungleich großen, Gruppen kam es sofort zu Aggressivitäten. Zwischen einem der gewerkschaftlichen Demonstranten und einem Faschisten kam es zu einer Prügelei, während ein anderer eine Fahnenstange als Schlaginstrument benutzen wollte. Die Faschisten riefen „Reims den Reimsern!“, während die Gewerkschafter/innen die Internationale anstimmten – welche wiederum der Anführer des rechtsextremen Häufleins, Thierry Maillard, aus Provokation mit ihnen absang. (Sic)

Thierry Maillard tritt in Reims seit mindestens 1990 aktiv in Erscheinung. Er war wiederholt Parlamentskandidat für die rechtsextreme Wahlpartei Front National (FN), ist jedoch zugleich der Aktivist offen gewaltbereiter neofaschistischer Grüppchen. 1999 nahm er an der Gründung einer Abspaltung vom Front National unter Bruno Mégret teil, dem damaligen FN-Mouvement national und späteren MNR; dabei gab folgende Erklärung ab: „OK für die innerparteiliche Demokratie, aber nicht für die Demokratie außerhalb der Partei, mit Urnen undsoweiter!“ (Vgl. http://www.antifaschistische-nachrichten.de/1999/03/014.shtml externer Link) Später kehrte er zur „Mutterpartei“, dem FN, zurück, und trat bei ihrer 1. Mai-Kundgebung 2010 in Paris mit Fallschirmjägermützen, Vollkörper-Lederschutz und Schlägerhandschuhen auf (vgl. http://droites-extremes.blog.lemonde.fr/2010/05/01/1er-mai-jean-marie-le-pen-se-prend-pour-arlette-laguiller/ externer Link). Thierry Maillard ist vor Ort in Reims im Vereinsregister als Gründer einer „Gruppe revolutionärer Nationalisten“ (GNR) eingetragen, unter deren Fahne auch das Faschistengrüppchen am diesjährigen 1. Mai auftrat.

Die Polizei trennte die Kontrahenten daraufhin rasch, wie die örtliche Presse erzählt (vgl. http://www.lunion.presse.fr/article/marne/video-un-defile-du-1er-mai-sous-haute-tension-a-reims externer Link). Örtliche Antifaschist/inn/en dagegen berichteten uns, ein entschlossener Teil des – zahlenmäßig weitaus stärkeren – Gewerkschaftszugs habe daraufhin das Grüppchen von aufgeheizten Faschisten zu umzingeln begonnen. Jedoch habe die örtliche CGT daraufhin entschieden, den Demonstrationszug glatt an der Stelle zu beenden, also um ein Drittel abzukürzen (offiziell „aufgrund der schwachen Mobilisierung“), umzudrehen und die Reden vor dem Gewerkschaftshaus von Reims statt an der ursprünglich vorgesehenen Stelle zu halten.

Einige Fotos von dem Ereignis können online besichtigt werden (vgl. https://www.box.com/s/n8zu548a3r1pwd4bdq2k externer Link). Inzwischen hat auch die antifaschistische Gewerkschafter/innen/initiative VISA (für Vigilance et Initiatives Syndicales Antifascistes) ausführlicher darüber berichtet (vgl. http://www.visa-isa.org/node/18772 externer Link).

Andere Aggressionen

Anderswo in Frankreich kam es ebenfalls zu Aggressionen. In Grenoble versuchte eine offenkundig homophobe Gruppe, die sich auf „maskulinistische“ Forderungen und die Ideale der „Väterrechtsbewegung“ berief, gewaltsam in den Frauenblock der 1. Mai-Demonstration und in den der Union syndicale Solidaires einzudringen. Mutmaßlich, um ein weiteres Mal ihrer Opposition gegen das Frisch verabschiedete Gesetz zur Homosexuellen-Ehe Ausdruck zu verleihen. Nachdem dies den Teilnehmern an dem Versuch verweigert worden war, wurden sie gewalttätig. Mehrere Demonstrant/inne/n und gewerkschaftliche Verantwortliche wurden mit Schlägen traktiert; ein Mitglied der anarcho-syndikalistischen CNT musste daraufhin ins Krankenhaus eingeliefert werden.

