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Frankreich: 1. Mai auch von Rechts

Artikel von Bernard Schmid vom 3.5.2013

Zum gestrigen Artikel betreffend den gewerkschaftlichen 1. Mai in Frankreich  muss noch eine Ergänzung nachgetragen werden. An dem glänzenden „Erfolg“ der frankreichweiten Kundgebung der halb-gelben Gewerkschaftsverbände in der Nähe von Reims waren nämlich nur zwei, sondern gleich drei Dachverbände beteiligt.

Christenheinis glatt übersehen

Einen hatten die Medien in der überregionalen Presse nämlich zum Teil glatt vergessen, den eher rechtslastigen christlichen Gewerkschaftsverband, die CFTC. Insgesamt waren es also gleich drei Gewerkschaftsdachverbände: die CFDT (rechtssozialdemokratisch geführt), die UNSA (vorgeblich „unpolitisch“ und „moderat“), und die Christenheinzis.

Ihre gemeinsame tolle Kundgebung hatte ursprünglich in der Stadt Reims selbst stattfinden sollen. Warum ausgerechnet dort, bleibt allerdings weiterhin ein relativ gut gehütetes Geheimnis: In Reims wurden früher einmal die französischen Könige gekrönt, aber war dies ein triftiger Grund…? Doch die Ortswahl musste modifiziert werden, weil sich die Wahl eines geeigneten Versammlungsraums innerhalb von Reims als schwierig herausstellte (auch wenn er offenkundig nicht gerade riesig zu sein brauchte…). Deshalb wich man in das Kaff Cormontreuil aus. Sicherlich hätte man die großartige Kundgebung auch gleich iiiir-gend-wo auf einem Acker abhalten können, auch dies hätte nicht viel geändert.

Einige Berichte aus der regionalen Presse zu dem Mini-Ereignis finden sich bspw. hier:

Doch damit ist der rechte Rand noch bei weitem nicht erreicht. Zwar weist insbesondere der Christenheini-Gewerkschaftsbund CFTC einen ausgeprägten rechten Bodensatz auf – der Vorsitzende der Front National-Fraktion im lothringischen Regionalparlament war zuvor Hauptamtlicher bei der CFTC gewesen -, doch überwiegt bei den drei genannten Verbänden bei weitem das „sozialpartnerschaftlich“ verschnarchte bis konservative Element. Aber am ersten Mai findet alljährlich auch noch ein ganz anderer, definitiv rechter Aufmarsch in Frankreich statt.

1. Mai-Aufmarsch des Front National in Paris

Am jährlichen Aufmarsch des FN in Paris, den die rechtsextreme Partei seit 1988 „zu Ehren der Nationalheiligen Jeanne d’Arc“ an diesem Datum durchführt, kamen am 01.05.2013 insgesamt knapp 3.000 Menschen. Die Beobachtungen des Verfassers basieren dabei auf den Dimensionen der Demonstration (Teilnehmer pro Straßenbreite mal Minuten). Unsere Beobachtungen decken sich anscheinend weitgehend mit jenen der Pariser Polizei, die ihrerseits von rund 3.000 Teilnehmer/inne/n sprach. Ihrerseits sprachen der antifaschistische Journalist André Déchot von „höchstens 2.000“ (was wir nicht völlig nachvollziehen können), die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde von 6.000, und die Parteiführung des Front National selbst von angeblich „15.000“ Teilnehmer/inne/n.

Sollten unsere Angaben (ungefähr) zutreffen, dann ist die Mobilisierung rückläufig. Zum Aufmarsch des Front National am 1. Mai in Paris kamen im Jahr 2011 rund 2.500, im darauffolgenden Jahr 2012 jedoch rund 3.500 Menschen. Allerdings fiel der Termin im Frühjahr 2012 auf die Zeitspanne zwischen dem ersten und dem zweiten Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahl, und einen guten Monat vor den französischen Parlamentswahlen. Der Front National musste also auf eine möglichst starke Mobilisierung, durch (auch kostenlose) Reservierungsmöglichkeiten für Busfahrten auch aus weiter entfernt liegenden Regionen, achten.

Nach wie vor besteht eine starke Diskrepanz zwischen dem Stimmpotenzial des Front National bei Wahlen, seiner Mitgliederentwicklung (laut eigenen Angaben verfügt er – nach einem starken Anwachsen im letzten Jahr – über 65.000 Mitglieder, doch diese Zahlen sind stark aufgebläht), und seiner realen Mobilisierung von Aktivisten „an der Basis“. Letztere hinkt erheblich hinter dem Zuwachs von „einfachen“ Wählern und Sympathisantinnen zurück.