In Paris hatte am Vormittag gegen 10 Uhr, ungefähr zeitgleich zum Beginn der jährlichen Demonstration des Front National (FN) – über welche Labournet bereits berichtete -, eine radikale Antifagruppe in deren Sichtweite zu einer Protestkundgebung aufgerufen. Unter dem Motto „Ihnen nicht die Straße überlassen“ versuchten sie sich dem FN symbolisch zu widersetzen. Man mag dies – unter uns – für taktisch ungeschickt erhalten, zumal nur (je nach Angaben) zwischen 50 und 150 Menschen dazu erschienen. Die Kundgebung war über Facebook und anderswo öffentlich angekündigt worden. Binnen kürzerster Zeit wurde sie durch rund dreißig vermummte Rechtsradikale überfallen; lt. beteiligten Antifaschisten handelte es sich um Hooligans des Pariser Fußballclubs PSG und um Anhänger der neonazistischen Jeunesses nationalistes (FN), die im Oktober 2011 als Abspaltung vom „schlappen“ Front National entstanden. Es kam zu drei Runden Schlagabtausch, in der Folge musste ein Antifaschist ins Krankenhaus eingeliefert und fünffach genäht werden. Wenig später tauchte die Polizei auf.

Die Antifaschist/inn/en nahmen kurz darauf an der „klassischen“ Anti-FN-Kundgebung auf dem Pont du Carrousel statt, zu der mehrere Hundert Menschen erschienen. Jährlich seit 1996 wird auf dieser Seinebrücke dem Tod von Brahim Bouarram gedacht, der am 1. Mai 1995 an genau der Stelle ertränkt worden waren – durch Neonazis. Diese liefen beim jährlichen Zug des Front National (FN) mit, gehörten allerdings nicht der Partei selbst an, sondern der offen faschistischen Splittergruppe Oeuvre française (ungefähr: „Französisches Werk“). Allerdings waren sie zu dem Zweck mit einem Bus, den der FN für die Anreise seiner Aktivisten und Sympathisanten zur Verfügung gestellt hatte, aus Reims angereist. (Schon wieder Reims! L’Oeuvre française ist übrigens dieselbe Gruppe, welcher früher der oben erwähnte Thierry Maillard aus Reims als führender Kader angehörte – und L’Oeuvre française ist heute ebenfalls die „Erwachsenen“organisation der erwähnten Jeunesses Nationalistes.) Die Mörder von Brahim Bouarram wurden 1999 verurteilt. – Die Kundgebung auf dem Pont du Carrousel, zu der jährlich mehrere antirassistische Organisationen aufrufen, blieb wie immer friedlich. Allerdings wurde ein faschistischer und Verschwörungstheorien liebender Blogger überrascht, nachdem er zahlreiche Menschen auf der Brücke „interviewt“ und fotografiert hatte. Antifaschisten versuchten, ihm zum Löschen seiner Fotos zu zwingen, bevor die Polizei eingriff – die dies zwar verhinderte, den faschistischen Provokateur jedoch einer peniblen Kontrolle unterzog.

Kurz darauf begann auf dem Vorplatz der Pariser Oper die jährliche 1.Mai-Kundgebung des Front National, unter Marine Le Pen. (Labournet war dabei und berichtete darüber am 03. Mai d.J.) Dazu muss noch erwähnt werden, dass im unmittelbaren Umfeld dieser Kundgebung kleine Flyer/Aufkleber verurteilt wurden, die den Namen und die persönliche Adresse des Journalisten Abel Mestre enthielten. Er arbeitet für die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde als Spezialist für die extreme Rechte, und konnte dies nur als Drohung auffassen. Die Zeitung hat am Nachmittag des 02.05.13 Strafanzeige deswegen erstattet.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=34406
nach oben