Nach wie vor schafft der FN es auf dieser 1. Mai-Demonstration auch nicht, die beiden auseinander strebenden Flügel seines Publikums bei Wahlen – ein eher bürgerlich-reaktionäres, auf Besitzstandswahrung bedachtes, und ein proletarisches oder deklassiertes Publikum – gleichzeitig zu vereinigen. Optisch überwog beim diesjährigen 1. Mai-Aufmarsch stark der Anteil an visuell auffälligen Sympathisanten (Kurzhaarschnitt, T-Shirts mit Aufschriften „Skinheads“ u.ä., Militärklamotten: in diesem Jahr mit Original-Oberkleidung der internationalen Schutztruppe ISAF in Afghanistan…) und von offensichtlich deklassierten Menschen: Der circa 15 Minuten lang vor mir stehende Herr trug etwa die schäbigste Anzugsjacke, die ich in meinem ganzen Leben sehen konnte, nicht nur extrem abgewetzt, sondern mit sage und schreibe 25 bis 30 Löchern…

Inhaltlich wurde in der diesjährigen Ansprache der Chefin wenig Neues geboten. Die Nation als Schicksalsgemeinschaft sowie „die Autorität des Staates“ soll die Menschen vor der Krise schützen, Frankreich muss wieder souverän werden (gegenüber supranationalen EU-Institutionen und durch Verriegelung der Grenzen für Einwanderung), und die Nation soll ein „Freiheitsraum“ sein gegenüber „den Totalitarismen, allen vor der mondialisme (ungefähr: Eine-Welt-Ideologie) und der Islamismus“. Alles in Allem inhaltlich eher langweilig, wenn man den üblichen FN-Diskurs bereits kennt.

Auch eine Breitseite gegen die „etablierten“ Gewerkschaften war in diesem Jahr wieder dabei, auch wenn sie inhaltlich ebenfalls nichts Neues darstellte, sondern bereits in Marine Le Pens 1. Mai-Ansprache von 2011 auftauchte. Am ersten Mai 2013 rief sie dieses Mal aus: „Wir sind für die Freiheit!“, deren natürlichen Rahmen allein die Nation darstelle. „Dazu gehört (…) die Freiheit, einer Gewerkschaft seiner Wahl beizutreten, und nicht nur einer Gewerkschaft, die auf einer vom System festgelegten Liste steht.“ Die darin enthaltene Behauptung, die Liste der anerkannten Gewerkschaften werde vom Establishment festgelegt, ist schlicht unzutreffend. Es stimmte halbwegs vor dem Gesetz vom 20. August 2008, das die représentativité (nach deutschen Begrifflichkeiten ungefähr: „Tariffähigkeit“) der unterschiedlichen Gewerkschaften neu regelte. Damals wurden insgesamt fünf Dachverbände – von der CGT über die CFDT bis zum christlichen Gewerkschaftsverband CFTC – auf frankreichweiter Ebene als „tariffähig“, und diese per Verordnung vom 31. März 1966 festgeschriebene „Repräsentativität“ („Tariffähigkeit“) wurde automatisch auch auf alle Einzelgewerkschaften ausgedehnt, die in einem dieser Dachverbände Mitglied waren oder ihm beitraten. Nichtsdestotrotz konnte eine keinem dieser fünf Verbände angehörende Gewerkschaft vor Gericht den Beweis ihrer „Tariffähigkeit“ erbringen, anhand einer Handvoll gesetzlicher Kriterien (Einfluss im Betrieb, „Gegnerfreiheit“ = Unabhängigkeit vom Arbeitgeber, …). Seit der gesetzlichen Neuregelung vom 20. August 2008 jedoch ist die automatische Anerkennung einer „Tariffähigkeit“ für die Mitgliedsgewerkschaften bestimmter Dachverbände abgeschafft: Alle Einzelgewerkschaften können und müsse ihre reale Verankerung im Betrieb unter Beweis stellen, dabei werden nunmehr die Wahlen zu den Personalvertretungen als eines der Kriterien herangezogen – wer weniger als 10 % der Stimmen erhält, verliert die „Tariffähigkeit“. Umgekehrt wurde es für alle Gewerkschaften erheblich erleichtert, ihre „Tariffähigkeit“ im Betrieb oder in der Branche unter Beweis zu stellen.

Aus einem bislang (halb) geschlossenen Club der „repräsentativen“ Gewerkschaften ist also inzwischen ein weitgehend offener Club, dem man beitreten und aus dem man nun auch herausfliegen kann, geworden. Dies ist ein grundsätzlicher demokratischer Fortschritt, auch wenn das Gesetz unter der Sarkozy-Regierung aus taktischen Gründen verabschiedet wurde (um die beiden wichtigsten Dachverbände, CGT und CFDT, zu begünstigen und umgekehrt ihr Stillhalten bei der Krisenbewältigungspolitik zu erwirken). Den Front National stört allerdings, dass er selbst in den Gewerkschaften nur eine sehr geringe Verankerung aufweist. Auch wenn an den Rändern der Gewerkschaften rechte „Versuchungen“ existieren: Eine lokale Einzelgewerkschaft im lothringischen Nilvange solidarisierte sich im Jahr 2011 mit ihrem Mitglied Fabien Engelmann, als dieser zu den Bezirksparlamentswahlen vom 20. und 27. März 11 als Kandidat des Front National antrat. Die Einzelgewerkschaft mit knapp dreißig Mitgliedern wurde daraufhin aus dem Dachverband CGT ausgeschlossen. Doch die Versuchung unter einzelnen Gewerkschaftsmitgliedern, aus irgend einem pervertierten „sozialen Protestmotiv“ heraus rechtsextrem zu stimmen, dürfte mancherorts bestehen bleiben. Eine wichtige Herausforderung und Aufgabe für die Gewerkschaften besteht darin, ihr entgegen zu wirken.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=33818
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